Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde, die am 14. Juni 1991 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr eingelegt wurde, richtet sich gegen die am 24. Januar 1991 verkündete und am 15. April 1991 schriftlich begründete Entscheidung der Einspruchsabteilung des EPA. Mit dieser Entscheidung wurde das europäische Patent Nr. 0 153 857 in geändertem Umfang aufrechterhalten; dem Patent lag die europäische Patentanmeldung Nr. 85 301 297.9 zugrunde, die am 26. Februar 1985 unter Inanspruchnahme der Priorität einer britischen Voranmeldung vom 29. Februar 1984 eingereicht worden war und 31 Ansprüche umfaßte. Die Einspruchsabteilung stützte sich bei ihrer Entscheidung auf einen geänderten Anspruch 1 und die Ansprüche 2 bis 31 in der erteilten Fassung. Der geänderte Anspruch 1 lautete wie folgt:
"Wäßrige gelhaltige Reinigungs- und Waschmittelzusammensetzung, dadurch gekennzeichnet, daß das Gel ganz oder vorwiegend in hexagonaler Flüssigkristallform vorliegt und folgendes umfaßt:
a) ein Tensidsystem mit einem Krafft-Punkt unterhalb Raumtemperatur, das spontan keine hexagonale Phase bilden kann und aus folgenden Komponenten besteht:
i) 30 bis 100 Gew.-% eines Anion- oder Kationtensids mit einer polaren Kopfgruppe und einer oder mehreren linearen oder verzweigten aliphatischen oder araliphatischen Kohlenwasserstoffketten mit insgesamt mindestens 8 aliphatischen Kohlenstoffatomen, wobei die polare Kopfgruppe nichtendständig in einer einzigen Kohlenwasserstoffkette gelegen ist oder mehr als eine Kohlenwasserstoffkette trägt; oder 2 oder mehreren solcher Tenside des gleichen Ladungstyps; und
ii) gegebenenfalls 0 bis 70 Gew.-% eines weiteren Tensids aus einer Gruppe von Tensiden des gleichen Ladungstyps wie i, jedoch mit einer endständig in einer linearen oder verzweigten aliphatischen oder araliphatischen Kohlenwasserstoffkette mit mindestens 8 aliphatischen Kohlenstoffatomen gelegenen polaren Kopfgruppe; Niotensiden; und Mischungen davon;
b) ein "Additiv", das ein wasserlösliches, nicht oder nur schwach micellbildendes Material ist, das das Tensidsystem a in die hexagonale Phase überführen kann, wobei das Additiv nichtionisch oder vom gleichen Ladungstyp wie das Tensid a i ist; und
c) Wasser;
jedoch unter Ausschluß einer Zusammensetzung, die bezogen auf das Gewicht 27 % Alkylbenzolsulfonat als Tensid a i, 13 % Alkylethersulfat als Tensid a ii, 12 % Harnstoff und 4 % Ethanol enthält."
In der angefochtenen Entscheidung wurden unter anderem folgende Druckschriften angezogen:
(1) DE-A-2 231 304
(2) US-A-2 580 713
(3) EP-A-0 112 047
II. Die Einspruchsabteilung hielt das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung für erfüllt, weil die Beschreibung und die Ansprüche des Streitpatents ihres Erachtens genügend Angaben enthielten, um geeignete Komponenten für die gewünschten Zusammensetzungen auswählen zu können, und ein Fachmann bei der Herstellung der Mischung ohne weiteres den Punkt erkannt hätte, an dem das beanspruchte Gel gebildet wird. Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit ...
III. Die Beschwerdebegründung ging am 15. August 1991 ein. Am 9. März 1994 fand eine mündliche Verhandlung statt.
IV. Der Beschwerdeführer (Einsprechende) machte in seinen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung, in der er sich auch auf die Entscheidung T 226/85 berief, geltend, daß die Konzentrationsbereiche, in denen die gewünschte hexagonale Gelphase gebildet werde, sehr klein seien und stark von der chemischen Natur der Komponenten abhingen, wie dem angefochtenen Patent und den Druckschriften 1 und 3 zu entnehmen sei. Daraus schloß er, daß die Zusammensetzungen, die die Komponenten gemäß Anspruch 1 in den dort angegebenen Konzentrationsbereichen enthielten, überwiegend keine hexagonale Gelphase bilden könnten, so daß man ohne den unzumutbaren Aufwand einer Vielzahl von Versuchen oder ohne weiteres erfinderisches Zutun zu keinen anderen unter die breite Definition des Anspruchs 1 fallenden Gelen gelangen könne als den in den Ausführungsbeispielen beschriebenen. ...
V. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) stützte sich auf die Beschwerdekammerentscheidungen T 292/85, T 301/87, T 19/90, T 182/89, T 60/89 und T 212/88 und argumentierte, der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 sei in der Beschreibung sehr wohl so offenbart, daß ein Fachmann, der ja Routineversuche beherrsche, die Erfindung ausführen könne. Insbesondere enthalte das Patent nicht nur eines, sondern mehrere Beispiele, die aufzeigten, wie man zu der gewünschten hexagonalen Gelphase gelangen könne. Er brachte weiter vor, daß die Erfindung nicht angemessen geschützt werden könne, wenn man bei ihrer Beschreibung auf "funktionelle" Definitionen verzichte, da die Konzentrationsbereiche, in denen man die hexagonale Phase erhalte, durch unregelmäßige Bereiche im Phasendiagramm definiert würden und stark von der chemischen Natur der Komponenten abhingen. Die Frage, ob weiteres erfinderisches Handeln notwendig sei, um die Erfindung in einigen unter den Anspruch fallenden, aber außerhalb der Ausführungsbeispiele liegenden Bereichen auszuführen, sei ohne Belang; anders gesagt, die ausreichende Offenbarung werde nicht dadurch beeinträchtigt, daß Auswahlerfindungen gemacht werden könnten. In bezug auf die erfinderische Tätigkeit trug er vor, daß die Druckschrift 1 zwar vielleicht eine Erhöhung der Viskosität bestimmter Tenside, keinesfalls aber die Bildung einer hexagonalen Flüssigkristallphase nahelege. Daher helfe die kombinierte Information der Druckschriften 2 und 1 dem Fachmann nicht bei der Lösung der Aufgabe, Zusammensetzungen in Form hexagonaler Flüssigkristalle bereitzustellen, die Tenside ohne die spontane Fähigkeit zur Bildung solcher Kristalle enthielten. Da sich der Stand der Technik völlig darüber ausschweige, wie man aus Tensiden, die spontan keine hexagonale Flüssigkristallphase bildeten, in dieser Phase vorliegende Gele erhalte, habe der Patentinhaber Anspruch auf ein Monopolrecht für sämtliche tensidhaltigen Mischungen, die in Gegenwart eines geeigneten Additivs eine solche Gelphase bildeten, ohne daß er die chemische Natur der letzteren Komponente genau zu spezifizieren brauche.
Am Ende der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdegegner sechs geänderte Anspruchssätze - einen Hauptantrag und fünf Hilfsanträge - vor. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 waren Kopien des in der angefochtenen Entscheidung zugelassenen Hauptantrags mit weiteren handschriftlichen Änderungen. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag entsprach bis auf die letzten Worte ("und 4 % Ethanol, Rest Wasser, enthält" statt "und 4 % Ethanol enthält") der Fassung des Anspruchs 1, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag.
In der als "Hilfsantrag 1" gekennzeichneten Fassung des Anspruchs 1 wurde die Komponente b wie folgt definiert:
b) ein "Additiv", das ein wasserlösliches, nicht oder nur schwach micellbildendes Material, nämlich ein Hydrotrop, ist, das das Tensidsystem a in die hexagonale Phase überführen kann, wobei das Additiv nichtionisch oder vom gleichen Ladungstyp ist wie das Tensid a i (Hervorhebung durch die Kammer).
In der als "Hilfsantrag 2" bezeichneten Fassung des Anspruchs 1 war der Einschub "nämlich ein Hydrotrop" ersetzt durch die Formulierung "aus einer Gruppe von Verbindungen mit einer polaren Kopfgruppe vom gleichen Ladungstyp wie das Tensid a i und gegebenenfalls einer aliphatischen oder araliphatischen Kohlenwasserstoffkette mit höchstens 6 aliphatischen Kohlenstoffatomen". ...
In der als "Hilfsantrag 4" ausgewiesenen Fassung des Anspruchs 1 war der Einschub "nämlich ein Hydrotrop" ersetzt durch die Worte "aus der Gruppe Harnstoff, Methylharnstoff, Ethylharnstoff, Thioharnstoff, Formamid, Acetamid, Toluolsulfonate und Xylolsulfonate". ...
VI. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Der Beschwerdegegner beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags oder eines der ebenfalls in dieser Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß dem vierten Hilfsantrag stattgegeben werde. Diese Entscheidung wurde am 14. März 1994 gemäß Regel 89 EPÜ berichtigt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag unterscheidet sich von dem in der angefochtenen Entscheidung gewährten Anspruch 1 durch die Berichtigung einer offensichtlichen Unrichtigkeit in dem Disclaimer, durch den die aus Beispiel F der Druckschrift 3 bekannte Zusammensetzung aus dem Anspruch ausgeschlossen wird. Diese Änderung ist nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.
2.2 Im Mittelpunkt der Diskussion über den Hauptantrag stand die Frage, ob der Anspruchsgegenstand dem Erfordernis des Artikels 100 b) EPÜ entspricht, ob also das Patent die beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann.
2.2.1 Unbestritten ist, daß ein Fachmann feststellen kann, ob ein Tensid in der hexagonalen Flüssigkristallphase vorliegt (s. Patentschrift, S. 6, Zeilen 3 bis 8). Ebensowenig angefochten wurde die Ausführbarkeit der Ausführungsbeispiele, in denen das "Additiv" entweder Harnstoff oder Natriumtoluolsulfonat ist. Somit steht fest, daß das Patent zumindest einen Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart und daß auch ermittelt werden kann, ob eine bestimmte Zusammensetzung der in Anspruch 1 enthaltenen Definition der Erfindung entspricht.
Strittig ist dagegen, ob der gesamte Gegenstand des Anspruchs 1 vom Fachmann nachgearbeitet werden kann, da eines seiner wesentlichen technischen Merkmale, das "Additiv" b, nur durch seine Funktion definiert ist.
Nach Auffassung der Kammer ist die Frage der ausreichenden Offenbarung bei allen - wie auch immer definierten - Erfindungen nach denselben Maßstäben zu beurteilen; es spielt also keine Rolle, ob die Erfindung durch strukturelle Merkmale oder aber durch ihre Funktion definiert wird. In beiden Fällen kann das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung nur so zu verstehen sein, daß der Fachmann in der Lage sein muß, den gesamten Gegenstand der Ansprüche - und nicht nur einen Teil davon - ohne unzumutbares Herumexperimentieren und ohne eigenes erfinderisches Zutun auszuführen.
Die Besonderheit der "funktionellen" Definition einer Komponente eines Stoffgemischs besteht darin, daß diese Komponente nicht durch Strukturmerkmale, sondern durch ihre Wirkung definiert wird. Eine solche Definition bezieht sich also nicht auf eine konkrete Komponente oder Komponentengruppe, sondern ganz abstrakt auf eine unbestimmte Vielzahl möglicher Alternativen, die chemisch ganz unterschiedlich zusammengesetzt sein können, solange sie das gewünschte Ergebnis liefern. Konsequenterweise müssen dem Fachmann all diese Alternativen auch zur Verfügung stehen, wenn die Definition und der Anspruch, in dem sie enthalten ist, den Erfordernissen der Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ genügen sollen. Diesem Gedanken liegt der allgemeine Rechtsgrundsatz zugrunde, daß der Schutzbereich eines Patents dem technischen Beitrag entspricht, den die Offenbarung der darin beschriebenen Erfindung zum Stand der Technik leistet; daher darf sich das mit dem Patent verliehene Monopol nicht auf Gegenstände erstrecken, die dem Fachmann auch nach der Lektüre der Patentschrift noch nicht zur Verfügung stehen (s. a. Nrn. 3.4 und 3.5 der Entscheidung T 409/91, ABl. EPA 1994, 653).
Natürlich gibt es keine einheitliche Antwort auf die Frage, wie viele Einzelheiten in einer Patentschrift notwendig sind, damit ihre praktische Umsetzung im gesamten, umfassenden Anspruchsbereich gewährleistet ist, da hierüber nur nach Sachlage des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden kann. Es liegt jedoch auf der Hand, daß die vorhandenen Informationen den Fachmann in die Lage versetzen müssen, das angestrebte Ergebnis im gesamten Bereich des Anspruchs, der die betreffende "funktionelle" Definition enthält, ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen, und daß die Beschreibung daher mit oder ohne das einschlägige allgemeine Fachwissen eine in sich geschlossene technische Lehre vermitteln muß, wie man zu diesem Ergebnis gelangt.
Deshalb muß geprüft werden, ob die vorliegende Patentschrift nur eine einzige Ausführungsart oder aber eine verallgemeinerungsfähige technische Lehre offenbart, die dem Fachmann das ganze Variantenspektrum, das unter die "funktionelle" Definition des betreffenden Anspruchs fällt, zugänglich macht. Diesbezüglich hat der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß es nicht möglich sei, anhand der in der Patentschrift enthaltenen Angaben und des allgemeinen Fachwissens andere erfolgversprechende Komponenten als die ausdrücklich erwähnten "Hydrotrope" zu ermitteln.
Somit steht fest, daß die vorliegende Definition des "Additivs" nicht mehr ist als eine Aufforderung zur Durchführung eines Forschungsprogramms zur Ermittlung weiterer "Additive", die das in Anspruch 1 enthaltene "funktionelle" Erfordernis erfüllen. Der Beschwerdegegner versucht also mit anderen Worten, durch die im vorliegenden Anspruch gewählte Definition nicht nur die Lösung der technischen Aufgabe zu beanspruchen, die in der Bereitstellung der dem Fachmann durch die Offenbarung der Patentschrift tatsächlich zugänglich gemachten Tenside in Form einer hexagonalen flüssigkristallinen Gelphase besteht, sondern darüber hinaus auch alle anderen möglichen Lösungen dieser Aufgabe, die auf dem "Prinzip" der Mischung eines Tensids a gemäß Anspruch 1 mit einem "geeigneten Additiv" und Wasser basieren, wobei er keine oder keine brauchbare technische Anleitung dafür gibt, wie man mit hinreichender Aussicht auf Erfolg zu weiteren geeigneten "Additiven" gelangt, die keine "Hydrotrope" sind. Weder die Patentschrift noch das einschlägige allgemeine Fachwissen geben Auskunft darüber, wie solche weiteren "Additive" ausfindig gemacht oder nach welchen Kriterien sie ausgewählt werden könnten. Deshalb ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, daß das Patent keine in sich geschlossene technische Lehre offenbart, die der im vorliegenden Anspruch 1 verwendeten "funktionellen" Definition des "Additivs" b gerecht würde. Somit kann das Patent gemäß Artikel 100 b) EPÜ nicht in dieser Form aufrechterhalten werden.
2.2.2 Der Beschwerdegegner hat sich auf mehrere frühere Entscheidungen der Beschwerdekammern berufen, die nach seinem Dafürhalten die Rechtsmeinung stützen, daß das Erfordernis des Artikels 100 b) EPÜ grundsätzlich immer erfüllt ist, wenn auch nur ein einziger Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart, also z. B. ein Ausführungsbeispiel angegeben ist, bei dessen Nacharbeitung man eine Ausführungsart der betreffenden Erfindung erhält. Eine solche pauschale Aussage läßt sich durch die angeführten Entscheidungen jedoch nicht untermauern; der Beschwerdegegner hat nämlich die Entscheidungen nicht als Ganzes gewürdigt, sondern nur auf ausgewählte Passagen abgehoben.
Insbesondere ist es verfehlt, die Feststellung unter Nummer 3.1.5 der Entscheidung T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275) aus dem Zusammenhang zu reißen. Dort heißt es nicht nur, wie der Beschwerdegegner zitiert, daß "eine Erfindung dann ausreichend offenbart ist, wenn sie dem Fachmann mindestens einen Weg zu ihrer Ausführung eindeutig aufzeigt"; vielmehr wird im anschließenden Satz auch klargestellt, daß "es für die ausreichende Offenbarung unerheblich (ist), ob bestimmte Varianten eines funktionell definierten Merkmals einer Erfindungskomponente verfügbar sind oder nicht, solange dem Fachmann aufgrund der Offenbarung oder seines allgemeinen Fachwissens geeignete Varianten bekannt sind, die für die Erfindung dieselbe Wirkung haben" (Hervorhebung durch die Kammer). Demgemäß liegt dieser Entscheidung unter anderem die Tatsachenfeststellung zugrunde, daß die betreffende Anmeldung genügend geeignete Varianten der ausdrücklich offenbarten Ausführungsarten zur Auswahl stelle (Nr. 3.1.3 der Entscheidungsgründe). Im Hinblick auf den "funktionellen" Ausdruck "geeignetes Bakterium" wurde zudem hervorgehoben, daß die Anwendbarkeit des beanspruchten Verfahrens auf alle oder die meisten Bakterienarten nicht wirklich in Frage gestellt worden sei (Nr. 3.2.1 der Entscheidungsgründe). Ähnliche Tatsachenfeststellungen wurden auch bezüglich der übrigen "funktionellen" Definitionen in dem betreffenden Anspruch getroffen (s. z. B. Nr. 3.4.3 der Entscheidungsgründe). Somit stützt diese Entscheidung nicht die vom Beschwerdegegner vertretene viel weiter gehende Rechtsmeinung. Desgleichen ist den Entscheidungen T 301/87, Nummer 4 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1990, 335) und T 19/90, Nummer 3 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1990, 476) zu entnehmen, daß die jeweilige Kammer davon überzeugt war, daß alle unter die damaligen Ansprüche fallenden Varianten allenfalls mit wenigen Ausnahmen das gewünschte Ergebnis liefern würden. Nichts anderes läßt sich auch aus der entsprechenden Begründung in der Sache T 60/89 (ABl. EPA 1992, 268) unter den Nummern 2.2.2 bis 2.2.7 herauslesen. In der Entscheidung T 182/89, Nummer 2 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 1991, 391) wurde die Offenbarung ebenfalls für ausreichend erachtet, da unter anderem festgestellt wurde, daß "keine ... Argumente oder Beweismittel vorgebracht" worden seien, "denen zufolge ein fachkundiger Leser des Patents nicht in der Lage wäre, die beanspruchte Erfindung in irgendeiner Ausführungsart nachzuarbeiten" (Hervorhebung durch die Kammer). In der Entscheidung T 212/88 (ABl. EPA 1992, 28) ging es um die Wiederholbarkeit der Ausführungsbeispiele. Die Frage, ob alle unter eine "funktionelle" Definition fallenden Erzeugnisse hergestellt werden könnten, stand nicht zur Diskussion.
2.2.3 Daher sieht die Kammer keinen Widerspruch zwischen diesen Entscheidungen und der Entscheidung T 226/85 (ABl. EPA 1988, 336), in der die Offenbarung für unzureichend befunden wurde, weil die Beschreibung keine brauchbare Anleitung enthielt, die es dem Fachmann ermöglicht hätte, Zufallsversuche mit einer annehmbaren statistischen Erfolgserwartung durchzuführen (s. Nrn. 7 und 8 sowie T 14/83, ABl. EPA 1984, 105). Vielmehr liegt all diesen Entscheidungen die gemeinsame Überlegung zugrunde, daß eine Erfindung nur dann ausreichend offenbart ist, wenn der Fachmann mit Grund erwarten kann, daß im wesentlichen alle Ausführungsarten einer beanspruchten Erfindung, die er ausgehend von der entsprechenden Offenbarung und dem einschlägigen allgemeinen Fachwissen ins Auge fassen würde, ausführbar sind. Fehlschläge können also mit anderen Worten nur als Ausnahmeerscheinung hingenommen werden. Im vorliegenden Fall sind Fehlschläge aber keineswegs die Ausnahme. Für die Behauptung des Beschwerdegegners, daß er einen umfassenderen Schutzanspruch habe, weil die Kenntnis des Streitpatents den Fachmann zu weiterer Forschungstätigkeit animiere und diese zur Entdeckung weiterer geeigneter Zusammensetzungen führen könnte, findet sich keine Rechtsgrundlage im EPÜ; sie wird auch nicht durch die angeführte Rechtsprechung der Beschwerdekammern gestützt.
3. Erster Hilfsantrag ...
4. Zweiter Hilfsantrag
4.1 Im einzigen Anspruch dieses Hilfsantrags wird die Definition des "Additivs" auf die vorstehend im ersten Satz unter Nummer 3.2 genannte Gruppe beschränkt. Diese weitere Einschränkung ist nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden.
4.2 Die Definition des "Additivs" erschöpft sich nun nicht mehr in der Angabe des angestrebten Ergebnisses, sondern weist ergänzend darauf hin, welche strukturellen Erfordernisse erfüllt sein müssen, damit dieses Ergebnis zustande kommt. Da der Beschwerdegegner in der mündlichen Verhandlung aber nicht anzugeben vermochte, wie der Fachmann anhand der Patentschrift einen Mißerfolg bei der Ausführung der Erfindung anders vermeiden könnte als durch Verwendung der darin ausdrücklich empfohlenen "Additive", bleibt die Sachlage im wesentlichen dieselbe wie beim ersten Hilfsantrag. Die strukturelle Definition umfaßt immer noch eine praktisch unbegrenzte Zahl von Einzelverbindungen, und das Patent hilft dem Fachmann nicht, die geeigneten ohne unzumutbaren Aufwand zu ermitteln. Hierzu müßte er im vorliegenden Fall für jede Einzelverbindung in Kombination mit einer praktisch ebenso unbegrenzten Zahl möglicher Tenside a ein komplettes Phasendiagramm erstellen. Die im Patent enthaltenen, auf die Ausführungsbeispiele bezogenen Phasendiagramme zeigen insbesondere bei einem Vergleich der Abbildungen 1 bis 5 (für Harnstoff als "Additiv") mit Abbildung 6 (für Natriumtoluolsulfonat als "Additiv"), daß der Bereich, in dem eine hexagonale Phase existiert, sehr klein sein kann. In diesen Abbildungen findet sich überdies keine Stützung für die Aussage des Beschwerdegegners, daß der Konzentrationsbereich, in dem sich die gewünschte hexagonale Phase einstelle, zwar je nach chemischer Struktur der Komponenten unsystematisch und somit unvorhersehbar variieren, der Fachmann aber dennoch erwarten könne, daß sich bei anderen geeigneten "Additiven" dann eine hexagonale Flüssigkristallphase bilde, wenn er die Konzentrationen ungefähr in der "Mitte" des für die Komponenten der Ausführungsbeispiele geltenden Bereichs ansetze. Der Fachmann hat aber keine Möglichkeit, durch irgendeinen "Schnelltest" zu prüfen, ob eine Einzelverbindung, die den breit definierten Strukturerfordernissen entspricht, eine Mischung aus einem Tensid a und Wasser aller Voraussicht nach in die gewünschte hexagonale Phase überführt, wenn er geeignete Konzentrationen wählt. Vielmehr wird dem Fachmann im vorliegenden Fall nicht nur die Auswahl eines geeigneten "Additivs", sondern auch noch die Wahl eines entsprechenden Tensids und der geeigneten Konzentration zugemutet, ohne daß ihm hierfür etwas anderes an die Hand gegeben würde als ein Verfahren, mit dem ermittelt werden kann, ob sich eine bestimmte Zusammensetzung in der hexagonalen Flüssigkristallphase befindet. Zudem ist den vorstehend angesprochenen Abbildungen zu entnehmen, daß der Fachmann im vorliegenden Fall keine vernünftige Prognose darüber anstellen kann, welche "Additive" mit deutlich anderer chemischer Struktur als Harnstoff oder Natriumtoluolsulfonat in der Lage wären, die gewünschte hexagonale Flüssigkristallphase der Tenside a des Anspruchs 1 herbeizuführen, da schon bei einem Austausch von Harnstoff gegen Natriumtoluolsulfonat der Bereich, in dem sich eine solche Phase bildet, stark eingeengt wird. Daher ist die Kammer nach wie vor nicht davon überzeugt, daß der mit Anspruch 1 konfrontierte Fachmann allein anhand der Beschreibung und des allgemeinen Fachwissens auf geeignete, hinreichend erfolgversprechende Varianten der ausdrücklich beschriebenen Ausführungsarten der beanspruchten Erfindung käme.
Infolgedessen bleibt die Offenbarung der Patentschrift für die meisten unter den vorliegenden Anspruch 1 fallenden Ausführungsarten unzureichend, so daß auch der zweite Hilfsantrag zurückgewiesen werden muß.
5. Dritter Hilfsantrag ...
6. Vierter Hilfsantrag
6.1 Anspruch 1 dieses Antrags basiert auf den Ansprüchen 1, 6, 7 und 9 in der ursprünglich eingereichten und erteilten Fassung sowie der Beschreibung in der eingereichten und erteilten Fassung (s. S. 5, Zeilen 2 bis 4 und Zeilen 21 bis 25 der Patentschrift, die bereits im Zusammenhang mit dem dritten Hilfsantrag erörtert worden sind) und geht nicht über den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 hinaus. Die Änderung entspricht demzufolge den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
6.2 Nach dem jetzt vorliegenden Anspruch 1 wird das "Additiv" aus einer begrenzten Liste chemischer Einzelverbindungen ausgewählt, die den in den Ausführungsbeispielen verwendeten "Additiven" strukturell sehr ähnlich sind. Somit entfällt der dem Fachmann bisher durch die breite "funktionelle" Definition der geeigneten "Additive" aufgebürdete doppelte Aufwand, der darin bestand, durch Herumexperimentieren die grundsätzlich geeigneten Verbindungen zu ermitteln und zugleich die geeigneten Konzentrationen aller Komponenten der entsprechend dem Hauptantrag und den ersten beiden Hilfsanträgen beanspruchten Zusammensetzungen herauszufinden. Der Beschwerdeführer hat nicht bestritten, daß es für alle nun beanspruchten "Additive" höchstwahrscheinlich einen Konzentrationsbereich gibt, in dem, je nach chemischer Struktur des Tensids a, eine hexagonale Flüssigkristallphase gebildet wird. Da die im vorliegenden Anspruch 1 aufgeführten "Additive", die in den Beispielen nicht verwendet werden, überdies strukturell sehr eng mit Harnstoff oder mit Natriumtoluolsulfonat verwandt sind, für die sich geeignete Konzentrationsbereiche aus den Abbildungen 1 und 6 ableiten lassen, kann die genaue Ermittlung des Konzentrationsbereichs, in dem bei Einsatz der anderen "Additive" die gewünschte hexagonale Flüssigkristallphase gebildet wird, nicht als unzumutbarer Aufwand für den Fachmann angesehen werden. Es wären nur einige Routineversuche notwendig, da der Fachmann erwarten darf, daß in diesen Fällen in etwa dieselben Konzentrationen gelten wie den genannten Abbildungen zufolge. Daher gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß der nun beanspruchte Gegenstand dem Erfordernis des Artikels 83 EPÜ genügt und Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Grundlage des vorliegenden Anspruchs 1 nicht entgegensteht.
6.3 Die Kammer erachtet den Gegenstand des nunmehr vorliegenden Anspruchs 1 für neu. Die Neuheit hatte der Beschwerdeführer auch nicht bestritten.
6.4 Zu klären ist noch die Frage, ob dieser Gegenstand auch eine erfinderische Tätigkeit aufweist. ...
6.4.4 Somit ergibt sich der Gegenstand des nun vorliegenden Anspruchs 1 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik. Das Patent kann daher auf der Grundlage dieses Anspruchs aufrechterhalten werden.
7. Unter diesen Umständen braucht der fünfte Hilfsantrag nicht geprüft zu werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des Anspruchs 1 in der Fassung des vierten Hilfsantrags nach Anpassung der übrigen Ansprüche und entsprechender Änderung der Beschreibung aufrechtzuerhalten.