European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T051799.20031008 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 08 October 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0517/99 | ||||||||
Anmeldenummer: | 96919795.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C09J 5/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Klebeverfahren | ||||||||
Name des Anmelders: | Henkel Kommanditgesellschaft auf Aktien | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Klarheit von funktionellen Merkmalen - nach Änderung - bejaht Neuheit - nach Änderung - bejaht Ausführbarkeit im beanspruchten Umfang - nach Änderung - bejaht |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung mit der Anmeldenummer 96 919 795.3 wurde unter dem internationalen Aktenzeichen PCT/EP96/02194 eingereicht und als WO-A-96/37 566 veröffentlicht. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zum Verkleben von Substraten mit einem wasserfreien bzw. wasserarmen, teilkristallinen, bei Raumtemperatur festen Klebstoff, dadurch gekennzeichnet, daß man den Klebstoff durch innere und/oder äußere Reibung aktiviert, die Substrate mit dem dann klebrigen Klebstoff dazwischen zusammenfügt und schließlich das Gefüge durch Ruhenlassen innerhalb von wenigen Sekunden bis wenigen Tagen abbindet."
"3. Wasserfreier bzw. wasserarmer, teilkristalliner bei Raumtemperatur fester Klebstoff, gekennzeichnet a) durch einen Kristallisationsgrad, ermittelt durch DSC, im Bereich von -40°C bis +120°C, dem eine Schmelzenthalpie von 10 bis 150 mJ/mg, bevorzugt 15 bis 80 mJ/mg, weiter bevorzugt 20 bis 70 mJ/mg entspricht, b) durch mindestens eine Kristallisationstemperatur, ermittelt durch DSC, bei 20 bis 110°c, bevorzugt bei 30 bis 80°C sowie c) durch eine Kristallisationsgeschwindigkeit von einigen Sekunden bis einigen Tagen, bestimmt durch Beobachtung in einem Polarisationsmikroskop."
Die Ansprüche 2 sowie 4 bis 12 betrafen bevorzugte Ausführungsformen.
II. Mit der am 22. Dezember 1998 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Prüfungsabteilung die Anmeldung nach den Artikeln 54, 56 und 84 EPÜ wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie fehlender Klarheit zurück. Der Entscheidung lagen die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 4 sowie Ansprüche 5 bis 12 gemäß Eingabe vom 5. November 1998 zu Grunde. Sie war auf folgenden Stand der Technik gestützt:
D1: DE-A-2 022 464.
Die neuen Ansprüche 5 bis 12 waren im wesentlichen redaktionell geändert.
Zur Begründung wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt.
a) Die geänderten Ansprüche erfüllten die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
b) Anspruch 1 sei gegenüber dem Dokument D1 nicht neu und erfinderisch, in dem eine wasserfreie, bei Raumtemperatur feste Klebstoffzusammensetzung beschrieben sei, die durch Reibungswärme aktiviert werde, wobei die oberste Klebstoffschicht aufschmelze und in kurzer Zeit hart werde, aber dennoch eine genaue Wiederausrichtung der zu verklebenden Substrate erlaube. Die Anmelderin habe nicht belegt, daß der bekannte Klebstoff "fast momentan abbinde" und eine Abgrenzung gegenüber der ohnehin unklar definierten Zeitspanne von "wenigen Sekunden" vorliege. Es sei nicht belegt, daß die im Anspruch 2 und 3 genannten Parameter nicht auch durch den Klebstoff nach D1 erfüllt seien. Ferner sei die gegenüber D1 zu lösende alternative Aufgabe in naheliegender Weise gelöst, so daß der beanspruchte Gegenstand auch nicht erfinderisch sei.
c) Die Ansprüche seien nicht klar, da der anzuwendende Klebstoff lediglich durch das gewünschte Ergebnis, nämlich die Klebrigkeit und Abbindezeit definiert sei. Solche funktionellen Merkmale seien nach den Prüfungsrichtlinien nur in Ausnahmefällen gestattet, deren Voraussetzungen in der vorliegender Anmeldung aber nicht erfüllt seien, weil der Fachmann eine Vielzahl von Experimenten durchführen müsse, um das gewünschte Resultat herauszufinden und der anzuwendende Klebstoff durch seine Zusammensetzung definiert werden könne.
Der Ausdruck "wenige Sekunden bis wenige Tage" sei unklar, da er keine Abgrenzung zum Stand der Technik gestatte.
III. Am 28. Januar 1999 legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung Beschwerde ein, die am 22. April 1999 begründet wurde. In ihrer Beschwerdebegründung verteidigte die Beschwerdeführerin die Anspruchsfassung, die der angegriffenen Entscheidung zu Grunde lag.
In einem Ladungsbescheid vom 27. Mai 2003 wies die Kammer auf die in der mündlichen Verhandlung zu erörtenden Punkte hin, die sich im Rahmen der damals geltenden Anspruchsfassung stellten.
IV. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Oktober 2003 statt. Nach Erörterung der im Ladungsbescheid angesprochenen Punkte, insbesondere Klarheit (Artikel 84 EPÜ), Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ), Neuheit (Artikel 54 EPÜ) sowie erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) legte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag (Seiten 32 und 33 der Anmeldungsunterlagen) vor, der die Ansprüche 1 bis 4 und 5 (Teil) enthielt. Die geänderten Ansprüche 1 und 3 hatten dabei folgende Fassung:
"1. Verfahren zum Verkleben von Substraten mit einem Klebstoff gemäß Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß man den Klebstoff durch innere und/oder äußere Reibung aktiviert, die Substrate mit dem dann klebrigen Klebstoff dazwischen zusammenfügt und schließlich das Gefüge durch Ruhenlassen innerhalb von 30 sec bis 30 min abbindet."
"3. Teilkristalliner bei Raumtemperatur fester Klebstoff mit einem Wassergehalt von 0 bis 15 Gew.-%, gemessen nach Karl Fischer, gekennzeichnet a) durch einen Kristallisationsgrad, ermittelt durch DSC, im Bereich von -40°C bis +120°C, dem eine Schmelzenthalpie von 10 bis 150 mJ/mg, bevorzugt 15 bis 80 mJ/mg, weiter bevorzugt 20 bis 70 mJ/mg entspricht, b) durch mindestens eine Kristallisationstemperatur, ermittelt durch DSC, mit einem Extremum des Schmelzpeaks bei 20 bis 110°c, bevorzugt bei 30 bis 80°C sowie c) durch eine Kristallisationsgeschwindigkeit von 30 sec bis 30 min, bestimmt durch Beobachtung in einem Polarisationsmikroskop, wobei der Klebstoff aus 25 bis 100 Gew.-% an Bindemittel und 0 bis 75 Gew.-% an Zusätzen besteht und das Bindemittel aus a) mindestens einem teilkristallinen und b) mindestens einem amorphen und/oder flüssigen Polyester, Polyesteramid oder Polyesterurethan mit Molekulargewichten MGw von 1000 bis 20000 besteht."
Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammen gefasst werden:
a) Der beanspruchte Klebstoff sei klar, da er durch konkrete Merkmale für die Kristallisationsgeschwindigkeit und den Wassergehalt und durch seine chemische Zusammensetzung definiert sei. Der beanspruchte Klebstoff könne am besten durch physikalische Parameter definiert werden, ohne daß der Schutzbereich über Gebühr beeinträchtigt sei. Durch den Rückbezug auf den Klebstoff nach Anspruch 3 sei auch der Verfahrensanspruch klargestellt.
b) Hinsichtlich der Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ sei zu beachten, daß die im Anspruch 3 angegebenen physikalischen Parameter durch übliche Verfahren bestimmbar seien. Hinweise für die Merkmale a) und b) ergäben sich bereits aus Tabellenwerken. Die Kristallisationsgeschwindigkeit c) sei durch das Polarisationsmikroskop bestimmbar, was für den Praktiker eine reine Routineuntersuchung darstelle. Die Auswahl der für den Klebstoff in Betracht kommenden Komponenten sei durch die Angabe von spezifischen Polymeren stark eingeschränkt und es sei dem Fachmann zuzumuten, nach diesen Angaben Klebstoffe zu formulieren und daran entsprechende Routineuntersuchungen durchzuführen.
c) Hinsichtlich der Neuheit sei zu beachten, daß D1 einen Haftklebstoff beschreibe, dessen Klebrigkeit auf der Anwesenheit von Kolophonium beruhe und dessen Klebewirkung erst dadurch erzielt werde, daß nach der Ausrichtung der beklebten Fläche diese mehrmals mit einem harten Gegenstand gerieben werde. Der beanspruchte Klebstoff nutze hingegen die Kristallinität von bestimmten Polymeren aus. Ferner habe die Anmelderin mit einer Zusammensetzung entsprechend Tabelle I, rechte Spalte unter dem Stichwort "erwünscht" Versuche angestellt und festgestellt, daß dieser Klebstoff "fast momentan" abbinde und der Zeitraum mit dem bloßen Auge nicht mehr bestimmbar sei und keinesfalls eine Kristallisationszeit von 30 sec bis 30 min aufweisen könne. Der beanspruchte Klebstoff und das darauf zurück bezogene Verfahren seien daher neu.
d) Die Frage der erfinderischen Tätigkeit stelle sich durch die vorgenommene Neufassung der Ansprüche in einem vollkommen anderen Licht dar und könne auf Grund des einzigen Dokuments D1 nicht mehr verneint werden.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 4, wie in der mündlichen Verhandlung überreicht, sowie der übrigen Ansprüche 6 bis 12 in der Fassung gemäß Eingabe vom 5. November 1998, die entsprechend umzunumerieren sind, zu erteilen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Änderungen
2. Zu den Änderungen in den neuen Ansprüchen 1 und 3 hat die Beschwerdeführerin auf folgende Textstellen in den ursprünglichen Unterlagen verwiesen:
- Kristallisationsgeschwindigkeit und Abbindezeit: Seite 5, Zeilen 7 bis 9 in Verbindung mit Seite 5, zweiter Absatz,
- Wassergehalt: Seite 14, Zeilen 6 bis 8,
- Extremum des Schmelzpeaks: Seite 5, Zeilen 11 und 12,
- Zusammensetzung des Klebstoffs: Anspruch 4
Die gestrichenen Merkmale von Anspruch 1 seien auf Grund des Rückbezugs auf den Klebstoff nach Anspruch 3 entbehrlich.
Die Kammer hat zu den erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Änderungen prima facie keine Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ gesehen. Da die Angelegenheit aber ohnehin zurück zu verweisen ist, möchte die Kammer der abschließenden Beurteilung dieser Frage durch die Prüfungsabteilung nicht vorgreifen.
Klarheit
3. Die Prüfungsabteilung hatte die funktionellen Merkmale Abbindezeit und Kristallisationsgeschwindigkeit in den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 3 als unklar beanstandet, weil sie nur das gewünschte Ergebnis definierten und weil der beanspruchte Klebstoff anderweitig durch seine chemische Zusammensetzung spezifiziert werden könne. Ferner seien die ursprünglich verwendeten Ausdrücke "wenige Sekunden bis wenige Tage" und "wasserarm" unklar.
3.1. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind funktionelle Merkmale, die ein technisches Ergebnis definieren, dann zulässig, wenn diese Merkmale ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre anders nicht objektiv präziser umschrieben werden können und wenn die funktionellen Merkmale dem Fachmann eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, die er mit zumutbaren Denkaufwand - wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört - ausführen kann (T 68/85 ABl. EPA 1987, 228, Rechtsprechung der Beschwerdekammern der Europäischen Patentamtes, 4. Auflage 2001, II.B.1.2.2 mit weiteren Nachweisen). Diese Rechtsprechung hat in den Prüfungsrichtlinien folgenden Niederschlag gefunden: "Sie (funktionelle Merkmale) sind aber statthaft, wenn die Erfindung entweder nur auf diese Weise beschrieben werden kann oder anderweitig nicht genauer definiert werden kann, ohne daß der Schutzbereich der Ansprüche über Gebühr eingeschränkt wird und das Ergebnis dergestalt ist, daß es durch Versuche oder Maßnahmen erreicht werden kann, die in der Beschreibung in angemessener Weise dargelegt oder dem Fachmann bekannt sind und keine unzumutbaren Experimente erfordern" (Richtlinien für die Prüfung im EPA, C-III,4.7, Juni 2000). Die Rechtsprechung und die ihr folgenden Prüfungsrichtlinien verknüpfen die Zulässigkeit solcher funktionellen Merkmale also an zwei Voraussetzungen, so daß zu überprüfen ist, ob diese erfüllt sind.
3.2. Vorab ist festzustellen, daß die Beschwerdeführerin die als unklar beanstandeten Ausdrücke "wasserfrei bzw. wasserarm" durch einen Wassergehalt von 0 bis 15 Gew.-% und den Ausdruck "wenige Sekunden bis wenige Tage" durch eine präzise Zeitangabe ersetzt hat.
3.3. Nach der Streitanmeldung kann man sich die Verklebung wie folgt vorstellen: Die kristallinen Bereiche werden durch mechanische Einwirkung mittels Reibung in eine amorphe Form überführt. Diese amorphe Form erzeugt die Klebrigkeit. Solange der Klebstoff nicht rekristallisiert, bleibt er haftklebrig. Nach der Rekristallisation verliert er seine Klebrigkeit und gewinnt seine endgültige Festigkeit (Seite 5, zweiter Absatz). Es liegt daher in der Klebefunktion des beanspruchten Klebstoffs begründet, diesen durch sein Kristallisationsverhalten und damit durch entsprechende physikalische Parameter zu charakterisieren. Dieses Verhalten des Klebstoffs ist durch die Merkmale des Anspruchs 3, nämlich die Teilkristallinität, den Kristallisationsgrad, die Schmelzenthalpie, die Kristallisationstemperatur und die Kristallisationsgeschwindigkeit genauer definiert.
3.3.1. Darüber hinaus ist der Klebstoff nunmehr auch stofflich durch seine chemische Zusammensetzung, insbesondere den Polymertyp charakterisiert, so daß die beanspruchte Erfindung auch auf andere Weise als nur durch funktionelle Merkmale definiert ist. Hierdurch wird aber bereits eine ausreichende Abgrenzung zu D1 erzielt (siehe nachstehend, Punkt 5.1). Eine weitergehende Präzisierung etwa durch genaue Mengen und/oder Anteile der Komponenten oder durch Aufnahme der in den Beispielen beschriebenen Zusammensetzungen würde hingegen zu einer ungebührlichen Einschränkung des Schutzumfanges führen. Daher kann die Erfindung beim derzeitigen Verfahrensstand durch die vorliegenden Ansprüche objektiv nicht präziser umschrieben werden.
3.3.2. Damit ist aber die erste Voraussetzung der Rechtsprechung erfüllt, nach der solche funktionellen Merkmale zugelassen werden können.
3.4. Die zweite Voraussetzung der vorstehenden Rechtsprechung hat die Kammer unter dem Gesichtpunkt der Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ nachstehend behandelt.
Ausführbarkeit
4. Hierbei ist die Frage zu beantworten, ob die Ansprüche mit den funktionelle Merkmalen eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, daß der Fachmann sie ausführen kann, wozu auch die Durchführung üblicher Versuche oder Experimente gehört. In diesem Zusammenhang war die Prüfungsabteilung der Auffassung, daß der Fachmann eine unzumutbare Vielzahl von Experimenten durchführen müsse, um außerhalb der Beispiele zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen (Punkt 4 der angegriffenen Entscheidung).
4.1. Der Klebstoff nach dem geänderten Anspruch 3 ist durch klar definierte physikalische Parameter und durch seine stoffliche Zusammensetzung charakterisiert. Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann in der Lage ist, Klebstoffzusammensetzungen im Umfang des Anspruchs 3 herzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung der Gesamtoffenbarungsgehalt der Anmeldung zu berücksichtigen.
4.2. Der beanspruchte Klebstoff ist nunmehr durch seine spezielle Zusammensetzung (Anteile des Klebstoffbindemittels und der Zusätze) sowie durch Angabe der chemischen Polymerklasse definiert (Polyester, Polyesteramid, Polyesterurethan), wobei er einen Wassergehalt von 15 Gew.-% nicht überschreiten darf. Die Polymeren enthalten Estergruppen im Polymergerüst und können daher als eine einheitliche Stoffgruppe betrachtet werden. Ferner sind diese Polymeren durch ihr Molekulargewicht gekennzeichnet und müssen darüber hinaus teilkristalline und amorphe Anteile enthalten.
Die chemische Zusammensetzung der Polymeren ist durch weitere detaillierte Angaben in der Beschreibung einschließlich ihrer Herstellung erläutert (ursprüngliche Ansprüche 5 bis 7; Beschreibung Seiten 7 bis 14), wobei die Ausgangspolymeren für den Klebstoff meist übliche Handelsprodukte sind (Seite 16 bis 19). Der Fachmann kann entweder solche Ausgangspolymeren selbst herstellen oder einfach solche Produkte käuflich erwerben. Mit solchen Ausgangspolymeren und ggf. mit den in der Beschreibung erläuterten Zusätzen ist er in der Lage, auch außerhalb der Beispiele Klebstoffzusammensetzungen im beanspruchten Umfang zu formulieren, da dies zu seinen Routineaufgaben gehört.
4.3. Darüber hinaus ist der Klebstoff durch physikalische Parameter definiert, die im Anspruch 3 zusätzlich durch die Angabe ihrer Meßmethoden näher charakterisiert sind. Hiernach wird der Kristallisationsgrad, dem eine Schmelzenthalpie zugeordnet ist, ebenso wie die Kristallisationstemperatur durch "DSC" bestimmt. Die Kristallisationsgeschwindigkeit wird durch Beobachtung in einem "Polarisationsmikroskop" festgestellt. Nach den Angaben der sachkundigen Anmelderin werden beide Meßmethoden als Standardprüfverfahren bei Klebstoffen eingesetzt und sind daher dem Fachmann vertraut. Darüber hinaus gibt es nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin Tabellenwerke, in der Daten über das Kristallisationsverhalten gemäß den beanspruchten Merkmalen a) und b) für die Ausgangspolymeren zu finden sind. Weitere Details über die Messung der Kristallinität sind auf den Seiten 26 und 27 unter den Abschnitten 1 "Verklebungen" und 2 "Durchgeführte Teste auf", in den Absätzen e) Kristallinität und f) Abbindeverhalten beschrieben und durch die Testergebnisse an einer Vielzahl von untersuchten Klebstoffzusammensetzungen belegt (Tabellen 2 und 3, Seiten 29 bis 31). Unter den allgemeinen Klebebedingungen ist der Druck (500 kPa), die Geschwindigkeit (100 cm/sec), die Filmstärke (50 µm) und die Raumtemperatur (20°C, siehe Anspruch 2) angegeben.
4.3.1. Die vorstehend genannten Klebebedingungen liegen innerhalb des im Anspruch 2 angegebenen Rahmens. Nach Auffassung der Kammer sind solche detaillierten Angaben zwar für die Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ wichtig, brauchen aber aus Gründen der Klarheit zur Festlegung des Schutzumfangs nicht in die Ansprüche 1 und 3 aufgenommen zu werden.
4.4. Die vorstehend erläuterte stoffliche Charakterisierung des Klebstoffs steckt nun den Rahmen ab, in dem der Fachmann Formulierungen herstellen und daran routinemäßige Versuche durchführen kann. Der Fachmann kann auf Grund der Anmeldungsbeschreibung mit hinreichender Aussicht auf Erfolg feststellen, ob die Klebstoffe das geeignete Kristallisationsverhalten erfüllen, wie es durch die physikalischen Parameter, insbesondere die Kristallisationsgeschwindigkeit und die Abbindezeit definiert ist. Damit ist die Erfindung aber so deutlich und vollständig offenbart, daß der Gegenstand der Ansprüche auch in ihrem gesamten Umfang ausführbar ist (vgl. T 435/91, ABl. EPA, 1995, 188).
4.5. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß auch die in der Rechtsprechung und den Prüfungslinien C-III, 4.7 vorgesehene zweite Voraussetzung für die Zulassung von funktionellen Merkmalen durch die jetzt vorliegenden Ansprüche 1 und 3 erfüllt ist. Daher ist auch die hierauf gestützte Beanstandung ausgeräumt.
Neuheit
5. D1 beschreibt eine feste, reibfähige Klebstoffzusammensetzung, die aus etwa 25 bis 40 Gew.-% weichem Polypropylen, etwa 3 bis 13 Gew.-% Kolophonium, 2 bis 10. Gew.-% eines Glykols mit einem Schmelzpunkt im Bereich von 60. bis 70°C und etwa 33 bis 62 Gew.-% einer Wachsmischung besteht (Anspruch 1). Der Klebstoff besteht nach einer bevorzugten Ausgestaltung aus folgenden Bestandteilen: 33.8. Gew.-% amorphes, weiches Polypropylen, 5.0 Gew.-% amorphes, hartes Polypropylen, 8.0 Gew.-% hellfarbiges Kolophonium, 5.0 Gew.-% Vicinalglycol, 27.0 Gew.-% weißes Ceresinwachs, 16.0 Gew.-% hartes Mikrokristallinwachs, 5.0. Gew.-% hartes Wachs und 0.2 Gew.-% oxidationsverzögerndes Mittel (Anspruch 9).
Der Klebstoff liegt in Form eines Stiftes oder Stabes vor, der weich und flüssig gemacht wird, indem der Stab an einer Fläche gerieben wird. Durch die Reibung entsteht die notwendige Wärme, um den Klebstoff aufzuweichen, damit er schnell und gleichmäßig auf die gewünschte Stelle aufgetragen wird (Seite 2, zweiter Absatz).
5.1. Der beanspruchte Klebstoff enthält hingegen als Bestandteile a) mindestens einen teilkristallinen und b) mindestens einen amorphen und/oder flüssigen Polyester, Polyesteramid oder Polyesterurethan mit Molekulargewichten MGw von 1000 bis 20000, die in den bekannten Klebstoffen nicht vorhanden sind. Da sich hierdurch der Gegenstand von Anspruch 1. und 3 eindeutig von D1 unterscheiden läßt, braucht auch nicht untersucht zu werden, ob gegebenenfalls weitere Unterschiede vorhanden sind.
5.2. Daher ist der Neuheitseinwand gegenüber D1 ausgeräumt.
Erfinderische Tätigkeit
6. Obwohl die Prüfungsabteilung die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf D1 (allein) verneint hatte, ist diese Auffassung auf Grund der vorgenommenen Änderungen schon wegen der unterschiedlichen stofflichen Zusammensetzung der Klebstoffe nicht mehr haltbar. Da sich die Frage der erfinderischen Tätigkeit durch die geänderte Anspruchsfassung in einem vollkommen neuen Licht darstellt, ist sie erneut zu prüfen.
7. Da die Einwände der Prüfungsabteilung nach den Artikeln 84 und 54 EPÜ durch die Neufassung der Ansprüche ausgeräumt sind, und die erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) erneut zu überprüfen ist, hält es die Kammer im Rahmen ihres Ermessen nach Artikel 111 (2) EPÜ für zweckmäßig, daß die Prüfungsabteilung die abschließende formelle und sachliche Prüfung der geänderten Anspruchsfassung durchführt. In diesem Zusammenhang wird auch eine Umstellung der Ansprüche im Hinblick auf die Bezugnahme in Anspruch 1 auf Anspruch 3 zu prüfen sein.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.