European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2008:T136904.20080130 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 30 Januar 2008 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1369/04 | ||||||||
Anmeldenummer: | 96104233.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | C07C 201/16 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | C | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | Rückgewinnung von Salpetersäure aus Nitrierprozessen | ||||||||
Name des Anmelders: | Josef Meissner GmbH & Co. | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Biazzi SA | ||||||||
Kammer: | 3.3.10 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit - (nein) Hilfsantrag: verspätet - zugelassen, Verspätung nicht gerügt - erfinderische Tätigkeit (ja) Zurückverweisung an Vorinstanz |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 23. November 2004 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers I (Patentinhaber) und die am 18. Januar 2005 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers II (Einsprechender) richten sich gegen die am 18. November 2004 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 736 514 in geänderter Fassung auf Grundlage des damals geltenden Hilfsantrages III unter Abweisung aller vorangehenden Anträge aufrecht erhalten wurde.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang vom Beschwerdeführer II wegen unzureichender Offenbarung, mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden (Artikel 100 a) und b) EPÜ). Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Druckschriften genannt:
(2) EP-A-0 279 312,
(4) CA-A-1 034 603,
(6) GB-A-125 140,
(7) US-A-3 221064 und
(8) KIRK OTHMER, ENCYCLOPEDIA OF CHEMICAL TECHNOLOGY, Bd. 9, (1980), Seiten 587 bis 590, 672 bis 716.
III. Der angefochtenen Entscheidung lagen gemäß Hauptantrag die erteilten Ansprüche 1 bis 9 zugrunde, dessen unabhängiger Anspruch 1 lautete:
"1. Verfahren zum Entfernen und Wiedergewinnen von Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickoxiden aus den bei der Nitrierung von Toluol oder Mononitrotoluolen nach Abtrennung der Nitriersäure anfallenden rohen Dinitrotoluole, dadurch gekennzeichnet, daß die rohen Dinitrotoluole mit einer verdünnten wäßrigen Lösung von Salpetersäure, Schwefelsäure und salpetriger Säure, deren Dichte geringer ist als die der Dinitrotoluole, mehrstufig im Gegenstrom extrahiert werden, wobei das Volumenverhältnis der Dinitrotoluole zu der wäßrigen Lösung jeweils 1 : 3 bis 10 : 1 beträgt und daß der wäßrige Extrakt direkt oder nach Aufkonzentrierung in die Nitrierung zurückgeführt wird."
IV. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass das Patent in seiner Fassung gemäß Hauptantrag neu gegenüber der Druckschrift (2) sei. Das darin offenbarte Verfahren zur Entfernung und Wiedergewinnung von Schwefelsäure und Salpetersäure aus rohem Dinitrotoluol unterscheide sich vom Verfahren gemäß Streitpatent ausschließlich dadurch, dass das Verfahren in Druckschrift (2) im Querstromverfahren durchgeführt werde, wohingegen gemäß Streitpatent das Verfahren im Gegenstrom geführt werde. Angesichts der Druckschrift (8) habe es für den Fachmann jedoch nahegelegen, das Verfahren gemäß Druckschrift (2) auch im Gegenstromverfahren durchzuführen. Daher beruhe der Gegenstand des Streitpatents gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Für den damaligen Hilfsantrag I sei die für den Hauptantrag geltende Argumentation ebenfalls zutreffend. Das gemäß Hilfsantrag I zusätzlich enthaltene Merkmal, dass das bei der Aufkonzentrierung anfallende Kondensat wieder dem Extraktionskreislauf der verdünnten Lösung der letzten Extraktionsstufe zugeführt werde, sei ebenfalls der Druckschrift (8) zu entnehmen, so dass auch dem Gegenstand des Hilfsantrages I keine erfinderische Tätigkeit zu Grunde gelegt werden könne.
Der Gegenstand des damaligen Hilfsantrages II enthalte gegenüber dem vorgehenden Antrag weiterhin das Merkmal, dass die verdünnte wässrige Lösung innerhalb jeder Extraktionsstufe im Kreislauf geführt werde. Da der Patentinhaber keinen technischen Effekt basierend auf diesem Merkmal glaubhaft gemacht habe, und dieses Merkmal eine übliche Maßnahme sei, wie auch in Druckschrift (7) beschrieben, könne dieses Merkmal keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Die Einspruchsabteilung entschied jedoch, dass das Streitpatent in geänderter Fassung gemäß des damaligen Hilfsantrages III neu und erfinderisch sei. Das Beispiel der Patentschrift zeige, dass bei einem Gegenstromextraktionsverfahren, bei dem aus der ersten Extraktionsstufe ein wässriges Salpetersäure-Schwefelsäure-Gemisch mit einem Gesamtgehalt an Säure zwischen 23,73 und 40 % entnommen werde, eine nahezu vollständige Entfernung der Säure erreicht werden könne. Aus keiner der zitierten Druckschriften könne aber diese Maßnahme entnommen werden, so dass eine erfinderische Tätigkeit anerkannt werde.
V. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 30. Januar 2008 hat der Beschwerdeführer I den Hauptantrag aus dem Einspruchsverfahren aufrechterhalten (siehe Punkt III oben) und neue Hilfsanträge 1 bis 7 eingereicht und die Aufrechterhaltung des Streitpatents in diesem Umfange begehrt. Die neuen Hilfsanträge 3 bis 5 entsprachen den Hilfsanträgen I bis III aus dem Einspruchsverfahren, die neuen Hilfsanträge 2, 6 und 7 entsprachen den umnumerierten Hilfsanträgen 7, 4 und 5, eingereicht mit Schreiben vom 28. Juni 2005.
Hilfsantrag 1 umfasste 7 Ansprüche, dessen Anspruch 1 sich vom Wortlaut des Anspruchs 1 wie erteilt nur dadurch unterschied, dass nach dem zahlenmäßigen Volumenverhältnis die folgende Passage "und wobei die verdünnte wäßrige Lösung innerhalb jeder Extraktionsstufe im Kreislauf geführt wird, wobei das Volumenverhältnis der Dinitrotoluole zu der verdünnten wäßrigen Lösung von Salpetersäure, Schwefelsäure und salpetriger Säure über die Zugabe von Frischwasser in den Extraktionskreislauf der verdünnten Lösung der letzten Extraktionsstufe eingestellt wird und wobei die aus der ersten Extraktionsstufe abgezogene wäßrige Lösung ein Salpetersäure/Schwefelsäure-Gemisch mit 25 bis 40 % Gesamtsäure ist, und" eingefügt wurde.
VI. Der Beschwerdeführer I hat zur erfinderischen Tätigkeit vorgetragen, dass die Druckschrift (2) den nächstliegenden Stand der Technik darstelle. Das Verfahren gemäß Druckschrift (2) unterscheide sich vom Verfahren des Streitpatentes dadurch, dass das Verfahren der Druckschrift (2) im Querstrom und mit einer geringen Menge an Wasser geführt werde, wohingegen gemäß Streitpatent die Extraktion mehrstufig im Gegenstrom mit verdünnter Säure durchgeführt werde, deren Menge im mehrstufigen Verfahren größer sei als in Druckschrift (2). Da die Verteilungsgleichgewichte von Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickoxide in einem zweiphasigen Gemisch von Dinitrotoluol und saurer Extraktionslösung stark pH-abhängig seien, könne auch in Druckschrift (2) keine vollständige Abtrennung der Salpetersäure und der Stickoxide erreicht werden, da diese in der gemäß Druckschrift (2) vorliegenden sehr sauren Lösung in die Dinitrotoluolphase zurück diffundiere. Die Abtrennung der sehr geringen Mengen an wässrigen Extrakten sei technisch aufwändig. Außerdem sei das gemäß Druckschrift (2) abgetrennte Säuregemisch nicht direkt in einer Nitrierungsreaktion einsetzbar. Wenn der Fachmann ausgehend von Druckschrift (2) eine vollständigere Abtrennung der Salpetersäure, Schwefelsäure und der Stickoxide und deren Rückführung in die Nitrierung, sowie eine effizientere Verfahrensführung angestrebt hätte, hätte er aus keiner der zitierten Druckschriften eine Anregung erhalten, diese beiden technischen Aufgaben durch die im Streitpatent gewählte Lösung, nämlich durch mehrstufiges Extrahieren im Gegenstrom mit einem definierten Volumenverhältnis von Dinitrotoluol zu wässriger Phase, zu erzielen.
Die Druckschriften (4) und (6) seien als nächstliegender Stand der Technik jeweils ungeeignet, da Druckschrift (4) eine andere Zielsetzung, nämlich die Herstellung eines möglichst reinen Dinitrotoluols, habe, wobei die abgetrennten Reste an Schwefelsäure und Salpetersäure nicht wieder in die Nitrierung zurückgeführt würden. Druckschrift (6) betreffe ein Verfahren zur Reinigung von Trinitrotoluol und damit ein chemisch nicht vergleichbares System. Auch in Druckschrift (6) werde die wiedergewonnene Nitriersäure nicht wieder in die Nitrierung eingesetzt.
VII. Der Beschwerdeführer II hat im Beschwerdeverfahren den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ wegen mangelnder Ausführbarkeit fallen gelassen. Auch der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit wurde nicht weiterverfolgt. Zur erfinderischen Tätigkeit hat der Beschwerdeführer II vorgetragen, dass neben Druckschrift (2) auch die Druckschriften (4) oder (6) als nächstliegender Stand der Technik in Frage kämen. Druckschriften (4) betreffe ein Verfahren zur Reinigung von Dinitrotoluol, wobei die Reste von Nitriersäure aus dem Rohprodukt durch Waschen mit Wasser im Gegenstrom entfernt würden. Druckschrift (6) betreffe ein Reinigungsverfahren für Trinitrotoluol und andere Nitroverbindungen, und sei daher auch auf die Reinigung von Dinitrotoluol anwendbar. Das rohe Trinitrotoluol werde dabei mit wenig Wasser mehrstufig im Gegenstromverfahren gewaschen. Die Säurekonzentration in der Waschlösung sei so hoch, dass die darin enthaltene Nitriersäure wiederverwendbar sei und somit wieder in die Nitrierung zurückgeführt werde.
Ausgehend von Druckschrift (2) habe die technische Aufgabe darin bestanden, eine vollständigere Abtrennung der restlichen Nitriersäure aus dem rohen Dinitrotoluol zu erzielen. Druckschrift (8) gebe dem Fachmann aber den Hinweis, eine bessere Abtrennung durch mehrstufiges Waschen im Gegenstromverfahren zu erreichen. Daher könne dem Verfahren, wie gemäß Hauptantrag beansprucht, keine erfinderische Tätigkeit zugrunde gelegt werden.
In Bezug auf den Hilfsantrag 1, der erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgelegt wurde, hatte er keine Einwände, weder gegen seine späte Vorlage, noch gegen die Patentfähigkeit seines Gegenstandes.
VIII. Der Beschwerdeführer I hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), oder hilfsweise auf Basis seines während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsantrages 1, oder weiter hilfsweise auf Basis seiner Hilfsanträge 2 bis 7.
Der Beschwerdeführer II hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in seiner erteilten Fassung zu widerrufen.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Ausführbarkeit
Der Beschwerdeführer hat die Einwände der mangelnden Ausführbarkeit im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen und auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich nicht weiterverfolgt. Nachdem überdies die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung in der angefochtenen Entscheidung festgestellt wurde, sieht die Kammer keine Veranlassung, von sich aus die Ausführbarkeit in Zweifel zu ziehen, so dass sich auch hierzu weitere Ausführungen erübrigen.
3. Neuheit
Der Beschwerdeführer hatte die Neuheit des erteilten Patentes mit der Druckschrift (2) angegriffen, jedoch die Neuheit nunmehr nicht weiter bestritten. Nachdem auch die Kammer keine Veranlassung sieht, von sich aus die Neuheit in Zweifel zu ziehen, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
Hauptantrag
4. Erfinderische Tätigkeit
Der einzige in diesem Beschwerdeverfahren zu prüfende Streitpunkt besteht darin, ob der beanspruchte Gegenstand des Streitpatentes auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u. a. T 1/80, ABl. EPA 1981, 206, Punkte 3, 6, 8, 11 der Entscheidungsgründe; T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 248/85, ABl. EPA 1986, 262, Punkt 9.1 der Entscheidungsgründe).
4.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Entfernen und Wiedergewinnen von Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickoxiden aus den bei der Nitrierung von Toluol oder Mononitrotoluol gewonnenen rohen Dinitrotoluolen.
4.2 Druckschriften (2), (4) und (6) beschreiben ein gattungsgemäßes Verfahren zur Abtrennung von Resten von Nitriersäure aus nitrierten Toluolen. Beide Beschwerdeführer haben Druckschrift (2) als nächstliegenden Stand der Technik angesehen, der Beschwerdeführer II zog zusätzlich auch die Druckschriften (4) und (6) in Betracht.
4.2.1 Die Druckschrift (2), welche in der Streitpatentschrift erwähnt wird (Paragraphen [0005] und [0007]), beschreibt ein Verfahren zur Abtrennung von Schwefelsäure und Salpetersäure aus bei der Dinitrierung von Toluol erhaltenen Dinitrotoluolen, wobei das rohe Dinitrotoluol, welches noch Restmengen von Schwefelsäure enthält, mit bis zu 10 Gewichtsprozent Wasser gewaschen wird (Anspruch 1). Durch das Zusetzen von Wasser, welches die Säurereste aus dem rohen Dinitrotoluol aufnimmt, entsteht in situ eine verdünnte Säure, mit der die Extraktion durchgeführt wird. Für den explizit offenbarten Wert von 10 Gewichtsprozent Wasser ergibt sich ein Gewichtsverhältnis von Dinitrotoluol zu wässriger Lösung von 9:1. Dieses Gewichtsverhältnis lässt sich mit Hilfe der bekannten Dichte von Dinitrotoluol, die vom Beschwerdeführer I unbestritten mit 1,3 g/cm**(3) bei einer Temperatur von 60ºC angegeben wurde, zu einem Volumenverhältnis von Dinitrotoluol zu wässriger Lösung von etwa 7:1 umrechnen. Damit überschneidet sich das in Druckschrift (2) offenbarte Volumenverhältnis mit dem gemäß Streitpatent beanspruchten Bereich. Die Abtrennung der Schwefelsäure und Salpetersäure kann in zwei oder mehreren Stufen erfolgen (Spalte 2, Zeilen 31 bis 36). Die sich nach dem Vermischen abscheidende wässrige Phase ist genügend konzentriert, so dass sie ohne spezielle Aufkonzentrierung in die erste Nitrierstufe zurückgeführt wird (Spalte 2, Zeilen 10 bis 17). In Beispiel 1, welches mit einem Volumenverhältnis von Dinitrotoluol zu Wasser von etwa 10:1, d.h. im gemäß Streitpatent beanspruchten Bereich arbeitet, ist die resultierende wässrige Phase leichter als die organische Dinitrotoluol-Phase (Spalte 3, Zeilen 27 bis 29).
Der Beschwerdeführer I bestritt, dass Druckschrift (2) offenbare, dass die Dichte der wässrigen Phase notwendigerweise geringer sei als die Dichte der Dinitrotoluol-Phase, da in Beispiel 2 der Druckschrift (2) auch eine schwerere wässrige Phase auftrete. Wenn auch Beispiel 2 eine schwerere wässrige Phase wegen eines höheren, vom Streitpatent abweichenden Volumenverhältnis Dinitrotoluol zu Wasser aufweisen mag, offenbart die Druckschrift (2) gleichwohl in Anspruch 1 ein Volumenverhältnis von etwa 7:1 und im einzelnen in Beispiel 1 von etwa 10:1 mit der Folge einer leichteren Phase (siehe vorheriger Absatz) und damit Ausführungsformen, die dem Gegenstand des Streitpatentes näher liegen. Die Lehre der Druckschrift (2) ist aber in ihrer Gesamtheit heranzuziehen und kann in ihrem Offenbarungsgehalt nicht auf eine bestimmte, weiter vom Streitpatent entfernte Ausführungsform, hier Beispiel 2, reduziert werden. Daher ist festzuhalten, dass in Druckschrift (2) ein streitpatentgemäßes Volumenverhältnis und eine leichtere wässrige Phase ausdrücklich offenbart sind, weswegen der Einwand des Beschwerdeführers I nicht greift.
Auch das Argument des Beschwerdeführers I, dass in Druckschrift (2) die Stickoxide nicht entfernt würden und auch deren Einfluss auf die Verteilungsgleichgewichte der einzelnen Komponenten der Nitriersäure nicht angesprochen werde, kann nicht überzeugen. Obgleich Druckschrift (2) die Entfernung der Stickoxide nicht erwähnt, werden diese dennoch zwangsläufig aus dem rohen Dinitrotoluol entfernt, da die gleiche Verfahrensmaßnahme wie im Streitpatent, nämlich Auswaschen mit Wasser, angewandt wird. Damit ergibt sich auch zwangsläufig das gleiche qualitative Ergebnis wie dies auch im Streitpatent der Fall ist.
4.2.2 In der Druckschrift (6) wird ein Verfahren zur Reinigung von Trinitrotoluol und anderen Nitroverbindungen beschrieben ohne letztere zu konkretisieren. Gemäß Beschwerdeführer II liege diese Druckschrift der Erfindung näher als Druckschrift (2), da erstere bereits ein mehrstufiges Extraktionsverfahren im Gegenstrom beschreibe und da zu deren Anmeldetag im Jahre 1916 neben Trinitrotoluol automatisch auch Dinitrotoluol umfasst gewesen sei.
Da jedoch die Druckschrift (6) direkt und eindeutig nur die Aufarbeitung von Trinitrotoluol beschreibt, wohingegen das Streitpatent ein Aufarbeitungsverfahren für eine andere chemische Verbindung, nämlich Dinitrotoluol, betrifft, liegt diese Druckschrift dem Streitpatent ferner als die Druckschrift (2), denn bei der Festlegung des nächstliegenden Standes der Technik sind in erster Linie solche Druckschriften heranzuziehen, welche eindeutig die Aufarbeitung der gleichen chemischen Verbindung, also hier des Dinitrotoluols betreffen.
4.2.3 Druckschrift (4), ebenfalls im Streitpatent erwähnt, betrifft die Reinigung von nach Abtrennen der Hauptmenge an Schwefelsäure und Salpetersäure erhaltenen rohen Dinitrotoluolen durch Waschen mit großen Mengen Wasser. Gemäß Beschwerdeführer II liege Druckschrift (4) der Erfindung näher als Druckschrift (2), da in Beispiel 3 der Druckschrift (4) im Labormaßstab ein mehrstufiges Extraktionsverfahren im Gegenstrom simuliert werde, bei dem eine nahezu vollständige Abtrennung der Schwefelsäure und Salpetersäure erreicht werde.
Da die anfallenden sauren wässrigen Extrakte im Verfahren der Druckschrift (4) verworfen werden, im Verfahren des Streitpatentes jedoch in die Nitrierung zurückgeführt werden, liegt auch diese Druckschrift dem streitgegenständlichen Verfahren ferner als die Druckschrift (2).
4.2.4 Infolgedessen kommt die Kammer zu dem gleichen Ergebnis wie die angefochtene Entscheidung, dass das Verfahren gemäß der Druckschrift (2) den nächstliegenden Stand der Technik und Ausgangspunkt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
4.3 Ausgehend von Druckschrift (2) als nächstliegendem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, die Wäsche des rohen Dinitrotoluols zur Entfernung der darin gelösten Salpetersäure, Schwefelsäure und Stickoxide so durchzuführen, dass diese Säuren nahezu vollständig wiedergewonnen werden (Paragraph [0009] der Streitpatentschrift), mit der Folge, laut Beschwerdeführer I, einer effizienteren und ökonomischeren Verfahrensweise der Extraktion.
4.4 Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent das Verfahren gemäß Anspruch 1 vor, welches dadurch gekennzeichnet wird, die Extraktion mehrstufig im Gegenstrom durchzuführen.
4.5 Eine erfolgreiche Lösung der oben formulierten Aufgabe wird vom Beschwerdeführer II nicht bestritten. Er hat als glaubhaft anerkannt, dass die vom Beschwerdeführer I behauptete nahezu vollständige Abtrennung der Schwefelsäure, Salpetersäure und Stickoxide und damit eine effizientere/ökonomischere Verfahrensweise durch das beanspruchte Verfahren gegenüber der nächstliegenden Druckschrift (2) tatsächlich erzielt wird, da der Fachwelt allgemein bekannt eine mehrstufige Extraktion im Gegenstrom, also die das streitgegenständliche Verfahren kennzeichnende Maßnahme, notwendigerweise zu einem besseren Abtrennungsergebnis führt. Wenn auch kein lauterer Vergleich zwischen dem beanspruchten Verfahren und dem Verfahren der nächstliegenden Druckschrift (2) vorliegt, bei dem sich die verglichenen Verfahren ausschließlich durch eine mehrstufige Gegenstromextraktion unterscheiden, so hat die Kammer jedoch aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers II keinen unmittelbaren Anlass am Erfolg der Lösung der Aufgabe durch das beanspruchte Verfahren zu zweifeln.
4.6 Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch Anwendung eines mehrstufigen Extraktionsverfahrens im Gegenstrom zu lösen.
4.6.1 Der Fachmann wird zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe, einer nahezu vollständigen Wiedergewinnung der Nitriersäure und damit einer effizienteren/ökonomischeren Verfahrensweise der Extraktion, als ersten Schritt solchen Stand der Technik, insbesondere allgemeine verfahrenstechnische Fachliteratur, heranziehen, welcher diese Aufgabe anspricht. Die Druckschrift (8) ist nun ein Auszug aus einer Enzyklopädie über chemische Technologie, welche die patentgemäße Aufgabe betrifft. Hierin findet der Fachmann den spezifischen Hinweis, dass eine mehrstufig durchgeführte Gegenstromextraktion den besten Kompromiss zwischen einerseits einer hohen Konzentration des Extrakts und andererseits einer hohen Rückgewinnungsrate darstellt und diese Verfahrensweise ökonomische Vorteile aufweist (Seite 683, 2. Absatz von unten). Der Fachmann hat damit eine direkte Anregung, zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe das nächstliegende Verfahren der Druckschrift (2) in Form einer mehrstufigen Gegenstromextraktion durchführen, wodurch er zum Gegenstand des Streitpatentes gelangt ohne erfinderisch tätig zu werden.
4.6.2 Zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit hat der Beschwerdeführer I die Frage aufgeworfen, weshalb der Fachmann denn überhaupt das Verfahren der Druckschrift (2) abwandeln sollte, weswegen jede Abänderung a priori nicht naheliegend sei. Indessen steht der Fachmann nachgerade vor der Aufgabe, dieses bekannte Verfahren zu verbessern (siehe Punkt 4.3 oben), weshalb er zwangsläufig nach Lösungen hierfür sucht und dabei, wie oben angeführt, eine naheliegende Lösung in Druckschrift (8) findet.
Der Beschwerdeführer I argumentiert außerdem, dass der Fachmann aufgrund einer zu erwartenden Phasenumkehr, wie sie aus Beispiel 2 der Druckschrift (2) zu entnehmen sei, kein Gegenstromextraktionsverfahren anwenden würde.
Beispiel 2 der Druckschrift (2) stellt indessen lediglich eine entferntere Ausführungsform des in Druckschrift (2) beschriebenen Verfahrens dar, wobei ein vom Streitpatent abweichendes Volumenverhältnis von Dinitrotoluol zu wässriger Lösung vorliegt. Da in Anspruch 1 wie in Beispiel 1 der Druckschrift (2) jedoch ein Volumenverhältnis im patentgemäßen Bereich beschrieben wird und damit auch die wässrige Phase leichter ist als die Dinitrotoluolphase, so dass keine Phasenumkehr auftritt (siehe Punkt 4.1.2 oben), war der Fachmann nicht davon abgehalten, das Extraktionsverfahren mehrstufig im Gegenstrom durchzuführen oder dies doch wenigstens zu versuchen. Folglich kann das Argument des Beschwerdeführers I nicht durchgreifen.
Des weiteren hat der Beschwerdeführer I zum Beleg einer erfinderischen Tätigkeit angeführt, dass die Dissoziationsgleichgewichte, Disproportionierungsreaktionen und Verteilungskoeffizienten der Salpetersäure und der Stickoxide während der Extraktion die entscheidende Rolle für die nahezu vollständige Wiedergewinnung der Nitriersäurereste und damit für eine effizientere/ökonomischere Verfahrensweise spiele; diese Lehre sei der Druckschrift (2) nicht zu entnehmen.
Ob und inwieweit diese Gleichgewichte, Disproportionierungen und Koeffizienten gegenüber dem Verfahren der Druckschrift (2) tatsächlich entscheidend sind, ist zwischen den Parteien strittig. Dieser Punkt ist jedoch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit unerheblich, denn er beruht auf einer nachträglichen eigenen Interpretation der Druckschrift (2) durch den beschwerdeführenden Patentinhaber, welche, wie von ihm selbst eingeräumt, eben nicht zu deren Lehre gehört. Folglich handelt es sich hierbei lediglich um eine spätere Erkenntnis, die dem routinemäßig und nicht erfinderisch handelnden Fachmann in den Schoß fällt.
5. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatentes in seiner erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ beruht.
Hilfsantrag 1
6. Zulässigkeit des Antrags
Der Hilfsantrag 1 wurde vom Beschwerdeführer I während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Damit ist er formell als verspätet anzusehen. Gleichwohl tragen die vorgenommenen Änderungen lediglich der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geführten Diskussion Rechnung. Der Beschwerdeführer II hat die Verspätung explizit nicht gerügt, und auf Nachfrage erklärt, er erhebe gegen diesen Hilfsantrag keine Einwendungen. Die Kammer übt daher ihr Ermessen pflichtgemäß dahingehend aus, diesen Antrag in das Verfahren zuzulassen.
7. Änderungen
7.1 Die im Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 vorgenommene Änderung betrifft das Hinzufügen einer Passage zum Wortlaut des Anspruchs 1 in seiner erteilten Fassung (siehe Punkt V oben).
Eine Stütze hierfür findet sich in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf Seite 5, Zeilen 20 bis 29. Daher sind die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.
7.2 Die in Anspruch 1 eingefügte Passage beschränkt den Schutzbereich, weswegen auch die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ erfüllt sind.
8. Erfinderische Tätigkeit
Der Beschwerdeführer II hat die erfinderische Qualität des Verfahrens gemäß Hilfsantrag 1 nicht in Abrede gestellt, sondern vor der Kammer erklärt, dass er gegen diese Verfahrensansprüche keine Einwendungen wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhebe.
8.1 Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird, neben der mehrstufigen Extraktion im Gegenstromverfahren durch drei weitere Merkmale gekennzeichnet, nämlich (a) durch das Führen der verdünnten wässrigen Lösung innerhalb jeder Extraktionsstufe im Kreislauf, (b) durch das Einstellen des Volumenverhältnisses der Dinitrotoluole zu der verdünnten wässrigen Lösung von Salpetersäure, Schwefelsäure und salpetriger Säure über die Zugabe von Frischwasser in den Extraktionskreislauf der verdünnten Lösung der letzten Extraktionsstufe, sowie (c) durch das Abziehen einer wässrigen Lösung eines Salpetersäure/Schwefelsäure-Gemisches mit 25 bis 40 % Gesamtsäure aus der ersten Extraktionsstufe.
8.2 Obgleich Maßnahme (a) aus Anspruch 2 der Druckschrift (7) bekannt ist, kann diese Lehre das Verfahren gemäß Hilfsantrag 1 nicht nahelegen, da allein die Maßnahme (a) in Druckschrift (7) offenbart ist. Aus keiner im Verfahren befindlichen Druckschrift sind die Maßnahmen (b) und (c), weder isoliert, noch in Kombination mit Maßnahme (a) zu entnehmen; folglich liegt die angebotene Lösung selbst bei einer weniger ambitionierten Aufgabenstellung der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens aus dem weiteren Stand der Technik nicht nahe.
9. Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents gemäß Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 betreffen weitere Ausgestaltungen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und werden von dessen Patentfähigkeit getragen.
10. Da der Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, kann diesem Antrag des Beschwerdeführers I stattgegeben werden. Eine Entscheidung über die nachrangigen Hilfsanträge 2 bis 7 erübrigt sich somit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent gemäß dem während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsantrag 1 und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.