European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2009:T010005.20090115 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 Januar 2009 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0100/05 | ||||||||
Anmeldenummer: | 98925314.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61L 2/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Abreicherung von viralen und molekularen Pathogenen aus einem biologischen Material | ||||||||
Name des Anmelders: | Baxter Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Octapharma AG | ||||||||
Kammer: | 3.3.10 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit (ja) - unklarer Anspruch muss technisch sinnvoll ausgelegt werden Erfinderische Tätigkeit (ja) - Lösung nicht vom Stand der Technik nahegelegt |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 21. Januar 2005 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 23. November 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 988 063 zurückgewiesen wurde.
II. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass der Gegenstand des Streitpatentes in seiner erteilten Fassung sowohl neu sei, als auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und zog dabei unter anderem die folgenden Druckschriften an:
(1) Stanley M. Lemon et al., Journal of Medical Virology 43, 44-49 (1994),
(5) EP-A-0 506 651 und
(6) US-A-4 590 002.
III. In der angefochtenen Entscheidung wurde insbesondere ausgeführt, dass sich das Verfahren des Streitpatentes von denen der Druckschriften (1) und (5) darin unterscheide, dass in diesen Druckschriften eine deutliche Wechselwirkung der biologischen Substanzen mit dem Ionenaustauscher offenbart sei, während im streitpatentgemäßen Verfahren die biologischen Substanzen keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher zeigten. Das Verfahren der Druckschrift (6) verwende kein organisches Lösungsmittel. Der zitierte Stand der Technik gebe dem Fachmann keine Anregung, die in den Druckschriften (1) und (5) offenbarten Verfahren so abzuändern, dass die viralen Pathogene am Ionenaustauscher adsorbiert würden und die zu gewinnenden biologischen Substanzen keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustausche aufwiesen. Auch habe der Fachmann im Stand der Technik keine Anregung gehabt, das Verfahren der Druckschrift (6) dahingehend abzuändern, dass die Ionenaustauscherbehandlung bei gleichzeitiger Anwesenheit eines organischen Lösungsmittels durchgeführt werde. Daher beruhe der Gegenstand des Streitpatentes in seiner erteilten Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit.
IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 15. Januar 2009 hat der Beschwerdegegner (Patentinhaber) einen neuen Hauptantrag eingereicht. Anspruch 1 des Hauptantrages lautete:
"1. Verfahren zur Abreicherung von viralen und molekularen Pathogenen aus einem biologischen Material, enthaltend eine oder mehrere zu gewinnende biologische Substanzen, dadurch gekennzeichnet, daß in einem ein-stufigen Adsorptionsverfahren ohne weitere Elution
- das biologische Material mit einem organischen Lösungsmittel versetzt wird,
- das mit Lösungsmittel versetzte biologische Material mit einem Ionenaustauscher in Kontakt gebracht wird, wobei die Pathogene an das Ionenaustauschermaterial adsorbiert werden und zumindest eine der zu gewinnenden biologischen Substanzen keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher eingehen, und
- der Ionenaustauscher mit den adsorbierten Pathogenen vom biologischen Material abgetrennt wird, wobei eine virusabgereicherte Präparation der biologischen Substanz gewonnen wird."
V. Der Beschwerdeführer trug vor, dass das Verfahren gemäß Streitpatent von den Druckschriften (1) und (5) neuheitsschädlich getroffen sei. Insbesondere das Merkmal, dass die biologische Substanz keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher aufweise, sei unklar und könne somit zur Beurteilung der Neuheit nicht herangezogen werden. Da gemäß Tabelle IV der Druckschrift (1) etwa 40 % der anfangs vorhandenen Viren auf der Säule verblieben, während die biologische Substanz, dort Faktor VIII, vollständig ausgewaschen werde, sei die Wechselwirkung der biologischen Substanz dort in jedem Fall geringer als die Wechselwirkung des Virus mit dem Ionenaustauscher. Im Hinblick auf Druckschrift (1) zog der Beschwerdeführer das Beispiel 1 an, in welchem bei Kontakt mit einem Ionenaustauscher einige Proteine, entsprechend der streitpatentgemäß zu gewinnenden biologischen Substanz, nicht an den Ionenaustauscher gebunden würden und somit keine Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher aufwiesen. Ausgehend von den Druckschriften (1), (5) oder (6) als nächstliegendem Stand der Technik könne für das beanspruchte Verfahren keine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden, da die einzelnen Verfahrensmaßnahmen aus dem Stand der Technik bekannt seien. Ausgehend von Druckschrift (6) als nächstliegendem Stand der Technik habe der Fachmann in den Druckschriften (1) und (5) bereits einen Hinweis gefunden, dass die Verwendung eines organischen Lösungsmittel eine geeignete Maßnahme zur Reduzierung der Virenlast sei. Die schriftlich vorgebrachten Verfahrensrügen ließ er fallen und seinen im schriftlichen Verfahren gestellten Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zog er während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurück. Gegen die Einreichung des neuen Hauptantrages des Beschwerdegegners erhob er keine Einwände.
VI. Der Beschwerdegegner widersprach den Argumenten des Beschwerdeführers hinsichtlich der fehlenden Neuheit und erfinderischen Tätigkeit. Er verwies darauf, dass die in den Druckschriften (1) und (5) offenbarten Verfahren auf die Adsorption der zu gewinnenden biologischen Substanzen an dem Ionenaustauscher abzielten, im streitpatentgemäßen Verfahren die zu gewinnenden biologischen Substanzen jedoch keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher zeigten. Da die Verfahren gemäß den Druckschriften (1) und (5) somit in eine andere Richtung wiesen, stellten sie auch nicht den nächstliegenden Stand der Technik dar. Die Druckschrift (6) offenbare ein Verfahren zur Abreicherung von Viren, bei dem die Viren am Ionenaustauscher adsorbiert würden, die biologische Substanz, dort Gammaglobulin, aber nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher zeige. Da im Verfahren der Druckschrift (6) kein organisches Lösungsmittel eingesetzt werde und auch eine Kombination mit den weiteren Druckschriften (1) oder (5) nicht zum streitpatentgemäßen Verfahren geführt hätte, beruhe dieses auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatentes in vollem Umfang.
Der Beschwerdegegner beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Der Wortlaut des geltenden Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 dadurch, dass am Beginn des kennzeichnenden Teils die Passage "in einem ein-stufigen Adsorptionsverfahren ohne weitere Elution" eingefügt wurde. Da sich diese Passage auf Seite 6, Zeilen 2 bis 4 der ursprünglichen Anmeldung findet, sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt. Die Einfügung dieses Merkmals bewirkt eine Beschränkung des Schutzbereichs des erteilten Anspruchs 1, so dass auch die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt sind. Dies wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
3. Neuheit
3.1 Der Beschwerdeführer hat die Druckschriften (1) und (5) als neuheitsschädlich gegenüber dem geltenden Anspruch 1 angezogen.
3.2 Der geltende Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Abreicherung von Pathogenen, insbesondere Viren, aus einem biologischen Material, welches unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass zumindest eine der biologischen Substanzen "keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher" eingeht.
3.3 Ansprüche eines Patentes, die ein undeutlich formuliertes Merkmal enthalten, sind im Einspruchs(Beschwerde)verfahren unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung der Erfindung breit, aber technisch sinnvoll auszulegen, wobei technisch unsinnige Interpretationen ausscheiden (siehe T 118/01, Entscheidungsgründe Punkt 5.3 und T 190/99, Entscheidungsgründe Punkte 2.2.3 bis 2.2.5; beide Entscheidungen nicht veröffentlicht im ABl. EPA).
Während das Merkmal, dass die biologischen Substanzen "keine Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher" eingehen unstreitig deutlich und damit keiner Interpretation zugänglich ist, mag das Merkmal, wonach eine biologische Substanz "nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher" aufweist hinsichtlich seiner Quantifizierung "gering" zwar undeutlich sein, wie vom Beschwerdeführer gerügt; gleichwohl kann dieses anspruchsgemäße Merkmal nicht, wie vom Beschwerdeführer gefordert, vollkommen unberücksichtigt bleiben, da es jedenfalls eine technische Einschränkung des Anspruchsgegenstandes darstellt. Eine technisch sinnvolle Interpretation des Merkmals "nur eine geringe Wechselwirkung" schließt unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung der Erfindung in jedem Fall wenigstens die vollständige oder nahezu vollständige Adsorption der biologischen Substanz an dem Ionenaustauscher aus.
3.4 Druckschrift (1) offenbart ein Verfahren zur Entfernung von Hepatitis-A-Viren (HAV) aus einer Plasmafraktion zur Gewinnung einer biologischen Substanz, hier Faktor VIII, wobei die HAV-haltige Plasmafraktion in Gegenwart eines organischen Lösungsmittels (S/D-treatment) auf einen Ionenaustauscher aufgebracht wird. Aus dieser Druckschrift geht hervor, dass bei der Auswaschung der Ionenaustauschersäule der Faktor VIII erst in der dritten Auswaschfraktion C eluiert wird, was gemäß Auffassung der Beschwerdekammer nach technischen Maßstäben eine vollständige oder nahezu vollständige Adsorption des Faktors VIII an das Ionenaustauschermaterial bedeutet (siehe Druckschrift (1), Seite 46, rechte Spalte, Zeilen 27 bis 37; Seite 47, Tabelle IV, linke Spalte, untere Hälfte). Damit ist das streitpatentgemäße Merkmal dass die biologische Substanz höchstens "nur eine geringe Wechselwirkung" mit dem Ionenaustauscher eingeht, in Druckschrift (1) nicht offenbart.
3.5 Der Beschwerdeführer wandte ein, dass aus der Tabelle IV, rechte Spalte, untere Hälfte, der Druckschrift (1) hervorgehe, dass nach vollständiger Elution des Faktors VIII immer noch 40% des anfangs anwesenden Hepatitis-A-Virus auf dem Ionenaustauscher gebunden blieben. Daher zeige der Faktor VIII eine deutlich geringere Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher als das Virus, weswegen das Merkmal "nur einer geringen Wechselwirkung" der biologischen Substanz mit dem Ionenaustauscher auch in Druckschrift (1) offenbart sei.
Indessen ist festzustellen, dass das anspruchsgemäße Merkmal einer "geringen" Wechselwirkung einen absoluten Maßstab anspricht, während der Beschwerdeführer dieses Merkmal entgegen seinem Wortlaut mit einem relativen Maßstab im Sinne einer "geringeren" Wechselwirkung auszulegen sucht, nämlich als Vergleich der Wechselwirkung zwischen dem Ionenaustauscher und dem Pathogen mit jener zwischen dem Ionenaustauscher und der biologischen Substanz. Daher kann dieser Einwand die Kammer nicht überzeugen.
3.6 Druckschrift (5) offenbart ein Verfahren zur Abreicherung von Viren, bei welchem die biologischen Substanzen, hier die Plasmaproteine IgG, IgA und Transferrin, ausdrücklich am Ionenaustauscher adsorbiert werden (siehe Druckschrift (5), Ansprüche 6 und 7). Hierüber waren sich die Parteien einig. Beispiel 1, welches der Beschwerdeführer gegen die Neuheit anzog, offenbart, dass bei Kontakt mit dem Ionenaustauscher zwar die oben genannten Plasmaproteine adsorbiert, dass aber weitere Proteine ausdrücklich nicht an den Ionenaustauscher gebunden werden (Seite 3, Zeile 35). Dies kann allerdings dahinstehen, da in diesem Ausführungsbeispiel schon die notwendige Anwesenheit von Pathogenen, insbesondere Viren, nicht offenbart ist.
3.7 Der Beschwerdeführer brachte vor, dass in Beispiel 1 der Druckschrift (5) die Anwesenheit von Viren implizit offenbart sei, da es sich beim Ausgangsmaterial um Humanplasma handle. Auch sei in der Beschreibung, Seite 2, Zeilen 34 bis 36 die mögliche Anwesenheit von Viren offenbart.
Enthält die angezogene Ausführungsform, hier Beispiel 1, keine Angaben über ein bestimmtes Merkmal, hier die Anwesenheit von Viren im Humanplasma, so handelt es sich bei dessen Angabe im streitgegenständlichen Anspruch nicht um die Beschreibung von etwas Bekanntem mit anderen Worten, sondern um das Hinzufügen neuer Information. Dieses bestimmte Merkmal ist jedenfalls dann nicht implizit offenbart, wenn nach allgemeinem Fachwissen auch ein Produkt, hier Humanplasma, bekannt und verwendbar ist, das keine Viren enthält (T 99/85, ABl. EPA 1987, 413, Entscheidungsgründe Punkt 2.2). Wie vom Beschwerdeführer eingeräumt, kann Humanplasma, so wie es gemäß Beispiel 1 der Druckschrift (5) eingesetzt wird, entweder Viren enthalten oder auch frei von Viren sein. Folglich ist die Anwesenheit von Viren in diesem Beispiel 1 nicht implizit durch die Verwendung von nicht näher spezifiziertem Humanplasma als Ausgangsmaterial offenbart, geschweige denn die Adsorption der Viren an den Ionenaustauscher. Eine Kombination des Beispiels 1 mit der Textpassage auf Seite 2, welche die mögliche Anwesenheit von Viren offenbart, ist nicht zulässig, da es sich hier um Teile der Offenbarung handelt, die in Druckschrift (5) eben nicht miteinander verknüpft sind und sich im übrigen die genannte Textpassage auch nicht auf Humanplasma bezieht.
3.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Druckschriften (1) und (5) dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich entgegenstehen (Artikel 54 EPÜ).
Erfinderische Tätigkeit
4. Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u. a. T 1/80, ABl. EPA 1981, 206, Punkte 3, 6, 8, 11 der Entscheidungsgründe; T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 248/85, ABl. EPA 1986, 261, Punkt 9.1 der Entscheidungsgründe).
4.1 Beide Parteien haben Druckschrift (6) als nächstliegenden Stand der Technik angesehen, der Beschwerdeführer zog zusätzlich auch die Druckschriften (1) und (5) in Betracht.
4.1.1 Die Druckschrift (6) beschreibt ein Verfahren zur Abreicherung von Hepatitis-B-Viren aus einem biologischen Material, bei dem das biologische Material, welches Hepatitis-B-Viren enthält, zunächst mit einem ersten Ionenaustauscher in Kontakt gebracht wird, wobei die biologische Substanz, hier Gammaglobulin, keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem ersten Ionenaustauscher aufweist, denn sie wird direkt ausgewaschen. Die so erhaltene Mischung wird anschließend mit einem zweiten Ionenaustauscher in Kontakt gebracht, wobei das Gammaglobulin wiederum keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem zweiten Ionenaustauscher aufweist, denn es wird ebenfalls unmittelbar ausgewaschen. Die aus dem zweiten Ionenaustauscherschritt erhaltene Mischung ist frei von Hepatitis-B-Viren (siehe Anspruch 1). In-vivo-Tests an drei Schimpansen in Spalte 10 belegen, dass die nach dem Verfahren der Druckschrift (6) behandelten Gammaglobulinfraktionen auch tatsächlich frei von Hepatitis-B-Viren sind. So wurde einem Versuchstier ein nicht mit dem Abreicherungsverfahren behandeltes Hepatitis-B-Viren enthaltendes Gamma-globulin verabreicht, worauf dieses Tier erkrankte. Die beiden anderen Versuchstiere erhielten das mit den beiden Ionenaustauschern vorbehandelte Gammaglobulin, das ohne die Vorbehandlung eine Infektiosität von 1300 I.D./ml aufgewiesen hätte. Diese Versuchstiere zeigten auch nach 9 Monaten noch keine Krankheitszeichen.
4.1.2 Die vom Beschwerdeführer ebenfalls angezogenen Druckschriften (1) und (5) offenbaren zwar die gleichen Verfahrensschritte wie das Streitpatent, die grundlegende Verfahrensweise ist indessen umgekehrt. Während nämlich das Verfahren der Druckschriften (1) und (5) darauf abgezielt, die biologischen Substanzen an den Ionenaustauscher zu adsorbieren, soll dies im streitpatentgemäßen Verfahren gerade vermieden werden, indem die biologische Substanz keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher zeigt. Deshalb liegen diese Druckschriften dem Streitpatent ferner als die Druckschrift (6), denn bei der Festlegung des nächstliegenden Standes der Technik sind diejenigen Druckschriften vorzuziehen, welche die streitpatentgemäße grundlegende Verfahrensweise betreffen.
4.1.3 Infolgedessen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das Verfahren gemäß Druckschrift (6) den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
4.2 Ausgehend von Druckschrift (6) als nächstliegendem Stand war es die am wenigsten ambitionierte Aufgabe des Streitpatentes, ein alternatives Verfahren zur Abreicherung von Viren aus einem biologischen Material bereitzustellen.
Nur wenn die Lösung dieser Aufgabe naheliegen sollte, wäre weiters zu prüfen, ob die anspruchsvollere Aufgabe einer Verbesserung des Verfahrens, wie im Streitpatent Paragraph [0018] formuliert, zu einer anderen Schlussfolgerung führte.
4.3 Als Lösung für die oben genannte Aufgabe schlägt das Streitpatent das Verfahren gemäß Anspruch 1 vor, bei welchem das biologische Material mit einem organischen Lösungsmittel versetzt und in Gegenwart des Lösungsmittels ein ein-stufiges Adsorptionsverfahren ohne weitere Elution angewendet wird.
4.4 Dass die anspruchsgemäß vorgeschlagene Lösung die oben genannte Aufgabe löst, nämlich ein alternatives Verfahren zu Abreicherung von Viren bereitzustellen, ist durch die Beispiele 1 und 2 der Streitpatentschrift glaubhaft und wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
Der Beschwerdeführer bemängelte im schriftlichen Verfahren, dass der Anspruch zu breit formuliert sei, da es nicht glaubhaft sei, dass das Verfahren über den gesamten beanspruchten Bereich, d.h. für alle denkbaren Pathogene und alle denkbaren biologischen Materialien erfolgreich ausgeführt werden könne. Das Argument der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung betrifft allerdings nur den Einspruchsgrund nach Artikel 100 (b) EPÜ, welcher nicht Gegenstand dieses Einspruchs-Beschwerde-Verfahrens ist, jedoch nicht die hier zu beurteilende erfinderische Tätigkeit. Im Übrigen wurde diese Rüge nur in Bezug auf die Aufgabenstellung einer Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik erhoben, welche indessen jetzt nicht vorliegt (siehe Punkt 4.2 supra).
4.5 Es bleibt daher zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregung bot, die unter Punkt 4.2 supra genannte Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens zu lösen.
4.5.1 Die Druckschrift (5) betrifft ein Verfahren zur Abreicherung von Viren aus einem biologischen Material, bei welchem in Beispiel 2, Schritt 5, ein ein-stufiges Adsorptionsverfahren an einem Ionenaustauscher durchgeführt wird. Die Mischung, die mit dem Ionenaustauscher in Kontakt gebracht wird, enthält HIV-Viren und als biologische Substanzen die Proteine IgG, IgA und Transferrin, sowie das Lösungsmittel Ethanol, welches in einem vorangehenden Verfahrensschritt zugesetzt wurde. Das dabei entstehende Adsorbat, nämlich der Ionenaustauscher mit den adsorbierten Proteinen IgG, IgA und Transferrin, wird von der Mischung abgetrennt und gewaschen. Die adsorbierten Proteine werden anschließend aus dem Ionenaustauscher eluiert. Daher sind in Druckschrift (5) einzelne Elemente der anspruchsgemäßen Lösung beschrieben, nämlich das ein-stufige Adsorptionsverfahren sowie der Zusatz eines organischen Lösungsmittels vor dem Kontakt mit dem Ionenaustauscher. Allerdings wird das Verfahren der Druckschrift (5) dergestalt durchgeführt, dass die grundlegende Verfahrensführung umgekehrt zu der des streitpatentgemäßen Verfahrens ist, denn in Druckschrift (5) werden die biologischen Substanzen an den Ionenaustauscher adsorbiert, während sie gemäß Streitpatent keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher eingehen. Daher führt eine Kombination des nächsten Standes der Technik mit der Lehre der Druckschrift (5) nicht zum streitpatentgemäßen Verfahren.
Dieser Sachverhalt ist vom Beschwerdeführer zwar eingeräumt worden, jedoch hat er vorgetragen, dass es in der Routine des Fachmanns gelegen habe, die grundlegende Verfahrensführung aus Druckschrift (5) auch umzukehren, so dass die biologischen Substanzen keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher eingingen, wodurch er zum streitpatentgemäßen Verfahren gelangt wäre.
Indessen ist der Druckschrift (5) kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass das Verfahren auch dergestalt durchgeführt werden kann, dass die biologischen Substanzen, hier die Proteine IgG, IgA und Transferrin, nicht auf dem Ionenaustauscher adsorbieren, d.h. keine oder nur eine geringe Wechselwirkung mit dem Ionenaustauscher eingehen. Da der Fachmann diesen Schritt der Verfahrensumkehr nur in Kenntnis der Erfindung in Betracht gezogen hätte, beruht eine derartige Argumentation auf einer ex post facto Betrachtung des Standes der Technik, die jedoch daher nicht durchgreift.
4.5.2 Die Druckschrift (1) betrifft wie das Verfahren der Druckschrift (5) ein Verfahren zu Abreicherung von Viren, bei dem ebenfalls die biologische Substanz am Ionenaustauscher adsorbiert wird (siehe Punkt 3.4 supra). Daher gelten hierfür die gleichen Überlegungen wie für die Druckschrift (5), die zwangsläufig auch zu den gleichen Schlussfolgerungen führen, nämlich dass die Kombination der nächstliegenden Druckschrift (6) mit Druckschrift (1) nicht zum streitpatentgemäßen Verfahren nach Anspruch 1 führt.
4.6 Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 dem Fachmann durch eine Kombination der Druckschrift (6) mit den Druckschriften (1) oder (5) nicht nahegelegt wird und damit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 betreffen weitere Ausgestaltungen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und werden durch dessen Patentfähigkeit getragen.
Zurückverweisung (Artikel 111 (1) EPÜ)
5. Da sich die geltende Anspruchsfassung von der vor der ersten Instanz verteidigten Fassung in wesentlichen Merkmalen unterscheidet, ist eine Überarbeitung der Beschreibung zur Anpassung an die neue Anspruchsfassung erforderlich. Die Kammer macht daher von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1), Satz 2 EPÜ Gebrauch, und verweist die Sache zum Zweck der Anpassung der Beschreibung zurück an die Vorinstanz.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent aufrecht zu erhalten auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 9 des in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hauptantrages und einer daran anzupassenden Beschreibung.