T 1063/06 (Durchgriffsanspruch/BAYER SCHERING PHARMA AKTIENGESELLSCHAFT) of 3.2.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T106306.20090203
Datum der Entscheidung: 03 Februar 2009
Aktenzeichen: T 1063/06
Anmeldenummer: 00962413.1
IPC-Klasse: C07C 69/76
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Bayer Schering Pharma Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: I. Eine Anspruchsformulierung, nach der aufgabenhaft definierte chemische Verbindungen unter Anwendung eines in der Beschreibung angegebenen Bestimmungsverfahrens in Form eines neuartigen Forschungswerkzeuges aufgefunden werden sollen, stellt einen Durchgriffsanspruch dar, der auch auf zukünftige Erfindungen gerichtet ist, welche auf der derzeitig offenbarten Erfindung beruhen. Dem Anmelder steht indessen nur der Schutz für seinen tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik zu, sodass eine entsprechende Beschränkung des Anspruchsgegenstandes nicht nur zumutbar, sondern geboten ist. Patentschutz nach dem EPÜ ist nicht für den Zweck bestimmt, dem Anmelder ein unerschlossenes Forschungsgebiet, wie im Falle von Durchgriffsansprüchen, zu reservieren, sondern soll dazu dienen, tatsächliche Ergebnisse erfolgreicher Forschungstätigkeit als Belohnung dafür zu schützen, dass konkrete technische Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
II. Die aufgabenhafte Formulierung einer chemischen Verbindung, hier in einem Durchgriffsanspruch, umfasst alle Verbindungen, welche die anspruchsgemäße Fähigkeit besitzen. In Ermangelung jeglicher Auswahlregel in der Streitanmeldung und ohne Rückgriffsmöglichkeit auf sein Fachwissen ist der Fachmann allein auf das Prinzip Versuch und Irrtum im Zuge des experimentellen Überprüfens willkürlich gewählter chemischer Verbindungen angewiesen, um sie auf das Vorhandensein der anspruchsgemäßen Fähigkeit hin zu untersuchen; dies stellt für den Fachmann eine Aufforderung zur Durchführung eines Forschungsprogramms und damit einen unzumutbaren Aufwand dar (T 435/91 folgend).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Alle Anträge: Durchgriffsanspruch - chemische Verbindungen aufgabenhaft definiert - auch zukünftige Erfindungen beansprucht - Einschränkung auf tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik zumutbar und geboten - nicht im gesamten Bereich mit zumutbarem Aufwand ausführbar - Forschungsprogramm
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0162/82
T 0068/85
T 0248/85
T 0409/91
T 0435/91
T 0216/96
T 1151/04
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0155/08
T 0852/09
T 0958/10
T 1797/10
T 0480/11
T 0677/11
T 1248/11
T 0524/12
T 0544/12
T 1777/12
T 0702/13
T 1001/13
T 2438/13
T 1089/15
T 1959/15
T 0524/17
T 0241/18
T 0084/19
T 3122/19
T 2015/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 26. Mai 2006 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die am 3. April 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit welcher die europäische Patentanmeldung Nr. 00 962 413.1 mit der Veröffentlichungsnummer WO 01/19776 zurückgewiesen wurde.

II. Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, dass die Erfindung nicht ausreichend offenbart sei. Der der Entscheidung zugrunde liegende Anspruch 1 des Hauptantrages hatte den folgenden ursprünglichen Wortlaut:

"1. Verwendung von Verbindungen, welche auch in der Lage sind, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren, zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Angina pectoris, Ischämien und Herzinsuffizienz."

III. Die Prüfungsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 die Verwendung aller denkbaren Verbindungen beanspruche, vorausgesetzt sie zeigten die beanspruchte Fähigkeit, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym vorhandenen Häm-Gruppe zu stimulieren. Da die Streitanmeldung lediglich die strukturell definierten Verbindungen gemäß Anspruch 3 als geeignet identifiziere, aber keine Hinweise auf weitere, ebenfalls geeignete Alternativen enthalte, müsse der Fachmann aus allen denkbaren Verbindungen ungezielt einzelne Vertreter auswählen und sie auf die gewünschte Fähigkeit testen. Dies stelle einen unzumutbaren Aufwand für den Fachmann dar, den Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner gesamten Breite auszuführen. Daher sei die Erfindung nicht ausreichend offenbart im Sinne von Artikel 83 EPÜ.

IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 3. Februar 2009 hat der Beschwerdeführer zwei Hilfsanträge eingereicht, die jeweils zwei Ansprüche umfassten.

Im Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 wurde am Ende des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag eine Passage angefügt, welche die zu verwendenden Verbindungen durch ein weiteres aufgabenhaftes Merkmal kennzeichnet. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrages 1 lautete:

"1. Verwendung von Verbindungen, welche auch in der Lage sind, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren, zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Angina pectoris, Ischämien und Herzinsuffizienz, wobei solche Verbindungen ausgewählt werden, die in in-vitro-Tests sowohl die Häm-haltige als auch die Häm-freie lösliche Guanylatcyclase stimulieren."

Anspruch 1 des Hilfsantrages 3 unterschied sich von der Fassung des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag durch die Konkretisierung des Wortes "auch" mittels der Passage, dass die Verbindungen die lösliche Guanylatcyclase "sowohl abhängig als auch unabhängig" von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe stimulieren. Der Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrages 3 lautete:

"1. Verwendung von Verbindungen, welche in der Lage sind, die lösliche Guanylatcyclase sowohl abhängig, als auch unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren, zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Angina pectoris, Ischämien und Herzinsuffizienz."

V. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass die sehr breite Formulierung des Anspruchs 1 angesichts des besonderen Beitrages zum Stand der Technik angemessen sei. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung T 68/85 (ABl. EPA 1987, 228), die auch eine rein aufgabenhafte Definition von Merkmalen zulasse, sowie auf die Richtlinien zur Prüfung im Europäischen Patentamt, die ihm ein Anrecht auf eine breite aufgabenhafte Definition zugestünden. Er trug auch vor, dass eine Aufnahme der strukturellen Definition der Verbindungen gemäß Formel I in Anspruch 1 eine nicht zumutbare Beschränkung seiner Erfindung bedeute. In Bezug auf die Ausführbarkeit verwies er darauf, dass die Streitanmeldung auf Seite 65 eine detaillierte Anweisung gebe, wie die jeweiligen Verbindungen getestet werden sollten, um ihre Fähigkeit festzustellen, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren. Da diese Tests sehr einfach durchzuführen seien, stelle deren Durchführung für den Fachmann keinen unzumutbaren Aufwand dar. Im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung im Falle einer rein aufgabenhaften Definition der zu verwendenden Verbindungen verwies er auch auf die Entscheidung T 216/96 (nicht veröffentlicht im ABl. EPA). Dort sei ein Kit zum Nachweis von spezifischen Nucleinsäuresequenzen beansprucht, welcher jeweils zwei Primer enthalte. Diese Primer seien nicht durch eine chemische Struktur, sondern nur durch die ebenfalls strukturell nicht festgelegte, zu bestimmende Nucleinsäuresequenz definiert, ohne als unzureichend offenbart betrachtet worden zu sein. Daher sei auch im Falle der Streitanmeldung eine rein aufgabenhafte Definition von chemischen Verbindungen zulässig und nicht wegen mangelnder Ausführbarkeit zu beanstanden. Hinsichtlich der beiden Hilfsanträge brachte er vor, dass im Hilfsantrag 1 die zu verwendenden Verbindungen auch die Häm-freie lösliche Guanylatcyclase stimulierten und das Testverfahren in vitro durchgeführt werde. Im Hilfsantrag 3 sei klargestellt, dass die zu verwendenden Verbindungen die lösliche Guanylatcyclase sowohl abhängig, als auch unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe stimulierten.

VI. Die Kammer teilte in einer Anlage zur Ladung gemäß Artikel 15 (1) VOBK mit, dass nach vorläufiger Auffassung die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Mängel hinsichtlich der Ausführbarkeit der Erfindung fortbestünden.

VII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patentes auf der Grundlage seines Hauptantrages eingereicht mit Schreiben vom 23. Mai 2006, hilfsweise auf der Grundlage eines seiner Hilfsanträge 1 und 3, beide eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Hauptantrag

Anspruchsformulierung

2. Anspruch 1 betrifft die Verwendung von Verbindungen zur Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung einer Krankheit, hier von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die dabei verwendeten Verbindungen werden jedoch nicht, wie im Falle von chemischen Erzeugnissen üblicherweise notwendig, durch die Angabe ihrer chemischen Struktur, ihrer Zusammensetzung oder sonstiger nachprüfbarer Parameter hinreichend gekennzeichnet (T 248/85, ABl. 1986, 261, Entscheidungsgründe Punkt 3), sondern ausschließlich durch ihre spezifische Fähigkeit, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren, welche der Fachmann nur mittels des in der Beschreibung der Streitanmeldung angegebenen Bestimmungsverfahrens in Form eines neuartigen Forschungswerkzeuges feststellen kann.

Diese Art der aufgabenhaften Definition der zu verwendenden chemischen Verbindungen ist nicht nur auf die erfindungsgemäß tatsächlich gefundenen Verbindungen der anmeldungsgemäßen allgemeinen Formel (i), sondern auch auf jegliche Verbindung gerichtet, die zum Prioritäts- bzw. Anmeldetag der Anmeldung noch nicht strukturell bestimmt war und die erst unter Anwendung des in der Beschreibung angegebenen Bestimmungsverfahrens in Form eines neuartigen Forschungswerkzeuges aufgefunden wird. Diese Art der Anspruchsformulierung stellt daher einen sogenannten "Durchgriffsanspruch" dar, d. h. einen Anspruch, der auch auf zukünftige Erfindungen gerichtet ist, welche auf der derzeitig offenbarten Erfindung beruhen.

3. Der Beschwerdeführer hat unter Hinweis auf die Entscheidung T 68/85 (loc. cit.) die Statthaftigkeit seiner Anspruchsformulierung mit einer rein aufgabenhaften Definition der anspruchsgemäß zu verwendenden Verbindungen geltend gemacht.

3.1 Indessen steht die Wahl, wie ein technisches Merkmal im Patentanspruch zu definieren ist, nicht im freien Belieben des Anmelders, sondern die Erfindung, die geschützt werden soll, ist in objektiv präzisester Art und Weise zu definieren (siehe Entscheidung T 68/85, loc. cit., Entscheidungsgründe Punkt 8.4.2). Eine anspruchsgemäße Charakterisierung von chemischen Verbindungen durch eine nicht-strukturelle, rein aufgabenhafte Definition, hier über eine spezifische Fähigkeit zu verfügen, ist folglich nur in jenen Ausnahmefällen zuzulassen, in denen die Erfindung anders nicht präziser definiert werden kann, ohne gleichzeitig eine unzumutbare Einschränkung des technischen Beitrages zum Stand der Technik zu bewirken (T 68/85 loc. cit., Entscheidungsgründe Punkte 8.4.1 und 8.4.2).

3.2 Nachdem dem Anmelder indessen nur der Schutz für seinen tatsächlichen Beitrag zum Stand der Technik, also für seine tatsächlich erfolgte Erfindung, zusteht, ist es nicht nur zumutbar, sondern geboten, den Anspruchsgegenstand auf die tatsächlich in der Streitanmeldung offenbarte Erfindung zu beschränken, welche zumindest nicht die Verwendung jener chemischen Verbindungen umfasst, die zum Prioritätstag der Streitanmeldung noch nicht strukturell bestimmt waren und die erst unter Anwendung des in der Beschreibung angegebenen neuartigen Forschungswerkzeuges zukünftig aufgefunden werden. Dies leitet sich von dem Grundsatz her, dass von Erfindungen im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens, auf welche ein Patent zu erteilen ist, ein Beitrag zum Stand der Technik verlangt wird, d. h. die Bereitstellung einer technischen Lösung für eine dem Stand der Technik entspringende Aufgabe. Patentschutz nach dem EPÜ ist jedoch nicht für den Zweck bestimmt, dem Anmelder ein unerschlossenes Forschungsgebiet zu reservieren, sondern soll dazu dienen, tatsächliche Ergebnisse erfolgreicher Forschungstätigkeit als Belohnung dafür zu schützen, dass konkrete technische Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

3.3 Der Beschwerdeführer wandte nun ein, dass zum Zeitpunkt der Erfindung lediglich Verbindungen bekannt waren, welche die lösliche Guanylatcyclase entweder über die Freisetzung von NO oder durch direkte Wechselwirkung mit der Häm-Gruppe des Enzyms stimulierten. Indessen habe die Erfindung erstmals Verbindungen gefunden, die mittels eines neuartigen Wirkungsmechanismus die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym vorhandenen Häm-Gruppe zu aktivieren vermöchten. Durch das in der Beschreibung der Streitanmeldung angegebene Bestimmungsverfahren in Form eines neuartigen Forschungswerkzeuges seien Verbindungen auffindbar, die diesen Häm-unabhängigen Wirkungsmechanismus zeigten. Da dieser Beitrag zum Stand der Technik medizinisch sehr bedeutsam sei, sei auch eine sehr breite Definition des Anspruchs, die sich auch auf noch nicht gefundene und offenbarte chemische Verbindungen erstrecke, angemessen, um diesen Beitrag zum Stand der Technik adäquat zu würdigen und um Umgehungshandlungen Dritter auszuschließen.

Indessen sind die geltenden Ansprüche weder auf das Bestimmungsverfahren zum Auffinden der chemischen Verbindungen, noch auf ein sonstiges Forschungswerkzeug per se, mit dem die anspruchsgemäße Fähigkeit der zu verwendenden Verbindungen bestimmt wird, gerichtet, sondern allein auf die Verwendung von chemischen Stoffen. Insofern geht der Einwand des Beschwerdeführers am tatsächlichen Gegenstand der geltenden Ansprüche vorbei.

Bei den vom Beschwerdeführer angesprochenen zukünftigen "Umgehungshandlungen" Dritter handelt es sich jedoch eher um zukünftige Erfindungen, die in der Streitanmeldung eben noch nicht offenbart sind und die damit auch nicht vom tatsächlichen Beitrag des Erfinders zum Stand der Technik erfasst werden. Dem Erfinder steht jedoch nur ein Schutz für seinen tatsächlichen Beitrag zu. Deshalb kann auch dieses Argument des Beschwerdeführers nicht durchgreifen.

Auf die vom Beschwerdeführer angezogenen "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt", aus denen er sein Anrecht auf eine aufgabenhafte Definition von chemischen Verbindungen vor der Kammer abzuleiten sucht, kann er sich nicht erfolgreich berufen. Es kann dahinstehen, ob der Vortrag des Beschwerdeführers, soweit er den Inhalt der Prüfungsrichtlinien betrifft, zutreffend ist oder nicht, denn diese Richtlinien werden vom Präsidenten des Europäischen Patentamtes erlassen und entfalten für die Beschwerdekammern keine normative, bindende Wirkung (T 162/82, ABl. EPA 1987, 533, Entscheidungsgründe Punkt 9). Vielmehr sind die Mitglieder der Beschwerdekammern gemäß Artikel 23 (3) EPÜ in Ausübung ihrer richterlichen Befugnisse an Weisungen, somit auch an diese Richtlinien, nicht gebunden und nur dem Europäischen Patentübereinkommen unterworfen.

4. Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass im vorliegenden Fall dem beschwerdeführenden Anmelder sehr wohl zumutbar ist, die aufgabenhafte Kennzeichnung der zu verwendenden chemischen Verbindungen durch die tatsächlich in der Anmeldung offenbarte Erfindung zu ersetzen, d. h. sich auf den tatsächlich erbrachten Beitrag zum Stand der Technik zurückzuziehen.

Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

5. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der Ausführbarkeit nur dann erfüllt, wenn die in den unabhängigen Ansprüchen definierte Erfindung durch einen Fachmann im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens und weiterer Angaben in der vorliegenden Anmeldung nachgearbeitet werden kann (siehe Entscheidungen T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Punkt 3.5; T 435/91, ABl. EPA 1995, 188, Punkt 2.2.1). Dieser Grundsatz gilt für jede Erfindung ungeachtet dessen, wie sie anspruchsgemäß definiert ist, sei es durch ein strukturelles oder durch ein aufgabenhaftes Merkmal. Die Besonderheit einer aufgabenhaften Definition eines technischen Merkmals liegt in der Tatsache, dass es durch seine Wirkung charakterisiert ist. Diese Art der Definition umfasst eine unbestimmte und unzählige Schar von möglichen Alternativen ganz unterschiedlicher Struktur, was solange nicht zu beanstanden ist, wie all diese umfassten Alternativen das gewünschte Ergebnis liefern und dem Fachmann auch zur Verfügung stehen. Dies spiegelt den allgemeinen Rechtsgrundsatz wider, dass das Schutzbegehren dem technischen Beitrag zu entsprechen hat, welchen die offenbarte Erfindung zum Stand der Technik leistet. Daher ist zu prüfen, ob die Streitanmeldung eine verallgemeinerungsfähige technische Lehre offenbart, die dem Fachmann das ganze Variantenspektrum zur Verfügung stellt, das die aufgabenhafte Definition eines anspruchsgemäßen technischen Merkmals umfasst.

5.1 Im vorliegenden Fall hat sich die Erfindung zum Ziel gesetzt, "Arzneimittel zur Behandlung von Herz-Kreislauferkrankungen oder anderen über eine Beeinflussung des cGMP-Signalweges in Organismen therapierbaren Erkrankungen zu entwickeln" (Streitanmeldung Seite 4, Zeilen 1 bis 3).

Das technische Mittel zum Erreichen dieses Ziels besteht laut Anspruch 1 darin, Verbindungen zu verwenden, die auch in der Lage sind, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren. Somit wird anspruchsgemäß ein technisches Merkmal des Erfindungsgegenstandes rein aufgabenhaft definiert, denn die Charakterisierung der zu verwendenden chemischen Verbindungen erfolgt lediglich durch die Angabe ihrer Fähigkeit, nämlich die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren. Daher umfasst diese aufgabenhafte Formulierung im Anspruch 1 alle chemischen Verbindungen, welche die o. g. Fähigkeit besitzen; sie umfasst folglich a priori jede denkbar mögliche chemische Verbindung unterschiedlichster Struktur, so aus dem Bereich der organischen Chemie alle denkbaren organochemischen Stoffklassen, gegebenenfalls mit unterschiedlichsten funktionellen oder reaktiven Gruppen, metallorganische Verbindungen, deren Salze, etc. Nachdem der Anspruch auch hinsichtlich der beanspruchten Verbindungen keine strukturelle Beschränkung enthält, umfasst er folglich eine unbestimmte und unzählige Schar von Alternativen, was solange nicht zu beanstanden ist, wie alle diese Verbindungen die gewünschte Fähigkeit besitzen, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren.

5.2 Allerdings sind zum Zeitpunkt der Anmeldung nur solche Verbindungen als Guanylatcyclasestimulantien bekannt gewesen, welche das Enzym entweder durch direkte Wechselwirkung mit der Häm-Gruppe, oder durch eine Häm-abhängige Wechselwirkung stimulieren (siehe auch Streitanmeldung Seite 3, Zeilen 27 bis 30). Somit zeigen nicht alle denkbaren Verbindungen die anspruchsgemäß notwendige Fähigkeit, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren. Vielmehr hat der Fachmann aus dieser unbestimmten und unzähligen Schar von Alternativen die geeigneten auszuwählen.

Bei der vorzunehmenden Auswahl kann der Fachmann nicht auf sein Fachwissen zurückgreifen, um aus der Schar der möglichen Alternativen diejenigen geeigneten chemischen Verbindungen zu identifizieren, die neben den in der Streitanmeldung exemplifizierten Verbindungen der allgemeinen Formel (i) ebenfalls von der aufgabenhaften Definition des Anspruchs umfasst werden, da die Streitanmeldung auf Seite 1, Zeilen 5 und 6 offenbart, dass die Erfindung gerade auf einem "neuartigen Wirkungsmechanismus" beruht. Er ist daher bei der Auswahl der chemischen Verbindungen, welche die notwendige Fähigkeit zeigen, lediglich auf die Angaben in der Streitanmeldung angewiesen. Nachdem auch in der Streitanmeldung jegliche Auswahlregel fehlt, sich auch nicht in Form einer Struktur-Wirkungs-Beziehung findet, anhand derer er vorab grundsätzlich geeignete Verbindungsklassen identifizieren könnte, ist der Fachmann allein auf das Prinzip Versuch und Irrtum im Zuge des experimentellen Überprüfens willkürlich gewählter chemischer Verbindungen mittels des in der Streitanmeldung angegebenen Bestimmungsverfahrens angewiesen, um innerhalb der unzähligen Schar möglicher alternativer Verbindungen jene zu identifizieren, welche die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe stimulieren. Dabei hat er in der Streitanmeldung auch keinerlei Anleitung zur Verfügung, die es ihm erlaubte, durch Auswertung anfänglicher Fehlschläge zwangsläufig und direkt zum Erfolg zu gelangen. Auch die bloße strukturelle Konkretisierung einer geeigneten Verbindungsklasse der allgemeinen Formel (i) in der Streitanmeldung hilft dem Fachmann hier nicht weiter. Deshalb müsste er, um alle geeigneten Alternativen aufzufinden, jede denkbare chemische Verbindung auf die anspruchsgemäße Fähigkeit untersuchen; dies stellt für den Fachmann eine Aufforderung zur Durchführung eines Forschungsprogramms und damit einen unzumutbaren Aufwand dar (siehe T 435/91, loc. cit., Entscheidungsgründe Punkt 2.2.1, letzter Absatz und T 1151/04, nicht veröffentlicht im ABl. EPA, Entscheidungsgründe Punkt 3.1.2).

5.3 Darüber hinaus wäre bereits durch die Formulierung des Anspruchs 1 als "Durchgriffsanspruch" die Ausführbarkeit der Erfindung in ihrer gesamten beanspruchten Breite zweifelhaft, da diese offene Anspruchsformulierung, wie oben unter Punkt 2 ausgeführt, auch auf zukünftige Erfindungen gerichtet ist, die auf der vorliegenden Erfindung beruhen und die folglich zum Prioritätstag der Streitanmeldung noch nicht erfolgt waren.

5.4 Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der Fachmann zur Identifizierung der jeweiligen Verbindungen nur das in der Streitanmeldung offenbarte Bestimmungsverfahren, das ausreichende Angaben zu seiner Durchführung enthalte, auf die jeweiligen chemischen Verbindungen anwenden müsse. Da das Bestimmungsverfahren sehr einfach und schnell durchführbar sei, stelle dessen Durchführung einen vertretbaren Aufwand dar, weswegen die Erfindung im gesamten Umfang ausführbar sei.

Indessen ist die Tatsache, dass die Streitanmeldung ausreichende Informationen enthält, um das dort beschriebene Bestimmungsverfahren durchführen zu können, nur eine notwendige Voraussetzung für dessen Nacharbeitbarkeit, jedoch ist dessen Angabe allein nicht ausreichend, um den Gegenstand des Anspruchs in seiner gesamten Breite ausführen zu können, da es dem Fachmann nur die Anwesenheit oder Abwesenheit der anspruchsgemäßen Fähigkeit anzeigt, aber mangels jeglicher Auswahlregel keine Anweisung zur zielgerichteten Auswahl der geeigneten chemischen Verbindungen liefert.

5.5 Der Beschwerdeführer brachte unter Hinweis auf die Entscheidung T 216/96 (loc. cit.) vor, dass eine rein aufgabenhafte Definition der zu verwendenden chemischen Verbindungen zuzulassen sei. In der zitierten Entscheidung betreffe der dortige Anspruch 13 ein Kit zum Nachweis von spezifischen Nucleinsäuresequenzen, welcher jeweils zwei Primer enthalte. Die Primer seien nicht durch eine chemische Struktur, sondern nur durch die zu bestimmende Nucleinsäuresequenz, welche ebenfalls strukturell nicht festgelegt sei, definiert und als ausreichend offenbart angesehen worden, da an einem Beispiel die Herstellung eines Primers beschrieben sei. Da auch in der Streitanmeldung beispielhaft einige Verbindungen genannt seien, sei auch hier eine rein aufgabenhafte Definition von chemischen Verbindungen zulässig und nicht wegen mangelnder Ausführbarkeit zu beanstanden.

Indessen handelt es sich bei den in der angezogenen Entscheidung beanspruchten Primern nicht um eine unendliche Schar von Alternativen, aus denen der Fachmann die geeigneten auszuwählen hat, sondern um eine endliche, welche zum einen durch die Angabe ihrer Funktion als Primer bereits naturgemäß auf eine chemische Stoffklasse beschränkt und zum anderen durch die zu bestimmende Nucleinsäuresequenz als deren Komplementärsequenz im Sinne eines Schlüssel-Schloss-Prinzips festgelegt sind. Daher ist die Grundlage der Beurteilung in der Entscheidung T 216/96 (loc. cit.) zum vorliegenden Fall unterschiedlich, weshalb auch die dortigen Schlussfolgerung nicht auf den vorliegenden Fall zutreffen. Folglich kann dieses Argument des Beschwerdeführers die Kammer nicht überzeugen.

6. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass wegen der aufgabenhaften Kennzeichnung der zu verwendenden chemischen Verbindungen der Fachmann die beanspruchte Erfindung nicht über den gesamten beanspruchten Bereich mit zumutbarem Aufwand ausführen kann, weswegen die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt sind.

Hilfsanträge 1 und 3

Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)

7. Der Anspruch 1 des Hilfsantrages 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrages lediglich durch das Hinzufügen der Textpassage "wobei solche Verbindungen ausgewählt werden, die in in-vitro-Tests sowohl die Häm-haltige als auch die Häm-freie lösliche Guanylatcyclase stimulieren" am Ende des Anspruchs (siehe Punkt IV, supra). Eine Basis für diese Änderung findet sich auf Seite 4, Zeilen 15 bis 17 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen. Die Angabe von "in-vitro-Tests" findet sich auf Seiten 64 bis 65 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrages 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrages dadurch, dass gegenüber der ursprünglichen Fassung klargestellt wurde, dass die zu verwendenden Verbindungen in der Lage sind, sowohl abhängig als auch unabhängig von der Häm-Gruppe zu stimulieren (siehe Punkt IV, supra). Die Basis hierfür findet sich in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf Seite 4, Zeilen 15 bis 17.

Die Änderungen in den Ansprüchen 1 der Hilfsanträge sind daher zulässig im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ.

Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

8. In den Ansprüchen 1 der beiden Hilfsanträge werden die zu verwendenden chemischen Verbindungen weiterhin nicht mittels strukturelle Definitionen gekennzeichnet, sondern ausschließlich aufgabenhaft definiert. Die bereits im Hauptantrag beanstandete aufgabenhafte Definition der zu verwendenden Verbindungen, nämlich dass sie die Fähigkeit besitzen sollen, die lösliche Guanylatcyclase unabhängig von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe zu stimulieren, ist nach wie vor auch im Anspruch 1 der beiden Hilfsanträge vorhanden. Die Angabe einer weiteren Fähigkeit im Hilfsantrag 3, nämlich dass die Verbindungen die lösliche Guanylatcyclase "sowohl abhängig als auch unabhängig" von der im Enzym befindlichen Häm-Gruppe stimulieren, trägt nicht dazu bei, den Mangel hinsichtlich der im Hauptantrag gerügten aufgabenhaften Kennzeichnung zu beheben. Ebensowenig kann das Hinzufügen einer weiteren aufgabenhaften Kennzeichnung der zu verwendenden chemischen Verbindungen im Hilfsantrag 1, nämlich der weiteren Fähigkeit, in in-vitro-Tests sowohl die Häm-haltige als auch die Häm-freie lösliche Guanylatcyclase zu stimulieren, dazu beitragen, den im Hauptantrag gerügten Mangel in Bezug auf die Ausführbarkeit zu beheben. Vielmehr wird das Hinzufügen weiterer notwendiger Fähigkeiten dem Fachmann das Auffinden geeigneter chemischer Verbindungen, nämlich Verbindungen die nun gleichzeitig alle diese Fähigkeiten aufweisen, noch zusätzlich erschwert.

9. Somit gelten für die beiden Hilfsanträge die gleichen Überlegungen und Schlussfolgerungen wie für den Hauptantrag, nämlich dass wegen der bereits im Hauptantrag enthaltenen aufgabenhaften Kennzeichnung der zu verwendenden chemischen Verbindungen der Fachmann die beanspruchte Erfindung nicht über den gesamten beanspruchten Bereich mit zumutbarem Aufwand ausführen kann, weswegen die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt sind.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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