T 0720/98 () of 2.2.2000

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2000:T072098.20000202
Datum der Entscheidung: 02 Februar 2000
Aktenzeichen: T 0720/98
Anmeldenummer: 90890281.0
IPC-Klasse: E06B 3/66
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 37 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zum Füllen des Innenraumes von Isolierglasrohlingen mit Gas
Name des Anmelders: Lisec, Peter
Name des Einsprechenden: Lenhardt Maschinenbau GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0409/91
T 0435/91
T 0969/92
T 0607/93
T 0312/94
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde ist gegen die Zwischenentscheidung einer Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 13. Mai 1998 gerichtet, die das europäische Patent EP-B1-0 444 391 in geändertem Umfang, und zwar im Umfang der erteilten Verfahrensansprüche 1 bis 8, aufrechterhalten hat. Die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen beschränkten sich auf die Streichung der erteilten Vorrichtungsansprüche 9 bis 13 und eine entsprechende Anpassung der Beschreibung. Gemäß der angefochtenen Zwischenentscheidung beruht der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die folgenden von der Einsprechenden genannten Entgegenhaltungen:

D1: WO-A-89/11021

D4: EP-A-0 324 333.

II. Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Füllen des Innenraumes von Isolierglasscheibenrohlingen (1), die aus wenigstens zwei Glasscheiben und einem zwischen diesen angeordneten Abstandhalterrahmen bestehen, mit einem anderen Gas als Luft, insbesondere mit Argon, wobei eine spaltförmige Öffnung für das Zuführen von Gas und das Abziehen von Luft bzw. Luft-Gas-Gemisch gebildet wird, indem eine der Glasscheiben des Isolierglasscheibenrohlings (1) unter elastischem Biegen dieser Glasscheibe im Abstand vom Abstandhalterrahmen gehalten wird, wenn der Isolierglasscheibenrohling (1) nach dem Zusammenstellen des Scheibenpaketes in einer Presse zwischen Preßplatten (10, 11) im wesentlichen vertikal stehend gepreßt wird, wobei durch die so gebildete, spaltförmige Öffnung in den Innenraum des Isolierglasscheibenrohlings (1) Gas eingeblasen und Luft bzw. Luft-Gas-Gemisch aus dem Innenraum des Isolierglasscheibenrohlings (1) abgezogen wird, dadurch gekennzeichnet, daß eine der Glasscheiben des Isolierglasscheibenrohlings (1) im Bereich nur einer unteren Ecke des Isolierglasscheibenrohlings (1) im Abstand vom Abstandhalterrahmen gehalten wird, während der übrige Teil dieser Glasscheibe durch die Preßplatten (10, 11) in Anlage an den Abstandhalterrahmen gehalten wird, daß mittels einer Sonde (4) Gas mit einer im wesentlichen parallel zum unteren horizontalen Schenkel des Abstandhalterrahmens ausgerichteten Strömungsrichtung in den Innenraum des Isolierglasscheibenrohlings (1) geblasen wird und daß mittels einer Sonde (5) Luft bzw. Luft-Gas-Gemisch durch einen Bereich der spaltförmigen Öffnung aus dem Innenraum des Isolierglasscheibenrohlings (1) abgezogen wird, der oberhalb des Bereiches der spaltförmigen Öffnung liegt, durch den Gas in den Innenraum des Isolierglasscheibenrohlings (1) eingeblasen wird."

III. Die Beschwerde ist am 21. Juli 1998 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr von der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) eingelegt worden. Die Beschwerdebegründung ist am 29. August 1998 eingegangen.

Am 2. Februar 2000 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden. In dieser Verhandlung ist die Frage der erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D1, D4 ausführlich diskutiert worden.

IV. Die Beschwerdeführerin hat folgendes geltend gemacht:

Gemäß der Entscheidung T 607/93 bestehe kein Anlaß, einen zu breit gefaßten Anspruch mit Hilfe der Beschreibung enger zu interpretieren. Da der Begriff "mindestens ein Zugang" im Anspruch 1 von D1 eindeutig sei, finde der Fachmann in diesem Stand der Technik einen klaren Hinweis, daß für den Gasaustausch ein einziger, durch Biegen spaltförmig gebildeter Zugang genüge. Gleichzeitig offenbare D1 Ausführungsformen, bei welchen zwei Ecken für den Gasaustausch verwendet werden könnten. Für einen Maschinenbauingenieur in diesem Fachgebiet, der versuche, die Kräfte für das Abbiegen zu verringern, bedürfe es keiner erfinderischen Tätigkeit, beide Ecken auf eine zu reduzieren, zumal D1 offenbare, daß es im Prinzip gleichgültig sei, wo die Zugänge lägen oder wo gemäß Seite 5, Zeilen 8 bis 12 der einzige spaltförmige Zugang liege. Dem sofort erkennbaren Vorteil einer solchen Lösung stünden keine Nachteile gegenüber. Deshalb lege D1 schon das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents nahe.

Außerdem lehre die andere Entgegenhaltung D4, sowohl die Gaszufuhr als auch die Abfuhr von Luft oder dgl. an einer einzigen Ecke vorzunehmen, nämlich an der unteren Ecke, weil dadurch - im Gegensatz zu der bisher durchgeführten Praxis der Luftverdrängung, wonach das Füllgas unten an dem Glasscheibenrohling und die Luft oben zu- bzw. abgeführt worden sei - alle für den Gasaustausch notwendigen Geräte, insbesondere die Sonde zur Zu- und Abfuhr, auf einem gemeinsamen verschiebbaren Bauteil vorgesehen seien, das in einer Bereitschaftsstellung unterhalb der Förderbahn zurückziehbar sei. Durch D4 werde der Fachmann deshalb angeregt, die Gaszu- und Luftabfuhrsonden nicht mehr getrennt anzusetzen, sondern benachbart an einem gemeinsamen Bauteil unterzubringen und das Bauteil so anzuordnen, daß der Gasaustausch an einer unteren Ecke des Glasscheibenrohlings durchgeführt werden könne. Ein besonderer Vorteil dieser als Lösung offenbarten Anordnung bestehe darin, daß sie für alle möglichen Isolierglasscheibenformate geeignet sei.

Die Maschine gemäß D4 könne auch als Ausgangspunkt der vorliegenden Erfindung betrachtet werden. In der Praxis könne der Fachmann die Nachteile einer derartigen Maschine unmittelbar feststellen, nämlich das aufwendige Bohren von Löchern für die Sonden sowie ihre notwendige Schließung nach dem Gasaustausch, so daß bereits aus diesem Grund die Herstellung einer Isolierglasscheibe in einer Fertigungslinie umständlich sei. Darüber hinaus sei der Gasaustausch selbst wegen der begrenzten Querschnitte der Löcher langsam und der Gasverlust infolge der Mischung von Füllgas und Luft innerhalb des Innenraums zwischen den beiden Glasscheiben relativ hoch. Die nach D4 veröffentlichte D1 vermittle insbesondere, daß man alle diese Nachteile vermeiden könne, wenn man das Durchbohren eines Abstandhalters durch das Biegen einer Glasscheibe ersetze. Gemäß D1, die von einem Stand der Technik gemäß D4 ausgehe, müsse dafür die Isolierglasfertigungslinie lediglich im Bereich der Zusammenbaustation mit verhältnismäßig wenig Aufwand modifiziert werden. Dies gebe dem Fachmann, der nicht dazu neige, viel zu ändern, Anlaß, die Lehre von D1 zu berücksichtigen und zu sehen, ob er die Vorrichtung von D4 in Befolgung der Lehre von D1 modifizieren könne, ohne den Vorteil von D4 zu verlieren. Aus der Offenbarung von D1 bekomme er den Hinweis, daß die Lage des einen bzw. der beiden Zugänge gleichgültig sei und daß die Ecken der Isolierglasscheibe als Zugänge benutzt werden könnten, wie dies bei der Vorrichtung gemäß D4 schon der Fall sei. Eine direkte Anwendung und Umsetzung der allgemeinen Lehre von D1 auf den Stand der Technik gemäß D4 führe deshalb unmittelbar zu dem beanspruchten Verfahren. In D4 sowie in D1 spiele die gewählte Gasfülltechnik nur eine sekundäre Rolle und sei in D1 weiterhin nur bei ihren mit zwei Zugängen versehenen, jedoch lediglich als bevorzugt offenbarten Ausführungsformen hervorgehoben.

V. In Erwiderung darauf hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) im wesentlich folgendes vorgetragen:

Es sei nicht bestritten, daß die Druckschrift D1, insbesondere ihre Ansprüche 1 bis 3, von einem einzigen Zugang für den Gasaustausch spreche. Jedoch müsse man zwischen dem angeblichen Schutzbegehren und der tatsächlichen technischen Offenbarung eines Patents unterscheiden. Ziel der Offenbarung von D1 sei es, die durch eine zu hohe Strömungsgeschwindigkeit des Füllgases verursachte Vermischung von Füllgas und Luft und die damit verbundenen Füllgasverluste zu reduzieren, indem die Isolierglasscheibe gleichzeitig rasch und mit geringem Aufwand mit dem Füllgas gefüllt werde. Diese Aufgabe werde in der Tat dadurch gelöst, daß der Gaseinlaß und der Luftauslaß möglichst weit voneinander entfernt liegen müßten, und dies entweder innerhalb eines einzigen spaltförmigen Zugangs, z. B. eines durch einen insgesamt abgebogenen Rand einer Glasscheibe gebildeten Zugangs, oder durch zwei getrennte spaltförmige Zugänge. Im Gegensatz dazu erfolge der Gasaustausch bei der aus D4 bekannten Isolierglasscheibe mittels nebeneinander angeordneter Öffnungen im Abstandhalterrahmen. Es bestehe somit ein grundlegender Unterschied zwischen den Lösungen von D1 und D4, die daher nicht miteinander kombiniert werden könnten. Die tatsächliche technische Lehre von D1 sei es, zwei getrennte, möglichst einander gegenüberliegende Stellen für die Gaszufuhr und die Luftabfuhr zu wählen, um die Nachteile einer hohen Strömungsgeschwindigkeit des Füllgases zu vermeiden. Deshalb könne die Entgegenhaltung D1 allein nicht zum Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents führen.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 444 391.

Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Neuheit des Verfahrens nach Anspruch 1 war zwischen den Parteien nicht strittig und wird ebenfalls seitens der Kammer anerkannt, so daß sich hierzu weitere Ausführungen erübrigen.

3. Entgegenhaltung D1, die den nächstkommenden Stand der Technik wiedergibt, offenbart ein Verfahren zum Füllen des Innenraums von Isolierglasscheibenrohlingen, das alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 aufweist. Hauptsächlich lehrt diese Druckschrift, spaltförmige Öffnungen zu benutzen, welche unter anderem durch Biegen einer Glasscheibe gebildet werden können und als Zugänge zum Innenraum der mit Gas zu füllenden Isolierglasscheibe dienen. Diese Grundkonzeption wurde als eine völlige Abkehr von der für denselben Zweck früher bekannten Benutzung von Löchern im Abstandhalterrahmen dargestellt. Nach Anspruch 1 von D1 soll für den Gasaustausch auf diese Art und Weise mindestens ein Zugang zum Innenraum vorhanden sein. Als einzige konkrete Ausführungsform des Gasaustauschs durch eine spaltförmige abgebogene Öffnung offenbart D1 jedoch das Abbiegen einer der Glasscheiben längs eines ihrer Ränder und sieht ferner das Zuführen von Gas in den Innenraum nahe der einen Ecke vor, während die Luft nahe der anderen Ecke an diesem Rand abgesaugt bzw. hinausgedrängt wird. Somit ist im Fall eines einzigen Zugangs konkret nur offenbart, die eine Glasscheibe längs ihres gesamten Rands im Abstand vom Abstandhalterrahmen zu halten. Die anderen offenbarten Ausführungsformen einer abgebogenen Glasscheibe haben alle zwei spaltförmige Zugänge: Bei einer Variante wird die Glasscheibe an zwei einander diagonal gegenüberliegenden Ecken abgebogen, und bei einer anderen Variante an zwei einander gegenüberliegenden Randabschnitten. Jedesmal dient der eine Spalt zum Zuführen des Füllgases in den Innenraum, der andere zum Abziehen von Luft oder Gas-Luft-Gemisch. Bei allen Ausführungsformen, d. h. sowohl bei der mit einem einzigen spaltförmigen Zugang als auch bei denjenigen mit zwei Zugängen, sind somit immer zwei relativ weit voneinander entfernte Stellen vorgesehen, die eine für das Zuführen des Füllgases und die andere für das Abziehen der Luft oder dgl. Auf diese Weise wird die der D1 zugrunde liegende Aufgabe gelöst, wonach man Isolierglasscheiben rasch und mit geringem Aufwand mit einem Gas füllen kann: Dadurch daß die spaltförmigen Zugänge je einen mehr als 20x größeren Querschnitt haben als die bisher bekannten Löcher im Abstandhalterrahmen, ist es möglich, den Innenraum der Glasscheiben sehr rasch und dennoch mit niedriger Strömungsgeschwindigkeit, also ohne kräftige Turbulenzen, an einem Spalt oder einer Ecke mit Gas zu füllen. Ein Überdruck im Innenraum wird vermieden, und die Luft wird durch das auf breiter Front langsam einströmende Gas aus dem Innenraum gleichmäßig fortschreitend durch den gegenüberliegenden Spalt oder die gegenüberliegende Ecke nach außen verdrängt, so daß eine Mischung der Luft mit dem Füllgas und somit der Gasverlust reduziert wird.

4. Bei der Isolierglasscheibe gemäß D1 treten die in Spalte 2, Zeilen 28 bis 38 des Streitpatents beschriebenen Nachteile, auf denen die dort angegebene Aufgabe beruht, nicht mehr auf. Die im Streitpatent angegebene Aufgabe ist somit nicht richtig. Ausgehend von D1 ist nach der Auffassung des Beschwerdegegners in der mündlichen Verhandlung die Aufgabe der vorliegenden Erfindung darin zu sehen, ein anderes, weniger aufwendiges Verfahren für den raschen und einfachen Gasaustausch zu finden. Die Kammer teilt diese Auffassung, denn die durch die Merkmale gemäß dem Kennzeichen des Anspruchs 1 des Streitpatents angegebene Lösung, insbesondere das Biegen einer Glasscheibe an einer einzigen Ecke, erfordert wenige Saugvorrichtungen bzw. wenige Kräfte.

5. Um das Naheliegen dieser Lösung nachzuweisen, hat die Beschwerdeführerin das Merkmal "mindestens ein Zugang" des Anspruchs 1 von D1 bzw. der diesem Anspruch entsprechenden Passage der Beschreibung dieses Dokuments aufgegriffen, um geltend zu machen, daß der Fachmann der D1 bereits Anregungen zu einem einzigen Zugang für den Gasaustausch entnommen hätte. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht, denn es ist nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht zulässig, Teile einer Entgegenhaltung, insbesondere in diesem Fall das einzelne Teilmerkmal des Anspruchs 1, unabhängig von der Gesamtlehre der Entgegenhaltung herauszugreifen, um zu behaupten, daß das Merkmal einen Hinweis auf den beanspruchten Gegenstand des Streitpatents gibt. Die wichtigste Funktion eines Anspruchs ist, den für die Erfindung begehrten Schutzumfang festzulegen (Art. 84 EPÜ) und ein im Patentwesen beschlagener Anmelder versucht deswegen - insbesondere vor dem Prüfungsverfahren -, die Ansprüche breit zu fassen. Dabei kommt es nicht selten vor, daß der beanspruchte Schutzbereich nicht dem technischen Beitrag entspricht, den die Offenbarung der darin beschriebenen Erfindung zum Stand der Technik leistet, sondern sich auf Gegenstände erstreckt, die dem Fachmann nach dem Lesen der Patentanmeldung bzw. Patentschrift noch nicht zur Verfügung stehen. Dies ist unzulässig (vgl. T 409/91, ABl. EPA 1994, 653; T 435/91, ABl. EPA 1995, 188) und zeigt, daß die einem Anspruch einer Patentanmeldung entnehmbare Information dem Offenbarungsgehalt dieser Anmeldung nicht immer entspricht. Der Offenbarungsgehalt einer Entgegenhaltung ist deshalb in seiner Gesamtheit zu beurteilen (vgl. insbesondere T 969/92 und T 312/94, beide nicht veröffentlicht).

Die von der Beschwerdeführerin herangezogene Entscheidung T 607/93 entspricht einem dem vorliegenden Sachverhalt entgegenstehenden Fall, da dort bei Prüfung der Neuheit und erfinderische Tätigkeit ein zu breit gefaßtes Patentbegehren in Relation zum Stand der Technik beurteilt wird; diese Entscheidung ist somit hier nicht einschlägig, zumal sie eine breite, ohne Hilfe der Beschreibung verständige Auslegung des Anspruchs lediglich in einem solchen Fall zuläßt.

6. Dem Wortlaut des Anspruchs 1 von D1 ist ferner lediglich zu entnehmen, daß das Einleiten des Füllgases in den Innenraum der Isolierglasscheibe, und nicht der gesamte Gasaustausch, durch einen Zugang erzielt wird. Wie die Luft gleichzeitig aus dem Innenraum verdrängt wird, ist nicht angegeben, so daß gemäß Artikel 69 EPÜ der Fachmann die Beschreibung bzw. die Zeichnungen heranziehen muß, um diese technische Information zu finden. Dort entnimmt er, daß im Fall eines einzigen Zugangs mindestens eine der beiden Glasscheiben längs eines ihrer Ränder abzubiegen ist, so daß das Füllgas nahe einer Ecke in den Zwischenraum der Isolierglasscheibe einströmt, während zunächst die Luft und danach ein Luft/Gas-Gemisch nahe der anderen Ecke aus dem Zwischenraum hinausgedrängt wird. Eine Ausführungsform mit zwei diagonal gegenüberliegenden Ecken einer Glasscheibe ist auch offenbart, sowie eine weitere mit zwei einander gegenüberliegenden, durch Biegen gegeneinander gedrückten Rändern. Somit verlangt die Entgegenhaltung D1 für den Gasaustausch immer zwei weit voneinander entfernte Stellen, die eine für das Zuführen von Füllgas und die andere für das Abziehen von Luft bzw. Luft-Gas-Gemisch. In D1 werden deshalb die Ausdrücke "wenigstens eine Öffnung" oder "mindestens ein Zugang" so vom Fachmann verstanden, daß, dadurch daß man die gesamte Länge eines Randes einer Glasscheibe elastisch biegt, ein spaltförmiger Zugang erzielt wird. Auf Seite 11, Zeilen 20 und 21 der Beschreibung dieser Entgegenhaltung wird angegeben, daß es im Prinzip gleichgültig ist, auf welche Weise die Glasscheibe gebogen wird und wo die dadurch gebildeten Zugänge liegen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann ein Fachmann deswegen durch D1 nicht angeregt werden, eine Glasscheibe unter elastischem Biegen der Scheibe nur an einer Ecke im Abstand vom Abstandhalterrahmen zu halten.

Dies wird durch die in D1 angegebene Aufgabe und deren Lösung bestätigt. Ziel dieser Entgegenhaltung ist es nämlich, die Isolierglasscheibe rasch und mit geringerem Aufwand als bisher mit Schwergas zu füllen. Gemäß der Beschreibung, Seite 7, wird diese Aufgabe dadurch gelöst, daß es mittels der langgestreckten, spaltförmigen Zugänge möglich ist, den Zwischenraum zwischen den Glasscheiben sehr rasch und doch mit so niedriger Strömungsgeschwindigkeit mit einem Gas zu füllen, daß kräftige Turbulenzen nicht auftreten und die Luft durch das durch einen Spalt auf breiter Front langsam einströmende Füllgas aus dem Zwischenraum durch den anderen gegenüberliegenden Spalt (d. h. den Spalt auf der anderen Seite bzw. am Ende der Scheibe) gleichmäßig fortschreitend nach außen verdrängt wird. Dadurch, daß das Gas die Luft vor sich herschiebt, ohne sich in größerem Ausmaß mit ihr zu vermischen, werden die Gasverluste gering gehalten.

7. Auch D4, dessen Prioritätstag ca. vier Monate vor dem Prioritätstag von D1 liegt, führt nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents. Diese Druckschrift geht von einer bekannten Vorrichtung zum Füllen einer Isolierglasscheibe mit einem Spezialgas aus, bei welcher das Füllen mittels einer durch eine Öffnung im Abstandhalterrahmen einführbaren Sonde erfolgt und zwar relativ langsam, damit sich im Innenraum der Isolierglasscheibe kein hoher Druck aufbaut, der zum Ablösen der Glasscheiben vom Abstandhalterrahemen führen würde. Die Luft wurde aus dem Zwischenraum der Isolierglasscheibe entweder vorher durch eine die Isolierglasscheibe umgebende Vakuumkammer oder gleichzeitig mittels einer durch eine andere Öffnung im Abstandhalterrahmen einführbaren Sonde abgezogen. Da die aufrecht stehende Isolierglasscheibe auf einer Fertigungsstraße mit verschiedenen Stationen (Zusammenbau-, Zusammenpreß-, Gasfüll-, Versiegelungsstation usw.) hergestellt wurde, war die lange Zeit des Gasfüllens für das gesamte Herstellungsverfahren problematisch. Deshalb wurde in D4 sowie beim Streitpatent und bei D1 die Aufgabe gestellt, das Füllen von Gas rasch und einfach durchzuführen. Als Lösung ist in D4 vorgeschlagen, die Sonde und die Einrichtung zum Verschließen der Öffnungen auf einem gemeinsamen Bauteil vorzusehen, das aus einer Bereitschaftsstellung unterhalb der Förderbahn für die Isolierglasscheibe nach oben in zwei Wirklagen, für das Gasfüllen einerseits und für das Verschließen der Öffnungen des Abstandhalterrahmens anderseits verschiebbar und dann am Ende des Füll- und Schließvorgangs nach unten in die Bereitschaftsstellung zurückschiebbar ist. Die Figur 4 von D4 zeigt, daß in der dem Füllvorgang entsprechenden Wirklage sich die Füllsonde und die für das Ausbringen von Verschlußmasse vorgesehene(n) Düse(n) und infolgedessen die Gasfüll- und Luftaustrittöffnung(en) im Abstandhalterrahmen entlang der unteren Hälfte eines senkrechten Schenkels des Abstandhalterrahmens befinden.

Dadurch, daß weiterhin die Isolierglasscheibe während des Füllvorgangs durch von außen angelegte Preßplatten gegen den Abstandhalterrahmen gepreßt wird, kann das Füllgas mit hohem Druck und damit hoher Geschwindigkeit in den Zwischenraum geblasen werden, so daß die Zeitdauer für den gesamten Gasaustausch reduziert werden kann.

8. Im Vergleich mit dem in D1 offenbarten Verfahren wird in D4 für den Fachmann klar ersichtlich eine andere Lösung desselben Problems angeboten, die allerdings mit der nach D1 nicht vereinbar ist. Im Verfahren gemäß D4 wird nämlich das Füllgas mit hohem Druck durch eine kleine, erste Öffnung mit hoher Geschwindigkeit eingeblasen. Dies führt zu starken Turbulenzen im Innenraum der Isolierglasscheibe und zu einer intensiven Mischung von Gas und Luft, die aus einer der ersten Öffnung benachbarten zweiten Öffnung ausströmt. Dadurch entstehen hohe Gasverluste. Dagegen bringt das Verfahren gemäß D1 den Vorteil, daß die Gasverluste gering gehalten werden, da das Füllgas mit einer niedrigen Strömungsgeschwindigkeit durch einen Spalt am unteren Rand einer Scheibe auf breiter Front langsam einströmt, um die Luft vor sich herzuschieben und durch den gegenüberliegenden Spalt nach aussen zu drängen.

9. Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, daß es im vorliegenden Fall keineswegs darum gehe, die Verfahren nach D1 und nach D4 vollständig zu kombinieren. Der Anspruch 1 des Streitpatents betrifft ein Verfahren, und der Fachmann sucht im vorliegenden Fall eine Lösung, die das Verfahren gemäß D1 verbessert, d. h. eine Lösung, die die Vorteile dieses bekannten Verfahrens nicht vernachlässigt, z. B. den geringen Gasverlust und den in Grenzen gehaltenen Druck. D4 löst diese Aufgabe aber nicht. Der Fachmann konnte diesen Nachteil nicht außer acht lassen und hatte schon aus diesem Grund eine Kombination von D1 und D4 nicht ins Auge gefaßt.

Auch aus der Beschreibungseinleitung von D1 ergibt sich, daß diese Druckschrift bereits von einem Stand der Technik ausgeht, bei welchem der Gasaustausch durch Bohrungen im Abstandhalterrahmen vorgenommen wird und die Nachteile aufweist, die die Zeitdauer des Füllvorgangs erheblich erhöhen, das Herstellen von Löchern und und deren nach dem Füllen vorzunehemende Schließung, wobei zusätzlich der kleine Querschnitt der Löcher den Gaseintritt bremst. Mit den abgebogenen spaltförmigen Zugängen und der niedrigen Strömungsgeschwindigkeit des eingeströmten Füllgases kann die Lösung gemäß D1 als ein Abkehr von dem aus diesem Stand der Technik bekannten Verfahren betrachtet werden. Daß der Fachmann bei der Suche, das Verfahren gemäß D1 zu verbessern, auf eine Entgegenhaltung zurückgreift, die noch einen Füllvorgang mit Bohrungen und Druck beschreibt, erscheint unlogisch.

10. Weiterhin ist zu beachten, daß die Entgegenhaltung D4 keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Verwendung einer Ecke der Isolierglasscheibe für den Gasaustausch gibt. Der Figur 4 ist nur zu entnehmen, daß die Füllöffnung und die Luftaustrittsöffnung(en) nicht weit voneinander angeordnet sein müssen, so daß ein einziges bewegliches Bauteil die Füllsonde und Verschlußdüse(n) trägt, und daß dieses Bauteil entlang des senkrechten Schenkels des Abstandhalterrahmens auf- und abgehoben werden kann. Da das Bauteil in seiner Bereitschaftsstellung unterhalb der Förderbahn angeordnet ist, ist zwar seine günstigere Wirklage im Bereich der unteren Ecke der Isolierglasscheibe zu sehen, wie dies aus Figur 4 hervorgeht, jedoch ist dies kein Erfordernis für die in D4 vorgeschlagene Lösung. Für den Füllvorgang selbst ist die geschilderte Anordnung der Öffnungen im Bereich der unteren Ecke unwichtig. Deshalb läßt diese Figur bzw. die gesamte Offenbarung von D4 keine eindeutigen Schlüsse zu, wo sich die Öffnungen entlang des senkrechten Schenkels befinden müssen.

11. Zu bemerken ist auch, daß D4 lehrt, mehrere Öffnungen für den Füllvorgang zu verwenden, so daß, selbst wenn die Lehre von D1 mit der nach D4 kombiniert würde, der Fachmann nicht angeregt würde, eine einzige Öffnung für die beiden Sonden, nämlich die Zuführ- und die Saugsonde, zu verwenden.

12. Darüber hinaus enthält der Anspruch 1 des Streitpatents das Merkmal, wonach die Zuführsonde so ausgerichtet werden muß, daß das Füllgas mit einer im wesentlichen parallel zum unteren Schenkel des Abstandhalterrahmens eingestellten Strömungsrichtung geblasen wird. Dadurch soll erreicht werden, daß sich das Gas in breiter Front von der der Einfüllstelle gegenüberliegenden Seite des Innenraums auf die Einfüllseite fortschreitend zubewegt und die Luft vorschiebt. Diese Art der Verschiebung von Luft nach aussen ist schon aus D1 bekannt, jedoch ist hier die Richtung der Gasbewegung wegen des vorstehenden Merkmals des Anspruchs 1 anders, nämlich von einer geschlossenen Seite des Innenraums zur Zu- bzw. Ausgangsseite, und nicht vom Zugang zum Ausgang. Wie bei D1 wird dadurch eine Vermischung der Luft mit dem Füllgas vermindert. Da dieses Merkmal des Anspruchs 1 nur in Verbindung mit dem Vorhandsein eines einzigen Zugangs einen Sinn hat, besteht somit eine Kombination von Merkmalen im Anspruch 1, die kein Vorbild in D1 sowie in D4 hat.

13. Die Beschwerdeführerin hat auch ausgeführt, daß der Fachmann, der vom Verfahren nach D4 ausgegangen wäre, der D1 die Lehre entnommen hätte, das Durchbohren durch das Biegen einer Glasscheibe zu ersetzen, und bei Übertragung dieser Lehre auf die Vorrichtung von D4 unmittelbar zum Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents gelangt wäre.

13.1. Eine solche Argumentation erscheint künstlich, da schon die Wahl von D4 als Ausgangspunkt angesichts der Aufgabe, Isolierglasscheiben rasch und mit geringem Aufwand mit einem Füllgas zu füllen, irreal ist, da die einzelnen Schritte der Herstellung und Schließung der Bohrungen mit dem dazwischenliegenden Schritt des Füllens des Gases durch mit kleinen Durchmessern vorgesehene Bohrungen viel mehr Zeit erfordert als das elastische Biegen einer Scheibe durch Saugsonden und ihre selbsttätige Schließung infolge ihrer Elastizität. Weiterhin müssen bei der Vorrichtung nach D4 wegen des hohen Drucks im Innenraum besondere Plattenpressen vorgesehen werden, so daß im Ganzen die Vorrichtung von D4 sehr viel aufwendiger ist als die von D1. In Kenntnis der beiden Entgegenhaltungen D1 und D4 hätte der Fachmann zunächst vorzugweise D1 in Betracht gezogen, insbesondere weil das dort offenbarte Verfahren den zusätzlichen Vorteil bringt, die Gasverluste zu reduzieren.

Aus diesem Grund ist auch nicht ersichtlich, warum der Fachmann in Erwartung einer Optimierung des Gasaustauschs lediglich das der D1 entnehmbare, allgemeine Prinzip "Biegen statt Durchbohren" auf die Vorrichtung gemäß D4 übertragen würde, wenn die gesamte Lehre von D1 eine bessere vollständige Lösung offenbart und die Übertragung selbst eine Abwandlung verschiedener Bauteile der Vorrichtung nach D4 erfordert.

13.2. Weiterhin offenbart D1 zwar die allgemeine Grundidee "Biegen statt Bohren", gleichzeitig lehrt sie jedoch, diese Idee in einer bestimmten Weise praktisch anzuwenden, nämlich durch die Verwendung eines spaltförmigen Zugangs mit zwei weit voneinander getrennten Stellungen für den Gasaustausch. Um diese Idee auf die Vorrichtung nach D4 zu übertragen, muß der Fachmann sowohl von den zwei Austauschöffnungen von D4 als auch von den zwei Austauschstellungen von D1 abweichen. Damit ist offensichtlich, daß eine Übertragung der Lehre von D1 auf D4 nicht zum Gegenstand des Streitpatents führt.

13.3. Darüber hinaus würde einer Übertragung auch entgegenstehen, daß bei der Vorrichtung nach D4 zwei Preßplatten zum Verpressen der Isolierglasscheibe nach ihrem Zusammenbau vorgesehen und je an einer ihrer beiden Seiten angelegt sind, so daß kein Platz mehr für eine Anordnung von Saugsonden zur Verfügung bleibt. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, daß die Messungen von Preßplatten und Isolierglasscheiben unterschiedlich seien, so daß kein Problem bestehe. Jedoch zeigt das Streitpatent selbst, das auch Preßplatten vorsieht, daß deswegen besondere Maßnahmen für die Anordnung von Saugsonden durchzuführen sind. Diese zusätzlichen notwendigen Maßnahmen werden ebenfalls als Anzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit gewertet.

13.4. Außerdem gelangt der Fachmann aufgrund der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht zum Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents, da das Merkmal bezüglich der Richtung der Füllsonde immer fehlt.

14. Der geltende Anspruch 1 des Streitpatents definiert somit ein Verfahren, das auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ), so daß dieser Anspruch Rechtbestand hat. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8, die weitere Ausführungsformen des Verfahrens betreffen, haben ebenfalls Bestand.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation