European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1987:T022685.19870317 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 März 1987 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0226/85 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79302043.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Unilever | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.02 | ||||||||
Leitsatz: | Obwohl ein Herumexperimentieren in gewissen Grenzen vertretbar ist, muss bei ausreichender Offenbarung - z.B. auf einem noch unerforschten Gebiet oder wenn wie hier grosse technische Schwierigkeiten vorliegen - die Beschreibung oder das allgemeine Fachwissen eine brauchbare Anleitung liefern, die den Fachmann nach Auswertung anfänglicher Fehlschläge oder - bei Zufallsversuchen - mit einer gewissen statistischen Erwartungsquote zwangsläufig und ohne Umwege zum Erfolg führt (im Anschluss an die Entscheidung T 14/83, "Vinylchloridharze", ABl. EPA 1984,105). | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Offenbarung/ausreichende Zufallsergebnisse Fehlerrate (hohe) / Gründe hierfür nicht bekannt Gründe für hohe Fehlerrate nicht bekannt |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 9942 wurde am 27. April 1983 mit 8 Ansprüchen auf die am 28. September 1979 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 79 302 043.9 erteilt, für die die Priorität einer Voranmeldung vom 2. Oktober 1978 in Anspruch genommen wurde. Anspruch 1 lautete wie folgt: "Fließfähiges Scheuermittel aus einem anionischen Tensid, einem wasserlöslichen, polaren Niotensid, einem Elektrolyten, einem chlorabspaltenden Bleichmittel und einem suspendierten, körnigen Abrasivstoff, dadurch gekennzeichnet, daß das polare Niotensid ein Aminoxid und das chlorabspaltende Bleichmittel Natriumhypochlorit enthält, wobei die Gesamtkonzentration der Tenside 0,1 bis 0,5 mol/kg, bezogen auf das Gesamtmittel ohne den Abrasivstoff, und das Molverhältnis anionisches Tensid: Aminoxid 60:40 bis 20:80 beträgt, wobei das Mittel bei einer Lagerdauer von 30 Std. bei 50 °C höchstens die Hälfte des anfangs vorhandenen Chlors verliert und den Abrasivstoff zu suspendieren vermag, ohne daß sich einen Monat lang bei 37 °C eine Schicht nicht suspendierten Materials absetzt"
II. Gegen das europäische Patent wurden zwei zulässige Einsprüche eingelegt, in denen der Widerruf des Patents mit der Begründung beantragt wurde, daß es wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht patentierbar sei. Die Beschwerdeführerin I (Einsprechende 2) nannte ferner mangelnde Neuheit, die Beschwerdeführerin II (Einsprechende 1) unzureichende Offenbarung als weitere Einspruchsgründe. Die Beschwerdeführerin II legte die Ergebnisse von Vergleichsversuchen vor, um darzulegen, daß die beanspruchten Mittel weder den Vorteil der Stabilität, d. h. keine Sedimentation, aufwiesen, noch - wie angegeben - die Hälfte des Chlors nach der angegebenen Lagerzeit beibehielten. ...
III. Die Einspruchsabteilung wies die Einsprüche mit einer am 26. Juli 1985 zugestellten Entscheidung zurück. ... Auch eine unzureichende Offenbarung sei nicht zu erkennen, da die in der Beschreibung angegebenen Verfahren eine ausreichende Anleitung böten und der Fachmann genügend Anhaltspunkte dafür habe, was im Falle eines Fehlschlags zu tun sei. Verunreinigungen und die unbedeutenderen Komponenten könnten zwar die Eigenschaften der Mittel entscheidend beeinflussen, doch ließen sich diese Probleme durch einige Versuche lösen. Die Versuche hätten sich jedenfalls nicht streng an die Beispiele gehalten (z. B. seien keine Duftstoffe enthalten gewesen), und dies könne der Grund dafür sein, daß nicht dieselben Ergebnisse erzielt worden seien.
IV. Die Beschwerdeführerinnen (die früheren Einsprechenden) legten am 24. August bzw. 30. September 1985 gegen die Entscheidung Beschwerde ein ...
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die Anfechtung des Patents wegen unzureichender Offenbarung gemäß Artikel 100 b) EPÜ geht natürlich auf Artikel 83 EPÜ zurück, der vorschreibt, daß die Erfindung "so deutlich und vollständig zu offenbaren [ist], daß ein Fachmann sie ausführen kann." Dies wird so ausgelegt, daß es im wesentlichen möglich sein muß, alle Ausführungsarten der in dem am weitesten gefaßten Anspruch definierten Erfindung anhand der Offenbarung auszuführen.
3. Die ursprünglich von einer der Beschwerdeführerinnen vorgelegten Versuche haben möglicherweise deshalb zu keinem brauchbaren Mittel geführt, weil sie sich nicht genau an die Beispiele gehalten haben. Es ist jedoch unbedingt darauf hinzuweisen, daß nicht nur die in den Beispielen genannten besonderen Ausführungsarten reproduzierbar sein müssen, sondern auch alle anderen unter den Schutzumfang des Anspruchs fallenden, wenn das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt sein soll. Zwar werden im vorliegenden Fall unbrauchbare Varianten durch die beiden in dem Anspruch enthaltenen funktionellen Erfordernisse automatisch ausgeschlossen; dies darf jedoch nicht dazu führen, daß der Fachmann geeignete Ausführungsarten nur unter großen Schwierigkeiten finden kann, wenn er nach der Anleitung in der Beschreibung vorgeht.
4. In der Regel sollte sich bei Ausführung der wesentlichen, konkreten technischen Merkmale der Ansprüche der Erfolg einstellen, sofern sich der Fachmann genau an die Anweisungen in der Beschreibung hält und sein Fachwissen richtig einsetzt, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Wo es wirklich schwierig ist, die Erfindung nur durch ihre Bestandteile zu definieren, kann die Definition in den problematischen Randbereichen durch funktionelle Begrenzungen "abgerundet" werden. Die Kammer schließt sich in dieser Hinsicht den Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-III, 4.7 an. Die angegebenen Ergebnisse müssen unmittelbar durch einfache Erprobung nachgewiesen werden können. Solche Absicherungen sind jedoch kein Ersatz dafür, daß in die Definition alle wesentlichen Merkmale als für die Erfindung notwendige, ausreichende Kriterien aufgenommen werden. Obwohl dies im Grunde unter die in Artikel 84 EPÜ geforderte Klarheit der Patentansprüche fällt, die an sich nicht als Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ herangezogen werden kann, kann es doch Auswirkungen auf die Wiederholbarkeit der Erfindung haben, da der genaue Schutzbereich des Anspruchs zwangsläufig auch diesen Aspekt umfaßt.
5. Selbst wenn die Gegenwart eines Duftstoffes tatsächlich kein wesentliches Merkmal der Erfindung, sondern nur ein Begleitumstand wäre, der die Wirkung der wesentlichen Merkmale und damit ihre richtige Einstellung beeinflussen kann, müßte der Fachmann in der Lage sein, das Stoffgemisch neu einzustellen, falls er auf den Duftstoff verzichten will. Da er aufgrund seines allgemeinen Fachwissens sogar Fehler berichtigen und lückenhafte Anweisungen ergänzen können muß (vgl. T 171/84, "Redox-Katalysator", ABl. EPA 1986, 95), wird erwartet, daß er dieses Wissen auch dann einsetzt, wenn er spezifische Beispiele nachzuarbeiten oder andere unter den Schutzbereich des Anspruchs fallende Ausführungsarten auszuarbeiten versucht. Weder diesen Quellen noch den im Patent enthaltenen Anweisungen ist aber offenbar etwas zu entnehmen, was den Fachmann in die Lage versetzen würde, die Formulierung unter diesen Umständen so zu steuern, daß der gewünschte Erfolg eintritt. So zeichnet sich z. B. keine Tendenz zu anderen Komponenten ab, wenn Beispiele mit und ohne Duftkomponente miteinander verglichen werden.
6. Dieselben Überlegungen gelten für die erst zusammen mit der Beschwerdebegründung von den Beschwerdeführerinnen neu eingereichten Versuche. Sie sind jedoch zulässig, da sie zum Teil auf die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung geäußerte Kritik an den früheren Versuchsergebnissen hin eingereicht worden sind. Dieses Mal wurde auch ein Duftstoff beigegeben, der "chlorstabil" ist, d. h. nicht nach 30 Stunden bei 50 °C mit dem Bleichmittel reagiert. Dennoch zeigten die Ergebnisse bei niedrigeren Temperaturen und längerer Lagerdauer unerwünschte Wirkungsverluste, die darauf hinweisen, daß die Korrelation zwischen kurz- und langfristigen Versuchen nicht so zuverlässig ist, wie die Beschwerdegegnerinnen behaupten.
Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, die Beschwerdeführerin habe die Beispiele auch diesmal nicht exakt nachgearbeitet, wurde nicht durch nähere Erklärungen darüber, was falsch gemacht worden sei, erhärtet und in der mündlichen Verhandlung auch nicht aufrechterhalten. Zwar bestätigte sich die Vermutung, daß die Beschwerdeführerinnen zuvor auch Eignungstests durchgeführt hatten; dennoch zeigten die Ergebnisse, daß der Hauptzweck der Erfindung, das Unterbleiben der Sedimentation, zumindest nicht mit einer statistisch annehmbaren Häufigkeit erzielt werden konnte.
7. Auch in diesem fortgeschrittenen Stadium des Beschwerdeverfahrens wurden keine Hinweise darüber gegeben, wie der Fachmann bei den Beispielen im Einzelfall hätte vorgehen müssen, um befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Auch die Beschreibung oder das allgemeine Fachwissen bieten keine Anhaltspunkte dafür, wie die Ergebnisse durch vernünftige Einstellung der Bedingungen innerhalb der vorgegebenen Bereiche berichtigt werden könnten. Es war bekannt, daß bestimmte Bedingungen wie z. B. die Dichte und die Oberflächenbeschaffenheit des Abrasivstoffs und die Homogenität des anionischen Tensids die Stabilität beeinflussen können, doch war nicht klar, nach welchen Grundsätzen hier eine Steuerung erfolgen sollte. Unter diesen Umständen war es dem Fachmann nicht möglich, die Erfindung ohne unzumutbares Herumexperimentieren und Herumsuchen nach den richtigen Bedingungen auszuführen. Die wiederholten Versuche, die nach dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismaterial eine Instabilität erkennen ließen, verstärkten noch den Eindruck, daß die Fehlerquote bei der beanspruchten Formulierung sehr hoch ist; dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht durch Beweismittel widerlegt, denen zu entnehmen gewesen wäre, daß die Ergebnisse der Beschwerdeführerin Zufallscharakter besitzen oder daß sich bei Zufallsversuchen zumindest eine annehmbare Erfolgsquote erzielen läßt.
8. Obwohl ein Herumexperimentieren in gewissen Grenzen vertretbar ist, muß bei ausreichender Offenbarung auf einem noch unerforschten Gebiet, oder wenn wie hier große technische Schwierigkeiten vorliegen, die Beschreibung oder das allgemeine Fachwissen eine brauchbare Anleitung liefern, die den Fachmann nach Auswertung anfänglicher Fehlschläge oder - bei Zufallsversuchen - mit einer gewissen statistischen Erwartungsquote zwangsläufig und ohne Umwege zum Erfolg führt. Im vorliegenden Fall führen die Empfindlichkeit bzw. inhärente Instabilität des Stoffgemisches oder andere nicht spezifizierte Bedingungen dazu, daß der Fachmann die Erfindung nur vereinzelt und allenfalls mit Glück nacharbeiten kann, da die Gründe für das Fehlschlagen nicht bekannt sind. Das Patent ist deshalb in vollem Umfang nichtig, weil es die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.
9. Die Kammer hat den Eindruck, daß es sich hier - wie auch von einer der Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung angedeutet wurde - um eine äußerst eindrucksvolle Erfindung handeln würde, wenn sich das filamentlose Stoffgemisch zuverlässig nacharbeiten ließe. Die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit und - wie anfangs erwähnt - der Neuheit etwaiger geglückter Ausführungsarten des beanspruchten Gegenstands ist infolgedessen nicht mehr von Belang, so daß sich die Kammer damit nicht zu befassen braucht. Aus demselben Grund braucht auch auf den Schutzbereich des Hauptanspruchs und die im Zusammenhang mit Artikel 57 EPÜ gestellte Frage nicht eingegangen zu werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.