European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2003:T118800.20030430 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 April 2003 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1188/00 | ||||||||
Anmeldenummer: | 94112082.6 | ||||||||
IPC-Klasse: | C08F 2/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | B | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Hydroxylgruppen enthaltende Copolymerisate, ihre Herstellung und ihre Verwendung in festkörperreichen Beschichtungsmitteln | ||||||||
Name des Anmelders: | Solutia Germany GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | BASF Coatings AG | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Aufgaben-Neuformulierung (nein) Effekt nicht über den gesamten Anspruchsbereich belegt Beweislast bei der Patentinhaberin |
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Orientierungssatz: |
Eine Aufgaben-Neuformulierung, die sich auf eine im Beschwerdeverfahren erstmals geltend gemachte Wirkung bezieht (ehrgeizigere Aufgabe), kann nur dann zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden, wenn glaubhaft ist, daß sich die geltend gemachte Wirkung über den gesamten beanspruchten Bereich erzielen läßt. Die Beweislast dafür liegt bei der Patentinhaberin (Gründe 4.5 und 4.9). |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Die Erteilung des Europäischen Patents Nr. 0 638 591 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 94 112 082.6 der HOECHST AKTIENGESELLSCHAFT (später Vianova Resins GmbH & Co. KG, jetzt Solutia Germany GmbH & Co. KG), angemeldet am 3. August 1994 unter Beanspruchung einer DE Priorität vom 9. August 1993 wurde am 28. Januar 1998 bekanntgemacht.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 5 bis 10 lauten:
"1. Copolymerisate mit besonders niedriger Lösungsviskosität, herstellbar durch eine Polymerisation in Substanz, bei der eine Komponente (A) zu Beginn der Polymerisation vorgelegt wird und im weiteren Verlauf mindestens zwei olefinisch ungesättigte copolymerisierbare Monomere (B) zugefügt werden, wobei die Komponente (A) in einem Anteil von 5 bis 50 Gew.-% und die Komponente (B) in einem Anteil von 95 bis 50 Gew.-% eingesetzt wird, die Komponente (A) ein oder mehrere Glycidylester von aliphatischen gesättigten Monocarbonsäuren mit einem tertiären oder quaternären Alpha-C-Atom ist, und die olefinisch ungesättigten Monomeren gemäß (B) enthalten
B1) ein oder mehrere olefinisch ungesättigte Monomere mit mindestens einer -COOH-Gruppe,
B2) einen oder mehrere Ester der Acryl- oder Methacrylsäure mit cyclischen aliphatischen Alkoholen mit 5 bis 30 Kohlenstoffatomen,
sowie gegebenenfalls eine oder mehrere der Komponenten B3 bis B5, nämlich
B3) einen oder mehrere Hydroxyalkylester von Alpha,Beta-ungesättigten Carbonsäuren,
B4) einen oder mehrere Ester einer Alpha,Beta-ungesättigten Carbonsäure mit einem einwertigen aliphatischen Alkohol mit 1 bis 20 C-Atomen und
B5) eine oder mehrere olefinisch ungesättigte Verbindungen, die nicht unter B1, B2, B3 oder B4 fallen,
dadurch gekennzeichnet, daß die Copolymerisate eine zahlenmittlere Molmasse Mn unter 5000 g/mol und eine Glasübergangstemperatur oberhalb Raumtemperatur (20°C) bei einer Aufheizrate von 10 K/Min, besitzen."
"5. Verfahren zur Herstellung von Copolymerisaten gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß in der Reaktion die Komponente (A) vorgelegt wird, danach die Komponenten (B) und ein oder mehrere radikalische Initiatoren zusammen oder jeweils für sich in Substanz zugefügt einer gemeinsamen Polymerisation unterworfen wird.
6. Verwendung der Copolymerisate nach Anspruch 1 zur Herstellung von Überzügen.
7. Verwendung der Copolymerisate nach Anspruch 1 zur Herstellung von Zwischenschichten als auch von pigmentierten oder unpigmentierten Decklacken.
8. Verwendung der Copolymerisate nach Anspruch 1 als Bindemittel für Lacke, insbesondere für "high-solid"-Lacke.
9. Lacke, die mindestens ein Copolymerisat gemäß Anspruch 1 als Bindemittelkomponenten enthalten und durch Vernetzung mit Polyisocyanaten bei moderaten Temperaturen bzw. bei Raumtemperatur härten.
10. Verwendung der Copolymerisate nach Anspruch 1 zur Herstellung von Pulverlacken."
Die weiteren Ansprüche 2 bis 4 sind von Anspruch 1 abhängig.
II. Gegen das Patent wurde aufgrund der Bestimmungen des Artikels 100 a) EPÜ von der BASF Coatings AG Einspruch erhoben und der Widerruf des Patents in seinem gesamten Umfang beantragt.
Die Einsprechende nannte u. a. die Entgegenhaltungen
D1: EP-A-0 027 931 und
D2: Journal of Coatings Technology, Bd. 62, No. 790, November 1990, Seiten 47 bis 52.
III. Mit ihrer mündlich am 15. November 2000 verkündeten und am 27. November 2000 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent.
Sie stellte fest, daß der beanspruchte Gegenstand zwar gegenüber den zitierten Entgegenhaltungen, insbesondere gegenüber D1, aufgrund der Anwesenheit von einpolymerisierten Estern der (Meth)Acrylsäure mit cyclischen aliphatischen Alkoholen neu sei, daß es ihm aber deshalb an erfinderischer Tätigkeit mangle, weil dieses neue Merkmal weder zu Verbesserungen hinsichtlich Molmasse und Glasübergangstemperatur der Copolymerisate, noch hinsichtlich Trocknungszeit und Festkörpergehalt daraus formulierter Lacke führe und weil es daher naheliegend sei, die gemäß D1 vorhandenen Einheiten von (Meth)Acrylsäureestern von tert.-Butanol durch solche Ester von cyclischen aliphatischen Alkoholen zu ersetzen, die in D2 als Alternative offenbart seien.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr am 20. Dezember 2000 Beschwerde eingelegt und mit Schriftsatz vom 3. April 2001 die Beschwerdebegründung eingereicht.
In Reaktion auf den Bescheid des Berichterstatters vom 9. Oktober 2002 ergänzte die Beschwerdeführerin ihren Beschwerdevortrag mit Schriftsatz vom 28. März 2003.
Am 30. April 2003 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin als Hilfsantrag einen Satz von neun Ansprüchen einreichte, dessen Anspruch 1 der erteilten Fassung entspricht, mit Ausnahme der wie folgt eingeschränkten Definition der Komponente B2):
"B2) Isobornylacrylat oder Isobornylmethacrylat".
Die Ansprüche 2 bis 9 dieses Hilfsantrags entsprechen den Ansprüchen 2 und 4 bis 10 der erteilten Fassung.
V. In ihren schriftlichen Eingaben und während der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:
i) Aufgabe des Streitpatents sei die Bereitstellung eines Copolymerisats, das zu Klarlacken formuliert werden könne, die bei einem mit dem Stand der Technik gemäß D1 vergleichbaren Festkörpergehalt und - auch ohne Katalysator - vergleichbaren Trocknungsgeschwindigkeiten (Staubtrocknungszeit) eine erheblich verminderte Auslaufzeit (erheblich niedrigere Applikations-viskosität) aufweisen.
ii) Diese Aufgabendefinition sei insoferne durch die Angaben im Streitpatent gedeckt, als dieses schon auf Seite 2, Zeilen 41 bis 43 darauf hinweise, daß patentgemäß "niedrigstviskose" Copolymerisate herstellbar seien.
iii) Daß die so spezifizierte Aufgabe gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik gemäß D1 gelöst werde, sei durch die Information in den Tabellen 4 und 5 des mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Versuchsberichts (im folgenden "Versuchsbericht") belegt, die eine Senkung der Auslaufzeit von 50 s (D1-gemäße Klarlacke 50-3 und 50-4) auf 21 s (patentgemäße Klarlacke 21-1 und 21-2) bei etwa gleichem Festkörpergehalt zeige, wenn im Copolymerisat Einheiten cyclischer aliphatischer (Meth)Acrylsäureester zugegen sind.
Tabelle 4: Klarlacke (unkatalysiert) mit Polyisocyanat-Härter Desmodur(R)N3390 mit 21 s Auslaufzeit
TABELLE
#) Copolymerisat-Anteil entsprechend den Copolymerisaten 1. und 3 des Streitpatents
@) Copolymerisat-Anteil entsprechend den Copolymerisaten B (21-3) und D (21-4) von D1
*) volatile organic compounds Tabelle 5: Klarlacke (katalysiert mit DBTL (Dibutylzinndilaurat)) mit Polyisocyanat-Härter Desmodur(R)N75 mit 50. s Auslaufzeit
TABELLE
#) Copolymerisat-Anteil entsprechend den Copolymerisaten 1. und 3 des Streitpatents
@) Copolymerisat-Anteil entsprechend den Copolymerisaten B (50-3) und D (50-4) von D1
*) volatile organic compounds
iv) Darüber hinaus zeigten die patentgemäßen katalysatorhältigen Klarlacke 50-1 und 50-2 überraschenderweise gegenüber den D1-Vergleichslacken eine verbesserte Erichsen-Tiefung.
v) Diese Vorteile seien aus D2 nicht ableitbar, weil der dort durch die Einpolymerisation von (Meth)Acrylaten mit "sperrigen" Estergruppen (TBA: t-Butylacrylat, IBOA: Isobornylacrylat, TBCMA: 4-t-Butylcyclohexylmethacrylat und TMCMA: 3,3,5-Trimethylcyclohexylmethacrylat) angestrebte Effekt einer erhöhten Löslichkeit der Acryl-Bindemittel in keinem Zusammenhang zur Auslaufzeit stehe.
vi) Gemäß D2 hätten die genannten Gruppen auch keinen oder nur einen marginalen Einfluß auf den Festkörper-Gehalt, welcher gemäß Streitpatent zudem deutlich höher liege. Dies gehe aus den in der Tabelle 2 dargelegten experimentellen Daten hervor, die nur geringe Schwankungen des Festkörpergehalts zeigten, wenn der Anteil an "sperrigem" Acrylat von 0% auf 20% erhöht werde. Dabei trete eine geringe Erhöhung des Festkörpergehalts nur bei TBA und TMCMA auf (um 0,3% bzw. 0,2%) während bei IBOA und TBCMA sich der Festkörpergehalt sogar erniedrige.
Die Feststellung in D2, daß TBA, IBOA und TBCMA einen marginalen Einfluß auf den Festkörpergehalt hätten, während dieser Einfluß bei TMCMA signifikant positiv wäre, seien durch die in D2 referierten experimentellen Ergebnisse nicht gedeckt.
vii) Es sei unrichtig, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, daß den Ergebnissen des Versuchsberichts keine Bedeutung zukomme, weil sie eine nur insignifikante Verbesserung des Festkörpergehalt gegenüber den D1-gemäßen Vergleichsbeispielen zeigten und dasselbe gelte auch für das Argument der Beschwerdegegnerin, wonach eine tatsächliche Verbesserung im Widerspruch zu den (guten) Eigenschaften der Copolymerisate 4 und 7 stünden, die im Streitpatent selbst als D1-gemäßer Vergleich enthalten seien.
Entsprechend widersetzte sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch der Einführung des bisher nicht im Verfahren befindlichen Einspruchsgrundes unzureichender Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ), den die Beschwerdegegnerin wegen dieser behaupteten Widersprüchlichkeit geltend machte.
viii) Die vorstehend in bezug auf den Gegenstand des Hauptantrags gemachten Ausführungen gelten in besonderem Maß auch für den auf die Einpolymerisation von Isobornyl(meth)acrylat eingeschränkten Gegenstand des Hilfsantrags, wobei die diesfalls durch den Versuchsbericht demonstrierte Erhöhung des Festkörpergehalts der Offenbarung von D2, wonach bei IBOA eine Verbesserung des Festkörpergehalts nicht zu erwarten sei, sogar entgegenlaufe.
VI. In ihren schriftlichen Vorbringen und im Verlaufe der mündlichen Verhandlung machte die Beschwerdegegnerin im wesentlichen folgende Ausführungen:
i) Der mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Versuchsbericht der Beschwerdeführerin zeige gegenüber den D1-gemäßen Vergleichszusammensetzungen nur insignifikante Erhöhungen der Festkörpergehalte der patentgemäßen Klarlack-Zusammensetzungen.
Ein Eigenschaftsverbesserung gegenüber den Copolymerisaten von D1 stünde auch im Widerspruch zu den im Streitpatent enthaltenen, D1-gemäßen Copolymerisaten 4 und 7; nicht nur glichen deren relevante Eigenschaften den patentgemäßen Copolymerisaten 5 und 6, sondern daraus hergestellte Klarlacke hätten ebenso hohe Festkörpergehalte und gleiche, teilweise sogar überlegene Eigenschaften (Trockenzeit, Pendelhärte, Benzinresistenz).
Es herrsche somit Unklarheit bezüglich der Mittel, die in zielgerichteter Weise zum patentgemäß angestrebten Ergebnis führen, und die Beschwerdegegnerin beantragte daher die Einführung des Einspruchsgrundes mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ.
ii) Darüber hinaus sei aus den Ergebnissen des Versuchsberichts schon grundsätzlich nicht ableitbar, daß die Einpolymerisation von (Meth)Acrylaten cycloaliphatischer Alkohole zu einer Erhöhung des Festkörpergehalts führe, weil neben diesem Unterscheidungsmerkmal noch zahlreiche andere Unterschiede zwischen den patentgemäßen und den Vergleichs-Copolymerisaten bestünden, so daß sich eine solche Schlußfolgerung verbiete. Dies gelte in gleicher Weise für die Gegenstände des Haupt- und Hilfsantrags.
iii) Als patentgemäß zu lösende Aufgabe komme somit nur die Bereitstellung von Copolymerisaten für "high-solid" Systeme in Frage, die analog zu den in D1 offenbarten aufgebaut sind und ebenso wie diese geringe Molmassen, und daher niedrige Viskosität, sowie eine zur Erreichung großer Filmhärte hohe Glasübergangstemperatur aufweisen.
iv) Die Lösung dieser Aufgabe durch die Einpolymerisation von (Meth)Acrylsäureestern von cyclischen aliphatischen Alkoholen anstelle von Estern des tert.-Butylalkohol, wie sie D1 u. a. empfiehlt, sei aber naheliegend, weil D2 diese beiden Estertypen hinsichtlich ihres Einflusses auf Glasübergangstemperatur, Filmhärte und Festkörpergehalt gleich beurteile. Die Einpolymerisation von TMCMA führe gemäß D2 sogar zu einer Erhöhung der Glasübergangstemperatur und des Festkörpergehalts.
v) Daß die in D2 offenbaren Festkörpergehalts unter denen gemäß Streitpatent liegen, hätte keinen Einfluß auf die Relevanz dieser Entgegenhaltung, weil ja D1 schon Klarlacke mit hohem Festkörpergehalt aus Copolymerisaten mit tert.-Butylacrylat anstelle von in D2 als gleichwirksam beschriebenen Acrylaten aus cyclischen aliphatischen Alkoholen offenbare.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Form (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents mit den Patentansprüchen 1 bis 9 nach Hilfsantrag 1 überreicht in der mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verfahrensfrage
Da die Prüfung eines neuen Einspruchsgrundes gemäß G 10/91 (Abl. EPA 1993, 420) im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis der Patentinhaberin möglich ist, die beschwerdeführende Patentinhaberin den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Einführung des neuen Einspruchgrundes nach Artikel 100 b) EPÜ aber ablehnte, bleibt dieser Einspruchsgrund vom Beschwerdeverfahren ausgeschlossen.
Hauptantrag
3. Neuheit
Die dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nächstkommende Offenbarung findet sich nach unstrittiger Auffassung in D1.
Anspruch 1 dieser Entgegenhaltung betrifft ein Verfahren zur Herstellung von OH-Gruppen enthaltenden Copolymerisaten durch radikalische Umsetzung A) bestimmter Glycidylester aliphatischer gesättigter Monocarbonsäuren mit B) mindestens zwei ungesättigten copolymerisierbaren Monomeren, von denen mindestens eines mindestens eine COOH-Gruppe enthält.
Gemäß Anspruch 3 enthält die Komponente B) neben Acryl- und/oder Methacrylsäure gegebenenfalls bestimmte (Meth)Acrylsäureester, (Meth)Acrylsäurehydroxyalkylester und/oder Vinylaromaten. Als (Meth)Acrylsäureester können solche von tert.-Butanol und 2-Äthylhexylalkohol verwendet werden (Seite 3, Zeilen 56 bis 60).
Die Copolymerisate der Beispiele B und D (Seite 5, obere Tabelle) entsprechen - bis auf das Fehlen von Einheiten auf Basis von (Meth)Acrylsäureestern cycloaliphatischer Alkohole - den Bedingungen des vorliegenden Anspruchs 1. Dies trifft gemäß dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Versuchsbericht auch auf die in D1 nicht explizit offenbarten, im Streitpatent geforderten Grenzwerte für Mn (<5000) und Tg (>20°C) zu.
Aus den Copolymerisaten können z. B. durch Umsetzung mit Polyisocyanaten Lackzusammensetzungen hergestellt werden (Seite 4, Zeilen 17 bis 22; Seite 5, untere Tabelle).
Die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 gegenüber D1 ergibt sich aus der dort fehlenden Mitverwendung der patentgemäßen Komponente B2, i. e. von (Meth)Acrylsäureestern von cyclischen aliphatischen Alkoholen mit 5 bis 30 Kohlenstoffatomen.
Da auch alle weiteren Ansprüche des Hauptantrags die Verwendung der in Anspruch 1 spezifizierten Copolymerisate verlangen, sind auch deren Gegenstände neu.
4. Aufgabe und Lösung
4.1. Das Streitpatent stellte sich die Aufgabe der Bereitstellung von durch Substanzpolymerisation herstellbaren OH-gruppenhaltigen Copolymerisaten, die trotz geringster Molmassen Mn - und somit kleinsten Viskositäten - eine ausreichend hohe Glasübergangstemperatur Tg aufweisen und die sich besonders gut eignen für lacktechnische Anwendungen in 2-Komponenten-Systemen, insbesondere für "high solid" Systeme, i. e. lösemittelhaltige Mischungen mit hohem Festkörpergehalt, die aufgrund der hohen Tg der Copolymerisate kurze Trocknungszeiten aufweisen (Seite 2, Zeilen 18 bis 30, Zeilen 38 bis 40; Seite 5, Zeilen 5 bis 7).
4.2. Gemäß Tabelle 1 des Versuchsberichts der Beschwerdeführerin weisen die D1-gemäßen Copolymeren B und D, welche die dem Patentgegenstand nächstkommende Offenbarung von D1 darstellen, Tg's von 47° bzw. 49°C und Molmassen Mn (errechnet aus Mw und Mw/Mn) unter 2000 auf (Copolymer B: 1883 [= 5085/2,70]; Copolymer D: 1993 [= 5430/2,80]). Diese Tg's liegen über denen der im Versuchsbericht gegenübergestellten patentgemäßen Copolymeren 1 und 3 (39° bzw. 37,5°C) und die Mn's sind zwar etwas höher (Copolymer 1: 1509 [3245/2,15]; Copolymer 3: 1791 [= 4120/2,30]), liegen aber im besonders bevorzugten Bereich 500 bis 4000 des Streitpatents (Seite 5, Zeilen 1 bis 4).
Laut den Tabellen 4 und 5 des Versuchsberichts weisen mit den Copolymeren B und D hergestellte Klarlacke bei den getesteten Auslaufzeiten von 21 und 50 s auch hohe Festkörpergehalte auf, wenn diese auch etwas niedriger sind als die der entsprechenden patentgemäßen Klarlacke, und die Lack-Trocknungszeiten ("Klebfrei-Trocknung") dieser Vergleichslacke sind den patentgemäßen Lacken zumindest ebenbürtig.
4.3. Die im Streitpatent konkret angegebene technische Aufgabe ist somit durch Copolymerisate, die in D1 offenbart sind, bereits gelöst, was von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten wurde.
4.4. Ihrer Meinung nach sei es aber gerechtfertigt, aus dem Versuchsbericht als technisch anspruchsvollere technische Aufgabe die Bereitstellung "niedrigstviskoser" Copolymerisate abzuleiten, die wegen ihrer "extrem niedrigen Viskosität" (Streitpatent Seite 2, Zeilen 41 bis 43; Seite 3, Zeilen 10 bis 11) die Formulierung von Klarlacken ermöglichen, die gegenüber den in D1 offenbarten verbessert sind bezüglich der Eigenschaftskombination "kurze Auslaufzeiten bei hohen Festkörpergehalten" bei zugleich guten anwendungstechnischen Eigenschaften.
Dabei soll auch ohne Härtungskatalysator eine schnelle Trocknung und in Gegenwart eines solchen eine verbesserte Erichsen-Tiefung erzielt werden.
4.5. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer Neuformulierung der technischen Aufgabe hat die Rechtsprechung der Beschwerdekammern den Grundsatz der Notwendigkeit ihrer Ableitbarkeit aus der ursprünglichen Erfindungsoffenbarung aufgestellt ("Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts" 4. Auflage 2001, Seiten 124 bis 126, Abschnitt 4.5).
Unabhängig davon, ob dieses Kriterium erfüllt ist, kann die oben referierte neuformulierte Aufgabe im vorliegenden Fall aber nicht als Basis für die Beurteilung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit akzeptiert werden, weil die beschwerdeführende Patentinhaberin nicht glaubhaft gemacht hat, daß diese Aufgabe, die ehrgeiziger ist als die ursprüngliche, für den gesamten beanspruchten Gegenstand gelöst ist und somit eine für den gesamten Anspruchsgegenstand gültige Aufgabe darstellt.
Die Forderung nach einer für den ganzen Anspruchsbereich gültigen Aufgabe folgt einerseits aus dem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen der einer "Erfindung" zugrundeliegenden Aufgabe und ihrer Lösung, die dem vom EPA zur Beurteilung des Naheliegens einer "Erfindung" angewandten "Aufgabe-Lösungs-Ansatz" zugrundeliegt, und anderseits aus dem Prinzip, daß einem Anspruchsgegenstand eine erfinderischen Tätigkeit, die sich auf eine bestimmte technische Wirkung stützt, nur dann zuerkannt werden kann, wenn sich diese Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich erzielen läßt. Nur so wird dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen, daß der Umfang des durch ein Patent verliehenen Monopolrechts dem technischen Beitrag zum Stand der Technik entsprechen und durch diesen begründet sein muß (T 939/92, Abl. EPA 1996, 309, Gründe 2.4.2 i.V.m. T 409/91, Abl. EPA 1994, 653, Gründe 3.3 und 3.4 und T 435/91, Abl. EPA 1995, 188, Gründe 2.2.1 und 2.2.2).
4.6. Der Versuchsbericht vergleicht nun die patentgemäßen Copolymeren 1 und 3 mit den D1-gemäßen Copolymeren B und D und leitet aus den Tabellen 4 und 5 als patentgemäßen Vorteil im wesentlichen eine Vergrößerung des Festkörpergehalts bei gleichen Auslaufzeiten ab.
4.7. Da sich die patentgemäßen Copolymeren 1 und 3 von den Vergleichs-Copolymeren B und D aber nicht nur durch die zusätzliche Einpolymerisation von Isobornylacrylat bzw. Isobornylmethacrylat unterscheiden, sondern auch ganz erheblich durch die Verwendung verschiedener Mengen an Glycidylester, (Meth)Acrylsäure, Hydroxäthylmethacrylat, Methylmethacrylat und Styrol (Tabelle 1 des Versuchsberichts), erlaubt der Versuchsbericht keinerlei Schlußfolgerung über die Relevanz der Gegenwart von Einheiten aus Isobornylacrylat bzw. Isobornylmethacrylat für die Erreichung des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Festkörpergehalt-Vorteils. Unterschiedliche Comonomermengen - und somit unterschiedliche Copolymerstrukturen - müssen nämlich auch zu unterschiedlichen, den Festkörpergehalt beeinflussenden Lösungsmittel/Copolymer-Interaktionen führen. Wie die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung ausführte, gilt dies z. B. besonders für die verschiedenen Mengen an polaren Säuregruppen der (Meth)Acrylsäure.
4.8. Es fehlt somit eine objektive Grundlage für die Plausibilität der Schlußfolgerung, welche die Beschwerdeführerin aus den Ergebnissen des Versuchsberichts zieht, derzufolge die Einpolymerisation von (Meth)Acrylaten cycloaliphatischer Alkohole zu einem erhöhten Festkörpergehalt bei gleichen Auslaufzeiten von aus patentgemäßen Copolymerisaten hergestellten Klarlackzusammensetzungen führt.
Für eine solche Schlußfolgerung reicht es nämlich nicht aus, daß der Versuchsbericht zeigt, daß diese neuformulierte Aufgabe punktuell durch - irgendwelche - innerhalb der Anspruchsdefinition liegende Copolymerzusammensetzungen gelöst werden kann, sondern es hätte z. B. einer Gegenüberstellung von patentgemäßen und Vergleichs-Beispielen bedurft, aus der die Relevanz der Einpolymerisation von (Meth)Acrylaten von cycloaliphatischen Alkoholen für die Lösung der neuformulierte Aufgabe eindeutig hervorgeht.
4.9. In dieser Situation kann sich die beschwerdeführende Patentinhaberin nicht darauf berufen, daß es Sache der einsprechenden Beschwerdegegnerin sei, die Nichterfüllung dieser präsumptiven neuformulierten Aufgabe über den gesamten Anspruchsbereich darzulegen, denn nachdem letztere die ihr obliegende Darlegungslast für die fehlende Patentfähigkeit auf Basis der patentgemäß ursprünglich vorliegenden Aufgabe erfüllt hat - was die Beschwerdeführerin nicht bestreitet und was auch konkludent aus der Geltendmachung der neuformulierten Aufgabe hervorgeht - liegt die Beweislast (Darlegungslast) für die erfindungsspezifische Relevanz dieser neuformulierten, ehrgeizigeren Aufgabe bei der beschwerdeführenden Patentinhaberin.
Diese Schlußfolgerung entspricht den die Erfordernisse der Artikel 54 bzw. 83 EPÜ betreffenden Feststellungen in T 109/91 vom 15. Januar 1992 (Gründe 2.10), T 525/90 vom 17. Juni 1992 (Gründe 4), T 239/92 vom 23. Februar 1995 (Gründe 2.4.3) und T 838/92 (Gründe 5.7) (alle nicht veröffentlicht im Abl. EPA), wonach die Beweislast von der Einsprechenden auf die Patentinhaberin übergeht, wenn erstere durch von ihr vorgebrachte Beweismittel ihre Beweislast (Darlegungslast) im Sinne des Maßstabs der "Abwägung der Wahrscheinlichkeit" erfüllt hat.
4.10. Bei dieser Sachlage kann die patentgemäß vorliegende Aufgabe nur in der Bereitstellung von weiteren, D1-analogen Copolymerisaten gesehen werden, die wie jene die in obigem Punkt 4.1 wiedergegebenen technischen Anforderungen erfüllen.
Was die von der Beschwerdeführerin zusätzlich zur Verbesserung des Festkörpergehalts angesprochenen Aufgabenaspekte "schnelle Trockung auch ohne Katalysator" und "bessere Erichsen-Tiefung mit Katalysator" betrifft, so müssen diese schon deshalb außer Betracht bleiben, weil die An- oder Abwesenheit eines Katalysators kein Merkmal des Anspruchs 1 ist.
4.11. Angesichts der im Streitpatent beschriebenen Copolymeren 1 bis 3, 5, 6, 8 und 9 sowie der damit formulierten, gleichnumerierten Klarlacke kann anerkannt werden, daß die Copolymerisate gemäß Anspruch 1 diese Aufgabe effektiv lösen (Tabellen 1 bis 6 und 9 bis 11).
5. Naheliegen
5.1. Da D1 Copolymerisate offenbart, die u. a. tert.-Butylacrylat (TBA) als (Meth)Acrylat-Comonomer enthalten (siehe obiger Punkt 3), hängt die Frage des Naheliegens des Gegenstandes des vorliegenden Anspruchs 1 davon ab, ob er Fachmann im Hinblick auf die Lösung der oben definierten Aufgabe anstelle von TBA als Comonomer auch Ester der Acryl- oder Methacrylsäure mit cyclischen aliphatischen Alkoholen mit 5 bis 30 Kohlenstoffatomen verwenden würde.
5.2. Die Entgegenhaltung D2, eine Studie über das Verhältnis zwischen Struktur und Eigenschaften von Klarlacken für Autos, offenbart Acrylat-Lackbinder mit "speziellen" (sperrigen) Acrylmonomer-Einheiten, die einen positiven Einfluß auf die Balance zwischen Härte und Festkörpergehalt haben. Als sperrige (Meth)Acrylate sind neben TBA auch Isobornylacrylat (IBOA), 4-t-Butylcyclohexylmethacrylat (TBCMA) und 3,3,5-Trimethylcyclohexylmethacrylat (TMCMA) offenbart. (Seite 47, linke Spalte, einleitender Absatz; Seite 48, linke Spalte, erster vollständiger Absatz; Seite 52, rechte Spalte, Zusammenfassung).
Die gemäß D2 getesteten Acrylharze enthielten neben 20% der "speziellen" Acrylmonomer-Einheiten auch Einheiten von Hydroxyäthylmethacrylat (OH-Zahl 140 bis 160) und Methacrylsäure (Säurezahl 16 bis 18) und wiesen eine Molmasse Mn von 1250 auf (Seite 48, letzter Absatz bis Seite 49, erster Absatz). Es handelte sich somit um bezüglich Molmasse und Funktionalität dem Streitpatent vergleichbare Copolymerisate.
Gemäß der Diskussion der Ergebnisse zeigen die durchgeführten Experimente, daß die Inkorporierung aller vier "speziellen" Monomeren die Tg und die Härte damit hergestellter Lackfilme erhöht und im Falle von TMCMA auch ein signifikant positiver Effekt auf den Festkörpergehalt beobachtet wurde (Seite 52, linke Spalte, dritter Absatz bis rechte Spalte erster Absatz).
5.3. Der Fachmann konnte daher aufgrund der Information in D2 annehmen, daß er anstelle des in D1 als Comonomer offenbarten TBA als (Meth)Acrylat-Comonomere auch die dort als im wesentlichen gleichwirksam beschriebenen cycloaliphatischen (Meth)Acrylate IBOA, TBCMA und TMCMA einsetzen kann.
5.4. Wie schon in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, ist daher die Verwendung dieser (Meth)Acrylat-Comonomeren zur Lösung der vorliegenden technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend.
5.5. Entsprechend mangelt es dem Gegenstand des Anspruchs 1 an erfinderischer Tätigkeit. Dieselbe Schlußfolgerung gilt in analoger Weise für die Gegenstände der übrigen Ansprüche des Hauptantrags, die sich auf besondere Ausgestaltungen (Ansprüche 1 bis 4), ein Verfahren zur Herstellung (Anspruch 5) und verschiedene Verwendungen (Ansprüche 6 bis 10) der Copolymerisate gemäß Anspruch 1 beziehen.
Hilfsantrag
6. Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich vom gleichen Anspruch des Hauptantrags nur durch die Einschränkung der zu verwendenden cycloaliphatischen (Meth)Acrylate auf Isobornylacrylat oder Isobornylmethacrylat.
7. Diese Einschränkung kann zu keiner vom Hauptantrag abweichenden Beurteilung der gegenüber D1 vorliegenden technischen Aufgabe führen, weil die in obigen Punkten 4.7 und 4.8 gemachten Ausführungen bezüglich der Möglichkeit der Rechtfertigung - aufgrund des Versuchsberichts der Beschwerdeführerin - einer neuformulierten Aufgabe ja gerade mit Bezug auf die dort eingesetzten patentgemäßen Copolymeren 1 und 3 gemacht wurden, die als (Meth)Acrylat-Comonere Isobornylacrylat bzw. Isobornylmethacrylat enthalten.
8. Dementsprechend liegt bezüglich des Hilfsantrags dieselbe Aufgabe vor, wie in obigem Punkt 4.10 für den Hauptantrag dargelegt.
9. Da die Entgegenhaltung D2 als "spezielles" Monomer auch IBOA, eines der beiden (Meth)Acrylat-Comonomere gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags, offenbart, muß auch die Frage des Naheliegens des Anspruchsgegenstands in derselben abschlägigen Weise beurteilt werden wie für den Hauptantrag (obige Punkte 5.3 und 5.4).
10. Auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags beruht somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Dasselbe gilt in analoger Weise auch für die den Ansprüchen 2 und 4 bis 10 des Hauptantrags entsprechenden Ansprüche 2 bis 9 des Hilfsantrags.
11. Der erstinstanzliche Widerruf des Patents wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit wird somit bestätigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.