T 0182/89 (Umfang des Einspruch) of 14.12.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T018289.19891214
Datum der Entscheidung: 14 Dezember 1989
Aktenzeichen: T 0182/89
Anmeldenummer: 81104321.5
IPC-Klasse: C08F 212/12
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Sumitomo
Name des Einsprechenden: Bayer
Naamloze Vennootschap
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: 1.1. Zur Feststellung unzureichender Offenbarung obliegt dem Einsprechenden der Beweis, daß nach Abwägen der Wahrscheinlichkeit ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage wäre, die Erfindung auszuführen. Eine bloße Erklärung, daß die einmalige Wiederholung eines von mehreren in einem Patent erhaltenen Beispielen "genau nach der Beschreibung" die im Patent beanspruchten Ergebnisse nicht erbracht habe, reicht zur Erfüllung der Beweispflicht grundsätzlich nicht aus (im Anschluß an die Entscheidungen T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275) und 281/86 (ABl. 1989, 202)).
1.2. Den einschlägigen Vorschriften des EPÜ liegt die Absicht zugrunde, daß eine Einspruchsabteilung in der Regel gleichzeitig über alle Einspruchsgründe, die innerhalb der Einspruchsfrist (gemäß Regel 55 c) EPÜ) vorgebracht und gestützt worden sind, nicht aber über potentielle, in der Einspruchsschrift nicht enthaltene Einspruchsgründe zu entscheiden hat.
2. Enthält eine Einspruchsschrift Behauptungen, die nicht durch substantiierten Vortrag gemäß Regel 55 c) EPÜ gestützt sind, so sind diese Behauptungen grundsätzlich auf derselben Grundlage zu verwerfen, als wären sie unzulässig nach Regel 56 (1) EPÜ.
3. Artikel 114 (1) EPÜ ist grundsätzlich nicht so auszulegen, daß die Einspruchsabteilung oder eine Beschwerdekammer verpflichtet ist zu untersuchen, ob Einspruchsgründe, die von einem Einsprechenden nicht substantiiert vorgetragen wurden, begründet sind; vielmehr ist er dahingehend auszulegen, daß dem EPA die Möglichkeit gegeben ist, Einspruchsgründe in vollem Umfang zu überprüfen, die sowohl genannt als auch entsprechend Regel 55 c) EPÜ substantiiert vorgetragen wurden.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 100
European Patent Convention 1973 Art 101
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 56(1)
Schlagwörter: Unzureichende Offenbarung behauptet, aber nicht gestützt
Umfang des Anspruchs angefochten, um mangelnde erfinderische Tätigkeit zu belegen
Widerruf des Patents wegen unzureichender Offenbarung
Unzureichende Offenbarung nicht nachgewiesen
Beweislast
Gestaltung des Einspruchsverfahrens entsprechend dem Umfang des Einspruchs
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0228/87
T 0215/88
T 0162/89
T 0173/89
T 0201/89
T 0392/89
T 0491/89
T 0137/90
T 0435/91
T 0441/91
T 0548/91
T 0925/91
T 0951/91
T 0952/91
T 0573/92
T 0018/93
T 0193/94
T 0068/95
T 0366/95
T 0532/95
T 1001/95
T 0531/96
T 0868/96
T 0093/97
T 0526/97
T 0998/97
T 0733/98
T 0993/98
T 0365/99
T 0427/99
T 0653/99
T 0930/99
T 0328/00
T 1072/00
T 0008/01
T 0037/01
T 0100/01
T 0118/01
T 0326/02
T 1083/02
T 0295/03
T 0522/03
T 0646/03
T 0973/03
T 0424/04
T 0452/04
T 0658/04
T 0843/04
T 0035/05
T 0149/05
T 0190/05
T 0413/05
T 0063/06
T 0859/06
T 1218/06
T 0919/07
T 1385/07
T 0406/08
T 0923/09
T 0967/09
T 1253/09
T 0348/11
T 0119/12
T 0608/12
T 1706/12
T 0809/13
T 0333/14
T 1889/15
T 0358/16
T 0291/17
T 0720/17
T 2178/17
T 0241/18
T 0494/19
T 2131/19
T 2904/19
T 0594/20
T 0776/20
T 1333/20
T 1688/20
T 0655/21
T 1076/21
T 1227/21
T 1329/22
T 1854/22

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 41 703 wurde der Sumitomo Naugatuck Co. Ltd. am 8. Mai 1985 mit zwei Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 lautet wie folgt: - "Verfahren zur Emulsionspolymerisation eines alpha-Alkylstyrols der Formel

(FORMEL)

in der R1 eine C1- bis C3-Alkyl-Gruppe ist und R2 Wasserstoff, eine C1- bis C3-Alkyl-Gruppe oder eine halogenierte C1- bis C3- Alkyl-Gruppe ist, und eines damit copolymerisierbaren ungesättigten Nitrils in einem Gewichtsverhältnis von 70:30 bis 80:20 in Gegenwart eines Radikalbildners, dadurch gekennzeichnet, daß im Stadium der Beendigung der Einführung der Monomeren die Menge des unumgesetzten ungesättigten Nitrils in dem Reaktionssystem nicht weniger als 31 Gew.-% der Gesamtmenge der unumgesetzten Monomeren in dem System beträgt." Anspruch 2 ist von Anspruch 1 abhängig und enthält weitere Einzelheiten des Polymerisationsverfahrens.

II. Die Bayer AG und Naamloze Vennootschap DSM (Einsprechende I bzw. II) legten beide Einspruch ein und beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung (Art. 100 a) und b) EPÜ). In den zur Begründung abgegebenen Erklärungen nach Regel 55 c) EPÜ wurden zur Stützung des behaupteten Mangels an Neuheit und an erfinderischer Tätigkeit folgende Dokumente angeführt:

(1) DE-B-1 810 993

(2) P. Wittmer: Copolymerisation in Systemen mit einem Polymerisations-Depolymerisationsgleichgewicht (Makromolekulare Chemie 103 (1967) Seiten 188-213)

(3) FR-A-1 243 075

(4) EP-A-0 000 419

(5) US-A-3 991 136

(6) NL-A-7 112 599.

Zwar äußerten sich beide Einsprechende kritisch zum Wortlaut und zum Umfang des Anspruchs 1 des Streitpatents im Hinblick auf die Beschreibung der Erfindung, doch war in keiner der Einspruchsschriften eine Angabe von Tatsachen oder Beweismitteln zur Stützung der Behauptung enthalten, wonach die Erfindung als solche nicht so hinreichend deutlich offenbart worden sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne.

So bemängelte die Einsprechende I, daß in dem Anspruch keinerlei Temperaturgrenzwerte angegeben seien; die Einsprechende II führte an, daß der Wortlaut des Anspruchs 1 ein einstufiges Verfahren nicht ausschließe, bei dem das Ziel der Erfindung, nämlich die Verminderung der Menge des verbleibenden unumgesetzten Monomers, nicht zu erreichen sei. Des weiteren führte sie an, es sei unklar, in welchem Verfahrensstadium der Acrylnitril-Anteil mindestens 31 % betragen müsse, um das verbleibende Monomer zu vermindern; somit seien wesentliche Merkmale der Erfindung im Anspruch nicht wiedergegeben, der Anspruch werde also von der Beschreibung nicht angemessen gestützt.

III. In den Stellungnahmen zu den beiden Einspruchsschriften widersprach der Patentinhaber dem Vorbringen der Einsprechenden hinsichtlich mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit und bestritt, daß der Anspruch, in dem die Merkmale bereits deutlich dargestellt seien, weiter eingeschränkt werden müsse. Insbesondere sei ein einstufiges Verfahren ausgeschlossen, und die Acrylnitril-Konzentration von nicht weniger als 31 % beziehe sich auf die Konzentration des unumgesetzten Acrylnitrils in allen unumgesetzten Monomeren im Reaktionssystem.

IV. Mit Bescheid vom 10. Juni 1987 äußerte die Einspruchsabteilung in einer vorläufigen Stellungnahme die Ansicht, daß Anspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung 4 nicht neu sei. Beide Einsprechende reichten weitere Stellungnahmen zur erfinderischen Tätigkeit und zum Umfang des Anspruchs ein. Die Patentinhaberin antwortete hierauf mit einer vom 8. Dezember 1987 datierten ausführlichen Erklärung, in der sie auf die Art der beanspruchten Erfindung und die geltend gemachten Unterschiede unter anderem zu Entgegenhaltung 4 einging und weiterhin bestritt, daß die beanspruchte Erfindung in den Entgegenhaltungen nahegelegt werde.

V. Am 21. Juli 1988 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis, daß die Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit behandelt würden.

VI. Mit Schreiben vom 8. September 1988 reichte die Einsprechende I Ergebnisse von Vergleichsversuchen ein. Die Verfahrensbeispiele 2 und 4 des angefochtenen Patents seien (in den Versuchen A und C) genau nach der Beschreibung sowie (in den Versuchen B und D) mit geringfügig veränderten und von Anspruch 1 gerade nicht mehr abgedeckten Mischungsverhältnissen von Methylstyrol und Acrylnitril wiederholt worden. Die Ergebnisse hätten gezeigt, daß der Umsatz der Polymerisation in allen vier Versuchen annähernd gleich gewesen sei und daß das Erfordernis aus Anspruch 1, wonach "die Menge des unumgesetzten ungesättigten Nitrils in dem Reaktionssystem nicht weniger als 31 Gew.-% der Gesamtmenge der unumgesetzten Monomeren in dem System beträgt", zwar in Versuch A, nicht jedoch in Versuch C erfüllt worden sei (der, wie behauptet, Beispiel 4 des Patents entspreche). Nach Auffassung der Einsprechenden I müsse aus diesen Versuchen geschlossen werden, daß zwischen dem Methylstyrol-Gehalt des Polymers bzw. dem Gehalt an unumgesetztem Monomer auf der einen und dem Haupterfordernis der Ansprüche im Hinblick auf den Gehalt an unumgesetztem Nitril auf der anderen Seite kein erkennbarer Zusammenhang bestehe.

Die Patentinhaberin vermochte in ihrer Erwiderung die von der Einsprechenden I erzielten Ergebnisse nicht zu erklären und bezweifelte, daß die Versuche von einem ausreichend qualifizierten Fachmann durchgeführt worden seien; sie vertrat die Auffassung, daß die beanspruchten Ergebnisse mit den einem entsprechend qualifizierten Fachmann zur Verfügung stehenden Mitteln erzielt würden.

VII. In der mündlichen Verhandlung am 7. Dezember 1988 waren sich beide Einsprechende einig, daß die Ansprüche neu seien. Alle Parteien äußerten sich zu Ausführung und Durchführbarkeit der Erfindung in Verbindung mit dem Umfang des beanspruchten Verfahrens und zu ihrer technischen Wirkung. Nach Abschluß der Anhörung erging mündlich die Entscheidung, daß das Patent aufgrund unzureichender Offenbarung (Art. 100 b) EPÜ) widerrufen sei.

Die Entscheidung, nach der die Ansprüche als neu galten, wurde am 17. Januar 1989 schriftlich begründet. Die Feststellung der unzureichenden Offenbarung war gestützt auf die Versuchsergebnisse der Einsprechenden I, die in deren Schreiben vom 8. September 1988 als Versuch C dargelegt waren (siehe Nummer VI). Insbesondere wurde festgestellt, daß "Versuche in den Verfahrensbeispielen so beschrieben sein sollten, daß die Ergebnisse wiederholbar sind. Da das gewünschte Ergebnis, wie von der Einsprechenden I gezeigt, zumindest anhand der in Beispiel 4 angegebenen Daten und Informationen nicht erzielt wird, ist die Einspruchsabteilung davon überzeugt, daß in diesem Beispiel und somit in Anspruch 1 des Patents eine wesentliche Angabe fehlt".

Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit wurde in der Entscheidung festgestellt, daß "sie als Einspruchsgrund bei dieser Sachlage außer Betracht bleiben kann".

VIII. Am 14. März 1989 wurde unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde eingelegt, die Beschwerdebegründung wurde am 17. Mai 1989 eingereicht. Die Beschwerdeführerin brachte u. a. vor, daß sie mit dem Standpunkt der Einspruchsabteilung ganz und gar nicht einverstanden sei, weil diese ohne triftigen Grund ohne weiteres habe gelten lassen, die Ergebnisse der Einsprechenden I aus Versuch C machten die in den Beispielen des Patents angeführten Ergebnisse hinfällig. Auch nannte die Beschwerdeführerin weitere Gründe, denen zufolge die Versuchsergebnisse der Einsprechenden I als unglaubhaft zu betrachten seien.

In ihrer Stellungnahme hierzu legte die Einsprechende I/ Beschwerdegegnerin I weitere, aus einer weiteren behaupteten Wiederholung von Beispiel 4 des Patents stammende Versuchsergebnisse vor. Diese Ergebnisse zeigten, daß die Menge des unumgesetzten Nitrils in dem Reaktionssystem nur 24 % betrage gegenüber dem in Anspruch 1 enthaltenen Erfordernis von nicht weniger als 31 %.

IX. Am 14. Dezember 1989 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der von der Beschwerdeführerin ein Versuchsbericht vorgelegt wurde. Die Beschwerdeführerin bekräftigte im wesentlichen ihr in der Beschwerdebegründung enthaltenes Vorbringen. Die Beschwerdegegnerin I räumte in ihrer Erwiderung ein, daß die im Verfahren vor der Einspruchsabteilung von ihr vorgebrachten Versuchsergebnisse im wesentlichen darauf gerichtet gewesen seien, Formulierung und Umfang der Ansprüche anzufechten, um so ihre Behauptung hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu stützen. Angesichts dieser Sachlage beantragten alle drei am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien, die Sache zwecks Prüfung und Entscheidung über die Frage der mangelnden erfinderischen Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. In diesem Sinn erging die Entscheidung der Beschwerdekammer.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Unzureichende Offenbarung Zweifelsfrei hat keine der Beschwerdegegnerinnen im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nachdrücklich geltend gemacht, daß das Patent wegen unzureichender Offenbarung widerrufen werden solle. Die Einspruchsschriften enthielten zwar formale Behauptungen, die Artikel 100 b) EPÜ betrafen, doch waren die zur Begründung angeführten Beweismittel und Argumente darauf gerichtet, die Durchführbarkeit der beanspruchten Erfindung in Verbindung mit ihrem Umfang in Frage zu stellen, und bezogen sich daher eindeutig auf mangelnde erfinderische Tätigkeit. Keine der Beschwerdegegnerinnen hat Argumente oder Beweismittel vorgebracht, denen zufolge ein fachkundiger Leser des Patents nicht in der Lage wäre, die beanspruchte Erfindung in irgendeiner Ausführungsart nachzuarbeiten. Vielmehr zeigten die im Schreiben der Beschwerdegegnerin I vom 8. September 1988 dargelegten Versuchsergebnisse, daß bei der Wiederholung des im Patent angegebenen Beispiels 2 durchaus Ergebnisse erzielt wurden, die mit der beanspruchten Erfindung in Einklang stehen.

Die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern besagt, daß eine Erfindung im Sinne der Artikel 83 und 100 b) EPÜ hinreichend offenbart ist, wenn mindestens ein Weg deutlich aufgezeigt wird, wie der Fachmann die Erfindung ausführen kann - siehe z. B. Entscheidung T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275). Was den in der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Hinweis auf mangelnde Wiederholbarkeit angeht, so wird außerdem in der Entscheidung T 281/86 (ABl. EPA 1989, 202) festgestellt, daß "Artikel 83 EPÜ nicht verlangt, daß ein konkret beschriebenes Verfahrensbeispiel genau wiederholbar sein muß. ... Solange das beanspruchte Verfahren ausreichend deutlich und vollständig beschrieben ist, also vom Fachmann auch anhand seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausgeführt werden kann, liegt diesbezüglich kein Mangel vor".

Dies allein führt bereits dazu, das Urteil unzureichender Offenbarung durch die Einspruchsabteilung aufzuheben. Zum Nachweis unzureichender Offenbarung obliegt aber auf jeden Fall dem Einsprechenden der Beweis, daß nach Abwägen der Wahrscheinlichkeit (d. h. aller Wahrscheinlichkeit nach, siehe Entscheidung T 381/87, ABl. EPA 1990, 213) ein fachkundiger Leser des Patents anhand seines allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage wäre, die Erfindung auszuführen. Eine bloße Erklärung eines Einsprechenden, die einmalige Wiederholung eines Beispiels eines Patents "genau nach der Beschreibung" habe nicht genau die im Patent beschriebenen und beanspruchten Ergebnisse erbracht, reicht zur Erfüllung der Beweispflicht eindeutig und grundsätzlich nicht aus. Wird also in einer Einspruchsschrift als alleiniger Einspruchsgrund unzureichende Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ geltend gemacht und als Angabe der "Tatsachen und Beweismittel" zur Begründung lediglich eine solche Erklärung abgegeben, so besteht nach Auffassung der Kammer ein triftiger Grund, den Einspruch als unzulässig zurückzuweisen, weil er keine ausreichende Angabe von Tatsachen und Beweismitteln enthält, die - selbst wenn sie sich nachträglich als zutreffend erwiesen - einen Widerruf des Patents rechtlich und sachlich begründen könnten.

Aus den genannten Gründen ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß die Versuche der Einsprechenden I in der vorliegenden Sache nicht einmal dann eine unzureichende Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ begründen würden, wenn sie zu eben diesem Zweck durchgeführt worden wären. Die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung wäre daher unabhängig davon erfolgt, ob die Parteien dies, wie in Nummer VIII dargelegt, beantragt hätten.

3. Verfahrensfragen

3.1. Im vorliegenden Fall hält es die Kammer für nicht gerechtfertigt, daß die Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung nicht über die Frage der erfinderischen Tätigkeit entschieden hat, obwohl dies der einzige Grund war, um den es beiden Einsprechenden wirklich ging. Zwar mag es in manchen Fällen sinnvoll sein, daß eine Einspruchsabteilung nur über einen von mehreren vorgebrachten Einspruchsgründen entscheidet und sich zu den übrigen in ihrer Entscheidung nicht äußert; aus der oben dargelegten Sachlage geht nach Auffassung der Kammer jedoch klar hervor, daß ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 21. Juli 1988 heißt es nämlich ausdrücklich, daß die Haupteinspruchsgründe, d. h. mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit, Gegenstand der mündlichen Verhandlung seien; es war nicht erwähnt, daß auch über unzureichende Offenbarung zu befinden sei. Im vorliegenden Fall wurde durch das Nichtentscheiden über die erfinderische Tätigkeit mindestens ein Jahr des gesamten Zeitaufwands für das Einspruchsverfahren nutzlos vertan (obwohl die Beschwerdekammer die Beschwerde schon bald nach der Einreichung geprüft und darüber entschieden hat). So wurden die "Allgemeinen Grundsätze" für das "Einspruchsverfahren im EPA" (ABl. EPA 1989, 417), wie ebd. unter Nr. 2 dargelegt, hier offenbar nicht befolgt ("Das Europäische Patentamt ist weiterhin bestrebt, im Interesse der am Einspruchsverfahren Beteiligten und der Öffentlichkeit möglichst rasch zu klären, ob das erteilte Patent im Hinblick auf das Einspruchsvorbringen aufrechterhalten werden kann. Dies soll durch ein zügiges und straffes Verfahren erreicht werden ...") (Hervorhebung hinzugefügt). Diesen "Allgemeinen Grundsätzen" hat sich die Beschwerdekammer bereits angeschlossen - siehe Entscheidung T 295/87 (ABl. EPA 1990, 470). Sie bringen deutlich die Absicht zum Ausdruck, die den einschlägigen Verfahrensvorschriften für die Abwicklung von Einspruchsverfahren, insbesondere den Artikeln 101 und 102 und den Regeln 55 bis 58 EPÜ, zugrundeliegt. Dieser Absicht des EPÜ wird nicht Rechnung getragen, wenn die Einspruchsabteilung, wie im vorliegenden Fall, nur über einen - von den Einsprechenden nicht ordnungsgemäß im Sinne der Regel 55 c) gestützten - Einspruchsgrund entscheidet, über die ordnungsgemäß gestützten Einspruchsgründe aber keine Entscheidung trifft.

3.2. In diesem Zusammenhang stellt die Kammer die in der Entscheidung T 493/88 (ABl. EPA 1991, 380) getroffene Auslegung des EPÜ in Frage, derzufolge eine Einspruchsabteilung nicht nur über die Einspruchsgründe, die die Einsprechende in ihrer Einspruchsschrift geltend macht und die Gegenstand der darin enthaltenen Erklärung nach Regel 55 c) EPÜ sind, sondern über alle in Artikel 100 a), b) und c) EPÜ aufgeführten Einspruchsgründe zu entscheiden hat, unabhängig davon, ob sie in der Erklärung der Einsprechenden nach Regel 55 c) EPÜ vorgebracht wurden oder nicht. Eine solche Auslegung mag auf den ersten Blick plausibel sein, wenn man die Bestimmungen der Artikel 101 und 102 EPÜ für sich betrachtet; sie wird jedoch eher fragwürdig, wenn man die Artikel in einen größeren Zusammenhang stellt. Dann nämlich hätte die Einspruchsabteilung Fragen, die die Prüfungsabteilung bereits vor der Erteilung hätte klären müssen, selbst dann neu zu prüfen und darüber zu entscheiden, wenn diese in der Einspruchsschrift nach Regel 55 c) EPÜ gar nicht geltend gemacht und gestützt werden. Dies scheint sowohl dem berechtigten Interesse des Patentinhabers als auch der Erläuterung zum EPÜ zuwiderzulaufen, die die Große Beschwerdekammer in G 1/84 (ABl. EPA 1985, 304) Nr. 9 gegeben hat und in der es heißt, "daß das Einspruchsverfahren nicht als Erweiterung des Prüfungsverfahrens gedacht ist und nicht als solche mißbraucht werden darf".

Wäre eine solche Auslegung zutreffend, so würden überdies die Vorschriften der Regel 55 c) EPÜ und die damit zusammenhängende Prüfung auf Zulässigkeit nach Regel 56 (1) EPÜ hinfällig. (Wäre mit diesem Teil des EPÜ ein dieser Auslegung entsprechendes Verfahren beabsichtigt gewesen, so wäre Regel 55 c) EPÜ schlicht und einfach so abgefaßt worden, daß mindestens ein Einspruchsgrund geltend gemacht und durch die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln gestützt werden muß.) Abgesehen davon würde die Arbeitsbelastung sowohl der Einspruchsabteilung insgesamt als auch der Beschwerdekammern erheblich zunehmen, wenn eine solche Auslegung zutreffend wäre; dies wiederum würde das EPA in seinem in den "Allgemeinen Grundsätzen" der Einspruchsabteilung zum Ausdruck gebrachten Bestreben in jedem Fall erheblich behindern.

3.3. Die Kammer hält es für sehr wünschenswert, daß diese Auslegungsfrage in Bälde von der Großen Beschwerdekammer behandelt und entschieden wird. Die Entscheidung T 493/88 war der Kammer erst nach der mündlichen Verhandlung des vorliegenden Falles und somit nach Verkündung der vorliegenden Entscheidung zugänglich. Auch wenn die Kammer die Entscheidung T 493/88 bei der mündlichen Verhandlung zum vorliegenden Fall gekannt hätte, wäre es nach ihrer Auffassung falsch gewesen, den hier Beteiligten eine weitere, unbestimmte Verzögerung zuzumuten, während sich die Große Beschwerdekammer nach Artikel 112 EPÜ mit der ihr vorgelegten Frage befaßt.

3.4. Das in den oben genannten "Allgemeinen Grundsätzen" zum Ausdruck gebrachte Bestreben findet nach Auffassung der Kammer seine Bestätigung in den einschlägigen Bestimmungen des EPÜ, wonach eine Einspruchsabteilung in der Regel (gegebenenfalls kraft ihrer Befugnisse nach Art. 114 (1) EPÜ) in einem Zug über alle nach Regel 55 c) EPÜ vorgebrachten und gestützten Einspruchsgründe, nicht aber über in der Einspruchsschrift nicht vorgebrachte Einspruchsgründe zu entscheiden hat. Wird ein Einspruchsgrund wie im vorliegenden Fall zwar in der Einspruchsschrift geltend gemacht, aber als solcher nicht innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist nach Regel 55 c) EPÜ substantiiert vorgetragen (in dem Sinne, daß der Einspruch nach Regel 56 (1) EPÜ als unzulässig verworfen würde, wenn in der Einspruchsschrift dieser als einziger Grund vorgebracht wurde), so ist dieser Einspruchsgrund auf derselben Grundlage zurückzuweisen, als wäre er nach Regel 56 (1) EPÜ unzulässig (siehe oben Nr. 2).

Andernfalls könnte das Verfahren nämlich leicht mißbraucht werden, indem ein Einsprechender in seiner Einspruchsschrift mehrere Einspruchsgründe anführt, von denen er jedoch nur einen darin substantiiert vorträgt; die übrigen Einspruchsgründe könnte er dann in einem späteren Stadium des Einspruchsverfahrens durch das Vorbringen von Tatsachen und Beweismitteln stützen, was wiederum Verzögerungen und höhere Kosten verursachen würde. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht zulässig, da aus Regel 55 c) EPÜ in Verbindung mit Regel 56 (1) EPÜ klar das Erfordernis hervorgeht, daß jeder in der Einspruchsschrift angeführte Einspruchsgrund innerhalb der Einspruchsfrist von neun Monaten durch "Tatsachen und Beweismittel" zu stützen und anderenfalls der Einspruch (zumindest in dem Umfang, in dem Regel 55 c) EPÜ nicht entsprochen wird) als unzulässig zu verwerfen ist. Artikel 114 (1) EPÜ ist nicht so auszulegen, als wäre die Einspruchsabteilung oder eine Beschwerdekammer verpflichtet zu untersuchen, ob von einem Einsprechenden nicht substantiiert vorgetragene Einspruchsgründe begründet sind; vielmehr ist er dahingehend zu verstehen, daß das EPA in die Lage versetzt werden soll, die Einspruchsgründe in vollem Umfang zu überprüfen, die sowohl genannt als auch entsprechend Regel 55 c) EPÜ substantiiert vorgetragen wurden.

(...)

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Entscheidung über mangelnde erfinderische Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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