T 2424/18 () of 28.4.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T242418.20210428
Datum der Entscheidung: 28 April 2021
Aktenzeichen: T 2424/18
Anmeldenummer: 10158972.9
IPC-Klasse: B60T 7/10
B60T 7/12
B60T 17/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Betreiben einer Bremseinrichtung eines Haltestellen anfahrenden Kraftfahrzeugs
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: WABCO GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - Anspruch 3 (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Ansprüche 1, 3 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0409/91
T 0435/91
T 0172/99
T 0553/10
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 239 172 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.

II. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:

D5: DE 10 2007 001 708 A1;

D7: DE 102 3 018 A1;

D17: EP 0 976 628 B1;

D18: DE 196 19 641 C1;

D21: "Kraftfahrzeugtechnisches Taschenbuch",

Robert Bosch GmbH, 23. Auflage, 2002,

Auszug, Seiten 761 (nachgereicht), 762-763.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das Streitpatent dem Fachmann genügend Hinweise zur Ausführung der Erfindung zur Verfügung stelle. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 4 gemäß in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichtem Hauptantrag sei zudem neu gegenüber D5 und D7 und erfinderisch ausgehend von D7 in Alleinstellung sowie unter anderem in Kombination mit D17 oder D18.

IV. Am 28. April 2021 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis des mit Beschwerdeerwiderung vom 16. April 2019 eingereichten Hilfsantrags 1 (jetzt Hauptantrag).

Alle anderen Anträge wurden zurückgenommen.

V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß dem mit der Beschwerdeerwiderung vom 16. April 2019 eingereichten Hilfsantrag 1, der in der mündlichen Verhandlung zum neuen Hauptantrag und einzigem Antrag erklärt wurde, lauten (in der Merkmalsgliederung der Parteien):

- Anspruch 1:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

- Anspruch 3:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

VI. Das für diese Entscheidung relevante Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Ausführbarkeit

Die einzige Ausführungsform der Fig. 1 im Streitpatent zeige weder eine aktive Abfrage, ob die Feststellbremse gelöst sei, noch einen "Endschalter" zur Messung der Position des Betätigungselements 54 oder "Drucksensor" zu Messung des ausgegebenen Drucks. In Fig. 1 könne ein elektrisches "Sensor-Signal" zur Abfrage von Merkmal d) auch nicht genutzt werden. Absatz [0037] beschreibe die "elektronische Steuereinrichtung 92" funktionell abschließend und keine komplexere Datenverarbeitung gemäß Merkmal d), die weiteren Aufwand erfordere.

Die Ausbildung als EBS gemäß Anspruch 5 (entspricht dem erteilten Anspruch 6) sei in Absatz [0017] nur wörtlich wiedergegeben und in der Beschreibung nicht erläutert. Absatz [0029] sei nur aufgabenhaft. Für den Fachmann sei nicht zu erkennen, wie welche Blöcke und Leitungen des pneumatischen Bremssystems aus Fig. 1 für ein EBS zu ersetzen seien. D21 stelle mit insgesamt 1.036 Seiten kein allgemeines Fachwissen dar. Zwar sei es allgemeines Fachwissen, dass es neben pneumatischen Bremssystemen auch EBS-Bremssysteme gebe. Dies alleine ermögliche dem Fachmann jedoch nicht, in direkter einfacher Weise den Gegenstand des Anspruchs 5 mit elektronischen Komponenten auszubilden. Bei einem EBS müsse in Fig. 1 vom Bremspedal 4 und von der Feststellbremseinrichtung 48 ein elektrisches Signal ausgehen. Wie diese Signale nachfolgend über entsprechende Module zur pneumatischen Ansteuerung der Bremse genutzt würden, sei weder im Streitpatent noch aus der D21 zu erkennen und der Aufwand für den Fachmann zu hoch (siehe die eingängige Rechtsprechung zur Frage "Ausführung der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich", z. B. T 409/91, T 435/91, T 172/99). Auch in T 553/10 sei die unzureichende Anleitung nicht durch einen Verweis auf das allgemeine Fachwissen zu beheben gewesen. Für rein pneumatische Systeme sei ein ABS gesetzlich vorgeschrieben, wobei ein ABS-Steuergerät aber keine Sensoren des Bremsdrucks heranziehe.

Anspruch 3 (mit Merkmal 4g) aus erteiltem Anspruch 13) sei nicht ausführbar offenbart, da weder der Fig. 1 des Streitpatents noch der Beschreibung ein Druckregelmodul zu entnehmen sei, um die Haltestellenbremsfunktion zu regeln. Die D21 (mit 1.036 Seiten kein allgemeines Fachwissen) sei für die Frage der Ausführbarkeit nicht zulässig (allenfalls für die Frage der erfinderischen Tätigkeit relevant) und würde vom Fachmann auch nicht herangezogen, da D21 (S. 763) keine Bremseinrichtung mit Haltestellen- und Feststellbremsfunktion und somit keine kombinierte Ansteuerung dieser Bremsfunktionen beschreibe. Falls er D21 heranziehe, sei für ihn nicht erkennbar, wie diese Funktionalitäten integriert und durch ein Druckregelmodul zu realisieren seien. Der Drucksensor 90 aus Fig. 1 des Streitpatents sei nicht heranzuziehen, da dieser für das gesamte Bremssystem und nicht an einer Achse oder einem Rad vorgesehen sei, wie mit Merkmal 4g) gefordert. Ein Druckregelmodul nehme zudem eine analoge Regelung vor und verarbeite keinen digitalen Messwert des Sensors 90. Die einzige konkrete Ausführungsform gemäß Fig. 1 des Streitpatents zeige nicht die gleichen Anschlüsse wie das "Druckregelmodul" der D21. Es sei nicht erkennbar, wie in Fig. 1 ein geschlossener Regelkreis ausgebildet und die komplexe Schaltung der D21 in Fig. 1 (bzw. die Haltestellenbremsfunktion in der komplexen Schaltung von D21) realisiert werden solle. Die unterschiedlich angesteuerten Relaisventile in D21 (über Einlass-, Auslass- und Backupventil) und Fig. 1 des Streitpatents (über analogen Bremsdruck des vom Bremsventil 8 und der Haltestellenbremsfunktion angesteuerten Wechselventils 20) seien nicht vergleichbar. Fig. 1 des Streitpatents gebe lediglich eine einfache analoge Schaltung an und keinerlei Hinweise, wie deren Elemente durch Funktionen eines komplexen EBS gemäß D21 zu ersetzen seien.

Neuheit - Anspruch 3

D7 zeige alle Merkmale des Anspruchs 3. Merkmal 4e) (auch Merkmal d) in Anspruch 1) sei nicht zwingend als "aktive Abfrage" zu deuten, sondern als hinreichende Bedingung bzw. Konditional-Bedingung. Bei Erfüllung zusammen mit den anderen Bedingungen trete die Folge des Merkmals 4f) (bzw. e)) ein. Der Anspruchswortlaut verlange nicht, dass alle Bedingungen unabhängig oder in Reihenfolge zeitlich hintereinander zu prüfen seien (siehe auch Streitpatent, Absatz [0023], Anspruch 2: "kumulativ" ohne Reihenfolge). Auch der Zustand der Feststellbremse müsse nicht bekannt sein. Diese Merkmale seien somit weit auszulegen, zumal unstreitig im Schaltbild der Fig. 1 des Streitpatents (zeige die beanspruchte Vorrichtung, die Figuren 3 - 5 nur das beanspruchte Verfahren) keine Einrichtung zur Abfrage des Lösezustands der Feststellbremse gezeigt sei. Die Ausdrücke "gelöst ist/sind" in Merkmal d)/4e) deuteten auch nicht auf einen aktiven Vorgang.

In D7 sensiere der Anschluss 41 des Überlastschutz-Relaisventils 2 den Druck in Leitung 13, d. h. ob die Feststellbremse (Handbremsventil 1) betätigt sei, und schalte in Abhängigkeit des Drucks das Relaisventil durch (wie in Absatz [0015] für den gleichwertigen Anschluss 42 beschrieben). Dies sei sogar eine aktive Abfrage. Nur bei nicht durchgeschaltem Anschluss 41 werde das Relaisventil über den parallelen Anschluss 42 (als Drucksensor) in Abhängigkeit des Bremsdrucks in Leitung 14 geschaltet (in D7 angedeutet durch aktive Formulierungen in Absatz [0009] oder [0023]). Gemäß den Ausführungen der Patentinhaberin könne ein Sensor über das Handbremsventil 48 den Zustand der Feststellbremse abfragen, detektiere jedoch gerade nicht, ob die Feststellbremse tatsächlich eingelegt sei. Die Merkmale a) bis e) sagten inhaltlich dasselbe aus wie D7. Die Frage, ob Steueranschlüsse im Sinne einer "ODER"-Schaltung vorgesehen seien, sei nicht relevant. Auch im Streitpatent werde entweder die Feststellbremse bereits vom Fahrer aktiviert und könne nachfolgend nicht mehr durch das Zuspannsignal zugespannt werden, oder die Feststellbremse sei (vom Fahrer) gelöst, und es könne ein Zuspannsignal gemäß Merkmal e) ausgegeben werden. Eine Fallunterscheidung im Sinne der Flussdiagramme des Streitpatents ("Feststellbremse aktiviert" - "ja/nein") werde in D7 durch das Relaisventil 2 realisiert, wobei über den Steueranschluss 41 im Sinne einer Abfrage die Betätigung des Handbremsventils 1 überprüft werde. Der nicht spezifizierte Begriff "Zuspannsignal" umfasse auch die pneumatische Ansteuerung der Leitung 10 in D7.

Merkmal 4g) unterscheide sich von D7 durch das Wort "Druckregelmodul" statt "Druckbegrenzungsventil" (für die Haltestellenbremsfunktion einer Achse in D7). D7 erwähne in Absatz [0025] oder [0029] auch elektrische/elektronische Bremsanlagen (EBS) mit einer Druckbegrenzung und Druckkonservierung über andere Elemente (z. B. Schalter, Potentiometer oder Software), wobei das andere Element ein bei einem elektronischen Bremssystem ohnehin vorgesehenes Druckregelmodul sei. Eine Druckregelung bedeute gerade eine Druckbegrenzung und Druckkonservierung. Die in D7 für ein EBS genannte Druckbegrenzung sei zwangsläufig eine Druckregelung.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 3

Das Druckregelmodul gemäß Merkmal 4g) löse die Aufgabe, eine sichere Haltestellenbremsfunktion zu erreichen bzw. einen sicheren Bremsdruck zu erzeugen. Eine derartige Regelung sei grundsätzlich für den Fachmann eine naheliegende Maßnahme ohne besondere überraschende technische Wirkung. Der Fachmann wolle immer die Sicherheit erhöhen, wie in D7 durch die Überwachung des Bremsdrucks der Betriebsbremse. Somit sei er aus der D7 und auch dem allgemeinen Fachwissen der D21 angeregt, eine Regelung vorzunehmen. Die in D7 (Absatz [0025]) genannte Druckkonservierung weise in naheliegender Weise auf ein Druckregelmodul. Zumindest mit dem allgemeinen Fachwissen der D21 erkenne der Fachmann Merkmal 4g) aus D7, da das elektronische Bremssystem gemäß Absatz [0025] oder [0029] immer mit einem Druckregelmodul ausgebildet sei. Weiterhin würde er das in D7 in Absatz [0029] erwähnte zusätzliche Sperrventil vor den Bremszylindern 8 als Druckregelmodul/-ventil ausbilden. Es sei nicht erkennbar, warum der Fachmann bei der Ausbildung des elektronischen Bremssystems in D7 nicht auch das Druckregelmodul aus D21 realisiere, da D21 gemäß den Ausführungen der Patentinhaberin zur Ausführbarkeit als allgemeines Fachwissen sämtliche erforderlichen Merkmale zur Verfügung stelle.

Der Fachmann würde mit einem Druckregelmodul immer den Druck für die beiden Funktionen "Betriebsbremse" und "Haltestellenbremse" einstellen. D7 erwähne für ein EBS in Absatz [0029] die Bremsbetätigung per Fußpedal über elektrische Impulse zur Einstellung des Bremsdrucks. Mit der Druckkonservierung gemäß Absatz [0025] der D7 werde die Haltestellenbremsefunktion angesprochen, die der Fachmann auch an den Rädern vornehmen würde. Falls das allgemeine Fachwissen nicht ausreiche, werde er bei der gestellten Aufgabe und dem in D7 genannten Gedanken einer Überwachung des Bremsdrucks (Absatz [0009]) sowie der genannten Druckkonservierung die D21 heranziehen.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1

Die technische Wirkung des Merkmals f) liege in einer Überprüfung, ob die Bedingungen für die Ausgabe des Zuspannsignals über einen Zeitraum noch gegeben seien. Damit werde die objektive Aufgabe gelöst, ein unnötiges Zuspannen der Feststellbremse bzw. Aktivieren von Elementen der Bremseinrichtung zu vermeiden. Der Fachmann entnehme bereits aus D7 (Absätze [0020] und [0021]: Entlüften der Federspeicher-Bremszylinder bei kurzem Stillstand nicht notwendig) den Gedanken zu warten. Somit deute D7 bereits an, eine zeitliche Überprüfung durchzuführen bzw. die zeitliche Dauer der Betätigung der Haltestellenfunktion zu berücksichtigen und ein nicht notwendiges (sofortiges) Einlegen der Feststellbremse zu vermeiden. Dies gebe dem Fachmann den Hinweis, eine Überprüfung nach der "kurzen Stillstandszeit" erneut durchzuführen, ob die Bedingungen für den Übergang auf die Feststellbremse noch gegeben seien. Der Gedanke, Signale verzögert auszugeben, sei im Übrigen typisch bei Regelungen und schwankenden Signalen. Das nicht weiter quantifizierte Merkmal f) sei bei Integrieren eines Eingangssignals oder auch bei träge reagierenden Bauteilen erfüllt.

Der Fachmann würde auch auf D17/D18/D5 zurückgreifen:

D17 beschreibe ein ähnliches System und insbesondere die Thematik eines Übergangs der Bremsfunktion auf die Feststellbremse ausgehend vom über die Betriebsbremse gehaltenen Fahrzeug. D17 lasse erkennen, dass die doppelte Aktivierung von Haltestellen-Funktion und Feststellbremse problematisch sei, und rege an zu überprüfen, welche Elemente betätigt seien. Der Fachmann entnehme D17 (Anspruch 6) zentral die Angabe eines Zeitgliedes zum zeitlich verzögerten Einlegen der Feststellbremse. Anspruch 1 besage nicht, dass in der Verzögerungszeit nochmals eine Überprüfung stattfinde.

D18 betreffe ein gleichartiges technisches System und beschreibe die Problematik des Streitpatents oder von D7, dass der "Wegrollverhinderer" (hält das Fahrzeug im Stillstand, also eine Haltestellenbremsfunktion) in unzulässiger Weise statt der Feststellbremse eingelegt sei. D18 lehre in Fig. 5 zunächst die Haltezeit Th abzuwarten und fortlaufend zu überprüfen, ob in dieser Zeit bereits eine Betätigung der Feststellbremse erfolgt sei, was Merkmal f) entspreche, um dann den Wegrollverhinderer auszuschalten. Technisch biete D18 zwar nicht die Möglichkeit, als Notmaßnahme (bei nicht zulässig erkanntem Parken über die Betriebsbremse) automatisch die Feststellbremse einzulegen. Dieses Merkmal habe der Fachmann jedoch bereits in D7 und entnehme der D18 die verzögerte Einleitung weiterer Maßnahmen, d. h. das Abwarten einer Haltezeit, ob die Feststellbremse vom Fahrer eingelegt worden sei. In D18 werde nach Überschreiten der Haltezeit der maximal zur Verfügung stehende Bremsdruck auf die Betriebsbremse gegeben und der Fahrer durch eine Warnleuchte gewarnt (Spalte 7, Zeile 47 ff). Dies werde der Fachmann in D7 derartig implementieren, dass er vor dem automatischen Einlegen der Feststellbremse die Haltezeit Th abwarte.

D5 zeige die meisten Merkmale von Anspruch 1 und lege Anspruch 1 schon in Alleinstellung nahe.

Zudem betreffe D5 den gleichen Gegenstand und die gleiche Problematik wie D7, d. h. die Benutzung der Haltestellenbremsfunktion und einen Druckabfall im Bremssystem (siehe Absatz [0009]), was zum Einlegen der Feststellbremse führe. D5 zeige Merkmal f), da gemäß Absatz [0052] bzw. Anspruch 3 der D5 im Sicherungsfall im Schritt S4 ein Zeitgeber 32 angestoßen werde, um nach einer ersten Wartezeit die Betriebsbremsfunktion auf die Feststellbremsfunktion umzuschalten.

VII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:

Ausführbarkeit

Bei weiter Auslegung der Merkmale d) und 4e) sei es einfach, den Lösezustand der Feststellbremse z. B. mittels eines Endschalters oder Drucksensors am Handbremsventil zu messen und das Sensorsignal mittels der elektronischen Steuereinrichtung 92 aus Fig. 1 auszuwerten. Absatz [0045] offenbare zudem ein Handbetätigungsorgan einer elektro-pneumatischen Feststellbremseinrichtung, welches elektrische Signale zur Ansteuerung von Magnetventilen erzeuge und in elektrischer Signalverbindung mit Steuereinrichtung 92 stehe (auch Anspruch 7, Fig. 4), die den Zustand der Feststellbremse abfragen könne.

Anspruch 5 (erteilter Anspruch 6) sei ausführbar, denn ein EBS sei allgemeines Fachwissen und in Anspruch 14 sowie den Absätzen [0029] und [0038] beschrieben. Gemäß den Absätzen [0046], [0047] und Fig. 5 frage das EBS-Steuergerät, ob der Schalter für die Haltestellenbremse "Ein" und die Feststellbremse aktiviert sei, und sende ein Signal an das Druckregelmodul zur Erzeugung des Haltestellenbremsdrucks. Das EBS-Steuergerät überwache diesen Druck (über Drucksensor 90 aus Fig. 1 oder integriert im Druckregelmodul aus D21). Unterschreite der Haltestellenbremsdruck den Grenzbremsdruck, werde ein Magnetventil zum Zuspannen der Feststellbremse angesteuert.

Merkmal 4g) (erteilter Anspruch 13) sei in Fig. 5 und den Absätzen [0046] und [0047] des Streitpatents beschrieben ("ein Signal an das Druckregelmodul..., um einen vorbestimmten Betriebsbremsdruck im Rahmen der Haltestellenbremsfunktion ... zu erzeugen") und für den Fachmann ausführbar. D21 als grundlegendes Fachbuch weise das Fachwissen des Fachmanns nach. Demzufolge werde durch ein "Druckregelmodul" der ausgesteuerte Bremsdruck durch einen integrierten Drucksensor gemessen und dann durch das integrierte elektronische Steuergerät und integrierte Magnetventile in einem geschlossenen Regelkreis geregelt. D21 zeige zudem ein 2-Kanal-Druckregelmodul wie auch Absatz [0047] des Streitpatents. Der Drucksensor aus D21 messe wie auch der Drucksensor 90 in Fig. 1 des Streitpatents den Bremsdruck am Arbeitsausgang des Relaisventils.

Neuheit - Anspruch 3

In D7 werde nicht aktiv abgefragt, ob sich der Federspeicher-Zylinder 9 in gelöstem Zustand befinde (also nicht über Handbremsventil 1 zugespannt sei), bevor er durch einen abfallenden Betriebsbremsdruck am Steueranschluss 42 des Überlastschutz-Relaisventils 2 automatisch zugespannt werde. Die Beschreibung des Streitpatents sei zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen, wobei die Ablaufpläne der Figuren 3 - 5 (Absatz [0027]: zur Steuerung der Bremseinrichtung von Fig. 1 vorgesehen) auf eine aktive Abfrage hinwiesen (auch Absätze [0043] und [0047]: Abfrage des momentanen Zustands). Gemäß Wortsinn der Merkmale b) bis d) bzw. 4c) bis 4e) (siehe auch Anspruch 2 oder Figuren 3 - 5) seien alle drei Bedingungen kumulativ und unabhängig voneinander (als getrennte Abfragen) zu erfüllen. Mit Merkmal d)/4d) als aktive Abfrage ("gelöst ist/sind") sei der tatsächliche Lösezustand der Feststellbremse festzustellen, bevor als Folge Merkmal e)/4f) eintrete. Dazu brauche es irgendeine Sensorik bzw. ein Signal, das auf eine gelöste Feststellbremse hinweise. D7 lasse keinen eindeutigen Rückschluss auf den tatsächlichen Zustand der passiven Federspeicher­bremszylinder zu. In D7 (Absätze [0009], [0020]-[0023]) werde ausschließlich der Betriebsbremsdruck überwacht.

Wie die Bezeichnung Überlastschutz-Relaisventil in D7 anzeige (auch Absatz [0021]), bestehe der Zweck dieses Relaisventils darin, eine mechanische Überbeanspruchung der durch die Bremszylinder betätigten Bremsmechanik durch ein gleichzeitiges Wirken von Betriebsbremse und Federspeicherbremse zu verhindern. Die Steuerdrücke an den beiden Steueranschlüssen 41, 42 des Überlastschutz-Relaisventils 2 wirkten im Sinne einer ausschließlichen "ODER"-Funktion zusammen, d. h. die Funktionen der Eingänge 41 und 42 seien gekoppelt: Das Relaisventil 2 berücksichtige entweder den am Steueranschluss 41 durch das Handbremsventil eingegebenen Feststellbremswunsch, oder den automatischen Feststellbremswunsch bei Druckabfall der Betriebsbremse am Steueranschluss 42 aber nicht Merkmal d)/4e). Ein Druckabfall unter den Grenzbremsdruck verhindere also die händische Bedienung der Feststellbremse durch den Fahrer.

Merkmal 4g) sei nicht in D7 offenbart, da das in Fig. 1 gezeigte Druckbegrenzungsventil 3 (das einen höheren Eingangsdruck auf einen niedrigeren Ausgangsdruck begrenze) nicht mit einem Druckregelmodul oder Druckregelventil gleichzusetzen sei, bei dem auf elektronischem Wege eine Regelung des Bremsdrucks in einem geschlossenen Regelkreis stattfinde. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Absätze [0025] und [0029] regten keinen Einsatz eines Druckregelmoduls in der Bremsanlage der D7 an. Absatz [0025] nenne Elemente zu einer "Druckbegrenzung und Druckonservierung", wobei über Schalter, Potentiometer oder Software der obere Grenzdruck nur eingestellt aber nicht eingeregelt werde. Absatz [0029] offenbare lediglich die normale Betätigung der Betriebsbremse mit dem Fußpedal und über Magnetventile, keine Betätigung der Haltestellenbremse. D7 unterscheide zwischen zwei Betriebsmodi, einer Haltestellenbremsfunktion und einer normalen Betätigung der Betriebsbremse über Fußpedal (Absatz [0029]). Ein EBS würde das Betriebsbremsventil ersetzen, nicht aber die Haltestellenbremsfunktion.

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 3

Bei Erzeugung des vorbestimmten Bremsdrucks gemäß Merkmal 4g) über ein Druckregelmodul seien beliebige Sollwerte einzustellen, was vorteilhaft bei geneigter Fahrbahn sei. Die Aufgabe liege darin, die Sicherheit der Bremsanlage zu erhöhen. In D7 führten zwei Zweige, ein Betriebsbremszweig und ein Haltestellenbremszweig, zum Wechselventil 7. Unter Berücksichtigung der in den Absätzen [0025], [0029] gegebenen Hinweise würde der Fachmann würde zwar das Betriebsbremsventil aus D7 durch einen elektrischen Bremswertgeber ersetzen, aber die beschriebene Zweigleisigkeit nicht aufgeben und den Haltestellenbremsdruck nicht zusätzlich über das EBS und ein Druckregelmodul realisieren ("could-would").

Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1

Der Effekt der Maßnahme gemäß Merkmal f) und damit die zu lösende Aufgabe liege darin, ein unnötiges Zuspannen der Feststellbremse zu verhindern (siehe Absatz [0024] des Streitpatents). In D7 werde die Feststellbremse sofort eingelegt, und es bestehe keine Veranlassung davon abzuweichen ("could-would"). Der Fachmann würde D17 oder D18 nicht zur Lösung der Aufgabe heranziehen, weil D17 keine Haltestellenbremse thematisiere und in D18 die rein mechanische Feststellbremse (anders als in D7) nicht automatisch eingelegt werden könne. Die Kombination von D7 mit D17 oder D18 ergebe aber auch keine technisch sinnvolle Lehre:

In D17 werde die Feststellbremse nach Ablauf einer zweiten Verzögerungszeit nur automatisch zugespannt, wenn bis dahin das Fahrzeug über die Betriebsbremse im Stillstand verharre (Ansprüche 1 und 6 von D17), also sichergestellt sei, dass das Fahrzeug von der intakten Betriebsbremse noch im Stillstand gehalten werde. Das Vorsehen der Verzögerungszeiten vor dem automatischen Zuspannen der Feststellbremse in D17 sei daher stets gekoppelt mit einer bis dahin intakten Betriebsbremse (keinem Ausfall!), während in D7 das Relaisventil 2 bei am Anschluss 42 festgestelltem Druckverlust der (nicht mehr intakten) Betriebsbremse ohne Zeitverzögerung sofort geschaltet werde.

In D18 werde ein den Bremskraftverstärker steuerndes Ventil - bei nichtbetätigter Feststellbremse und nach maximaler Haltezeit - übermäßig bestromt, so dass es in einer Stellung verbleibe, in welcher die Betriebsbremse maximal zugespannt werde und eine Vollbremsung des Fahrzeugs über die Betriebsbremse bewirke (Fig. 5). Es erfolge gerade keine Betätigung der Feststellbremse, die in D18 ausschließlich durch das Feststellbremspedal und einen Seilzug betätigt werde. Der Zustand der Feststellbremse werde in D18 alleine zu dem Zweck abgefragt, bei einer betätigten Feststellbremse den Wegrollverhinderer auszuschalten und eine unnötige Zerstörung des Ventils 54 zu vermeiden.

Ausgehend von D7 ergebe auch eine Kombination mit der Ausführungsform von Fig. 3 von D5 keine sinnvolle technische Lehre. Abgesehen von den nicht gezeigten Merkmalen a) und c) offenbare D5 in der Ausführungsform von Fig. 3 keine defekte Betriebsbremse, sondern gehe von einem intakten Zustand der Betriebsbremse aus. Der zeitlich verzögerte Übergang von der Betriebsbremse auf die Feststellbremse erfolge in Fig. 3, falls der Fahrer den Fuß nicht mehr auf dem Bremspedal habe und die Rollsperre nicht mehr über die Betriebsbremse gesichert sei, was im Widerspruch zu D7 sei. Die Feststellbremse werde in D7 nur nach Feststellen eines Druckverlusts in der Betriebsbremse (also einer defekten Betriebsbremse oder Rollsperre) und dann sofort zugespannt.

Das im schriftlichen Verfahren nicht begründete Vorbringen der Beschwerdeführerin zu D5 in Alleinstellung sei nicht zu berücksichtigen.

Zudem offenbare D5 in der Ausführungsform von Fig. 6 zwar einen Systemausfall und damit eine defekte Betriebsbremse als Voraussetzung für ein automatisches Zuspannen der Feststellbremse. Jedoch gehe der Fachmann in diesem Fall von einem sofortigen Zuspannen der Feststellbremse, also ohne Zeitverzögerung aus, da das Fahrzeug andernfalls ungebremst wäre. Eine Kombination der beiden Ausführungsformen nach Fig. 3 und Fig. 6 ergebe somit keine sinnvolle technische Lehre.

Entscheidungsgründe

1. Ausführbarkeit

1.1 Das Streitpatent offenbart den Gegenstand der Erfindung derart deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).

1.2 Die Kammer sieht keinen Grund, von der Auffassung der Einspruchsabteilung zur Ausführbarkeit der Erfindung abzuweichen, siehe angefochtene Entscheidung unter Punkt 12.2 (zu Merkmalen d) und 4e) der unabhängigen Ansprüche 1 und 3) sowie Punkte 11.5 bis 11.7 (zu den erteilten Ansprüchen 6 und 13, vorliegend Anspruch 5 sowie Merkmal 4g) des Anspruchs 3).

1.3 Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente können die Kammer aus folgenden Gründen nicht überzeugen:

1.3.1 Wie nachfolgend zur Neuheit ausgeführt, umfassen die weit auszulegenden Merkmale d) und 4e) auch eine Feststellung des gelösten Zustands der Feststellbremse bzw. der Bremsaktuatoren der Feststellbremse über eine Erfassung der Betätigung des Handbremsventils. Auch wenn Fig. 1 des Streitpatents dies nicht zeigt, ist es für den Fachmann trivial, ein Handbremsventil 54 mit entsprechender Sensorik (Schalter oder Drucksensor) in Fig. 1 im Streitpatent vorzusehen und das elektrische Sensorsignal in der in Fig. 1 gezeigten elektronischen Steuereinrichtung 92 auszuwerten. Dies gilt umso mehr, als Absatz [0045] des Streitpatents eine alternative Ausführungsform zu Fig. 1 anspricht, bei der die rein pneumatische Feststellbremseinrichtung aus Fig. 1 als elektro-pneumatische Feststellbremseinrichtung ausgebildet ist, die abhängig von elektrischen Signalen eines Handbetätigungs­organs Magnetventile ansteuert, um die Federspeicherbremszylinder zuzuspannen (siehe auch Anspruch 7 des Streitpatents).

1.3.2 Anspruch 5 beschreibt die dem Fachmann geläufige Ausführung von Bremssystemen als elektronisch geregeltes Bremssystem EBS mit einem vom Bremspedal ausgehenden elektrischen Signal, was unstrittig war. Die Integration der in Fig. 1 des Streitpatents gezeigten elektronischen Steuereinrichtung 92 in das EBS-Steuergerät gemäß Anspruch 5 ist eine fachübliche Maßnahme. Die Beschwerdeführerin argumentiert, das Streitpatent gebe dem Fachmann unzureichend Anleitung, wie die von der Feststellbremseinrichtung 48 und vom Bremspedal 4 ausgehenden elektrischen Signale über entsprechende Module zur pneumatischen Ansteuerung der Bremse genutzt würden.

Wie bereits ausgeführt, offenbart das Streitpatent in Absatz [0045], wie im Falle einer elektro-pneumatischen Feststellbremseinrichtung die elektrischen Signale eines Handbetätigungsorgans Magnetventile ansteuern. Zudem entnimmt der Fachmann aus den Absätzen [0046] und [0047] des Streitpatents eine Ausführungsform mit Druckregelmodul, vorzugsweise mit einem 2-Kanal-Druckregelmodul der Hinterachse, bei der von der Steuereinrichtung 92 ein Signal an das Druckregelmodul ausgesteuert wird, um den Betriebsbremsdruck in den Betriebsbremszylindern zu erzeugen. Gemäß Absatz [0046] ist die Steuereinrichtung 92 vorteilhaft in ein elektronisches Steuergerät des Druckregelmoduls oder in ein Bremssteuergerät, also in ein EBS-Steuergerät, integriert. Damit sind nach Auffassung der Kammer die zur pneumatischen Ansteuerung der Bremse genutzten Module auch für die mit Anspruch 5 spezifizierte Ausführungsform ausreichend offenbart.

1.3.3 Merkmal 4g) spezifiziert noch, dass das Druckregelmodul bei Betätigung des Haltestellenbremsbetätigungsorgans den vorbestimmten Bremsdruck für die Bremsaktuatoren der Betriebsbremseinrichtung erzeugt. Wie bereits ausgeführt und von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, bietet das Streitpatent in Fig. 5 und Absätzen [0046] und [0047] die zur Ausführung des Merkmals 4g) erforderliche Lehre, dass das über elektrische Signale des EBS-Steuergeräts angesteuerte Druckregelmodul den durch den Fahrer gewünschten Bremsdruck in der Betriebsbremse erzeugt, insbesondere auch im Falle der vom Fahrer gewünschten Haltestellenbremsfunktion. Wie der Name "Druckregelmodul" schon besagt, wird der gewünschte Bremsdruck in einem geschlossenen Regelkreis geregelt, wozu der ausgesteuerte Bremsdruck über einen Drucksensor (z. B. integriert im Druckregelmodul oder analog zu Drucksensor 90 aus Fig. 1, der den in die Hinterachse eingesteuerten Bremsdruck überwacht) gemessen wird. Die Kammer folgt der Auffassung der Einspruchsabteilung, dass - auch ohne Heranziehen der D21 - der Fachmann die Funktionen des pneumatisch gesteuerten Systems aus Fig. 1 des Streitpatents in "elektronischer" Form zu implementieren weiß.

2. Neuheit

2.1 Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 3 gemäß vorliegendem Hauptantrag (vorgelegt mit der Beschwerdeerwiderung als Hilfsantrag 1) ist neu (Artikel 54 (1) EPÜ). Die Neuheit des unabhängigen Anspruchs 1 wurde nicht bestritten.

2.2 Strittig in Bezug auf die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 war zwischen den Parteien lediglich die Frage, ob D7 Merkmal 4e) ("(falls) die Bremsaktuatoren der Feststellbremseinrichtung gelöst sind") sowie das aus dem erteilten Anspruch 13 stammende Merkmal 4g) offenbart.

Die nachfolgenden Ausführungen zu Merkmal 4e) gelten dabei auch für das weiter gefasste Merkmal d) des Anspruchs 1 ("falls die Feststellbremse gelöst ist").

2.3 Die Einspruchsabteilung sah Merkmal 4e) nicht in D7 offenbart, da keine "aktive Abfrage" über den Zustand der Feststellbremse durchgeführt werde. Dem kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen:

Die einzige im Streitpatent gezeigte erfindungsgemäße Fig. 1 einer Vorrichtung lässt offen, wie der Zustand der Feststellbremse bestimmt wird. Bei der sich daraus ergebenden Diskussion der Ausführbarkeit argumentiert die Beschwerdegegnerin, dass dazu entweder ein die Stellung des Betätigungsorgans anzeigender Endschalter oder ein den ausgesteuerten Feststellbremsdruck messender Drucksensor vorgesehen sei. Daraus folgt für die Kammer, dass Merkmal 4e) nicht notwendigerweise die Feststellung des tatsächlichen Lösezustands der Feststellbremse fordert, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, sondern auch bei Erfassung eines fehlenden Feststellbremswunschs durch das Handbremsventil erfüllt ist. Die Merkmale 4c) bis 4e) mögen zwar "kumulativ" bzw. aufsummierend drei Bedingungen fordern, die zu einem Zuspannen der Feststellbremse gemäß Merkmal 4f) führen. Die Kammer sieht darin aber keine zeitlich hintereinander getrennt und unabhängig abzufragenden Merkmale, auch wenn die Ablaufpläne der Figuren 3 - 5 dies im Streitpatent für verschiedene Ausführungsformen zur Steuerung der Bremseinrichtung gemäß Fig. 1 darstellen (siehe Absatz [0027]). Nachdem Fig. 1 und die darin gezeigte pneumatische Bremsanlage den Aufbau der elektronischen Steuereinrichtung 92 offen lässt und auch keine Details zur Erzeugung und Verarbeitung eines Lösesignals der Feststellbremse zeigt, ist Anspruch 3 nach Auffassung der Kammer nicht einschränkend im engeren Sinne der Ablaufpläne zu interpretieren.

2.4 Es war unstrittig, dass der Steueranschluss 42 des Überlastschutz-Relaisventils 2 in D7 ein Abfallen des Bremsdrucks der Betriebsbremse gemäß den Merkmalen 4a) und 4d) erfasst (wie in D7 explizit in Absatz [0015] ausgedrückt), also "sensiert" oder abfragt, und bei Druckabfall die Feststellbremse zuspannt. Die Kammer kann nicht erkennen, wieso am parallelen Steuereingang 41 nicht auch eine Sensierung oder Abfrage - und zwar ob das Handbremsventil 1 zum Lösen der Feststellbremse betätigt ist - vorliegen soll. Ob dies eine "aktive Abfrage" darstellt, ist nach Auffassung der Kammer unerheblich, da dies im Anspruch nicht gefordert und auch keine engere Auslegung aus dem Streitpatent abzuleiten ist. Wie bereits ausgeführt, ist der Gegenstand von Anspruch 3 nicht dahingehend eingeschränkt, dass zeitlich hintereinander getrennte Abfragen z. B. anhand eines programmtechnisch umgesetzten Ablaufplans erfolgen müssen.

Wie von der Beschwerdegegnerin erläutert, wirken die Steuerdrücke an den beiden Steueranschlüssen 41, 42 des Überlastschutz-Relaisventils 2 in D7 im Sinne einer ausschließlichen "ODER"-Funktionalität. Somit stellt das Relaisventil 2 eine Exklusiv-ODER-Schaltung dar, die nur bei (entlüftender) Ansteuerung eines der beiden Steuereingänge ein Ausgangssignal zum Entlüften und damit Zuspannen der Bremsaktuatoren der Feststellbremse ausgibt. Wird also Steuereingang 41 nicht (entlüftend) angesteuert, die Feststellbremse also nicht über das Handbremsventil eingelegt, und fällt der Bremsdruck am Steuereingang 42 aufgrund Leckage in der Betriebsbremse unter einen vorgegebenen Grenzbremsdruck, so wird durch Schalten des Relaisventils in die Stellung "Entlüften" der Federspeicher-Bremszylinder 9 in D7 in Eingriff gebracht und somit zugespannt (siehe Absatz [0023]). Damit verknüpft das Relaisventil 2 also die Bedingung gemäß Merkmal 4e), dass die Feststellbremse (über das Handbremsventil 1) gelöst ist, mit der Sensierung eines Bremsdruckabfalls gemäß Merkmal 4d). Bei Vorliegen dieser Bedingungen gibt das Relaisventil 2 in D7 ein Zuspannsignal zum Zuspannen der Bremsaktuatoren der Feststellbremse aus, wie mit Merkmal 4f) gefordert. Es war unstrittig, dass dies für die in D7 aktivierte Haltestellenbremsfunktion, also bei betätigtem Haltestellenbremsbetätigungsorgan gemäß Merkmal 4c) erfolgt. D7 offenbart damit bei Vorliegen der Bedingungen gemäß den Merkmalen 4c), 4d) und 4e) ein Zuspannen der Feststellbremse gemäß Merkmal 4f).

Die Kammer folgt dabei der Beschwerdeführerin darin, dass die mit Merkmal 4e) geforderte Feststellung, ob die Bremsaktuatoren der Feststellbremseinrichtung gelöst sind (am Steuereingang 41 des Überlastschutz-Relaisventils 2 in D7 erfasst), eine Voraussetzung oder Bedingung dafür darstellt, dass bei Druckabfall des überwachten Bremsdrucks gemäß Merkmalen 4a) und 4d) (am Steuereingang 42 in D7 sensiert) als Folge ein Signal zum automatischen Zuspannen der Bremsaktuatoren der Feststellbremse gemäß Merkmal 4f) ausgegeben wird.

2.5 Die Druckschrift D7 offenbart nach Auffassung der Kammer allerdings keine Einbindung der Funktion der Haltestellenbremseinrichtung in ein Druckregelmodul, wie mit Merkmal 4g) gefordert. Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin nicht darin, dass die in D7 in Absatz [0025] für elektronische Bremsanlagen (EBS) angesprochene "Druckkonservierung" zwangsläufig eine Druckregelung bedeute. Der Begriff "konservieren" ist im Sinne von "bewahren" oder "aufrechterhalten" zu verstehen, bezieht sich also auf die im vorhergehenden Absatz angesprochene "Aufrechterhaltung des Druckes im Bremszylinder bei der alternativen Betätigung über das Betriebsbremsventil 15". Auch die in D7 genannte Druckbegrenzung bedeutet noch keine Druckregelung.

2.6 Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 folgt somit aus dem in D7 nicht gezeigten Merkmal 4g).

3. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 3

3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 3 gemäß Hauptantrag erfüllt auch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

3.2 Die Beschwerdeführerin bestritt das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegenden Stand der Technik in Alleinstellung oder zusammen mit dem durch D21 belegten Fachwissen.

3.2.1 Wie zur Neuheit ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 3 nur durch das in Merkmal 4g) spezifizierte Druckregelmodul von der Offenbarung der Druckschrift D7. Das Druckregelmodul ermöglicht es, den Haltestellenbremsdruck situationsabhängig anzupassen, z. B. beim Anhalten an einem Hang. Ausgehend von diesem Unterschiedsmerkmal stellt sich daher die Aufgabe, die Sicherheit der Bremseinrichtung zu erhöhen. Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Aufgabe einer sicheren Haltestellenbremsfunktion bzw. eines sicheren Bremsdrucks (für diese Funktion) würde nach Auffassung der Kammer einen Hinweis auf die Lösung geben und ist deshalb nicht zulässig.

3.2.2 Die Kammer war nicht überzeugt, dass ausgehend von D7 und den in Fig. 1 getrennten Zweigen für die Erzeugung des Betriebsbremsdrucks über das Fußpedal und für die automatische Erzeugung des Haltestellenbremsdrucks der Fachmann in naheliegender Weise zur erfindungsgemäßen Lösung gelangen würde. Hinweise in den Absätzen [0025] und [0029] auf ein elektronisches Bremssystem EBS legen zwar einen elektrischen Bremswertgeber zur Betätigung der Betriebsbremse über das Fußpedal nahe, der auch mit einem Druckregelmodul eines Rades oder einer Achse zusammenwirken mag. Für den Fachmann ist aber unter Sicherheitsaspekten damit noch nicht nahegelegt, auch den Haltestellenbremsdruck wie mit Merkmal 4g) gefordert über das Druckregelmodul des EBS zu erzeugen. Wie die von der Beschwerdeführerin angeführte D21 zeigt, sind bei einem EBS im Falle eines Fehlers im elektrischen Teil Rückfallmaßnahmen für einen sicheren Betrieb zu treffen (wie z. B. der in D21 gezeigte pneumatische "back-up"-Kreis mit "back-up"-Ventil). Es beruht deshalb bei der gestellten Aufgabe, die Sicherheit der Bremseinrichtung zu erhöhen, auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, ausgehend von der Druckschrift D7 - unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens oder auch der D21 - die in D7 gezeigte Zweigleisigkeit zur Ansteuerung der Betriebsbremse (mit separatem und unabhängigem Zweig zur Bereitstellung eines pneumatisch begrenzten Bremsdrucks der Haltestellenbremsfunktion) aufzugeben und auch den Haltestellenbremsdruck über das Druckregelmodul zu erzeugen.

4. Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1

4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4.2 Die Beschwerdeführerin stellte zum einen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D7 als nächstliegendem Stand der Technik in Frage, und zwar sowohl mit D7 in Alleinstellung als auch in Kombination mit D17, D18 oder D5.

4.2.1 Die Druckschrift D7 zeigt alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme von Merkmal f). Zum strittigen Merkmal d) wird auf die Ausführungen zu Merkmal 4e) bei Diskussion der Neuheit des Anspruchs 3 verwiesen.

4.2.2 Die technische Wirkung des Unterschiedsmerkmals f) besteht gemäß Absatz [0024] des Streitpatents darin, ein automatisches Zuspannen der Feststellbremse zu verhindern, wenn sich der überwachte Bremsdruck nach Auslösen der Haltestellenbremsfunktion nicht schnell genug aufbaut, obwohl kurz danach ein den Grenzdruck übersteigender Bremsdruck vorliegt.

Die zu lösende Aufgabe ist also darin zu sehen, ein unnötiges Zuspannen der Feststellbremse zu verhindern.

4.2.3 In D7 wird die Feststellbremse bei Druckabfall am Steuereingang 42 des Relaisventils 2 sofort eingelegt. Es besteht gegenüber D7 in Alleinstellung keine Veranlassung, davon abzuweichen und das Zuspannsignal zeitverzögert auszugeben.

Die Absätze [0020] und [0021] in D7 lehren lediglich, bei kurzem Stillstand die ausreichende Bremswirkung der Betriebsbremse zu nutzen, so dass ein vollständiges Entlüften der Federspeicher-Bremszylinder nicht notwendig ist. Dies weist den Fachmann nicht darauf hin, ein gemäß den Merkmalen b) bis e) im Fehlerfall (bei Druckabfall der Betriebsbremse) vorgesehenes und sofortiges Zuspannen der Feststellbremse wie in D7 offenbart zeitlich zu verzögern.

Auch der Verweis der Beschwerdeführerin auf die bei Regelungen und schwankenden Signalen typische Ausgabe von verzögerten Signalen (z. B. durch Integration des Signals) greift nicht, da der Haltestellenbremsdruck in D7 nicht geregelt wird, sondern fest über einen Druckbegrenzer vorgegeben ist. Merkmal f) fordert eine bewusste technische Gestaltung, um eine zeitverzögerte Ausgabe des Zuspannsignals zu realisieren, wobei D7 auch keinen Anlass bietet, ein Bauteil bewusst in diesem Sinne und damit - wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen - "träge reagierend" auszulegen.

4.2.4 Auch die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumentationen ausgehend von D7 in Kombination mit D17, D18 oder D5 greifen nicht. Das in D7 gezeigte Zuspannen der Feststellbremse gemäß Merkmal e) unter den Bedingungen gemäß Merkmal b) bis d) des Anspruchs 1 ist nicht kompatibel mit den Voraussetzungen in D17 oder D5 oder der in D18 gezeigten Maßnahme.

Das Vorsehen von Verzögerungszeiten in D17 (siehe Ansprüche 1 und 6) vor dem automatischen Zuspannen der Feststellbremse ist stets gekoppelt mit einer bis dahin intakten Betriebsbremse, also gerade nicht mit einem gemäß Merkmal c) erkannten und auch in D7 gezeigten Druckverlust bzw. Defekt der Betriebsbremse. Auch D5 geht wieder von einer intakten Betriebsbremse aus (Figur 3), wenn der Übergang von der Betriebsbremse auf die Feststellbremse zeitlich verzögert erfolgt, anders als in Merkmal c) gefordert und im Widerspruch zu D7.

In D18 wird eine maximale Haltezeit bei nichtbetätigter Feststellbremse abgefragt und gewartet, um dann ein den Bremskraftverstärker steuerndes Ventil zu schädigen und die Betriebsbremse maximal zuzuspannen. Es soll also gerade keine Betätigung der Feststellbremse wie in D7 gezeigt und mit Merkmal e) gefordert erfolgen. Die Kammer kann nicht erkennen, wieso der Fachmann die in D18 in anderem Zusammenhang vorgesehene Haltezeit, die nur zum Schutz vor einer frühzeitigen Schädigung der Betriebsbremsanlage vorgesehen ist, bei der Ansteuerung des Relaisventils und damit der Feststellbremse in D7 berücksichtigen würde.

4.3 Zum anderen sah die Beschwerdeführerin auch angesichts der Lehre der D5 in Alleinstellung den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht als erfinderisch an.

4.3.1 Die Druckschrift D5 zeigt zwar bereits eine Ausführungsform in Figur 3, die bei aktivierter Rollsperre die Hinterachsbremsen zeitverzögert nach einer Wartezeit von der Betriebsbremse auf die Feststellbremse umschaltet. Dies betrifft aber den speziellen Fall, dass der Fahrer seinen Fuß nicht auf dem Bremspedal der Betriebsbremseinrichtung belässt und die Rollsperre nicht mehr über die Betriebsbremse gesichert ist. Die einzige auf einen Defekt im Sinne des Merkmals c) hinweisende Ausführungsform ist in Figur 6 dargestellt, führt aber sofort und somit ohne Zeitverzögerung zum Einlegen der Feststellbremse. Die Kammer kann nicht erkennen, dass der Fachmann diese beiden Absicherungsmaßnahmen in der mit Anspruch 1 geforderten Weise kombinieren würde, also im Falle eines Druckabfalls in der Betriebsbremse (was dem Systemausfall gemäß Figur 6 in D5 entsprechen würde) noch eine Wartezeit (gemäß Figur 3 in D5 bei intakter Betriebsbremse) vorsehen würde, um die Feststellbremse erst zeitverzögert einzulegen.

4.3.2 Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob - wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen - der Angriff ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik im schriftlichen Verfahren ausreichend substantiiert wurde.

5. Weitere Angriffslinien wurden nicht vorgetragen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

- Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in der geänderten Fassung gemäß den Ansprüchen 1 bis 7 des Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 16. April 2019 als Hilfsantrag 1, und einer noch anzupassenden Beschreibung bzw. Figuren aufrechtzuerhalten.

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