T 0019/90 (Krebsmaus) of 3.10.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T001990.19901003
Datum der Entscheidung: 03 October 1990
Aktenzeichen: T 0019/90
Anmeldenummer: 85304490.7
IPC-Klasse: C12N 15/00
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Harvard
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: 1. Die Ausnahme von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 b) EPÜ gilt für bestimmte Gruppen von Tieren, jedoch nicht für Tiere an sich.
2. Insbesondere bei der Genmanipulation von Tieren, bei der - wie hier - ein aktiviertes Onkogen inseriert wird, ist es aus zwingenden Gründen geboten, bei der Prüfung auf Patentierbarkeit Artikel 53 a) EPÜ zu berücksichtigen.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 53(a)
European Patent Convention 1973 Art 53(b)
European Patent Convention 1973 Art 83
Schlagwörter: Patentierbarkeit von Tieren
Genmanipulation von Tieren - gute Sitten
Transgene Tiere
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0001/98
G 0002/12
G 0002/13
G 0003/19
J 0018/99
T 0435/91
T 0242/92
T 0612/92
T 0694/92
T 0820/92
T 0149/93
T 0356/93
T 0020/94
T 0199/94
T 0383/94
T 0386/94
T 1054/96
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T 0743/97
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T 0036/00
T 0363/00
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T 0751/00
T 1084/00
T 0008/01
T 0351/01
T 0423/01
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T 1740/08
T 1904/08
T 2006/08
T 2224/08
T 0018/09
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T 1150/09
T 2101/09
T 0034/10
T 0915/10
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T 1383/10
T 1846/10
T 2329/10
T 2533/10
T 0247/11
T 0348/11
T 2232/11
T 0284/12
T 1224/12
T 1825/12
T 2220/12
T 0305/13
T 1045/13
T 2374/13
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T 1089/15
T 1553/15
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T 2607/16
T 0259/17
T 0291/17
T 0720/17
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T 1153/17
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T 2178/17
T 2341/17
T 0241/18
T 0395/18
T 1683/18
T 2432/18
T 0494/19
T 2131/19
T 2586/19
T 2623/19
T 2904/19
T 0479/20
T 0594/20
T 0669/20
T 0776/20
T 1333/20
T 1688/20
T 1076/21
T 1227/21
T 0642/22
T 1329/22
T 1502/22
T 1608/22
T 1786/22
T 1854/22
T 0081/23
T 0451/23

Sachverhalt und Anträge

I. Die unter der Nummer 0 169 672 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 85 304 490.7 wurde von der Prüfungsabteilung mit Entscheidung vom 14. Juli 1989 (ABl. EPA 1989, 451) zurückgewiesen. Die zurückgewiesene Anmeldung umfaßte 19 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1, 17 und 18 wie folgt lauteten:

"1. Verfahren zur Erzeugung eines transgenen nichtmenschlichen Säugers mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Neoplasmen, bei dem spätestens im Achtzellenstadium eine aktivierte Onkogen- Sequenz in einen nichtmenschlichen Säuger eingeschleust wird

17. Transgener nichtmenschlicher Säuger, dessen Keim- und somatische Zellen eine aktivierte Onkogen-Sequenz enthalten, die spätestens im Achtzellenstadium in dieses Tier oder einen seiner Vorfahren eingeschleust worden ist, wobei das Onkogen wahlweise nach einem der Ansprüche 3 bis 10 näher definiert ist

18. Tier nach Anspruch 17, das ein Nager ist."

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Anmeldung den Anforderungen der Artikel 53 b) und 83 EPÜ nicht entspreche. Ferner wurde die Relevanz des Artikels 53 a) EPÜ diskutiert. Die wichtigsten Argumente lauteten wie folgt:

a) Die Frage der Nacharbeitbarkeit (Erfüllung des Artikels 83 EPÜ) sei in der Sache T 226/85 (ABl. EPA 1988, 336) dahingehend entschieden worden, daß Artikel 83 EPÜ nur dann erfüllt sei, wenn im wesentlichen alle Ausführungsarten der in dem am weitesten gefaßten Anspruch definierten Erfindung anhand der konkreten Offenbarung ausgeführt werden könnten. Die oben wiedergegebenen Ansprüche seien in der Beschreibung auf nichtmenschliche Säuger - also nicht nur auf Mäuse, sondern z. B. auch auf Affen und Elefanten - gerichtet, in deren Erbgut ein einziges, bestimmtes Onkogen, das myc-Gen, gentechnisch eingeschleust worden sei. Diese hätten jedoch eine stark unterschiedliche Zahl von Genen und ein unterschiedlich entwickeltes Immunsystem; es sei deshalb nicht anzunehmen, daß das einzige in der Patentanmeldung beschriebene Beispiel, bei dem es um Mäuse gehe, auf alle anderen Säuger übertragen werden könne. Diese Auffassung werde durch die vom Erfinder vor dem Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten abgegebene Erklärung bestätigt, daß es in der Tat äußerst überraschend gewesen sei, daß das in der Anmeldung beschriebene Experiment zu dem gewünschten Ergebnis geführt habe. In der Erklärung seien auch die Gründe genannt, weshalb der Erfinder mit einem Fehlschlag gerechnet habe. Es sei somit unwahrscheinlich, daß dieselbe Genmanipulation auch bei anderen Säugern ohne erfinderische Leistung erfolgreich durchgeführt werden könne.

b) Bei der Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ sei zu bedenken, daß dieser nahezu wörtlich aus dem Straßburger Übereinkommen übernommen worden sei. Das Übereinkommen stamme aus dem Jahr 1963; damals sei die Patentierung transgener Tiere kaum vorstellbar gewesen. Bei der Auslegung des Artikels müsse man jedoch bedenken, was die Verfasser seinerzeit damit bezwecken wollten. Das Straßburger Übereinkommen stelle es den Vertragsstaaten frei, bestimmte Tiergruppen (animal varieties) vom Patentschutz auszuschließen. Nach Auffassung der Prüfungsabteilung stehe hinter diesem Ausschluß der Gedanke, daß diese Tiergruppen keine geeigneten Objekte für den Patentschutz seien. Diese Auffassung werde dadurch bestätigt, daß für den Ausschluß von Tieren nach Artikel 53 b) EPÜ in den drei Sprachen unterschiedliche taxonomische Begriffe verwendet würden: "Tierarten", "animal varieties" und "races animales". Sie komme zu dem Schluß, daß es dem Gesetzgeber um ein generelles Patentierungsverbot für Tiere gegangen sei. Die Prüfungsabteilung habe dann untersucht, inwieweit der in Artikel 53 b) EPÜ enthaltene Ausschluß von "im wesentlichen biologischen Verfahren" von der Patentierbarkeit zur Anwendung komme, und sei zu der Auffassung gelangt, daß diese Ausschlußbestimmung unter Berücksichtigung der Entscheidung T 320/87 (ABl. EPA 1990, 71) eng auszulegen und nach dem Wesen der Erfindung zu beurteilen sei. Das Wesen der vorliegenden Verfahrenserfindung bestehe im Einschleusen eines Onkogens in ein Tier durch technische Mittel wie z. B. die Mikroinjektion. Da diese eindeutig nicht "im wesentlichen biologisch" sei, sei auch kein Einwand nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ gegen die Verfahrensansprüche erhoben worden. Bei den Erzeugnisansprüchen 17 und 18 habe sich hingegen die Frage gestellt, ob sie unter die Ausschlußbestimmung des Artikels 53 b) zweiter Halbsatz EPÜ fielen. Es habe sich gezeigt, daß sie zwei verschiedene Verfahrensschritte enthielten, nämlich den bereits erwähnten nichtbiologischen und einen rein züchterischen Verfahrensschritt. Beide Schritte führten zu zwei verschiedenen Erzeugnissen. Tiere, die selbst genetisch manipuliert worden seien, seien Erzeugnisse eines im wesentlichen nichtbiologischen Verfahrens, während die späteren Generationen das Erzeugnis einer geschlechtlichen und damit ausschließlich biologischen Fortpflanzung seien. Letztere seien deshalb nicht patentierbar im Sinne des Artikels 53 b) erster Halbsatz EPÜ. Selbst wenn das Argument des Beschwerdeführers richtig sei, daß das Verfahren als Ganzes im wesentlichen nicht biologisch sei, würden die Erzeugnisansprüche dadurch nicht gewährbar; nur Erzeugnisse mikrobiologischer Verfahren im Sinne des Artikels 53 b) zweiter Halbsatz EPÜ seien patentierbar. Der zweite Halbsatz müsse jedoch in Verbindung mit dem ersten gesehen werden; wenn das Erzeugnis eines Verfahrens nach dem ersten Teil dieses Artikels offenkundig ausgeschlossen sei, dann könne der zweite Teil nicht so ausgelegt werden, daß er den ersten aufhebe.

c) Die Prüfungsabteilung sei auch der Meinung, daß Artikel 53 a) EPÜ berücksichtigt werden müsse, der Erfindungen vom Patentschutz ausschließe, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die "öffentliche Ordnung" oder die guten Sitten verstießen; so sei etwa in den Vereinigten Staaten die Patentierung höherer Lebewesen aus ethischen Gründen scharf kritisiert worden. Die Prüfungsabteilung habe in diesem Zusammenhang folgende konkrete Fragen untersucht:

- Sollten Krebsversuche der vorliegenden Art nicht besser an nichttierischen Objekten vorgenommen werden?

- Die vorliegende Erfindung zielt nicht auf die Verbesserung bestimmter Merkmale, sondern auf die Erzeugung von Tumoren bei den Versuchstieren ab.

- Tiere werden als Sachen betrachtet.

- Nachkommen der transgenen Tiere könnten aus den Labors entweichen und die malignen Fremdgene durch Paarung verbreiten.

- Wird hier nicht drastisch in die Evolution eingegriffen?

Die Prüfungsabteilung gelangte zu dem Schluß, daß das Patentrecht nicht das richtige Rechtsinstrument zur Lösung der potentiellen Probleme sei.

III. Der Beschwerdeführer legte gegen die Zurückweisung seiner Anmeldung Beschwerde ein.

IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte er vier Anspruchssätze ein: einen Hauptantrag und drei Hilfsanträge. Die Ansprüche 1 und 19 des Haupt- und des ersten Hilfsantrags lauten wie folgt:

Hauptantrag:

"1. Verfahren zur Erzeugung eines transgenen nichtmenschlichen Säugers mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Neoplasmen, das den chromosomalen Einbau einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom eines nichtmenschlichen Säugers umfaßt 19. Transgener nichtmenschlicher Säuger, dessen Keim- und somatische Zellen als Ergebnis eines chromosomalen Einbaus in das Genom des Tieres oder das eines seiner Vorfahren eine aktivierte Onkogen-Sequenz enthalten, wobei das Onkogen wahlweise nach einem der Ansprüche 3 bis 10 näher definiert ist."

Erster Hilfsantrag:

"1. Verfahren zur Erzeugung eines transgenen nichtmenschlichen Säugers mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Neoplasmen, das die Einschleusung einer aktivierten Onkogen-Sequenz in einen nichtmenschlichen Säuger im Embryonalstadium umfaßt 19. Transgener nichtmenschlicher Säuger, dessen Keim- und somatische Zellen eine aktivierte Onkogen-Sequenz enthalten, die in dieses Tier oder einen seiner Vorfahren im Embryonalstadium eingeführt worden ist, wobei das Onkogen wahlweise nach einem der Ansprüche 3 bis 10 näher definiert ist"

Die Anspruchssätze nach dem dritten und vierten Hilfsantrag entsprechen denen des Haupt- und des Hilfsantrags, die von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurden.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers läßt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zu Artikel 83 EPÜ:

Die in Frage stehenden unabhängigen Ansprüche aller neu eingereichten Anträge seien auf das Einführen einer Onkogen- Sequenz in nichtmenschliche Säuger oder auf in dieser Weise genmanipulierte Säuger gerichtet. Die Breite der verwendeten Begriffe stelle eine zulässige Extrapolation der tatsächlich durchgeführten Experimente dar, die in der Beschreibung ausführlich dargelegt seien. Die Prüfungsabteilung habe die vom Erfinder vor dem Patent- und Markenamt der Vereinigten Staaten abgegebene Erklärung völlig zu Unrecht dahingehend verstanden, daß der überraschende Erfolg des beanspruchten Verfahrens mit Mäusen darauf schließen lasse, daß das Verfahren bei anderen Säugern nicht funktioniere. Sie bedeute im Gegenteil, daß das beanspruchte Verfahren nunmehr auch bei allen anderen Säugern angewandt werden könne. Die genetischen Systeme von Säugern seien, von einigen unwesentlichen Abweichungen abgesehen, einander im großen und ganzen ähnlich. Zur Stützung dieser Auffassung zitierte der Beschwerdeführer andere Wissenschaftler, die vorgeschlagen hätten, daß die Arbeit des Erfinders zum besseren Verständnis der Onkogenese mit anderen Säugerarten fortgesetzt werde. Das EPÜ verlange nicht die Beschreibung aller denkbaren Ausführungsarten, die unter einen verallgemeinernden, breiten Anspruch fielen. Die Techniken seien relativ einfach und spielten sich in einem Bereich ab, in dem in dieser Hinsicht kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Säugerarten gemacht werden könnten.

Der Beschwerdeführer analysierte dann die Auslegung des Artikels 83 EPÜ in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere in den Entscheidungen T 226/85 (siehe oben), T 281/86 (ABl. EPA 1989, 202), T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275) und T 301/87 (ABl. EPA 1990, 335). Hier sei insoweit eine übereinstimmende Linie zu erkennen, als in der Beschreibung nicht jede einzelne unter einen breiten Anspruch fallende Ausführungsart im Detail dargelegt werden müsse, solange für den Fachmann aus der Beschreibung klar hervorgehe, wie er zu dem im Anspruch angegebenen Ergebnis gelangen könne. Dies gelte auch dann, wenn die eine oder andere Variante nicht oder nicht besonders gut geeignet sei oder bestimmte Möglichkeiten, die unter den Anspruch fielen, noch gar nicht existierten, solange der Fachmann dies erkennen könne. Wenn keine Beweismittel wie z. B. Vergleichstests oder Literatur vorhanden seien, aus denen hervorgehe, daß bestimmte unter einen verallgemeinernden Anspruch fallende Ausführungsarten nicht - oder nicht auf die in der Anmeldung beschriebene Weise - ausgeführt werden könnten, bestehe für die Prüfungsabteilung keine Veranlassung, den Anspruch anzuzweifeln, selbst wenn in der Beschreibung nur ein einziges Beispiel angegeben sei.

Im Verfahren vor der Prüfungsabteilung habe der Beschwerdeführer eine Reihe von Literaturstellen vorgelegt, die zeigten, daß andere transgene Tiere als Mäuse hergestellt werden könnten und auch hergestellt worden seien, daß Gene einer Säugerart zur Erzeugung transgener Tiere einer anderen Säugerart benutzt worden seien und daß ein Onkogen in einer Säugerart im wesentlichen genauso reagiere wie in einer anderen, woraus zu schließen sei, daß die Art des Onkogens nicht ausschlaggebend sei. Wichtig sei vielmehr, ob der Fachmann die in der Beschreibung der Anmeldung enthaltene Lehre auf andere Säuger übertragen könne. Dies sei der Fall.

Wenn die Kammer der bisherigen Rechtsprechung folge, so müsse sie die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufheben; sollte sie sich dazu nicht in der Lage sehen, so beantrage der Beschwerdeführer, daß der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Frage vorgelegt werde:

"Wie weit muß im Hinblick auf Artikel 83 EPÜ glaubhaft gemacht werden, daß die unter einen Anspruch fallenden Ausführungsarten der Erfindung vom Fachmann nachgearbeitet werden können?"

b) Zu dem von der Prüfungsabteilung für die Zurückweisung der Anmeldung angegebenen Grund - Art. 53 b) EPÜ - machte der Beschwerdeführer geltend, daß nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern Patente für alle Erfindungen erteilt werden sollten, die den allgemeinen Anforderungen des EPÜ entsprächen; wo die rechtlichen Bestimmungen nicht eindeutig seien und eine Auslegung zuließen, sollten die Ausnahmen von der Patentierbarkeit eng ausgelegt werden. Die einschlägigen Entscheidungen seien G 5/83 (ABl. EPA 1985, 64), T 49/83 (ABl. EPA 1984, 112), T 385/86 (ABl. EPA 1988, 308) und T 320/87 (siehe oben). Die vorliegende Anmeldung biete die Gelegenheit, diese Rechtsprechung weiterzuentwickeln, da die Bedeutung des Artikels 53 b) EPÜ unklar sei. Die angefochtene Entscheidung lege die Ausnahmebestimmung nach Artikel 53 b) EPÜ weit aus und weiche damit von dem oben genannten Grundsatz ab. Dies stehe insbesondere im Gegensatz zur Entscheidung T 49/83 (siehe oben), in der festgestellt worden sei, daß ein genereller Ausschluß von Erfindungen im Bereich der belebten Natur aus dem Europäischen Patentübereinkommen nicht ableitbar sei.

Vor allem sei der Schluß der Prüfungsabteilung falsch, daß die in den drei Amtssprachen voneinander abweichenden Begriffe für nichtpatentierbare Gegenstände klar erkennen ließen, daß der Gesetzgeber Tiere allgemein von der Patentierung ausnehmen wollte. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte er dies zweifellos unzweideutig ausdrücken können.

Das gesamte in den neu eingereichten Ansprüchen definierte Verfahren sei im wesentlichen nicht biologisch. Die Prüfungsabteilung habe dies bereits für denjenigen Teil des Verfahrens anerkannt, der die Mikroinjektion der Onkogen- Sequenzen in den Embryo in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung beinhalte. Dieser technische Vorgang sei aber so wesentlich für die Erfindung selbst und für ihre Wirkung auf die Nachkommen der ersten genmanipulierten Tiere, daß das gesamte in den Erzeugnisansprüchen versteckt enthaltene Verfahren nicht als "im wesentlichen biologisch" im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ anzusehen sei.

Die Erfindung sei jedenfalls fraglos ein "mikrobiologisches Verfahren". Das beherrschende Merkmal sowohl des Verfahrens als auch des Erzeugnisses sei die Genmanipulation, die ohne Zweifel mikrobiologischer und technischer Natur sei. Die Auffassung der Prüfungsabteilung schließlich, daß eine Ausschlußbestimmung nicht durch eine andere aufgehoben werden könne, sei rechtlich unhaltbar. Es könne nicht richtig sein, daß Gegenständen, die nach Artikel 53 b) EPÜ ausdrücklich für patentfähig erklärt würden (mikrobiologische Verfahren und ihre Erzeugnisse), der Patentschutz mit der Begründung verweigert werde, daß die betreffenden Erzeugnisse in einem anderen Teil der Bestimmung vom Patentschutz ausgeschlossen würden.

Der Beschwerdeführer beantragte, daß der Großen Beschwerdekammer folgende Frage vorgelegt wird:

"Inwieweit (wenn überhaupt) erlaubt die Ausschlußbestimmung des Artikels 53 b) EPÜ, soweit sie sich auf 'Tiere' bezieht, einen Patentschutz für Tiere?"

V. Das große Interesse der Öffentlichkeit an diesem Fall wird daraus ersichtlich, daß zahlreiche Dritte Einwendungen nach Artikel 115 (1) EPÜ eingereicht haben, in denen sie zumeist ihrer tiefen Besorgnis über die Genmanipulation von Tieren Ausdruck gaben.

VI. Der Beschwerdeführer hat beantragt, daß die Anmeldung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage eines der im Beschwerdeverfahren eingereichten Anspruchssätze an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen wird.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neue Ansprüche im Beschwerdeverfahren (Artikel 123 (2) EPÜ) Mit der Beschwerdebegründung hat der Beschwerdeführer vier Anspruchssätze eingereicht, wobei Satz A Gegenstand des Hauptantrags ist und die Sätze B, C und D Gegenstand der Hilfsanträge 1 bis 3 sind. Während die Sätze C und D die mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesenen Ansprüche enthalten, beansprucht der Beschwerdeführer in Satz A die chromosomale Einfügung einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom eines nichtmenschlichen Säugers und in Satz B die Einführung einer aktivierten Onkogen-Sequenz in einen nichtmenschlichen Säuger im Embryonalstadium. Diese Änderungen werden durch die ursprünglich eingereichte Beschreibung, Seite 2, Zeilen 4 bis 14 gestützt. Obwohl dieser Teil der Beschreibung den Begriff "Genom", der nunmehr im Hauptanspruch des Hauptantrags verwendet wird, nicht wörtlich enthält, ergibt er sich implizit aus dem Hinweis darauf, daß die Onkogen-Sequenz "chromosomal" oder "in das Chromosom" eingebaut wird, weil das Genom höherer Lebewesen nichts anderes als die Gesamtheit ihrer Chromosomen ist. Die Änderungen sind somit nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig.

3. Ausreichende Offenbarung (Artikel 83 EPÜ)

3.1. Anspruch 1 des Hauptantrags ist auf den Einbau einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom nichtmenschlicher Säuger im allgemeinen gerichtet. Der unabhängige Anspruch 19 bezieht sich auf nichtmenschliche Säuger im allgemeinen, die in dieser Weise genetisch verändert worden sind. In der Beschreibung der Patentanmeldung wird als bevorzugte Ausführungsform eine aktivierte Onkogen-Sequenz, nämlich das myc-Gen der Maus, und dessen Insertion in ein für das gewünschte Verfahren geeignetes Plasmid genannt, an die sich eine Mikroinjektion in Mäuseeier im Einzellstadium anschließt; sodann erfolgt die Aufzucht der Tiere und die Analyse des inserierten und gegebenenfalls aktiven Gens.

3.2. Wie die Prüfungsabteilung in der angefochtenen Entscheidung festgestellt hat, bezieht sich die beanspruchte Erfindung auf alle nichtmenschlichen Säuger, während die in den Beispielen beschriebene Erfindung nur an Mäusen durchgeführt worden ist. Unter diesen Umständen erschien es der Prüfungsabteilung nicht glaubhaft, daß der Fachmann die an Mäusen durchgeführte Erfindung auch an allen anderen nichtmenschlichen Säugerarten erfolgreich hätte durchführen können. Die Prüfungsabteilung wies deshalb die Anmeldung unter anderem mit der Begründung zurück, daß die Ansprüche eine unrealistische Breite aufwiesen.

3.3. Die bloße Tatsache, daß ein Anspruch weit gefaßt ist, ist jedoch an sich noch kein Grund zu der Annahme, daß die Anmeldung das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt. Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung erhoben werden. Obwohl die Prüfungsabteilung zu Recht festgestellt hat, daß einige andere nichtmenschliche Säuger als Mäuse eine völlig andere Genzahl und ein anderes Immunsystem aufweisen, so folgt daraus nicht zwangsläufig, daß die Erfindung nicht auch an diesen Tieren durchgeführt werden kann. Aus mindestens einer Quelle (Palmiter & Brinster, Ann. Rev. Genet. 1986, 20; 465 - 499) kann geschlossen werden, daß der Fachmann durchaus in der Lage wäre, die Erfindung bei anderen nichtmenschlichen Säugern als Mäusen durchzuführen. Auch der Kammer selbst sind keine nachprüfbaren Fakten bekannt, die die Nacharbeitbarkeit der beanspruchten Erfindung durch den Fachmann ernsthaft in Frage stellen könnten.

3.4. Der Einwand der Prüfungsabteilung gegen das Vorliegen einer ausreichenden Offenbarung wurde durch ihren Hinweis in der angefochtenen Entscheidung auf die Erklärung, die der Miterfinder Philip Leder am 29. Dezember 1988 im Verfahren zu der parallelen US-Anmeldung abgegeben hat, kaum ausreichend begründet. In dieser Erklärung gab der Miterfinder an, daß die positiven Ergebnisse mit der Maus insofern überraschend gewesen seien, als er aus mehreren Gründen mit einem Fehlschlag gerechnet habe. Seine Überraschung über den erzielten Erfolg ist nach Auffassung der Kammer darauf zurückzuführen, daß die Erfindung überhaupt ausgeführt werden konnte, und nicht darauf, daß dies gerade mit einer Maus gelungen ist.

3.5. Die Auffassung der Prüfungsabteilung, daß die Ansprüche gewährbar wären, wenn sie nicht auf Säuger im allgemeinen gerichtet, sondern auf Nager beschränkt wären, steht augenscheinlich nicht in Einklang mit ihrer unter Nummer 3.2 genannten Argumentation. Auch dürfte diesem Gedanken die willkürliche Vermutung zugrunde liegen, daß sich alle Nager hinsichtlich der Durchführung der Erfindung ebenso verhalten wie Mäuse. Solange das EPA jedoch keine überzeugenden Argumente gegen den Umfang der beanspruchten Erfindung vorbringen kann, kann es auch keine Beschränkung der Ansprüche verlangen. In diesem Zusammenhang sollte auch berücksichtigt werden, daß ein Anmelder, der ein Patent beantragt und erhält, das den Anforderungen des Artikels 83 EPÜ nicht entspricht, in einem späteren Einspruchsverfahren und/oder nationalen Nichtigkeitsverfahren ein erhöhtes Risiko trägt.

3.6. Die Entscheidung in der Sache T 226/85 (s. oben) ist nach Auffassung der Kammer hier nicht relevant. In jenem Fall stellte die Kammer fest, daß die Offenbarung nicht ausreichend war, weil die Anmeldung nicht genügend Informationen enthielt. Die Erfindung konnte - wenn überhaupt - nur mit Glück nachgearbeitet werden. Im vorliegenden Fall jedoch wird nicht bestritten, daß die Angaben in der Anmeldung zur Ausführung der Erfindung zumindest an Mäusen ausreichen.

3.7. Die Prüfungsabteilung hat auch die Auffassung vertreten, daß die Entscheidung in der Sache T 292/85 (s. oben), auf die sich der Beschwerdeführer berufen hatte, hier irrelevant sei. In jener Entscheidung ging es um eine gentechnische Erfindung zur Polypeptidexpression. Einwände wegen unzureichender Offenbarung waren gegen den weiten Begriff "Bakterien" erhoben worden, weil dieser Begriff ungeeignete Spezies oder Varianten einschließen könnte. Die Kammer vertrat damals die Auffassung, daß die Unbrauchbarkeit nicht näher bezeichneter Varianten unerheblich sei, solange dem Fachmann aufgrund der Offenbarung oder seines allgemeinen Fachwissens geeignete Varianten bekannt seien. Eine biologische Erfindung sei hinreichend offenbart, wenn mindestens ein Weg deutlich aufgezeigt werde, wie der Fachmann die Erfindung ausführen könne.

3.8. Die Kammer ist im Gegensatz zur Prüfungsabteilung der Auffassung, daß die obige Entscheidung auch auf den vorliegenden Fall angewandt werden kann. Die Erfindung gibt ganz klar an, wie der Fachman eine aktivierte Onkogen-Sequenz chromosomal in das Genom eines nichtmenschlichen Säugers einschleusen kann, und legt dies anhand des aktivierten myc-Gens einer Maus dar, das in ein geeignetes Plasmid eingebracht und dann durch Mikroinjektion in Mäuseeier in einem bestimmten Zellstadium eingeschleust wird. Zum einen ist damit die Nacharbeitbarkeit der Erfindung mit Mäusen sichergestellt. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, daß dem Fachmann - wie in der Sache T 292/85 - andere geeignete Säuger bekannt sind, an denen sich die Erfindung ähnlich erfolgreich ausführen läßt. Es besteht somit keine Veranlassung, die Anmeldung mit der Begründung zurückzuweisen, daß sie eine Verallgemeinerung von Mäusen im besonderen - auf die sich die Anmeldung bezieht - auf Säuger im allgemeinen enthält.

3.9. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Erfindung nach Auffassung der Kammer im Sinne des Artikels 83 ausreichend offenbart ist.

4. Ausnahmen von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 b) EPÜ

4.1. Die vorliegende Patentanmeldung bezieht sich unter anderem auf genmanipulierte nichtmenschliche Säuger. Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ lautet in der deutschen, englischen und französischen Fassung wie folgt:

"Europäische Patente werden nicht erteilt für:

a) ...

b) Pflanzensorten oder Tierarten sowie für im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren"

"European patents shall not be granted in respect of:

a) ...

b) plant or animal varieties or essentially biological processes for the production of plants or animals"

"Les brevets européens ne sont pas délivrés pour :

a) ...

b) les variétés végétales ou les races animales ainsi que les procédés essentiellement biologiques d'obtention de végétaux ou d'animaux"

4.2. Wie von der Prüfungsabteilung festgestellt, weichen die drei Fassungen des Artikels 53 b) EPÜ in den Begriffen voneinander ab, die zur Bezeichnung der nichtpatentierbaren Bereiche gewählt worden sind. So ist insbesondere der deutsche Begriff "Tierarten" breiter als der englische "animal varieties" und der französische "races animales".

4.3. Artikel 177 (1) EPÜ bestimmt, daß die deutsche, die englische und die französische Fassung des EPÜ gleichermaßen verbindlich sind. Im vorliegenden Fall muß also die gemeinsame Bedeutung dieser drei Fassungen im Wege der Auslegung des Übereinkommens ermittelt werden, um feststellen zu können, inwieweit Tiere nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sind.

4.4. In der angefochtenen Entscheidung legte die Prüfungsabteilung Artikel 53 b) EPÜ dahingehend aus, daß er nicht nur bestimmte Gruppen von Tieren, sondern tatsächlich Tiere als solche vom Patentschutz ausschließt. Die Kammer kann diese Auslegung nicht gelten lassen.

4.5. Erstens hat die Prüfungsabteilung nicht berücksichtigt, daß Artikel 53 b) EPÜ für bestimmte Arten von Erfindungen eine Ausnahme von der allgemeinen Regel nach Artikel 52 (1) EPÜ darstellt, wonach "europäische Patente für Erfindungen erteilt werden", die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Eine solche Ausnahmebestimmung muß, wie von der Kammer wiederholt festgestellt worden ist, eng ausgelegt werden (vgl. insbesondere T 320/87, Nummer 6, ABl. EPA 1990, 71). Weder hat die Prüfungsabteilung überzeugend dargelegt, weshalb sie in diesem besonderen Falle von diesem Auslegungsgrundsatz abgewichen ist, noch sind solche Gründe für die Kammer ersichtlich.

4.6. Daß die Bezugnahme auf bestimmte Tiergruppen anstatt auf Tiere generell ein bloßes Versehen des Gesetzgebers ist, kann ausgeschlossen werden. Anhaltspunkte für eine solche Annahme bieten weder die Materialien zum EPÜ noch die zum Straßburger Übereinkommen zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente vom 27. November 1963, dessen Artikel 2 b) als Artikel 53 b) in das EPÜ übernommen worden ist. Der Wortlaut des Artikels 53 b) EPÜ selbst gibt vielmehr einen klaren Hinweis darauf, daß mit den Begriffen "Tierarten", "animal varieties" und "races animales" nicht Tiere als solche gemeint waren. Dieselbe Bestimmung enthält nämlich, wie unter Nummer 4.1 erwähnt, eine Bezugnahme auf "Tiere" (im allgemeinen). Wenn der Gesetzgeber also unterschiedliche Begriffe, nämlich "Tierarten" ("animal varieties", "races animales") und "Tiere" ("animals", "animaux") verwendet hat, kann ausgeschlossen werden, daß in beiden Fällen "Tiere" gemeint waren.

4.7. Anders als zum Ausschluß von "Pflanzensorten" von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 b) EPÜ (vgl. T 320/87 - s. oben) enthalten die vorbereitenden Dokumente zu dieser Bestimmung überhaupt nichts darüber, welcher Zweck mit dem Ausschluß von "Tierarten" vom Patentschutz verfolgt wird. Bei der Ermittlung des Gesetzeszwecks (ratio legis) geht es jedoch nicht nur um die tatsächliche Absicht des Gesetzgebers im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes, sondern darum, was er unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Änderungen der Verhältnisse beabsichtigt haben könnte. Es ist nun Aufgabe des EPA, die Frage der Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ bezüglich des Begriffes "Tierarten" so zu lösen, daß ein Mittelweg gefunden wird zwischen dem Interesse der Erfinder an einem angemessenen Schutz für ihre Arbeit auf diesem Gebiet und dem Interesse der Öffentlichkeit, bestimmte Kategorien von Tieren vom Patentschutz auszuschließen. In diesem Zusammenhang sollte unter anderem berücksichtigt werden, daß für Tiere - anders als für Pflanzensorten - vorläufig keine anderen gewerblichen Schutzrechte zur Verfügung stehen.

4.8. Zusammenfassend gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß die Prüfungsabteilung die vorliegende Anmeldung zu Unrecht mit der Begründung zurückgewiesen hat, daß Artikel 53 b) EPÜ Tiere als solche vom Patentschutz ausschließe. Die Frage muß richtig lauten, ob der Gegenstand der Anmeldung eine "Tierart" ("animal variety", "race animale") im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ ist oder nicht. Hierzu sagt die angefochtene Entscheidung aus verständlichen Gründen nichts. Da diese Frage sehr wichtig ist und mindestens von zwei Instanzen geprüft werden sollte, macht die Kammer deshalb von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurück. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Prüfungsabteilung dabei auch die nachstehend genannten Fragen prüfen muß, auf die sie bisher noch nicht eingegangen ist.

Bei der Wiederaufnahme der Prüfung im Hinblick auf Artikel 53 b) EPÜ muß die Prüfungsabteilung, wie bereits erwähnt, zunächst untersuchen, ob der Gegenstand der vorliegenden Anmeldung eine "Tierart", "animal variety" oder "race animale" im Sinne dieser Bestimmung ist. Sollte sie zu dem Schluß gelangen, daß der Gegenstand nicht unter einen dieser drei Begriffe fällt, dann stellt Artikel 53 b) EPÜ kein Patenthindernis da. Ist sie jedoch der Auffassung, daß einer dieser Begriffe auf die Erfindung zutrifft, dann wäre die Zurückweisung der Anmeldung nur gerechtfertigt, wenn gerade dieser Begriff die zutreffende Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ repräsentieren würde (s. Nr. 4.3). Dies würde weiter voraussetzen, daß Artikel 53 b) EPÜ überhaupt auf genmanipulierte Tiere angewandt werden kann, obwohl weder die Verfasser des Straßburger Übereinkommens noch die des EPÜ diese Möglichkeit in Betracht ziehen konnten.

4.9. Im wesentlichen biologische Verfahren (Artikel 53 b) erster Halbsatz zweite Alternative EPÜ)

4.9.1. Verfahrensansprüche Nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ werden europäische Patente nicht für im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Tieren erteilt. Die vorliegende Erfindung enthält Verfahrensansprüche zur Erzeugung transgener nichtmenschlicher Säuger mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Neoplasmen, wobei eine aktivierte Onkogen-Sequenz chromosomal in das Genom des nichtmenschlichen Säugers eingebracht wird. Das Onkogen wird durch technische Maßnahmen eingeschleust, nämlich durch Insertion in einen Vektor (z. B. ein Plasmid), der dann durch Mikroinjektion in einem frühen Embryonalstadium eingebracht wird. Nach Auffassung der Kammer ist die Prüfungsabteilung zu Recht zu dem Schluß gelangt, daß es sich hier nicht um ein "im wesentlichen biologisches Verfahren" im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ handelt.

4.9.2. Erzeugnisansprüche

Anspruch 19 nach dem Hauptantrag ist auf einen transgenen nichtmenschlichen Säuger gerichtet, dessen Keim- und somatische Zellen eine aktivierte Onkogen-Sequenz als Ergebnis einer chromosomalen Einschleusung in das Genom des Tieres selbst oder in das eines seiner Vorfahren enthalten. Er umfaßt somit sowohl transgene Tiere, die nach den Verfahrensansprüchen, also durch Mikroinjektion, erzeugt worden sind, als auch die Nachkommen dieser Tiere. Während die erstgenannten Tiere das Ergebnis eines nichtbiologischen Verfahrens sind, können ihre Nachkommen das Ergebnis eines auf geschlechtlicher Fortpflanzung beruhenden biologischen Verfahrens sein.

Die Prüfungsabteilung hat die Auffassung vertreten, daß der Anmelder durch die künstliche Verknüpfung eines nichtbiologischen Verfahrens mit einem Züchtungsverfahren den Ausschluß nach Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ umgehen wollte, zumal die beiden Verfahren zu zwei verschiedenen Erzeugnissen führen. Die Kammer bezweifelt, daß die letztere Feststellung rechtlich richtig ist, da sich die Ergebnisse der beiden Verfahren hinsichtlich des übertragenen Gens zumindest aus patentrechtlicher Sicht nicht voneinander unterscheiden. Diese spezielle Frage kann jedoch vorläufig dahingestellt bleiben, da die Grundüberlegung in der angefochtenen Entscheidung, nämlich daß Anspruch 19 Artikel 53 b) EPÜ umgehe und damit die Erteilung eines Patents ausschließe, in jedem Falle falsch ist. Wie die Prüfungsabteilung festgestellt hat, handelt es sich bei Anspruch 19 um einen Erzeugnisanspruch. In Ermangelung einer anderen Definition wird das beanspruchte Erzeugnis durch sein Herstellungsverfahren definiert. Anspruch 19 ist somit ein "Product-by-process"-Anspruch. Ein solcher Anspruch bleibt aber unabhängig von dem Verfahren, auf das er sich bezieht, ein Erzeugnisanspruch. Somit würde ein erfolgreicher Anspruch 19 zu einem Erzeugnispatent und nicht zu einem Verfahrenspatent führen. Da jedoch Artikel 53 b) EPÜ nur Verfahren zur Züchtung von Tieren ausschließt, auf die Anspruch 19 ja nicht gerichtet ist, steht diese Bestimmung als solche der Patentierung des Erzeugnisses nicht entgegen.

Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß ein Vermehrungsverfahren durchaus auch ungeschlechtlich, also nicht im wesentlichen biologisch, sein könnte, z. B. wenn ein Tier, das im ersten Verfahrensschritt die Onkogen-Sequenz erhalten hat, anschließend ungeschlechtlich durch technische Mittel geklont wird.

4.10. Mikrobiologische Verfahren und deren Erzeugnisse (Artikel 53 b) zweiter Halbsatz EPÜ)

Artikel 53 b) zweiter Halbsatz EPÜ sieht vor, daß Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ nicht auf mikrobiologische Verfahren und die damit gewonnenen Erzeugnisse anzuwenden ist. Die Prüfungsabteilung hat nicht entschieden, ob es sich bei der vorliegenden Erfindung um ein mikrobiologisches Verfahren handelt, weil sie die Auffassung vertrat, daß Artikel 53 b) zweiter Halbsatz EPÜ nicht zur Anwendung komme, wenn das Erzeugnis (hier das Tier) unter die Ausschlußbestimmung des ersten Halbsatzes falle, da der zweite Teil der Bestimmung nicht so ausgelegt werden dürfe, daß er den ersten Teil des Artikels aufhebe. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Artikel 53 b) erster Halbsatz EPÜ stellt, wie bereits gesagt, eine Ausnahme von dem in Artikel 52 (1) EPÜ festgelegten allgemeinen Grundsatz der Patentierbarkeit dar. Der zweite Halbsatz ist eine Ausnahme von dieser Ausnahme, die sicherstellen soll, daß sich das Patenthindernis nicht auf mikrobiologische Verfahren oder deren Erzeugnisse erstreckt. Mit anderen Worten, der allgemeine Grundsatz der Patentierbarkeit nach Artikel 52 (1) EPÜ wird für Erfindungen, die mikrobiologische Verfahren und deren Erzeugnisse einschließen, wiederhergestellt. Demnach können für Tiere, die durch ein mikrobiologisches Verfahren erzeugt werden, Patente erteilt werden. Die Prüfungsabteilung muß deshalb nunmehr untersuchen, ob die beanspruchten Verfahren nicht doch mikrobiologische Verfahren im Sinne des Artikels 53 b) EPÜ sind.

5. Ausnahmen von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 a) EPÜ

Die Prüfungsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung unter der Überschrift "Überlegungen im Zusammenhang mit Artikel 53 a) EPÜ" argumentiert, das Patentrecht sei nicht das richtige Rechtsinstrument zur Lösung der Probleme, die im Zusammenhang mit der Genmanipulation von Tieren entstünden. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß gerade in Fällen dieser Art eine Prüfung der Auswirkungen des Artikels 53 a) EPÜ auf die Frage der Patentierbarkeit aus zwingenden Gründen geboten ist. Die Genmanipulation von Säugern ist unbestreitbar in mehrfacher Hinsicht problematisch, zumal wenn aktivierte Onkogene mit dem Ziel eingeschleust werden, Tiere ungewöhnlich anfällig für krebserregende Substanzen und Reize zu machen, so daß sie besonders leicht Tumore entwickeln, die zwangsläufig Schmerzen verursachen. Es besteht auch die Gefahr, daß durch die Freisetzung genmanipulierter Tiere unvorhersehbare und nicht wiedergutzumachende Schäden verursacht werden. Bedenken und Ängste dieser Art sind von mehreren Personen geäußert worden, die gemäß Artikel 115 EPÜ Einwendungen gegenüber der Kammer erhoben haben. Gerade auch Überlegungen dieser Art haben in vielen Vertragsstaaten dazu geführt, daß die Gentechnologie gesetzlichen Kontrollen unterworfen wird. Die Entscheidung, ob Artikel 53 a) EPÜ der Patentierung der vorliegenden Erfindung entgegensteht, dürfte wesentlich von einer sorgfältigen Abwägung der Leiden der Tiere und einer möglichen Gefährdung der Umwelt einerseits gegen den Nutzen der Erfindung für die Menschheit andererseits abhängen. Es ist Aufgabe der ersten Instanz, diese Fragen bei ihrer erneuten Prüfung des Falles zu untersuchen.

6. Anträge nach Artikel 112 EPÜ

Der Beschwerdeführer hat beantragt, daß der Großen Beschwerdekammer zwei Rechtsfragen vorgelegt werden, nämlich erstens, inwieweit ein Patentschutz für Tiere nach Artikel 53 b) EPÜ möglich ist, und zweitens, wie weit die erforderliche Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ in Fällen dieser Art diese Fragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, bevor die erste Instanz die Grundfragen der Auslegung des Artikels 53 a) und b) EPÜ unter Berücksichtigung dieser Entscheidung der Kammer erneut geprüft hat. Der Antrag wird deshalb zurückgewiesen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Der Antrag, der Großen Beschwerdekammer bestimmte Rechtsfragen vorzulegen, wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wird aufgehoben.

3. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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