T 1311/22 () of 24.1.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T131122.20240124
Datum der Entscheidung: 24 Januar 2024
Aktenzeichen: T 1311/22
Anmeldenummer: 11007088.5
IPC-Klasse: A47L 9/00
A47L 9/14
A47L 9/28
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Ökologisch effiziente Vorrichtung zum Staubsaugen
Name des Anmelders: Eurofilters N.V.
Name des Einsprechenden: Khartabil, Tarek
Wolf PVG GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 100(b)
Schlagwörter: Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (ja)
Orientierungssatz:

Funktionelle Merkmale und Ausführbarkeit, siehe Gründe 3.2 bis 3.4 und 3.5.1

Angeführte Entscheidungen:
T 0409/91
T 0435/91
T 1697/12
T 0398/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der beiden Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, ihre Einsprüche gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

In dieser hatte die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 und 100 b) EPÜ).

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer dieser Feststellung der Einspruchsabteilung vorläufig widersprochen.

III. Am 24. Januar 2024 fand in Anwesenheit aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerden.

V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zum Staubsaugen umfassend ein Staubsaugergerät mit einer mittleren Leistungsaufnahme kleiner als 1200 W und einen Filterbeutel mit einem Abscheidegrad des Filterbeutelmaterials größer als 60%, wobei die Vorrichtung zum Staubsaugen einen Qualitätsfaktor bei ungefülltem Filterbeutel Q**(w)un definiert durch

Q**(w)un = (h**(saug)un / h**(fbar)un) x psi mit

mit

h**(saug)un: Unterdruck nach EN 60312 der Vorrichtung zum Staubsaugen bei ungefülltem Filterbeutel in [kPa],

h**(fbar)un: Unterdruck in dem Filterbeutelaufnahmeraum bei ungefülltem Filterbeutel in [kPa], und

psi: Abscheidegrad des Filterbeutelmaterials in [%]

aufweist, der größer als 25, bevorzugt größer als 30 ist und/oder die Vorrichtung zum Staubsaugen einen Qualitätsfaktor bei teilgefülltem Filterbeutel Q**(W)teil definiert durch

Q**(w)teil = (h**(saug)teil / h**(fbar)teil) x psi

mit

h**(saug)teil: Unterdruck nach EN 60312 der Vorrichtung zum Staubsaugen bei teilgefülltem Filterbeutel in [kPa]

h**(fbar)teil: Unterdruck im Filterbeutelaufnahmeraum bei teilgefulltem Filterbeutel in [kPa], und

psi: Abscheidegrad des Filterbeutelmaterials in [%]

aufweist, der größer als 13, bevorzugt größer als 15, besonders bevorzugt größer als 17 1st; und wobei der Unterdruck h**(saug)un größer als 1,0 kPa ist und der Unterdruck h**(saug)teil größer als 0,7 kPa ist."

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Es ist nicht offenbart, wie die beanspruchten Werte für Qualitätsfaktoren im einzelnen erreicht wurden bzw. welche Merkmale oder Maßnahmen genau dafür verantwortlich sind. Angesichts der Vielzahl der im Patent angegebenen Möglichkeiten für die Auswahl von Filterbeuteln und des Mangels an Informationen über die in den Beispielen verwendeten Staubsaugergeräte ist der Aufwand für eine Nacharbeitung unzumutbar. Zudem werden mit Anspruch 1 Vorrichtungen mit einen Qualitätsfaktor Q**(w)un von über 25 geschützt, obwohl in den Beispielen konkret nur Werte zwischen 30 und 33 realisiert wurden. Selbst wenn deren Nacharbeitung womöglich zufällig gelänge, fehlte jede Offenbarung für beanspruchte Vorrichtungen mit höherem Qualitätsfaktor.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Parameter seien ebenfalls physische Merkmale einer Vorrichtung, für deren Offenbarung keine anderen Voraussetzungen gälten. Vorliegend sei nicht nur ein, sondern seien 15 Beispiele von Vorrichtungen bereitgestellt worden, die Qualitätsfaktoren jenseits der beanspruchten Schwellenwerte aufwiesen. Es bestehe keine Verpflichtung oder Notwendigkeit, einen Zusammenhang zwischen Merkmalen der Beispiele und dem erreichten Qualitätsfaktor aufzuzeigen, um zu offenbaren, auf welche Weise er denn erreicht wurde. Im Hinblick auf dessen erstmalige Bereitstellung sei wie bei Grundlagenerfindungen der Schutzumfang gerechtfertigt. Vorliegend sei dieser nicht durch einen unendlichen Bereich für Qualitätsfaktoren definiert, sondern durch einen unteren Schwellenwert. Die Fachperson wisse durchaus eine realistische Obergrenze einzuschätzen.

Falls auf andere Weise als in den Beispielen ein Qualitätsfaktor gesteigert werden könne, hätte es den Beschwerdeführerinnen frei gestanden, dies durch Nachmessungen bei entsprechend modifizierten Geräten des Standes der Technik nachzuweisen, was aber unterblieb. Hierbei handele es sich überdies um eine Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit, nicht der ausreichenden Offenbarung. Wenn zukünftig Vorrichtungen mit höheren Qualitätsfaktoren jenseits der beanspruchten Schwellenwerte gefunden würden, könnten solche abhängigen Erfindungen ebenfalls Patentschutz erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Patent und sein technischer Hintergrund

2.1 Das Patent hat eine Vorrichtung zum Staubsaugen zum Gegenstand, die ein Staubsaugergerät und einen Filterbeutel umfasst. Die Vorrichtung ist im erteilten Anspruch 1 lediglich über Parameter definiert, nämlich mittlere Leistungsaufnahme der Motor/Gebläseeinheit kleiner als 1200 W und Abscheidegrad des Filterbeutels größer als 60%, ein erzeugter Unterdruck (gemessen im üblichen Bereich der Bodendüse) größer als 1,0 kPa bei leerem Beutel und größer als 0,7 kPa bei teilgefülltem Beutel (mit 400g Prüfstaub gefüllt).

2.2 Zusätzlich wird aber auch ein Unterdruck im Filterbeutelaufnahmeraum gemessen, also wie unmittelbar von der Motor/Gebläseeinheit erzeugt, um damit einen "Qualitätsfaktor" genannten Wirkungsgrad aus dem Quotient beider Unterdrücke multipliziert mit dem Abscheidegrad zu ermitteln. Der Qualitätsfaktor ist demnach ein Maß dafür, wieviel von dem ursprünglich bereitgestellten Unterdruck tatsächlich in der Bodendüse ankommt und dort zu einem entsprechenden Luftstrom in das Staubsaugergerät führt (Tabellen I, II) bzw. wieviel durch Strömungswiderstand auf dem Weg dorthin, insbesondere durch den Filterbeutel, eingebüsst wird (Absätze [0013], [0014] des Patents). Über die Berücksichtigung des Abscheidegrads wird ausgeschlossen, dass ein hoher Qualitätsfaktor schlicht über einen "schlechten" Filterbeutel mit geringem Staubabscheidungsvermögen und entsprechend geringem Strömungswiderstand erreicht werden kann.

2.3 Gegenstand des Anspruchs 1 ist eine Vorrichtung zum Staubsaugen mit einem Qualitätsfaktor größer als 25 bei leerem Filterbeutel oder größer als 13 bei teilgefülltem Filterbeutel.

3. Ausführbarkeit

3.1 Anspruch 1 definiert die Vorrichtung durch funktionelle Merkmale, und zwar in Bezug auf ein zu erreichendes Ergebnis, das wiederum durch Werte des neu definierten Parameters "Qualitätsfaktor" ausgedrückt wird.

3.2 Nach geltender Rechtsprechung, siehe hierzu RSdBK, 10. Auflage, 2022, II.A.3.4., sind funktionelle Merkmale, die ein technisches Ergebnis definieren, im Patentanspruch dann zulässig, i) wenn diese Merkmale ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre anders nicht objektiv präziser umschrieben werden können und ii) wenn die funktionellen Merkmale dem Fachmann eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, die er mit zumutbarem Denkaufwand ? wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört ? ausführen kann. Solche Merkmale, die durch das zu erzielende Ergebnis definiert werden, sind zulässig, solange der Fachmann im Rahmen seiner normalen Fachkenntnisse weiß, was er zu tun hat, um zu dem angegebenen Ergebnis zu gelangen. Im Hinblick auf technische Merkmale, die in allgemeinen funktionellen Angaben ausgedrückt sind, muss die Funktion durch Versuche oder Maßnahmen nachweisbar sein, die in der Beschreibung in angemessener Weise dargelegt oder dem Fachmann bekannt sind.

Zudem, ist nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, siehe hierzu RSdBK, II.C.5.4, das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt, wenn der Fachmann die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung über den gesamten Schutzbereich der Ansprüche anhand seines allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand ausführen kann. Dieser Grundsatz gilt bei allen ? wie auch immer definierten ? Erfindungen; es spielt also keine Rolle, ob die Erfindung durch ihre Funktion definiert wird oder nicht. Die Besonderheit der funktionellen Definition eines technischen Merkmals besteht darin, dass es durch seine Wirkung definiert wird. Eine solche Definition bezieht sich ganz abstrakt auf eine unbestimmte Vielzahl möglicher Alternativen und ist solange zulässig, wie alle Alternativen dem Fachmann zur Verfügung stehen und das gewünschte Ergebnis liefern; deshalb muss geprüft werden, ob das Patent eine verallgemeinerungsfähige technische Lehre offenbart, die dem Fachmann das ganze Variantenspektrum, das unter die funktionelle Definition fällt, zugänglich macht.

Weiter heißt es, siehe RSdBK, II.C.8.1 (zu T 0409/91), dass der Schutzbereich eines Patents dem technischen Beitrag entspricht, den die Offenbarung der darin beschriebenen Erfindung zum Stand der Technik leistet. Daher darf sich das mit dem Patent verliehene Monopol nicht auf Gegenstände erstrecken, die dem Fachmann auch nach der Lektüre der Patentschrift noch nicht zur Verfügung stehen. Die vorhandenen Informationen müssen den Fachmann in die Lage versetzen, das angestrebte Ergebnis im gesamten Bereich des Anspruchs, der die betreffende funktionelle Definition enthält, ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen, und die Beschreibung muss mit oder ohne das einschlägige allgemeine Fachwissen eine in sich geschlossene technische Lehre vermitteln, wie man zu diesem Ergebnis gelangt.

3.3 Aus der Rechtsprechung geht somit klar hervor, dass die Definition der beanspruchten Erfindung mittels funktioneller Merkmale möglich ist, wenn der Fachmann durch die Gesamtoffenbarung in der Lage versetzt wird, das durch die funktionellen Merkmale definierte Ergebnis über den gesamten Schutzbereich ohne unzumutbaren Aufwand zu erzielen.

3.4 Ein wesentliches Merkmal des unabhängigen Anspruchs 1 sind die beiden "Qualitätsfaktor" genannten Parameter Q**(w)un und Q**(w)teil für ungefüllte bzw. teilgefüllte Filterbeutel mit Werten oberhalb von 25 bzw. 13. Solche Werte werden im Gegensatz zu den Werten für die anderen beanspruchten Parameter Leistungsaufnahme, Unterdruck in der Bodendüse und Abscheidegrad in keinem der Vergleichsbeispiele aus Tabelle I der Patentschrift erreicht. Anspruch 1 selbst enthält lediglich Mindestwerte für die beiden Qualitätsfaktoren, jedoch keine Angabe dazu, welche strukturellen Merkmale des Straubsaugergeräts und/oder Filterbeutels so eingestellt und angepasst werden müssen, damit diese Mindestwerte im Gegensatz zu den Vergleichsbeispielen erreicht werden können. Mit anderen Worten umfasst der Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 alle staubsaugenden Vorrichtungen mit Filterbeuteln und den beanspruchten Parametern völlig unabhängig davon, auf welche Weise ein Unterdruckverlust so verringert wird, dass entsprechend hohe Qualitätsfaktoren erreicht werden (ausgeschlossen ist nur deren Erzielung über einen geringen Abscheidegrad, siehe oben). Wie nachfolgend dargelegt, kann der Fachmann auch aus der Beschreibung nicht ableiten, wie dies, gegebenenfalls ausgehend von einem bestimmten Ausführungsbeispiel, ohne unzumutbaren Aufwand grundsätzlich zu bewerkstelligen ist. Als Fachmann sieht die Kammer einen Diplom-Ingenieur mit besonderen Kenntnissen der Strömungsmechanik, insbesondere deren Anwendung auf dem technischen Gebiet der Staubsaugergeräte.

3.4.1 Aus Absatz [0013] der Beschreibung lässt sich entnehmen, dass das Filtermaterial, die effektive Filterfläche, die Passform des Filterbeutels und die Entfaltung des Filterbeutels den Strömungswiderstand des Filterbeutels und damit den Qualitätsfaktor beeinflussen. Diese Angabe ist aber sehr allgemein, und derart unspezifisch, dass sie sich aufgrund der unzähligen Varianten von Staubsaugergeräten und Filterbeuteln unterschiedlichsten Aufbaus und Materialbeschaffenheit nicht ohne unzumutbarem Aufwand umsetzen lässt.

3.4.2 In den Absätzen [0017] bis [0030] und den Fig. 1 - 3 der Patentschrift sind weiterhin eine Reihe von bekannten Filterbeuteln sowohl ihrer Kategorien nach definiert und dargestellt (Flachbeutel, Filterbeutel mit Oberflächenfalten, mit Diffusoren), als auch hinsichtlich ihrer Dimensionierung und ihres Materials beschrieben. Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass diese beispielhaft als für die Ausführung des Anspruchsgegenstands grundsätzlich geeignete Filterbeutel genannt sind. Jedenfalls ist laut Absatz [0051], Zeilen 31-34 des Patents die "zuvor" - also ausschließlich über die beanspruchten Parameter und eine Vielzahl bekannter Filterbeutel - definierte Erfindung "besonders gut" im gesamten Bereich der Haushaltsstaubsauger einsetzbar. Daraus kann verallgemeinernd gefolgert werden, dass zur Ausführung des Anspruchsgegenstands alle Haushaltsstaubsauger, deren Leistungsaufnahme unter 1200 W liegt, mit jeweils allen beschriebenen Filterbeuteln, deren Abscheidegrad größer als 60% ist, kombiniert und vermessen werden sollen, um diejenigen herauszufinden, die einen Unterdruck über 1 kPa bzw. 0,7 kPa in der Bodendüse erzeugen und Qualitätsfaktoren größer als 25 bzw. 13 aufweisen. Auch dieser Ansatz zur Ausführung des Anspruchsgegenstandes ist nach Ansicht der Kammer mit unzumutbarem Aufwand verbunden. Ein solches Vorgehen läuft auf ein (sehr breites und aufwendiges) Vermessungsprogramm hinaus, mit dem festgestellt werden soll, ob eine vermessene Kombination von Staubsaugergerät und Filterbeutel in den Schutzbereich des Anspruchs 1 fällt. Daraus ergibt sich aber noch immer nicht, jedenfalls nicht ohne weiteren, unzumutbaren Aufwand oder sogar auf erfinderischer Tätigkeit beruhender Erkenntnis, welche besonderen, konkreten baulichen Merkmale oder Maßnahmen (im Sinne von Anpassungen des Staubsaugergeräts und/oder des Filterbeutels) zu Werten für die Qualitätsfaktoren im beanspruchten Bereich führen. Die Kammer merkt im Übrigen an, dass sich die Frage, ob sich der Fachmann im beanspruchten Bereicht befindet, auf die Definition des begehrten Schutzumfangs (Artikel 84 EPÜ) und nicht auf die ausreichende Offenbarung der Erfindung bezieht, siehe hierzu RSdBK, II.6.6.4 und II.C.8.2.

3.4.3 In den konkreten Ausführungsbeispielen der Tabelle II wurden die beanspruchten Parameter im wesentlichen nur mit einem von drei spezifischen Filterbeuteln über eine Reihe von 13 Messstufen (Zeilen 2-14 der Tabelle II) zuverlässig realisiert, nämlich mit einem Filterbeutel mit den Maßen 290 x 290 mm, Oberflächenfalten aus CS50 und 22 Streifen-Diffusoren 81 aus LT75 mit 11 mm Breite und 290 mm Länge, wie in Fig. 8 gezeigt, Absätze [0063] und [0064]. Dabei kam eine ganz bestimmte Motor/Gebläseeinheit zum Einsatz (Domel KA 467.3.601-4), und es wurde kein Ausblasfilter verwendet (Absatz [0065] des Patents). In welchem Staubsauger-Modell, wird nicht angegeben. In den Absätzen [0054], [0055], [0058] - [0062] werden aber für den in Fig. 8 gezeigten und eingesetzten Filterbeutel Angaben über den Filteraufnahmeraum des Staubsaugers hinsichtlich Kissenform, Abmessungen, inneren Rippen 62 und deren Abmessungen, sowie eines Gitters beschrieben und zum Teil in Fig. 6 gezeigt.

Auch diese sehr spezifischen Ausführungsbeispiele geben dem Fachmann keine Anhaltspunkte dafür, welche der zahlreichen Merkmale und Maßnahmen - ob alle oder nur bestimmte davon - für die Erzielung der beanspruchten Qualitätsfaktoren ausschlaggebend sind, so dass er den Anspruchsgegenstand auch durch zielgerichtete Auswahl anderer geeigneter Paarungen von Filterbeuteln und Staubsaugergeräten sowie gegebenenfalls weitere geeignete Maßnahmen ohne unzumutbaren Aufwand realisieren könnte. Laut Absatz [0051] der Beschreibung sind zum Beispiel Filterbeutel mit Oberflächenfalten nicht unbedingt nötig zur Ausführung des Anspruchsgegenstands, sondern nur eine besonders bevorzugte Weiterbildung. In diesem Fall sind auch die bügelförmigen Rippen im Filteraufnahmeraum, die in die Faltentäler der Oberflächenfalten eingreifen, dann nur eine weitere Option. Eine Form des Filteraufnahmeraums, die wie in Fig. 6 in etwa der Form der Umhüllenden des gefüllten Filterbeutels entspricht, wird ebenfalls nur als eine andere bevorzugte Weiterbildung dargestellt, nicht aber als konkrete Lehre, um die beanspruchten Qualitätsfaktoren zu erreichen.

3.5 Neben dem Durchgriff auf eine Unzahl von Merkmalen und Maßnahmen, mit denen die beanspruchten Parameter möglicherweise erzielt werden können, beinhaltet der Schutzbereich von Anspruch 1 breite Bereiche für die Qualitätsfaktoren. Deren Untergrenzen von 25 und 13 scheinen sich eher an den Maximalwerten der Vergleichsbeispiele (22, 3 und 11, 7, Tabelle I) zu orientieren als an den mit den spezifischen, oben beschriebenen Ausführungsbeispielen erreichten Ergebnissen. Diese bewegen sich für Q**(w)un und Q**(w)teil in relativ kleinen Fenstern zwischen 30,1 und 32,1 bzw. 18,0 und 25,1. Da die Qualitätsfaktoren ihrem Charakter nach Wirkungsgrade sind, beträgt ihr theoretischer Maximalwert 100%. Dem Fachmann ist zwar bewusst, dass ein Wirkungsgrad in der Praxis nie 100% erreicht und vorliegend aufgrund des eingelegten Filterbeutels sogar deutlich darunter bleiben wird. Aber abgesehen vom Ausschluss unrealistischer Erwartungen sind die beanspruchten Bereiche nicht implizit durch Verknüpfung mit anderen Merkmalen oder Angaben auf gewisse einschätzbare Obergrenzen limitiert. Der Schutzbereich des Anspruchs 1 umfasst also jede hinsichtlich Leistungsaufnahme, Unterdruck in der Bodendüse und Abscheidegrad gattungsgemäße Vorrichtung mit einem zumindest etwas besseren Qualitätsfaktor/Wirkungsgrad als ihn Vorrichtungen aus dem Stand der Technik aufweisen, einschließlich solcher mit noch unbekannten, zukünftigen Komponenten wie beispielsweise neuartigen Filterbeutelmaterialien. Demgegenüber sind nur ganz konkrete Ausführungsbeispiele offenbart, die eine doch eher begrenzte Verbesserung der Qualitätsfaktoren auf Werte bis knapp über 30% bzw. 25% ermöglichen.

3.5.1 Nach vom BGH in Xa ZR 100/05 entwickelten Grundsätzen (Leitsatz a), GRUR 2010, 414), die auch von den Beschwerdekammern aufgegriffen wurden (T 0435/91 und T 1697/12, Entscheidungsgründe 2.2.1 bzw. 5.5.3) ist ein so augenfälliges Missverhältnis unbillig: "Eine ausführbare Offenbarung der Erfindung kann zu verneinen sein, wenn der geschützte Gegenstand im Patentanspruch durch offene Bereichsangaben für physikalische Eigenschaften über die dem Fachmann in der Gesamtheit der Unterlagen an die Hand gegebene Lösung hinaus so weit verallgemeinert wird, dass der Patentschutz über den Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik hinausgeht.".

3.5.2 Wie oben dargelegt, kann der Fachmann der Patentschrift eben nicht entnehmen, in welche Richtung er am besten arbeiten soll, um den Strömungswiderstand einer Vorrichtung so weit zu verringern, dass höhere Qualitätsfaktoren als im Stand der Technik und womöglich bei den Ausführungsbeispielen erreicht werden. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von dem in T 398/19 zugrunde liegenden Sachverhalt, in der offene Bereichsangaben von Parameterwerten zu keiner Offenbarungsproblematik führten (siehe RSdBK, 10. Auflage, II.C.5.5.2). Dort war ein spezifisches Verfahren offenbart, mit dem der Fachmann plausibel auch Erzeugnisse mit Parameterwerten herstellen konnte, die über und unter denen der konkreten Ausführungsbeispiele lagen (Entscheidungsgründe 1.5.1).

3.5.3 Aus diesen Gründen ist die Kammer auch davon überzeugt, dass die von ihr oben dargelegten Erwägungen - entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin - keineswegs im Widerspruch zu der von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannten Möglichkeit so genannter Parametererfindungen stehen.

3.6 Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass Anspruch 1 Ausführungsformen umfasst, die durch andere als die spezifisch in den Ausführungsbeispielen vorgeschlagenen Merkmale und Maßnahmen realisiert werden könnten. Im Gegenteil hält sie deren gemeinsame strukturelle Merkmale von Filterbeutel und Filterbeutelaufnahmeraum, wie sie allgemeiner in den abhängigen Ansprüchen 9 - 11 formuliert sind, nicht für dafür ausschlaggebend. Zukünftige Erfindungen, die Qualitätsfaktoren im beanspruchten Bereich auf andere Weise bereitstellten, seien aber wie üblich abhängige Erfindungen und könnten selbst Patentschutz erlangen. Dies sei immer bei Grundlagenerfindungen der Fall. Weil sie als Erste Vorrichtungen mit einem Qualitätsfaktor jenseits von 25 bzw. 13 auf nacharbeitbare Weise bereitgestellt habe, sei der Schutzbereich des Anspruchs 1 angemessen.

3.6.1 Zum einen kann die Kammer weder in der Einführung eines neuen Parameters für den Wirkungsgrad einer Staubsauger-Filterbeutel Kombination, noch in der Senkung eines Strömungswiderstands, die zu einem bestimmten Wirkungsgrad führt, noch in anderen Aspekten der Offenbarung eine Grundlagenerfindung erkennen. Das Problem liegt ja gerade darin, dass nicht offensichtlich oder offenbart ist, durch welche grundsätzlichen strukturellen und/oder funktionellen Merkmale, die über bereits bekannte Filterbeutel und Motor-Gebläseeinheiten und ihre gewöhnlichen technischen Wirkungen hinausgehen, die beanspruchten Qualitätsfaktoren erreicht werden.

Zum anderen muss ein Patent nicht eine Vielzahl von Wegen zu einer beanspruchten Erfindung offenbaren und kann dies für zum Prioritätszeitpunkt noch nicht zur Verfügung stehende Wege auch gar nicht. Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Schutzbereichs, der solche Wege wie vorliegend als abhängige Erfindungen umfasst, ist aber zumindest, dass der Fachmann aus dem Patent einen Weg zur Ausführung oder wenigstens Weiterentwicklung der beanspruchten Erfindung über den gesamten Schutzbereich ableiten kann, ohne selbst erfinderisch tätig werden zu müssen. Diese Voraussetzung sieht die Kammer vorliegend als nicht erfüllt an.

3.7 Aus den vorstehenden Gründen offenbart das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 100b) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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