T 0245/94 () of 16.4.1996

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1996:T024594.19960416
Datum der Entscheidung: 16 April 1996
Aktenzeichen: T 0245/94
Anmeldenummer: 88909085.8
IPC-Klasse: G01P 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zur Funktionskontrolle von Beschleunigungssensoren
Name des Anmelders: TEMIC TELEFUNKEN microelectronic GmbH
Name des Einsprechenden: Robert Bosch GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Zum nächstliegenden Stand der Technik hinzugefügte Funktionsmerkmale realisierbar und zum Prioritätszeitpunkt nicht naheliegend
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0435/91
T 0720/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 386 035.

Die beiden unabhängigen Ansprüche dieses Patents lauten:

"1. Einrichtung zur Funktionskontrolle von Beschleunigungssensoren, wie piezoelektrischen, magnetostriktiven, elektrodynamischen, kapazitiven oder piezoresistiven, von denen einer als Meßsensor dient und in einer Auslöseschaltung enthalten ist, die einen Teil einer passiven Sicherheitseinrichtung zum Schutz der Insassen von Kraftfahrzeugen bildet, dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Beschleunigungssensoren (10, 10') derart miteinander mechanisch gekoppelt sind und durch elektrische Anregung so stimuliert werden, daß jeweils einer der Beschleunigungssensoren (10') bzw. Beschleunigungsaufnehmer (10) als Körperschallsender wirkt, dessen Signale der oder die anderen mit ihm gekoppelten Beschleunigungssensoren (10, 10') empfangen, um über einen Prozessor (11) im Hinblick auf Funktion, Eichung und Ankopplung an die Gehäusestruktur überprüft zu werden, wobei während der Prüfung die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt.

5. Einrichtung zur Funktionskontrolle von Beschleunigungssensoren wie piezoelektrischen, magnetostriktiven, elektrodynamischen, kapazitiven oder piezoresistiven, von denen einer als Meßsensor dient und in einer Auslöseschaltung enthalten ist, die einen Teil einer passiven Sicherheitseinrichtung zum Schutz der Insassen von Kraftfahrzeugen bildet, dadurch gekennzeichnet, daß zwei Beschleunigungssensoren (10, 10') in einem Winkel von 90 zueinander auf einem Träger (20b) montiert und in einem Gehäuse (60) angeordnet sind und ein Körperschallsender (50) in der Winkelhalbierenden zu diesen beiden Sensoren (10, 10') angeordnet ist, so daß Schall-Signale von beiden Sensoren empfangen und über einen Prozessor (11) im Hinblick auf Funktion, Eichung und Ankopplung an die Gehäusestruktur (60) überprüft werden, wobei während der Prüfung die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt."

Ansprüche 2 bis 4 hängen von Anspruch 1 ab, und Ansprüche 6 bis 9 hängen von Anspruch 5 ab.

II. Die Beschwerdeführerin hat unter Nennung sämtlicher im Europäischen Recherchenbericht aufgeführten Dokumente:

D1: WO-A-88/06 541,

D2: US-A-3 120 622,

D3: US-A-3 830 091,

D4: US-A-3 870 894,

D5: US-A-4 495 433,

sowie mit Bezug auf die in der Beschreibung des Streitpatents zitierten Dokumente:

D6: "Automobiltechnische Zeitschrift" Bd. 84, 1982, Nr. 2, Seiten 77 bis 83,

D7: DE-A-3 706 765,

D8: DE-A-2 207 831,

und gestützt auf das neu genannte Dokument:

D9: DE-A-3 542 397

im Hinblick auf Artikel 100 EPÜ Einspruch erhoben und sinngemäß mangelnde erfinderische Tätigkeit der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche geltend gemacht.

III. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückgewiesen. Sie stellte dabei fest, daß die Einrichtungen gemäß Anspruch 1 und Anspruch 5 neu und erfinderisch seien. Bei der in Anspruch 1 und 5 beanspruchten ständigen Auslösebereitschaft (auch während einer Prüfung der Einrichtung) handele es sich um kein triviales und selbstverständliches Merkmal. Da offensichtlich bei den Vorrichtungen im Stand der Technik die bei einem Test vom Beschleunigungssensor erzeugten Signale zum unerwünschten Auslösen der Sicherheitseinrichtung führen könnten, war es üblich, für den Zeitraum der Prüfung die Auslösebereitschaft zu unterbrechen. Eine Einrichtung, bei der eine ständige Auslösebereitschaft gegeben war, wurde nicht als Stand der Technik nachgewiesen. Desweiteren werde es durch den nachgewiesenen Stand der Technik nicht nahegelegt, im Hinblick auf Anspruch 1 die Überprüfung eines mehrere Beschleunigungssensoren aufweisenden Sicherheitssystems dadurch zu vereinfachen, daß mehrere Beschleunigungssensoren miteinander mechanisch gekoppelt sind, von denen zu Prüfzwecken jeweils einer als Körperschallsender betreibbar ist. Ferner fände sich im vorliegenden Stand der Technik kein Hinweis, der die in Anspruch 5 beanspruchte Anordnung von zwei Beschleunigungssensoren im Winkel von 90 und eines zusätzlichen Körperschallsenders in der Winkelhalbierenden der Sensoren nahelegen würde.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde erhoben und in ihrer Beschwerdebegründung zur Stützung ihres Arguments, daß die in Anspruch 5 beanspruchte Montage zweier Sensoren in einem Winkel von 90 naheliegend sei, auf folgende neu genannten Dokumente zurückgegriffen:

D10: US-A-3 701 903

D11: DE-A-2 920 147 und

D12: DE-A-2 432 225.

V. Als Anlage zur Ladung für die von beiden Parteien beantragte mündliche Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung wie folgt mit: Das von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung erneut aufgegriffene Dokument D7 stelle als älteres nationales Recht keinen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ dar, und das D7 entsprechende Dokument D1 sei nicht in Betracht zu ziehen, da keine dem EPÜ angehörenden Vertragsstaaten als Bestimmungsstaaten benannt worden seien. Die Dokumente D10, D11 und D12 würden vermutlich gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt werden, da sie die Art der zu fällenden Entscheidung möglicherweise nicht beeinflussen würden. Hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sehe die Kammer derzeit keinerlei Gründe, die es einem Fachmann nahelegen könnten, in der aus Dokument D9 bekannten Anordnung zur Funktionsprüfung von piezoelektrischen Beschleunigungsaufnehmern die Funktionseinheit (10) sowie die Schalter (9 und 12) gemäß Figur 1 des Dokuments D9 durch Mittel zu ersetzen, die die beanspruchte Funktion ermöglichen, daß "während der Prüfung die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt."

VI. Am 16. April 1996 wurde mündlich verhandelt. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 386 035.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

VII. Die Beschwerdeführerin stützte ihren Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:

(a) Dokument D2 komme den Einrichtungen gemäß den Ansprüchen 1 und 5 des Streitpatents näher als Dokument D9. Es offenbare gemäß Figur 1 ein Sensorelement (28) und ein Kalibrierelement (30), die auf einem gemeinsamen Träger (24) angeordnet sind, so daß das Kalibrierelement als Körperschallsender wirke. Wie aus Dokument D2, Spalte 3, Zeilen 13 bis 17 hervorgeht, erzeuge das Kalibrierelement Biegeschwingungen, die über den Träger auf das Sensorelement übertragen würden und dieses verformten. Spalte 3, Zeilen 43 bis 48 des Dokuments D2 offenbare, daß die Stellung (position) von Sensor- und Kalibrierelement beliebig vertauscht werden könne. Überdies gehöre es zum allgemeinen Fachwissen, daß der Piezoeffekt, d. h. die Umsetzung von mechanischer Deformation in Spannung, und der reziproke Piezoeffekt, d. h. die Umsetzung von Spannung in mechanische Deformation, miteinander vertauschbar seien. Aus Dokument D2, Spalte 3, Zeilen 26 bis 38 sowie Spalte 1, Zeilen 34 bis 40 ginge hervor, daß die Funktionskontrolle des Sensorelements auch in einem in ein Fahrzeug eingebauten Zustand erfolge. Insbesondere Dokument D2, Spalte 1, Zeilen 39 und 40. wiesen ausdrücklich auf die Verwendung der Einrichtung zum Überprüfen eines Beschleunigungssensors unmittelbar vor dem Start eines Flugzeuges hin.

(b) Figur 1 des Dokuments D9 offenbare, daß der Meßsensor (2) über die gemeinsame Elektrode (4) Rücken an Rücken an den Aktuator (3) angekoppelt sei und mit Hilfe der durch den Aktuator erzwungen mechanischen Verformung überprüft werde. Die in Figur 2 des Dokuments D9 offenbarte Schaltung diene gemäß Dokument D9, Spalte 4, Zeilen 16 bis 30. in Verbindung mit Spalte 4, Zeilen 59 bis 64 dazu, am Meßsensor (2) eine "anwendungstypische" Reaktionsspannung abzunehmen. In Spalte 2, Zeilen 13 bis 22 des Dokuments D9 sei neben der Verwendung als Klopfsensor auch eine Verwendung als Aufprallsensor erwähnt. Figur 12 des Dokuments D6 könne entnommen werden, daß der beim Aufprall (Crash) am Beschleunigungsmeßsensor abgenommene elektrische Impuls unipolar sei. Daher diene der stufenförmige Spannungsaufbau am Aktuator zur testmäßigen Nachbildung eines Crashimpulses am Meßsensor, und der Aktuator (3) sei als ein Körperschallsender im Sinne des Streitpatents anzusehen.

(c) Von dem durch Dokument D2 und dem durch Dokument D9 jeweils nachgewiesenen Stand der Technik unterscheide sich der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 5 des Streitpatents nur dadurch, daß gemäß dem in diesen Ansprüchen vorliegenden Wortlaut "während der Prüfung die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt." In Übereinstimmung mit der expliziten Angabe im Streitpatent, Seite 2, Zeilen 20 bis 23 stelle dieser Unterschied eine bloße Aufgabenstellung dar. Diese Aufgabenstellung sei eine pure Selbstverständlichkeit, da bei keinem Sicherheitssystem während seines Betriebes eine Abkopplung der Sicherheitsvorrichtung zum Zweck ihrer Überprüfung zugelassen werden könne.

(d) In der aus Dokument D9 bekannten Einrichtung würde ein zu Testzwecken am Beschleunigungssensorausgang erzeugtes "anwendungstypisches" Crash-Signal nicht zwangsläufig das Aufblasen eines Airbags auslösen, da die Amplituden des Testsignals so gewählt werden könnten, daß sie unterhalb des Schwellwerts lägen, bei dem die Auslöseschaltung anspricht.

(e) Dokument D6, Seite 80, mittlere Spalte, Absatz 1 könne der Fachmann entnehmen, daß das in Figur 10 des Dokuments D6 dargestellte Airbag-System "im Betrieb" und "dauernd" geprüft werde. Somit werde das das Streitpatent vom Stand der Technik allein unterscheidende Aufgabenmerkmal dem Fachmann durch den zum Prioritätszeitpunkt bekannten Stand der Technik nahegelegt.

VIII. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Argumentation der Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:

(a) Die Einrichtung gemäß Dokument D2 werde zur Kalibrierung und Funktionsüberprüfung eines Beschleunigungssensors vor seinem Einbau in ein Fahrzeug verwendet, wie Spalte 3, Zeilen 6 bis 25 sowie 39 bis 41 entnommen werden könne. Aus der in Spalte 3, Zeilen 43 bis 48 angegebenen Austauschbarkeit der räumlichen Anordnung von Sensor- und Kalibrierelement folge keine Anregung, in zwei räumlich fest angeordneten Elementen die Kalibrierfunktion gegen die Sensorfunktion alternierend auszutauschen. Vielmehr bleibe ein und derselbe Aktuator ohne Funktionswechsel gemäß Spalte 1, Zeilen 41 bis 44 stets integraler Bestandteil des Beschleunigungsmeßsystems. Die beim Kalibrieren möglicherweise auftretenden Einschwingungsvorgänge seien Sekundäreffekte, die nicht als von einem dieser Elemente unmittelbar erzeugter Körperschall angesehen werden könnten.

(b) Die wiederholte Schließung des Schalters (12) in Figur 2 des Dokuments D9 erzeuge keinen Körperschall sondern steigere gemäß Spalte 4, Zeilen 58 bis 64 die am Aktuator (3) anliegende Spannung stufenförmig bis der Meßsensor (2) eine "anwendungstypische" Spannung abgibt. Danach werde die am Aktuator (3) aufgebaute Spannung über den Transistor (18) entladen. Hieraus lasse sich nicht die Erzeugung von Körperschwingungen herleiten.

(c) Die technischen Unterschiede der Einrichtung gemäß Anspruch 1 und 5 des Streitpatents gegenüber dem durch die Dokumente D2 und D9 nachgewiesenen Stand der Technik würden sich keinesfalls auf das von der Beschwerdeführerin in Punkt VII-(c) genannte Merkmal beschränken. Hinsichtlich dieses Merkmals sei aber festzustellen, daß zum Prioritätszeitpunkt zwar gemäß Dokument D9 eine Überprüfung des Beschleunigungssensors in seinem eingebauten Zustand bekannt war, aber nicht eine Überprüfung während des Betriebszustands des Sensors. Der insgesamt nachgewiesene Stand der Technik, insbesondere die in den Dokumenten D2, D6 und D9 offenbarten Einrichtungen, ermögliche ausschließlich die Überprüfung des Beschleunigungssystems vor der Inbetriebnahme eines Fahrzeuges; vgl. insbesondere die Angabe in Dokument D2, Spalte 1, Zeilen 99 und 40.

(d) Da die Einrichtung gemäß Dokument D9 bei der Überprüfung des Meßsensors (2) ein anwendungstypisches Crash-Signal nachbilde, sei hier die Abtrennung der Auslöseschaltung (10) des Airbags während des Funktionstests in der Schalterstellung b in Figur 1 (vgl. auch Dokument D9, Spalte 4, Zeilen 10 bis 16) unabdingbar. Anderenfalls würde während des Funktionstests der Airbag gezündet werden. Erst nach Beendigung des Funktionstests werde die Betriebsbereitschaft des Sicherheitssystems durch Umschalten der Schalter (9 und 12) von Stellung b nach Stellung a wieder hergestellt.

(e) Die Angaben in Dokument D6, Seite 80, mittlere Spalte, Absatz 1 würden ausschließlich die Überprüfung der elektronischen Komponenten des Sicherheitssystems betreffen, von der der Beschleunigungssensor ausgenommen sei. Gemäß Dokument D6, Seite 80, linke Spalte, Absatz 6 erfolge die Überprüfung des Beschleunigungssensors auch bei der in Figur 10 dargestellten Einrichtung vor Inbetriebnahme des Fahrzeuges.

(f) Im Hinblick auf den vorstehend gewürdigten Stand der Technik zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents, bei dem sich Airbagsysteme noch in ihrer Entwicklungsphase befanden und ihre unkontrollierte Zündung ein technisch noch zu lösendes Problem war, beruhte es insbesondere auf einer erfinderischen Leistung, die Funktionsfähigkeit eines Beschleunigungssensors für die Feststellung eines Crashfalls auch während des Fahrzeugbetriebs testen zu können. Die damit verbundene Erhöhung der Betriebssicherheit erlaube nicht, eine solche Funktion als trivial abzuqualifizieren.

IX. Am Schluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß die Beschwerde zurückgewiesen wird.

Entscheidungsgründe

1. Die Kammer hat die von der Beschwerdeführerin erstmals in ihrer Beschwerdebegründung genannten Dokumente D10, D11 und D12 mit dem Ergebnis überprüft, daß sie keinerlei Einfluß auf die Art der zu fällenden Entscheidung haben. Auf dieses verspätete Vorbringen braucht deshalb in den folgenden Entscheidungsgründen nicht näher eingegangen zu werden. Die Dokumente D1 und D7 stellen wegen der in Punkt V genannten Sachverhalte keine Beweismittel für einen nach Artikel 54 (3) EPÜ zu berücksichtigenden Stand der Technik dar.

2. Neuheit

Dem durch die Dokumente D2 bis D6, D8 und D9 nachgewiesenen Stand der Technik ist keine Einrichtung zur Funktionskontrolle von Beschleunigungssensoren zu entnehmen, bei der der als Meßsensor eingesetzte Beschleunigungssensor mechanische Signale eines Senders empfängt, um unter anderem im Hinblick auf seine Ankopplung an die Gehäusestruktur des Kraftfahrzeugs überprüft zu werden, und bei der während der gesamten Prüfung des Meßsensors die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt. Der Stand der Technik offenbart also keine Einrichtung die sämtliche in Anspruch 1 oder 5 des Streitpatents präzisierten Merkmale aufweist. Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 5 sind somit neu im Sinne von Artikel 54 (1) und (2) EPÜ.

Überdies beschränkten sich die im Einspruchs- und im vorliegenden Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände auf einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit.

3. Erfinderische Tätigkeit - Ansprüche 1 und 5

3.1. Aufgrund des in bezug auf die entscheidungserheblichen Merkmale identischen Wortlauts der Ansprüche 1 und 5 kann die nachfolgende Untersuchung einer diesen unabhängigen Ansprüchen zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit gemeinsam erfolgen. Nach Auffassung der Kammer führt die sachliche Abgrenzung der Ansprüche 1 und 5 gegenüber dem durch das Dokument D2 oder dem durch das Dokument D9 nachgewiesenen Stand der Technik zu gleichen Ergebnissen, so daß beide Dokumente jeweils für sich im Hinblick auf die Untersuchung auf erfinderische Tätigkeit den nächstliegenden Stand der Technik repräsentieren. Aus Dokument D2 oder alternativ aus Dokument D9 sind folgende durch den Wortlaut der Ansprüche 1 und 5 gleichlautend definierten Merkmale bekannt:

"Einrichtung zur Funktionskontrolle von Beschleunigungssensoren, wie piezoelektrischen ...., von denen einer als Meßsensor dient und in einer Auslöseschaltung enthalten ist, die einen Teil einer passiven Sicherheitseinrichtung zum Schutz der Insassen von Kraftfahrzeugen bildet, dadurch gekennzeichnet, daß" ..... der Meßsensor mechanische Signale eines Senders empfängt, um "über einen Prozessor im Hinblick auf Funktion und Eichung ..... überprüft zu werden .....".

Insoweit besteht keinerlei Widerspruch zu dem analogen Vorbringen der Beschwerdeführerin gemäß Punkt VII-(a), (b) und (c).

3.2. Von diesem nächstliegenden Stand der Technik unterscheiden sich die Ansprüche 1 und 5 gemeinschaftlich durch die Merkmale:

(a) daß der Meßsensor mechanische Signale empfängt, um auch im Hinblick auf seine "Ankopplung an die Gehäusestruktur" überprüft zu werden und daß

(b) "während der Prüfung die Auslöseschaltung mit der Sicherheitseinrichtung elektrisch verbunden und auslösebereit bleibt".

3.3. Desweiteren unterscheidet sich die Einrichtung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents von dem nächstliegenden Stand der Technik im wesentlichen dadurch, daß

(c) "mehrere Beschleunigungssensoren derart miteinander mechanisch gekoppelt sind und durch elektrische Anregung so stimuliert werden, daß jeweils einer der Beschleunigungssensoren bzw. Beschleunigungsaufnehmer als Körperschallsender wirkt".

Die Einrichtung gemäß Anspruch 5 des Streitpatents unterscheidet sich von dem nächstliegenden Stand der Technik ferner im wesentlichen, dadurch, daß

(d) "zwei Beschleunigungssensoren in einem Winkel von 90. zueinander auf einem Träger montiert und in einem Gehäuse angeordnet sind und ein Körperschallsender in der Winkelhalbierenden zu diesen beiden Sensoren angeordnet ist".

Obwohl es im Hinblick auf die nachfolgende Untersuchung der erfinderischen Tätigkeit ohne Einfluß bleiben wird, hält die Kammer es für zweckmäßig festzustellen, daß ihrer Auffassung nach - entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin in Punkt VII-(a) und (b) - Merkmal (c) vom Fachmann weder Dokument D2 noch Dokument D9 entnommen werden kann. Das Kalibrierelement (30) des Dokuments D2 sowie der Aktuator (3) des Dokuments D9 dienen ausschließlich zur Erzeugung der zu Testzwecken ausgenutzten mechanischen Verformungsspannung und messen niemals Beschleunigungen. Sie sind schon aus diesem Grunde nicht unter den beanspruchten funktionellen Begriff eines "Beschleunigungssensors" subsumierbar. Allein durch eine Lagevertauschung relativ zur Halterung wird aus einem Kalibrierelement kein Beschleunigungssensor und aus einem Beschleunigungssensorelement kein Körperschallsender; vgl. auch Punkt VIII-(a).

3.4. Das durch die (in beiden unabhängigen Ansprüchen 1 und 5 identisch enthaltenen) Unterscheidungsmerkmale (a) und (b) erreichte technische Ziel - und damit die diesen Ansprüchen gemeinschaftlich zugrundeliegende objektive Teilaufgabe - besteht nach Auffassung der Kammer darin, die Fehlerdetektion bei der aus Dokument D2 oder D9 bekannten, einen Beschleunigungssensor aufweisenden passiven Sicherheitseinrichtung zum Schutz der Insassen von Kraftfahrzeugen zu verbessern. Diese Aufgabenstellung vermag der Fachmann ohne weiteres aus den offensichtlichen inhärenten Wirkungen der Unterscheidungsmerkmale herzuleiten. Merkmal (a) verbessert die Fehlerdetektion insoweit, als hierdurch zusätzlich der Einbauzustand des Beschleunigungssensors überwacht wird, d. h. ob die Befestigung des Beschleunigungssensors am Fahrzeug intakt ist und der mechanische Crashimpuls des Fahrzeugs eine den Sensor verformende Bremskraft ausüben kann. Merkmal (b) erlaubt die Fehlerdetektion auch während des Betriebszustandes der Sicherheitseinrichtung. Merkmale (a) und (b) stellen somit gleichfalls die technischen Lösungsmittel der vorstehend definierten objektiven Aufgabe dar.

3.5. Entgegen der in Punkt VII-(c) dargelegten Auffassung der Beschwerdeführerin definiert Merkmal (b) - und auch Merkmal (a) - keine Aufgabe. Aufgabendefinitionen sind normalerweise auf die externen Wirkungen eines Arbeitsmittels abgestellt, die seine Umgebung verändern. Dagegen beschränken sich die Merkmale (a) und (b) auf die Angabe von internen Eigenschaften der beanspruchten Einrichtung selbst. Zur Präzisierung dieser Eigenschaften sind Wechselwirkungen der Einrichtung mit ihrer Umgebung nicht erforderlich. Daher haben nach Auffassung der Kammer Merkmale (a) und (b) den Charakter von Funktionsmerkmalen. Überdies sind gemäß der ständigen Rechtspraxis des EPA Funktionsmerkmale zur Schutzdefinition in einem Anspruch zulässig, wenn der Fachmann in der Lage ist, diese Funktion mit Hilfe der technischen Offenbarung in der Beschreibung in Verbindung mit seinem Fachwissen ohne unzumutbaren Arbeitsaufwand zu realisieren; vgl. beispielsweise die Entscheidung T 720/92 vom 31. Mai 1994, insbesondere Punkt 3.1.3 (v). Diese Voraussetzung wird nach Auffassung der Kammer von beiden Merkmalen erfüllt. Die Überwachung der Ankopplung des Beschleunigungssensors an die (durch Crash abgebremste) Gehäusestruktur (Merkmal (a)) erfolgt durch die Überwachung der Resonanzfrequenz des Beschleunigungssensors; vgl. das Streitpatent Seite 3, Zeile 3. Bei Loslösung des Beschleunigungssensors von der Gehäusestruktur ändert sich nämlich die Bedämpfung des Beschleunigungssensors und damit seine Resonanzfrequenz. Diese Prüfung des Beschleunigungssensors ist während der Auslösebereitschaft der Auslöseschaltung (z. B. für das Zünden eines Airbags) über eine Parallelschaltung eines Ausgangs für oszillierende Spannung UOS mit einem als Tiefpaß TP ausgebildeten Ausgang ermöglicht; vgl. Figur 1 des Streitpatents. Die Prüfung der Funktion und Eichung des Beschleunigungssensors ist während der Auslösebereitschaft der Auslöseschaltung nach Auffassung der Kammer durch die Kontrolle der Reaktion auf einen Prüfspannungsimpuls (Beschreibung, Seite 3, Zeilen 3 und 4) realisierbar, dessen Pulsdauer gemäß Anspruch 9 des Streitpatents so gering ist, daß in der nachgeschalteten Signalverarbeitung kein wesentlicher Fehler verursacht wird. Somit ist auch das Funktionsmerkmal (b) als anhand der Lehre des Streitpatents realisierbar anzusehen.

3.6. Der nachgewiesene Stand der Technik gibt dem Fachmann keinerlei Anregung, den Schutz der Insassen von Kraftfahrzeugen dadurch zu erhöhen, daß die Ankopplung des Beschleunigungssensors an die bei Crash abgebremsten Gehäusestrukturteile und damit die reale Herstellungsmöglichkeit des Crashsignals durch den Beschleunigungssensor in den beim nächstliegenden Stand der Technik gemäß Dokument D2 oder D9 vorgenommenen Testumfang einbezogen wird, bei dem ausschließlich die Effizienz des Piezoeffekts überwacht wird, d. h. die Größe der bei einer anwendungstypischen Maximaldeformation des Beschleunigungssensors an seinen Elektroden abgreifbaren Spannung. Bereits hierin ist nach Auffassung der Kammer eine über den Rahmen einer normalen Weiterentwicklung hinausgehende, nicht naheliegende Bereicherung der Sicherheitstechnologie - und damit ein erfinderischer technischer Gehalt der Ansprüche 1 und 5 - zu sehen.

3.7. Desweiteren stellt die durch Merkmal (b) sichergestellte Ausdehnung der Funktionskontrolle auf den Zeitraum des Kraftfahrzeugbetriebs nach Auffassung der Kammer keine pure Selbstverständlichkeit dar. Die von der Beschwerdegegnerin in ihrem Einwand gemäß Punkt VII-(c) geltend gemachte Unzulässigkeit der Abkopplung der Sicherheitsvorrichtung während des Betriebs eines Sicherheitssystems führte beim Stand der Technik dazu, daß - sofern die Beschleunigungssensorfunktion überhaupt überwacht wurde - dieses nicht während sondern vor der Inbetriebnahme des Sicherheitssystems erfolgte; vgl. insbesondere Dokument D2, Seite 1, Zeilen 39 und 40. Auch Dokument D6, Seite 80, linke Spalte, Absatz 5 und 6, ist explizit entnehmbar, daß der Prüfzyklus in der Zündschlüsselstellung I, also vor Betätigung des Anlassers, abläuft. In der Einrichtung gemäß Dokument D9 schließt gemäß Spalte 4, Zeilen 6 bis 30 die gegenseitige Kopplung der Schalter a und b durch die automatische Abtrennung der Auslöseeinheit (10) beim Anlegen der Verformungsspannung UB an den Aktuator (3) jegliche Prüfmöglichkeit während des Fahrzeugbetriebes aus. Dabei spielt es technisch keine Rolle, ob - gemäß dem Vorbringen der Beschwerdeführerin gemäß Punkt VII-(d) - die Maximalamplitude des nachgebildeten "anwendungstypischen" Signals bei der Überprüfung oberhalb oder unterhalb des Schwellwerts liegt, bei dem die Auslöseschaltung des Airbags anspricht. Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, daß die Fachwelt die Bedeutung der Überprüfbarkeit des Beschleunigungssensors während des Fahrzeugbetriebs für die Sicherheit der Fahrzeuginsassen möglicherweise zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents erkannt hätte, doch fehlt dem nachgewiesenen Stand jeglicher Hinweis, daß eine solche Überprüfbarkeit als realisierbares technisches Entwicklungsziel konkret ins Auge gefaßt wurde.

3.8. In dem aus Dokument D6 bekannten Airbagsystem ist die auf Seite 80, mittlere Spalte, Absatz 1 erwähnte Funktionskontrolle während des Betriebs auf elektronische Systemkomponenten beschränkt. Der betreffende Absatz lautet: "Im Betrieb werden dauernd die Zuleitungen zu den Rückhaltesystemen auf Unterbrechung, die Spannungsversorgung der Dehnmeßstreifenbrücke des Beschleunigungsaufnehmers, die Spannungsversorgung am Gerät, die Energiereserve auf Kurzschluß sowie die Funktion des Spannungswandlers geprüft". Bei einem aus einer Dehnungsstreifenbrücke bestehenden Beschleunigungsaufnehmer stellt die Spannungsversorgung seinen Betriebszustand sicher, ohne daß ein Ausgangssignal abgegeben wird. Das bedeutet, daß keine "Funktionsüberprüfung des Beschleunigungsaufnehmers erfolgt, d. h. keine Prüfung seiner Fähigkeit, im Crashfall ein Signal abzugeben, das eine Airbagzündung auslöst.

3.9. Nach Auffassung der Kammer stand zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents im Jahre 1987 die Entwicklung von Airbagsystemen an ihrem Anfang und beschäftigte sich unter anderem mit dem Vermeiden von Fehlzündungen; vgl. auch Punkt VIII-(f). Es ist bekannt, daß Fehlzündungen von Airbagsystemen zu schwerwiegenden Verkehrsunfällen führen können. Die Darlegung des Stands der Technik zum Prioritätstag des Streitpatents in Punkt 3.7 und 3.8 zeigt deutlich, daß jedwede Signalabgabe des Beschleunigungssensors zu Prüfzwecken während des Fahrzeugbetriebs sorgsam vermieden wurde. Die Kammer sieht es daher als nicht naheliegend an, eine realisierbare Einrichtungsfunktion zu schaffen, die eine Überprüfung der Signalabgabefähigkeit eines Beschleunigungssensors zuläßt, während er in Wirkverbindung mit der Auslöseschaltung des Sicherheitssystems steht. In dem in Punkt 3.5 im einzelnen dargelegten Frequenz- und Pulsdauerkonzept erkennt die Kammer ferner eine unter Berücksichtigung des Fachwissens verallgemeinerungsfähige technische Lehre, die einen Fachmann in die Lage versetzt, daß angestrebte Ergebnis im gesamten Bereich des die "funktionelle" Definition enthaltenden Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen; vgl. auch die Entscheidung T 435/91, ABl. EPA 1995, 188.

3.10. Aus den in Punkt 3.1 bis 3.9 im einzelnen dargelegten Gründen liegt den unabhängigen Ansprüchen 1 und 5 eine durch ihre gemeinsamen, in Punkt 3.2 genannten Merkmalen (a) und (b) bedingte erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zugrunde. Es ist somit überflüssig zu untersuchen, ob die in Punkt 3.3 genannten Merkmalen (c) und (d) naheliegend sind. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 4 und 6 bis 9 erfüllen aufgrund ihrer Rückbeziehung auf Anspruch 1 bzw. Anspruch 5 automatisch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

4. Wie oben dargelegt, stehen die geltend gemachten Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents in seiner erteilten Fassung nicht entgegen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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