Sachverhalt und Anträge
I. Durch Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 13. Juni 1984 wurde der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 006 549, das auf die europäische Patentanmeldung Nr. 79 101 960.7 erteilt worden war, zurückgewiesen.
II. Gegen diese Entscheidung erhob die Einsprechende am 12. Juli 1984 Beschwerde und bezahlte die Gebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 13. Oktober 1984 eingereicht.
III. Die Einsprechende beantragt, das europäische Patent zu widerrufen. Mit Schreiben vom 5. Juni 1985 beantragt nun mehr die Patentinhaberin ebenfalls, das europäische Patent zu widerrufen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Da der Patentinhaber selbst den Widerruf seines Patents beantragt hat, stellt sich zunächst die Frage, ob ein solcher Antrag zugelassen werden kann. Im Einspruchsverfahren vor dem EPA hat sich für den Patentinhaber das Bedürfnis ergeben, sein Patent mit rückwirkender Kraft (ex tunc) zu beseitigen. Das Europäische Patentamt hat daher nach einem rechtlichen Weg gesucht, wie sich der Patentinhaber im Einspruchsverfahren des europäischen Patents rückwirkend entledigen konnte. Diese Lösung wurde in der Rechtsauskunft Nr. 11/82 (Amtsbl. EPA 1982, 57) dargelegt. Sie sieht vor, daß der Widerruf des europäischen Patents (ohne weitere Prüfung der Patentfähigkeit) erfolgt, wenn der Patentinhaber erklärt, daß er der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht zustimmt und er auch keine geänderte Fassung vorlegt. Entsprechendes wurde angenommen für den Fall, daß der Patentinhaber den Antrag stellt, das Patent zu widerrufen.
3. Diese Lösung begegnet keinen rechtlichen Bedenken; sie steht im Einklang mit der Vorschrift nach Artikel 113 (2) EPÜ, wonach sich das EPA an die vom Patentinhaber "vorgelegte oder gebilligte Fassung" des europäischen Patents zu halten hat. Diese Billigung liegt nicht vor, wenn der Patentinhaber, ohne eine geänderte Fassung vorzulegen, ausdrücklich erklärt, daß er der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht zustimmt (vgl. T 73/84 "Widerruf auf Veranlassung des Patentinhabers/SMS"- Amtsbl. EPA 1985, 241). Dies hat zur Folge, daß gegen den Willen des Patentinhabers das Patent nicht aufrechterhalten werden kann. Daher kann er die notwendige Folge einer solchen Erklärung - also den Widerruf - auch unmittelbar beantragen.
4. Im vorliegenden Fall lautet der Antrag des Patentinhabers auf Widerruf des Patents. Es besteht kein Zweifel, daß er damit Widerruf i.S.v. Artikel 102 (1) mit der Wirkung von Artikel 68 EPÜ, also dem Wegfall der Wirkungen der europäischen Patentanmeldung und des darauf erteilten Patents von Anfang an anstrebt. Dieser Antrag unterscheidet sich von der Erklärung über die Nichtbilligung irgendeiner Anspruchsfassung zwar der Form, aber wegen der gleichen Zielrichtung nicht dem Inhalt nach, so daß der hier gestellte Antrag als Entzug des Einverständnisses mit der erteilten Fassung des Patents ausgelegt werden kann.
5. Beantragt der Patentinhaber selbst den Widerruf des Patents, so ist eine Prüfung i.S.v. Artikel 102 EPÜ, ob die in Artikel 100 EPÜ genannten Gründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen, nicht nur entbehrlich, sondern ausgeschlossen. Das Fehlen einer gültigen Fassung des Patents (vgl. oben Nr. 3) hat zur Folge, daß das Patent einer sachlichen Prüfung der vorgebrachten Patent- hinderungsgründe entzogen ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent Nr. 006 549 wird widerrufen.