T 1626/11 () of 21.10.2015

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2015:T162611.20151021
Datum der Entscheidung: 21 October 2015
Aktenzeichen: T 1626/11
Anmeldenummer: 04741082.4
IPC-Klasse: C04B 22/14
C04B 28/02
C01G 49/14
C01B 17/90
C01G 23/053
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: REDUKTIONSMITTEL FÜR DEN LÖSLICHEN CHROMATGEHALT IN ZEMENT UND VERFAHREN FÜR SEINE HERSTELLUNG
Name des Anmelders: crenox GmbH
Name des Einsprechenden: KRONOS INTERNATIONAL, INC.
Tioxide Europe, S.L.
Sachtleben Pigments Oy
Sachtleben Chemie GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Verschlechterungsverbot - Anprüche 1 bis 10 nicht zur Debatte
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Zurückverweisung an erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

siehe 1.1.3 bis 1.1.5

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
T 0002/81
T 0409/91
T 0435/91
T 0856/92
T 0401/95
T 0886/00
T 0149/02
T 0498/03
T 0099/04
T 0168/04
T 0608/07
T 0553/08
T 1676/08
T 1713/08
T 0722/10
T 0862/11
T 0428/12
T 0576/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1689/12
T 0779/20
T 0345/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) sowie die Einsprechenden 2-4 legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, die festgestellt hat, dass das Patent EP-B1-1 648 840 in geänderter Form als Hilfsantrag 2 (Ansprüche 1 bis 10) die Bedingungen des EPÜ erfüllt.

In der Entscheidung wurden unter anderem folgendes Dokument zitiert:

D8: Gutachten von Prof. Kind: Filtersalz aus dem Sulfatprozess zur Titandioxidproduktion für den Einsatz als Chrom(VI)-Reduktionsmittel in Zement

II. Mit der Beschwerdebegründung vom 4. Oktober 2011 reichte die Beschwerdeführerin folgendes Dokument ein:

D56: Gutachten von Prof. Kind zur Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung

III. Die Einsprechende 1 hatte ihren Einspruch während des Einspruchsverfahrens mit dem Schreiben vom 4. April 2011 zurückgenommen. Der Einspruch der Einsprechenden 3 wurde mit dem Schreiben vom 5. Juli 2013 zurückgenommen.

IV. Die Beschwerde und der Einspruch der Einsprechenden 4 wurde mit einem Schreiben ebenfalls vom 5. Juli 2013 zurückgenommen.

V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) war die Beschwerdekammer der vorläufigen Meinung, dass Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1 und 2 die Bedingungen der Artikel 123(2), 54 und 56 EPÜ nicht erfülle. Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ schienen erfüllt.

VI. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 nahm die Einsprechende 2 (Beschwerdegegnerin) ihre Beschwerde zurück und kündigte an, nicht an der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2015 teilzunehmen.

VII. Die unabhängigen Ansprüche 1, 10, 11 und 16 des Hauptantrags lauten wie folgt:

"1. Eisen(II)sulfathaltiges Reduktionsmittel, umfassend Grünsalz und eine eisen(II)sulfathaltige Ausfällung, wobei die eisen(II)sulfathaltige Ausfällung Eisen(II)sulfat-Monohydrat enthält und erhältlich ist durch ein Verfahren, umfassend die Aufkonzentrierung einer eisen(II)sulfathaltigen Gebrauchtschwefelsäure aus der Titandioxidherstellung nach dem Sulfatverfahren und die Abtrennung der Schwefelsäure von der erhaltenen Ausfällung."

"10. Verwendung eines eisen(II)sulfathaltigen Reduktionsmittels nach einem der Ansprüche 1 bis 9 zur Reduktion des löslichen Chromatgehaltes in Zement."

"11. Verwendung eines eisen(II)sulfathaltigen Reduktionsmittels, umfassend eine eisen(II)-sulfathaltige Ausfällung, die Eisen(II)sulfat-Monohydrat enthält und herstellbar ist durch ein Verfahren, umfassend die Aufkonzentrierung einer eisen(II)sulfathaltigen Gebrauchtschwefelsäure aus der Titandioxidherstellung nach dem Sulfatverfahren und die Abtrennung der Schwefelsäure von der erhaltenen Ausfällung, wobei die Ausfällung einen Titangehalt von 5 bis 15 Gew.-%, bezogen auf Eisen und/oder einen Mangangehalt von 1,5 bis 4 Gew.-%, bezogen auf Eisen, und eine mittlere Kristallitgröße von höchstens 1 µm aufweist, zur Reduktion des löslichen Chromatgehaltes in Zement."

"16. Zubereitung aus Zement und wasserlöslichen Metallsulfaten, dadurch gekennzeichnet, dass die Zubereitung 0,01 bis 5,0 Gew.-%, bevorzugt 0,2 bis 1,5 Gew.-%, einer eisen(II)sulfathaltigen Ausfällung enthält, die Eisen(II)sulfat-Monohydrat enthält und herstellbar ist durch ein Verfahren, umfassend die Aufkonzentrierung einer eisen(II)sulfathaltigen Gebrauchtschwefelsäure aus der Titandioxidproduktion nach dem Sulfatverfahren und die Abtrennung der Schwefelsäure von der erhaltenen Ausfällung, wobei die Ausfällung einen Titangehalt von 5 bis 15 Gew.-%, bezogen auf Eisen und/oder einen Mangangehalt von 1,5 bis 4 Gew.-%, bezogen auf Eisen,und eine mittlere Kristallitgröße von höchstens 1 µm aufweist."

In den Ansprüchen 11 und 16 des ersten Hilfsantrags wurde " und/oder einen Mangangehalt von 1,5 bis 4 Gew.-%, bezogen auf Eisen" gestrichen. Ansonsten sind der Hauptantrag und der erste Hilfsantrag wortgleich.

Der zweite Hilfsantrag entspricht dem Antrag, den die Einspruchsabteilung für EPÜ-konform angesehen hatte und besteht aus Ansprüchen 1 bis 10 des Hauptantrags.

VIII. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten, für die vorliegende Entscheidung relevanten, Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:

Angesichts des Verschlechterungsverbots und der Entscheidung T 856/92 stünden die Ansprüche 1 bis 10 nicht mehr zur Debatte.

Artikel 83 EPÜ

Die Einspruchsabteilung habe sich nur mit der expliziten Offenbarung des Streitpatents auseinandergesetzt, ohne jedoch allgemeines Fachwissen heranzuziehen. Der fachmännische Leser des Streitpatents wisse, dass im Filtersalz der Titan- und Mangangehalt, bezogen auf Eisen, im Wesentlichen von dem Titan-, Mangan- und Eisengehalt in der Dünnsäure, von der Verfahrensführung bei der Aufkonzentrierung der Dünnsäure, sowie von der Nachbehandlung der Ausfällung abhänge. Dies sei auch aus D56 ersichtlich.

Durch die Wahl der Verfahrensparameter bei der Hydrolyse könne die Pigmentausbeute und somit der Titangehalt in der Dünnsäure, die nach Ausfällung des TiO(OH)2 erhalten würde, eingestellt werden.

Die Beimischung von eisensulfathaltigen Gebrauchtschwefelsäuren aus anderen Prozessen könne den Titan- und Mangangehalt verringern. Aus der Dünnsäure könne eine Kristallisation von Eisen(II)sulfat-Heptahydrat erfolgen, sodass der Eisengehalt erheblich abgesenkt werden könne.

Zudem zeige das Beispiel 1 explizit die Herstellung eines eisen(II)sulfathaltigen Reduktionsmittels mit den angegebenen Titan- und Mangangehalten.

IX. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten, für die vorliegende Entscheidung relevanten, Argumente können wie folgt zusammengefasst werden:

Artikel 83 EPÜ

Das Streitpatent offenbare nicht, wie ein Eisen(II)-sulfat enthaltendes Reduktionsmittel gemäß Erfindung, das 5 bis 15 Gew.-% Titan bezogen auf Eisen und/oder 1.5 bis 4 Gew.-% Mangan bezogen auf Eisen enthalten soll, hergestellt werden könne.

Der Einfluss aller Parameter auf die Herstellung des Materials könne nicht von einem Durchschnittsfachmann vorhergesagt werden, sondern erfordere hohe Sachkenntnis wie z.B. die eines Universitätsprofessors.

Wie D56 zeige, seien, neben der Wahl des Ausgangsmaterials, auch die Ausbeute der Hydrolyse der Titanylsulfat-Lösung zum Titan-Oxyhydrat oder die Waschbedingungen des Filtersalzes entscheidend für die Zusammensetzung des erhaltenen Filtersalzes. Das Streitpatent gebe nicht ausreichend Anleitungen diesbezüglich.

Auch das Ausführungsbeispiel 1 gebe keine Information, wie der Mangan- und Titangehalt der Ausfällung eingestellt werden könne.

X. Anträge

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrags oder des Hilfsantrags 1, jeweilseingereicht in der mündlichen Verhandlung, oder auf der Grundlage des Hilfsantrags 2, der dem Hilfsantrag 2 entspricht, der von der Einspruchsabteilung als EPÜ-konform angesehen wurde. Soweit es auf die Beurteilung des Naheliegens der Ansprüche 11 und folgende desHaupt- und ersten Hilfsantrags ankommen sollte, beantragte die Beschwerdeführerin die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung. Der bisherige Hauptantrag und die bisherigen Hilfsanträge 1, 3 und 4 wurden zurückgenommen.

Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 2) hatte ihre im schriftlichen Verfahren gestellten Anträge nicht weiterverfolgt, sondern mit Schreiben vom 13. Oktober 2015 die Zurücknahme ihrer Beschwerde erklärt.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag-Ansprüche 1 bis 10

1.1 Verschlechterungsverbot (reformatio in peius)

1.1.1 Die Einsprechenden 1, 3 und 4 haben ihren Einspruch zurückgenommen; sie sind somit hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Verfahren beteiligt (siehe T 1676/08, Gründe 9.1.2). Die Einsprechende 2 hat ihre Beschwerde zurückgenommen, sodass die Patentinhaberin nunmehr die alleinige Beschwerdeführerin ist.

Gemäß G 9/92 darf die Beschwerdekammer die Fassung des Patents gemäß der Zwischenentscheidung nicht zulasten des Patentinhabers in Frage stellen, wenn dieser der alleinige Beschwerdeführer ist (Verschlechterungs­verbot).

1.1.2 Im vorliegenden Fall sind die Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags wortgleich mit den Ansprüchen 1 bis 10 des 2. Hilfsantrags, der von der Einspruchsabteilung als den Erfordernissen des EPÜ genügend angesehen wurde. Die Frage, die sich deshalb stellt, ist, ob die Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags von der Beschwerdekammer geprüft werden können, ohne das Verschlechterungsverbot zu verletzen. Diese Frage betrifft also nicht lediglich einzelne Einspruchsgründe oder sonstige Vorfragen, die von der Einspruchsabteilung im Rahmen ihrer Entscheidung zu beurteilen waren, und auf die das Verschlechterungs-verbot gemäß ständiger Rechtsprechung keine isolierte Anwendung findet (z.B. T 401/95, Gründe 2; T 149/02, Gründe 3.2.1; T 428/12, Gründe 2.4, T 576/12, Gründe 1.1), sondern das Ergebnis der Beurteilung ganzer Ansprüche, die (ggfs. zusammen mit anderen Ansprüchen) den Antrag bildeten, der von der Einspruchsabteilung als EPÜ-konform angesehen wurde.

1.1.3 Die Entscheidungen T 856/92 (Gründe 2) sowie T 149/02 (Gründe 2) befassten sich mit der gleichen Fragestellung und kamen zum Schluss, dass dann, wenn die Patentinhaberin alleinige Beschwerdeführerin ist, der gesamte Anspruchssatz, der von der Einspruchsabteilung als EPÜ-konform angesehen worden war, nicht mehr von der Beschwerdekammer geprüft werden kann, wenn er Teil eines anderen Anspruchssatzes ist, der zusätzliche (nebengeordnete) Ansprüche enthält, sofern die zusätzlichen Ansprüche das Verständnis der Ansprüche nicht verändern. Diese auf G 9/92 gestützte Schlussfolgerung wurde auch in T 168/04 (Gründe 2), T 1713/08 (Gründe 3), T 722/10 (Gründe 2), sowie T 428/12 (Gründe 2.2) befolgt.

Auch Ansprüche, die Teil des von der Einspruchsabteilung akzeptierten Anspruchssatzes waren, können gemäß der Entscheidung T 498/03 (Gründe 1.1) von der Beschwerdekammer als Teil eines anderen Antrags nicht mehr geprüft werden (zu der in T 1676/08, Gründe 9.1.2 geäußerten abweichenden Ansicht siehe nachfolgend 1.1.4 und 1.1.5).

1.1.4 Es gibt jedoch einige Entscheidungen, die dieses Rechtsverständnis in Frage stellen, ohne allerdings im Ergebnis dann eine von der unter Punkt 1.1.3 zitierten Rechtssprechung abweichende Entscheidung zu treffen. Sowohl in T 99/04 (Gründe 5) als auch in T 553/08 (Gründe 1) gab es keine Gründe der Beschwerdegegnerin, wieso die von der Einspruchsabteilung akzeptierten Ansprüche nicht EPÜ-konform seien, sodass sich die Frage des Verschlechterungsverbotes nicht stellte. Auch in T 886/00 (Gründe 5) musste nicht über das Verschlechterungsverbot entschieden werden, da die Kammer, die die Rechtsaufassung aus T 856/92 und T 149/02 in Frage stellte, die in Frage stehenden Ansprüche ohnehin als den Bedingungen das EPÜ entsprechend ansah. In T 1676/08 (Gründe 9.1.2 bis 9.1.4) wurden die Anträge, die den als EPÜ-konform angesehenen Anspruch enthielten, nicht in das Verfahren zugelassen.

1.1.5 Obwohl es fraglich erscheint, ob die in Punkt 1.1.3 zitierte Rechtsprechung die Entscheidung G 9/92 tatsächlich richtig interpretiert, da ausgehend von den Darlegungen der großen Beschwerdekammer in dieser Entscheidung sich das Verschlechterungsverbot eher auf Anträge als solche (d.h. auf gesamte Anspruchssätze) als auf einzelne Ansprüche dieser Anträge bezieht (siehe G 9/92; Gründe 1 "Antragsgrundsatz", Gründe 7 "Beschwerdeantrag", Gründe 14 "Beschwerdeantrag"), ist die Rechtssprechung, wie in Punkt 1.1.3 dargelegt, inzwischen etabliert und stellt eine vertretbare, praxistaugliche Auslegung dar. Da die unter 1.1.4 zitierten Entscheidungen zwar Zweifel aufgeworfen, jedoch zu keinen abweichenden Ergebnissen geführt haben und der unter 1.1.3 zitierten Linie daher nicht entgegenstehen, sieht die Kammer auch keinen Grund, die Frage der großen Beschwerdekammer vorzulegen.

1.1.6 Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall und kommt, da die neu hinzugekommenen Ansprüche 11 bis 16 das Verständnis der Ansprüche 1 bis 10 nicht beeinflussen, zum Schluss, dass Ansprüche 1 bis 10 des Hauptantrags nicht mehr zur Debatte stehen.

2. Hauptantrag - Ansprüche 11 bis 16

2.1 Artikel 123(2) EPÜ

Die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ sind aus folgenden Gründen erfüllt:

2.1.1 Anspruch 11 geht unmittelbar und eindeutig aus den Ansprüchen 1, 4, 34 bis 37 sowie aus der Beschreibung (Seite 5, Zeile 8 und Seite 15, Zeilen 2 und 3) der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (WO-A-2005/009917) hervor.

Es sei noch angemerkt, dass der Zahlenbereich "von höchstens 1 mym" aus der Angabe "von weniger als 2 mym, bevorzugt zwischen 0.1 und 1 mym" unmittelbar und eindeutig hervorgeht.

Weniger als 2 mym könnte auch als 0 bis weniger als 2 mym angesehen werden [0-2[, wobei in diesem Fall "0" als mittlere Kristallitgröße zu verstehen ist, die so klein wie möglich und noch technisch sinnvoll ist. Aus [0-2[ und [0.1-1] ist im Einklang mit T 2/81 (Gründe 3) , [0-1], was gleichbedeutend mit höchstens 1 mym ist, unmittelbar und eindeutig herleitbar.

2.1.2 Ansprüche 11 bis 15 entsprechen den Ansprüchen 38, 39, 41 und 42 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

2.1.3 Anspruch 16 geht unmittelbar und eindeutig aus den Ansprüchen 1, 4, 34 bis 36, 45 sowie aus der Beschreibung (Seite 5, Zeile 8 und Seite 15, Zeilen 2 und 3) der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hervor.

2.2 Artikel 83 EPÜ

2.2.1 Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ

Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern sieht die Erfordernisse der Ausführbarkeit nur dann als erfüllt an, wenn die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens und weiterer Angaben in der vorliegenden Anmeldung nachgearbeitet werden kann (z.B. T 409/91, Gründe 3.5; T 435/91, Gründe 2.2 und 2.2.1)

2.2.2 Erfindung gemäß Anspruch 11

Der beanspruchte Gegenstand ist als "die Erfindung" anzusehen (T 862/11, Gründe 5.2). Anspruch 11 betrifft die Verwendung eines eisen(II)sulfathaltigen Reduktionsmittels zur Reduktion des löslichen Chromatgehaltes in Zement. Dabei ist das Reduktionsmittel durch das Herstellungsverfahren definiert (Product-by-Process), wobei das Herstellungsverfahren jedoch das Vorhandensein nicht definierter Verfahrensschritte, angesichts der Verwendung des Begriffes "umfassend", nicht ausschließt.

Deshalb wird der Anspruch so ausgelegt, dass er die Verwendung eines Erzeugnisses enthaltend Eisen(II)sulfat-Monohydrat betrifft, das durch das angegebene Verfahren herstellbar ist (umfassend die Aufkonzentrierung einer eisen(II)sulfathaltigen Gebrauchtschwefelsäure aus der Titandioxidherstellung nach dem Sulfatverfahren und die Abtrennung der Schwefelsäure von der erhaltenen Ausfällung) und einen Titangehalt von 5 bis 15 Gew.-%, bezogen auf Eisen und/oder einen Mangangehalt von 1,5 bis 4 Gew.-%, bezogen auf Eisen, und eine mittlere Kristallitgröße von höchstens 1 µm aufweist.

Demzufolge wäre die Verwendung von reinem Eisen(II)sulfat-Monohydrat mit einer mittleren Kristallitgröße von höchstens 1 µm, enthaltend 5 bis 15 Gew.-% Titan bezogen auf Eisen oder 1,5 bis 4 Gew.-% Mangan bezogen auf Eisen, zur Reduktion des löslichen Chromatgehaltes in Zement durch den Anspruchswortlaut gedeckt. Reines Eisen(II)sulfat-Monohydrat könnte nämlich durch die im Anspruch gegebenen Verfahrenschritte und zusätzliche Reinigungsschritte erhalten werden. Absätze 14 und 15 des Patents bestätigen, dass weitere Verfahrensschritte nach der Abtrennung der Schwefelsäure von der erhaltenen eisen(II)sulfathaltigen Ausfällung nicht ausgeschlossen sind.

Die Menge an Titan und/oder Mangan wird auf Eisen bezogen, wobei das Eisen jedoch nicht auf das Eisen aus Eisen(II)sulfat-Monohydrat beschränkt ist. Eisen wird also als Gesamteisen verstanden.

2.2.3 Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Anspruch 11

Angesichts dieser Auslegung der Erfindung besteht für den Fachmann, der hier als chemischer Verfahrensingenieur angesehen wird, kein Problem, die gewünschten Mengen an Titan und/oder Mangan im Eisen(II)sulfat Monohydrat einzustellen.

Es ist unbestritten, dass nach Abtrennung der Schwefelsäure die Mengen an Eisen, Titan und Mangan in der Ausfällung durch bekannte Methoden bestimmt werden können. Die im Anspruch angegebenen Verhältnisse werden in vielen Fällen bei normaler Prozessführung erreicht (siehe D8: Kapitel 5: vor allem Tabellen 4 und 6).

Falls die Mengen an Titan und/oder Mangan nach Abtrennung der Schwefelsäure zu hoch sein sollten, könnten sie durch weitere Reinigungsschritte, die auf den unterschiedlichen Löslichkeiten der unterschiedlichen Substanzen unter bestimmten Bedingungen beruhen, und dem Fachmann allgemein bekannt sind, verändert werden (z.B. D56: 3.3.1. und 3.3.2.). Gegebenenfalls könnte während der Reinigungsschritte auch Eisen zugeführt werden, was die Menge an Titan und/oder Mangan bezogen auf Eisen reduzieren würde.

Falls die Mengen an Titan und/oder Mangan nach Abtrennung der Schwefelsäure dagegen zu niedrig sein sollten, könnten sie durch einfache Zugabe von Titan und/oder Mangan auf die gewünschten Werte gebracht werden. Es mag sein, dass es viele Parameter gibt (z.B. Ausgangsmaterial, Ausbeute der Hydrolyse zum Titan-Oxyhydrat oder die Waschbedingungen des Filtersalzes), die zur Änderung der Mengen an Titan und/oder Mangan führen. Dies ist dem Fachmann bekannt und der Fachmann weiß um die Wichtigkeit dieser Parameter und wie er diese Parameter ändern muss, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, vor allem auch deshalb, weil die Erfindung unterschiedlichste Reinigungsverfahren, sowie die Zugabe von Mangan und/oder Titan nicht ausschließt.

Was die Bestimmung der Kristallitgröße anbelangt, so wurde dieser Einwand von den Parteien im Einspruchsverfahren nicht weiter verfolgt (Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 9, 3. Absatz) und auch nicht im Beschwerdeverfahren vorgebracht. Die Kammer sieht auch keinen Grund die Ausführbarkeit anzuzweifeln, da aus D8 (Kapitel 6) eindeutig hervorgeht, dass beim angegebenen Verfahren die Partikel erhalten werden, die Partikelgröße bestimmt werden kann und die im Patent angegebene Methode (Absatz 53) dafür geeignet ist (D8: Seite 30, zweiter vollständiger Absatz). Das Fehlen von Angaben zur Messmethode führt dazu, dass die unterschiedlichen Messmethoden zu abweichenden Ergebnissen führen, sodass es nicht eindeutig ist, ob die Partikel innerhalb oder außerhalb des vom Anspruch geschützten Bereichs sind. Für die Kammer handelt es sich hier, wie in T 608/07 (Gründe 2.5.2), um eine Frage der Klarheit der Ansprüche und nicht um eine Frage der Ausführbarkeit.

2.2.4 Der Gegenstand der Ansprüche 12 bis 15 betrifft bevorzugte Ausführungsformen des Anspruchs 11, die die Zugabe des Reduktionsmittels zum Zement betreffen, und die der Fachmann ohne Probleme ausführen kann.

2.2.5 Anspruch 16 betrifft eine Zubereitung aus Zement und 0,01 bis 5,0 Gew.-% einer eisen(II)sulfathaltigen Ausfällung, die durch das Herstellungsverfahren gekennzeichnet ist. Für die Definition der Ausfällung gilt die unter Punkt 2.2.2 vorgebrachte Argumentation mutatis mutandis. Was die Einstellung des Titan-

und/oder des Mangangehaltes sowie die Kristallitgröße anbelangt, gilt die unter Punkt 2.2.3 vorgebrachte Argumentation mutatis mutandis.

2.2.6 Der Gegenstand der Ansprüche 11 bis 16 erfüllt somit die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ.

3. Zurückverweisung

Die Entscheidung, ob der Fall an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen wird, liegt im Ermessen der Kammer (Artikel 111(1) EPÜ). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin die Zurückverweisung ausdrücklich beantragt. Die Fragen der Neuheit sowie der erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche 11 bis 16 wurden von der Einspruchsabteilung noch nicht entschieden und wurden auch im Beschwerdeverfahren nicht diskutiert. Die Kammer sieht deshalb keinen Grund, dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht stattzugeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Weiterbehandlung auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 16 des Hauptantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

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