European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1982:T002481.19821013 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 13 October 1982 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0024/81 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79101414.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit wird dadurch objektiviert, daß man vom objektiv gegebenen Stand der Technik ausgeht, demgegenüber die Aufgabe ermittelt, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe von der Warte des Fachmanns mit den objektiv zu erwartenden Fähigkeiten aus betrachtet. Demgegenüber stellt eine bloße Prüfung auf Anzeichen fuer das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit keinen Ersatz für die technisch fachmännische Bewertung der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 56 EPÜ dar. Liegen solche Anzeichen vor, so kann sich aus der Gesamtschau des Standes der Technik unter Abwägung aller maßgeblichen Fakten die erfinderische Tätigkeit ergeben, muß es aber nicht. Ein Verfahren, das im Hinblick auf ein relativ kurz vor der Anmeldung auftretendes Bedürfnis geschaffen wurde, gilt nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend, wenn dieses Bedürfnis alsbald durch naheliegende Kombination von Lehren aus dem Stand der Technik befriedigt werden konnte. 2. Bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist der Stand der Technik aus der Sicht des Fachmanns zu dem für die Anmeldung maßgeblichen Prioritätszeitpunkt zu bewerten. Dies hat zur Folge, daß alle vorveröffentlichten Ausführungsformen heranzuziehen sind, die dem Fachmann Anregung zur Lösung der gestellten Aufgabe geben konnten, und zwar auch dann, wenn die Ausführungsformen nicht besonders hervorgehoben wurden. |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Ermittlung der Aufgabe | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 9. Mai 1979 eingegangene und am 28. November 1979 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 79 101 414.5 (Veröffentlichungs-Nummer 0 000 506), für welche die Priorität der deutschen Voranmeldung vom 11. Mai 1978 in Anspruch genommen wird, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 17. Februar 1981 auf der Grundlage der ursprünglichen acht Patentansprüche unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 26. November 1980 beantragten Streichung im Anspruch 2 zurückgewiesen. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
Verfahren zur Behandlung von Roheisen- und Stahlschmelzen bzw. Legierungen in einem Konverter, Tiegel oder sonstigem Gefäß, dadurch gekennzeichnet, daß der gesamte Frisch- und Behandlungsprozeß mit Kohlensäure in einem Gefäß kontinuierlich und bis zur Fertigstellung des Stahles durchgeführt wird.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand nach Anspruch 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Aus der DD-A-103 266 sei ein Verfahren zur Behandlung von Roheisenschmelzen in einem Konverter bekannt, wobei der gesamte Frisch- und Spülprozeß in einem Konverter kontinuierlich durchgeführt werde. Als Frischgas werde Sauerstoff, als Spülgas u.a. Kohlendioxid verwendet. Das anmeldungsgemäße Verfahren unterscheide sich von diesem bekannten Verfahren nur dadurch, daß sowohl das Frischen als auch das Spülen mit kohlendioxidhaltigem Gas erfolge. Die Vorteile des Spülens von Stahlschmelzen mit Kohlendioxid seien bereits aus den GB-A-869 953 und 1 258 451 bekannt. Die Anwendung einer solchen Spülbehandlung bei dem aus der obengenannten DD-A bekannten Verfahren sei daher für den Fachmann naheliegend, um so mehr als in dieser letztgenannten Entgegenhaltung die mögliche Verwendung von Kohlendioxid als Spülgas bereits angedeutet sei. Weiterhin sei aus der DE-C-934 772 bekannt, daß Kohlendioxid und Kohlendioxid-Sauerstoffgemische vorteilhaft als Frischmittel bei der Stahlherstellung angewendet werden könnten. Entgegen der Annahme der Anmelderin, wonach dabei das Kohlendioxid im wesentlichen in fester Form als Kalk zugeführt werde, befasse sich diese Patentschrift hauptsächlich mit der Anwendung von Kohlendioxid in gasförmigem, flüssigem oder festem Zustand und erwähne den Einsatz von Kalk nur bei solchen Verfahren, bei denen große Kalkmengen zum Schlackenaufbau benötigt würden. Die Anwendung von Kohlendioxid als Frischmittel bei dem aus der obengenannten DD-A bekannten Verfahren beruhe somit nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Das Argument der Anmelderin, wonach die Kombination der angeführten Druckschriften für den Fachmann nicht nahegelegen haben könne, weil sonst die Anregung für das anmeldungsgemäße Verfahren von der Stahlindustrie ausgegangen wäre, sei der Prüfungsabteilung unverständlich. Der Umstand, daß sich die Anmelderin normalerweise mit anderen Gebieten der Technik befasse als demjenigen der vorliegenden Anmeldung, sei kein Indiz für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit.
III. Gegen dies Entscheidung hat die Anmelderin am 31. März 1981 Beschwerde erhoben und diese am 6. Juni 1981 begründet. Sie hat sinngemäß den Antrag gestellt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das nachgesuchte Patent auf der Grundlage der mit der Eingabe vom 19. April 1982 vorgelegten Patentansprüche zu erteilen. Diese Ansprüche haben folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Behandlung von Roheisen- und Stahlschmelzen bzw. Legierungen in durch Frischen und Spülen in ein und demselben Konverter, Tiegel oder sonstigen Gefäß, dadurch gekennzeichnet, daß die Roheisenschmelze mit etwa 100 bis 250 kg CO2/t Stahl gefrischt und bis zur Fertigstellung des Stahles mit etwa 0,25 bis 50,0 kg CO2/t satzgas inerter oder reduzierender Art samte Frisch- und Nachbehandlungsprozeß mit Kohlensäure in ein und demselben Gefäß kontinuierlich und bis zur Fertigstellung des Stahles durchgeführt wird.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß flüssige Kohlensäure unter einem Druck von 4,0 bis 20,0 bar, vorzugsweise unter einem Druck von 4 bis 15 bar, in die Roheisenschmelze eingeblasen wird.
3. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß gasförmige und flüssige Kohlensäure durch getrennte Düsen unter einem Druck von 0,2 bis 20,0 bar, vorzugsweise unter einem Druck von 2 bis 15 bar, in die Roheisenschmelze eingeblasen wird.
4. Verfahren nach Anspruch 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß während des Frischens oder während der Nachbehandlung der Schmelze oder bei beiden Vorgängen mit Kohlensäure zusätzlich ein weiteres oxidierendes Gas in unterschiedlicher Konzentration und Zeitdauer eingeblasen wird.
5. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß man als weiteres oxidierendes Gas Sauerstoff verwendet.
6. Verfahren nach Anspruch 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß während des Frischens oder während der Nachbehandlung der Schmelze oder bei beiden Vorgängen mit Kohlensäure ein Zusatzgas inerter oder reduzierender Art in unterschiedlicher Menge und Zeitdauer eingeblasen wird.
7. Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß man als Zusatzgas inerter oder reduzierender Art Argon, Stickstoff und/oder Kohlenmonoxid verwendet." Hilfsweise hat die Beschwerdeführerin mündliche Verhandlung beantragt. Diese hat am 13. Oktober 1982 stattgefunden.
IV. Die Beschwerde wird im wesentlichen wie folgt begründet: Die objektiven Tatbestände Neuheit und technischer Effekt seien unbestritten geblieben. Im Gegensatz hierzu könne die erfinderische Tätigkeit nur subjektiv beurteilt werden. So könne man durch mosaikartiges Zusammensetzen des Standes der Technik aus rückschauender Sicht, also in Kenntnis der Erfindung, immer behaupten, die Kombination der verschiedenen Merkmale ergebe den Anmeldungsgegenstand ohne erfinderisches Zutun. Im vorliegenden Fall wäre man aber selbst durch sachgerechtes Zusammenfügen des Standes der Technik nicht zum beanspruchten Verfahren gelangt.
Der wesentliche Erfindungsgedanke der vorliegenden Anmeldung bestehe darin, daß die Behandlung von Roheisen- und Stahlschmelzen, die sich aus dem Frischen und dem nachfolgenden Spülen zusammensetze, unter Einsatz von Kohlensäure als Frisch- und Spülmittel kontinuierlich in einem einzigen Gefäß bis zur Fertigstellung des Stahls durchgeführt werde. Die DD-A beschreibe zwar ein Verfahren zur Behandlung von Roheisenschmelzen im Konverter, bei dem der Frisch- und Spülprozeß in einem Gefäß kontinuierlich durchgeführt werde, wobei jedoch als Frischgas Sauerstoff eingesetzt und als Spülgas unter mehreren Möglichkeiten auch Kohlendioxid angewendet werde. Dabei handle es sich um das konventionelle Verfahren zum Frischen von Sauerstoff, bei dem unerwünschte Gasgehalte durch pulsierende Spülung mit Stickstoff, Argon oder Kohlendioxid herabgesetzt werden könnten. Hiervon unterscheide sich das erfindungsgemäße Verfahren dadurch, daß sowohl das Frischen als auch das Spülen mit Kohlendioxid erfolge. Die übrigen Entgegenhaltungen befaßten sich nicht mit dem gesamten metallurgischen Prozeß, sondern nur mit dessen Teilaspekten und könnten daher keine technische Lehre für den beanspruchten Gesamtprozeß vermitteln.
In der DE-C 934 772 werde ausgeführt, daß man beim Frischen von Stahlschmelzen auch Kohlensäure verwenden könne, indem man ungebrannten Kalk (CaCO3) zusetze. Ein derartiges Verfahren, das Kohlendioxid in gebundener Form als CaCO3 verwende, unterscheide sich grundsätzlich von dem erfindungsgemäßen Frischen dadurch, daß die Freisetzung des Kohlendioxids aus CaCO3 ein erhöhtes Wärmedefizit ergebe, das durch Wärmezufuhr ausgeglichen werden müsse. Es werde nicht bestritten, daß in dieser Patentschrift auch die Verwendung von gasförmigem Kohlendioxid offenbart werde; der Fachmann hätte jedoch diese Ausführungsform nicht in Betracht gezogen, weil sie nicht als bevorzugt hervorgehoben sei. Die FR-A-1 058 181 beschreibe lediglich die gemeinsame Verwendung von Sauerstoff und Kohlendioxid bei der Eisenveredelung und gebe keine Anregung für das erfindungsgemäße Verfahren. Die Tatsache, daß die Erfindung, die einen wesentlichen, wirtschaftlich einfachen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme der Stahlindustrie leiste, nicht von den Fachleuten dieser Branche aufgefunden worden sei, liefere ein zusätzliches Anzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. Die geltende Anspruchfassung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Anspruch 1 ergibt sich durch Zusammenfassung der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2. Die Ansprüche 2 bis 7 entsprechen den erstoffenbarten Ansprüchen 3 bis 8.
3. Das beanspruchte Verfahren in der im Beschwerdeverfahren eingeschränkten geltenden Fassung des Hauptanspruchs betrifft im wesentlichen die kontinuierliche Behandlung von Roheisen- und Stahlschmelzen durch Frischen und nachfolgendes Spülen in einem einzigen Gefäß unter Einsatz von Kohlensäure als Frisch- und Spülmittel in bestimmten unterschiedlichen Mengen. Ein derartiges Verfahren ist den der Kammer vorliegenden Druckschriften nicht zu entnehmen; es gilt daher als neu.
4. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit für dieses Verfahren kommt es nicht auf die subjektive Leistung des Erfinders an, so daß die in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Vorgeschichte der Erfindung irrelevant ist. Vielmehr ist auf eine objektive Leistung abzustellen. Ebenso wie bei der Neuheit handelt es sich auch bei der erfinderischen Tätigkeit um einen objektiven Begriff. Die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit wird dadurch objektiviert, daß man vom objektiv gegebenen Stand der Technik ausgeht, demgegenüber die Aufgabe ermittelt, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird (vgl. die Entscheidung "Reaktionsdurchschreibepapier" ABI. 7/1981, 206, Leitsatz I), und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe von der Warte des Fachmanns mit den objektiv zu erwartenden Fähigkeiten aus betrachtet. Hierdurch wird auch die von der Beschwerdeführerin befürchtete rückschauende Betrachtungsweise, die unzulässigerweise von der Kenntnis der Erfindung Gebrauch macht, vermieden.
5. Wendet man diesen Maßstab auf den vorliegenden Fall an, so ist die erfinderische Tätigkeit aus der Sicht eines Fachmanns auf dem Stahlsektor zu betrachten, dem die bereits in der Vorinstanz angezogenen Druckschriften wohl bekannt waren, so auch das Sauerstoffblasverfahren, das nach den Angaben der Beschwerdeführerin vor 30 Jahren in die Technik eingeführt wurde. Als nachteilig wird bei diesem Verfahren die starke Überhitzung der Schmelze beim Frischen angesehen, wodurch die Konverterauskleidung beschädigt wird, was zur Verunreinigung der Stahlschmelze durch Partikel aus der Auskleidung führt (vgl. Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmeldung Seite 1, Zeilen 12 bis 16). Ein Lösungsvorschlag zur Vermeidung dieser Nachteile wird bereits in der DD-A-103 266 beschrieben. Dabei wird u.a. zur Erhöhung der Kühlleistung der Gase und damit der Erhöhung der Haltbarkeit der Konverterauskleidung (vgl. Seite 8, Zeilen 20 bis 26) die Roheisenschmelze mit einem pulsierenden Sauerstoffstrahl, der von einem Mantelmedium, besonders Wasserdampf umgeben ist, gefrischt (Ansprüche 1 und 10) und anschließend die Stahlschmelze zur Senkung unerwünschter Gasgehalte durch Einleiten eines inerten oder reaktionsträgen pulsierenden Gasstrahls mit umgebendem Mantelmedium gespült (Anspruch 14). Als Spülgas wird Stickstoff, Argon, Kohlendioxid oder Rauchgas verwendet (Anspruch 15).
6. Auf der Suche nach einer weiteren Lösung des bekannten Problems hat sich die Beschwerdeführerin die Doppelaufgabe gestellt, sowohl a) eine Überhitzung der Schmelze zu vermeiden, die zwangsläufig zur Verminderung der Lebensdauer der Konverterauskleidung und zur Verunreinigung der Schmelze mit Konverterpartikeln führt, als auch b) die Bildung von rotem Eisenoxidrauch beim Frischvorgang zu unterbinden, um dadurch den Einsatz kostspieliger Filteranlagen entbehrlich zu machen. Die so definierte Aufgabe wurde aus objektiver Sicht anhand des erfindungsgemäß gewollten und tatsächlich erreichten Ergebnisses (vgl. vorliegende Anmeldung Seite 2, letzte Zeile, Seite 3, Zeilen 2 bis 5, Seite 4, Zeile 1 und Seite 8, Zeilen 24 bis 26) ermittelt (vgl. hierzu auch "Aryloxybenzaldehyd" ABl. 6/1982, 217).
7. Zur Lösung dieser Aufgabe wird anmeldungsgemäß im wesentlichen der Einsatz von Kohlensäure als Frisch- und Spülmittel vorgeschlagen.
8. Dem Fachmann, der sich nach einer neuen Lösung dieser Aufgabe im Stande der Technik umsah, war bekannt, daß sich Roheisenschmelzen beim Frischen mit Kohlensäure abkühlen (vgl. DE-C-934 772, Anspruch 1 und Seite 2, Zeilen 24/25 und 81/82). Die Abkühlung kommt durch die endotherme Reaktion des im Roheisen enthaltenen Kohlenstoffs mit dem Frischmittel Kohlensäure unter Umsatz zu Kohlenmonoxid zustande (vgl. auch Seite 1, Zeilen 17 bis 24 in Verbindung mit Seite 2, Zeilen 34 bis 36 dieser Entgegenhaltung). Die Verwendung von Kohlendioxid als Frischmittel bot sich daher aus fachmännischer Sicht zur Lösung der Teilaufgabea) an.
9. Zur Lösung der Teilaufgabe b) vermochte die FR-A-1 058 181 die nötige Anregung zu geben. Diese Druckschrift vermittelt die Lehre, daß die Bildung des gefürchteten roten Eisenoxidrauchs bei der Behandlung von Roheisenschmelzen mit Sauerstoff dadurch wesentlich verringert werden kann, daß man dem Blasgas Sauerstoff eine Verbindung zusetzt, die durch Dissoziation oder Reduktion eine endotherme Reaktion eingeht (Résumé 1°), z.B. gasförmige Kohlensäure (Résumé 2°b). Aufgrund dieser Lehre war es vorauszusehen, daß der - im Hinblick auf die Lösung der Teilaufgabe a) gebotene - Übergang zu Kohlendioxid als Frischmittel zur völligen Unterdrückung des roten Rauchs führen würde. Die enge Verknüpfung beider Teilaufgaben ist übrigens bereits aus der obengenannten FR-A erkennbar (vgl. Seite 2, linke Spalte, Zeilen 1 bis 5).
10. Kombiniert man diese Lehren nach dem Stande der Technik, so war es für einen Fachmann zu erwarten, daß die gestellte Doppelaufgabe durch den Einsatz von Kohlendioxid als Frischmittel zu lösen war. Zudem war klar, daß - anders als bei den 1938 bzw. 1951 zum Patent angemeldeten einstufigen Verfahren nach der obengenannten DE-C bzw. FR-A- die hohen Anforderungen an die Reinheit des Stahls zum Prioritätszeitpunkt (11. Mai 1978), besonders bezüglich unerwünschter Gasgehalte nur durch zusätzliches nachfolgendes Spülen der Stahlschmelze mit einem Spülgas zu erreichen war, nach dem Vorbild der oben genannten DD-A-103 266. Da die Lösung der gestellten Gesamtaufgabe den Einsatz von Kohlendioxid beim Frischen erforderte, lag es aus Gründen der Verfahrensvereinfachung nahe, das gleiche wohlfeile Gas auch als Spülgas zu verwenden.
11. Nachdem das Schaffen eines Verfahrens zur Veredelung von Roheisen durch Frischen und nachfolgendes Spülen der Schmelze mittels Kohlendioxid als Frisch- und Spülmittel in einem einzigen Konverter nahelag, war die Ermittlung der hierfür benötigten Mengen an Kohlendioxid eine reine Sache routinemäßigen Ausprobierens.
12. Es erübrigt sich, auf die von der Beschwerdeführerin angezogenen Druckschriften sowie auf die durch die Kammer eingeführten Schrifttumsstellen einzugehen, weil die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, daß sie hieraus nichts zugunsten der erfinderischen Tätigkeit ihrer Anmeldung ableiten will.
13. Die Beschwerdeführerin vertritt hingegen die Auffassung, daß ein Fachmann bei Kombination dieser Druckschriften nicht ohne erfinderisches Zutun zum beanspruchten Verfahren gelangt wäre, weil er nur die dort besonders hervorgehobenen Ausführungsformen berücksichtigt hätte. Die oben genannte DE-C sei demnach so auszulegen, daß sie allenfalls Anregung zur Verwendung des besonders herausgestellten Frischmittels ungebrannter Kalk (Anspruch 2) gegeben hätte. Von den in der obengenannten DD-A gleichwertig nebeneinander genannten Spülmitteln (Anspruch 15) hätte der Fachmann eher zu Stickstoff oder Argon als zum Kohlendioxid gegriffen.
Vorab sei bemerkt, daß die Argumentation der Anmelderin zur obengenannten DE-C auf einer Fehlinterpretation beruht. Nach dem dortigen Hauptanspruch soll als Frischmittel Kohlensäure angewendet werden. Auch in der Terminologie des Anmeldejahres 1938 ist dieser Ausdruck als Kohlendioxid zu verstehen, weil Kohlensäure (H2CO3) nicht existent ist. Auch die Beschwerdeführerin hat in ihrer eigenen Anmeldung unter Kohlensäure (vgl. den ursprünglichen Anspruch 1) Kohlendioxid in gasförmiger, flüssiger oder fester Form verstanden (vgl. Seite 1, Absatz 2 und die Gleichungen in Seite 2 und 3 in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 20 bis 23), nicht aber das Kalziumsalz der Kohlensäure. Anspruch 2 der Entgegenhaltung nennt als Alternative für das in erster Linie zu verwendende Kohlendioxid nach Anspruch 1 "chemisch an Kalk gebundenes Kohlendioxid". Dies ergibt sich auch eindeutig aus der Beschreibung (vgl. Seite 2, Zeilen 67 bis 71). Damit ist Kohlendioxid als das nach dieser Entgegenhaltung hervorgehobene Frischmittel anzusehen. Die Verwendung von Kalk wird nur für das basische Stahlherstellungsverfahren empfohlen (Seite 2, Zeilen 72 bis 78).
14. Abgesehen davon teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, wonach nur die in einer Entgegenhaltung beschriebenen bevorzugten Ausführungsformen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehen seien. Vielmehr ist bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit der Stand der Technik aus der Sicht des Fachmanns zu dem für die Anmeldung maßgeblichen Prioritätszeitpunkt zu bewerten. Dies hat zur Folge, daß alle vorveröffentlichten Ausführungsformen heranzuziehen sind, die dem Fachmann Anregung zur Lösung der gestellten Aufgabe geben konnten, und zwar auch dann, wenn die Ausführungsformen nicht besonders hervorgehoben wurden. Es kommt also nicht darauf an, was in den Druckschriften, die den Stand der Technik bilden, damals als vorteilhaft angesehen wurde. Zum hier maßgeblichen Prioritätszeitpunkt hätte der Fachmann beim Ersatz des Frischgases Sauerstoff durch "Kohlensäure" dem Kohlendioxid den Vorzug gegenüber dem "chemisch an Kalk gebundenen Kohlendioxid" gegeben; dies nicht nur, weil Gase bei der Stahlherstellung technologisch besonders günstig anzuwenden sind, sondern weil schon das nachfolgende Spülen mit Kohlendioxidgas nach dem Vorbild der obengenannten DD-A (Anspruch 15) die Verwendung von Kohlendioxid im gleichen Aggregatzustand in der Vorstufe (des Frischens) zweckmäßig erscheinen ließ.
Wenn die Beschwerdeführerin meint, die Verwendung von Stickstoff oder Argon habe nähergelegen als die von Kohlendioxid, so übersieht sie dabei, daß aus der DE-C der schädliche Einfluß von Stickstoff auf die Stahlqualität bekannt war (Seite 1, Zeilen 4 bis 9). Zudem hätte der Fachmann das wohlfeile Kohlendioxid dem kostspieligen Edelgas Argon sicher vorgezogen. Nachdem die Lösung der Aufgabe den Einsatz von Kohlendioxid als Frischmittel erforderte, war die Verwendung der gleichen Verbindung bei der Spülbehandlung auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten.
15. Die Beschwerdeführerin sieht die Tatsache, daß die Stahlindustrie an dem anmeldungsgemäßen Verfahren vorbeigegangen ist, obwohl dieses einen wesentlichen wirtschaftlichen Beitrag zur Lösung der Umweltprobleme dieser Branche leistet, als Anzeichen für das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit an. Die Kammer vertritt die Auffassung, daß gegenüber der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit aus objektiver Sicht - wie unter 4. dargelegt - eine bloße Prüfung auf Anzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit keinen Ersatz für die technisch fachmännische Bewertung der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 56 EPÜ darstellt. Liegen solche Anzeichen vor, so kann sich aus der Gesamtschau des Standes der Technik unter Abwägung aller maßgeblichen Fakten die erfinderische Tätigkeit ergeben, ohne daß allerdings der zwingende Schluß zu ziehen wäre, daß hieraus die erfinderische Tätigkeit regelmäßig folgt. Der hier geltend gemachte erhebliche technische Effekt bietet schon deshalb keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit, weil er nicht überraschend ist, sondern aus der Sicht der Aufgabenstellung für den Fachmann mit Sicherheit zu erwarten war.
16. Der Umstand, daß die Stahlindustrie an dem anmeldungsgemäßen Verfahren vorbeigegangen ist, wird verständlich, wenn man der Frage nachgeht, ob und wann für das Verfahren der Beschwerdeführerin ein dringendes Bedürfnis bestanden hat. Die Beschwerdeführerin hat selbst vorgetragen, daß das Sauerstoffblasverfahren, als es vor 30 Jahren in die Technik eingeführt wurde, rationell und wirtschaftlich attraktiv war, daß sich jedoch durch das Aufkommen und insbesondere durch die Verschärfung der Umweltgesetze in den letzten Jahren die Investitionskosten für Entstaubungs- und Filteranlagen um ca. 25 % erhöht hätten, was zu einer Verteuerung des Stahls um 5 bis 10 DM/t geführt habe. Dies zeigt nach Auffassung der Kammer, daß über einen langen Zeitraum hinweg kein Anlaß bestand, von dem erfolgreich eingeführten und überdies mit langlebigen kostspieligen Wirtschaftsgütern arbeitenden Sauerstoffblasverfahren wegzugehen, und das Bedürfnis für das aus heutiger Sicht umweltfreundliche Verfahren der Beschwerdeführerin relativ kurz vor dem Prioritätszeitpunkt der vorliegenden Anmeldung entstand. Ein Verfahren, das im Hinblick auf ein relativ kurz vor der Anmeldung auftretendes Bedürfnis geschaffen wurde, kann nicht als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend angesehen werden, wenn dieses Bedürfnis alsbald durch naheliegende Kombination von Lehren aus dem Stande der Technik befriedigt werden konnte.
17. Diese Ausführungen gelten nicht nur für den Anspruch 1, sondern in gleicher Weise auch für die auf den Hauptanspruch rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 7, die lediglich bevorzugte Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1 darstellen und mit diesem fallen.
18.... die Kammer hält die Beschwerde für nicht begründet.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 17. Februar 1981 wird zurückgewiesen.