T 0294/90 () of 28.1.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T029490.19920128
Datum der Entscheidung: 28 Januar 1992
Aktenzeichen: T 0294/90
Anmeldenummer: 83102348.6
IPC-Klasse: B23B 31/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 739 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kraftbetätigtes Spannfutter
Name des Anmelders: Röhm, G.
Name des Einsprechenden: Paul Forkardt GmbH
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: No aggregation - no technically independent parts of
a problem - Inventive step (yes) - State of the art -
assessment of the problem from an objective viewpoint
Keine Aggregation - keine technisch voneinander
unabhängigen Teilaufgaben
Erfinderische Tätigkeit (ja) - Objektive gegebener
Stand der Technik - objektiv ermittelte Aufgabe
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0024/81
T 0031/84
T 0396/86
T 0387/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1588/11

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand - ein kraftbetätigtes Spannfutter - der am 10. März 1983 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 83 102 348.6 ist am 28. Oktober 1987 das drei Ansprüche umfassende europäische Patent Nr. 108 857 erteilt worden.

II. Gegen das erteilte Patent ist ein Einspruch eingelegt worden mit dem Antrag, das Patent zu widerrufen, da dessen Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Begründung ist auf folgende Druckschriften gestützt:

D1: US-A-4 254 676;

D2: DE-A-2 711 904;

D3: "Tischvorlage", VDW/VDI-Sitzung des Drehfutter- Ausschusses am 24. Oktober 1975 im Institut für Werkzeugmaschinen der TU Berlin; Seiten 11 bis 14 und Bilder 19 bis 21; Abschnitt 24: Fliehkraft;

D4: DE-A-3 023 413.

III. Mit der am 8. März 1990 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung ist das Patent widerrufen worden. Nach der Begründung besteht die Aufgabe, die durch den Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents gelöst werden soll, im Gegensatz zu der in der Beschreibung des erteilten Patents angegebenen Aufgabe aus zwei Teilaufgaben, deren Lösungen nach dem einzigen, mit Schriftsatz vom 4. Dezember 1989 eingegangenen Anspruch im Hinblick auf die Kombination der den Druckschriften D1 und D2 zu entnehmenden Lehren bzw. mit Rücksicht auf diese Kombination in Verbindung mit den Überlegungen eines Fachmanns naheliegend sind.

IV. Am 19. April 1990 hat der Beschwerdeführer (Patentinhaber) Beschwerde erhoben und die Gebühr bezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 20. Juni 1990 eingegangen.

V. In seinem Schriftsatz vom 25. Oktober 1990 hat der Beschwerdegegner (Einsprechender) erstmals auf die Druckschrift D5: DE-A-2 846 337 hingewiesen, welche die der Druckschrift D1 entsprechenden deutsche Anmeldung ist.

VI. Eine mündliche Verhandlung hat am 28. Januar 1992 stattgefunden.

1. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, daß ausgehend von dem aus der Druckschrift D1 bekannten Stand der Technik, der dem Gegenstand des erteilten Patents am nächsten komme, der Erfindung die Aufgabe zugrunde liege, die in der Beschreibung des erteilten Patents angegeben sei und nicht die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung definierten zwei Teilaufgaben. Die Lösung der Aufgabe nach dem geltenden einzigen Anspruch werde weder alleine durch die der Druckschrift D1 zu entnehmenden Lehre noch durch die Übertragung dieser Lehre auf ein Spannfutter gemäß der Druckschrift D2 nahegelegt.

2. Von dem Beschwerdegegner wurde zunächst vorgebracht, daß erstmals die Druckschrift D1 die Messung der effektiven Spannkraft in einem kraftbetätigten Spannfutter offenbare und das Spannfutter nach der Druckschrift D2 aufgrund seiner konstruktiven Ausbildung dem Spannfutter nach dem in Frage gestellten Patent am nächsten komme.

Nach der Druckschrift D1 (Sp. 5, Z. 20 bis 25) könne ein Meßaufnehmer an jeder beliebigen Stelle im Spannfutter, an der die Spannkraft oder zumindest ein representativer Teil dieser Spannkraft übertragen werde, angebracht werden. Daraus allein ergebe sich schon für den Fachmann die Lage des Meßaufnehmers im Futterträger eines Spannfutters, das einen konstruktiven Aufbau gemäß dem geltenden Anspruch aufweise, wenn der Meßaufnehmer nicht im "Hauptfluß" der zu messenden Spannkraft liegen solle.

Gehe man dagegen von dem Spannfutter nach der Druckschrift D2 als den Stand der Technik aus, der dem Gegenstand des geltenden Anspruchs am nächsten komme, so sei das zu lösende technische Problem darin zu sehen, das bekannte Spannfutter zum Messen der Spannkraft mit einem Meßaufnehmer zu versehen. Mit Rücksicht jedoch auf die aus der Druckschrift D1 bekannte Lehre, daß der Meßaufnehmer nicht unbedingt in der Spannbacke angebracht sein müsse, sondern daß es ausreiche, ihn dort anzubringen, wo er einer Kraft ausgesetzt sei, die der Spannkraft gleich oder nach einem vorbestimmten Gesetz abhängig von der Spannkraft der Spannbacke sei, liege es nahe, den Meßaufnehmer im Stellring für den Verzahnungsbolzen des bekannten Spannfutters unterzubringen. Diese Anordnung im Stellring sei jedoch ungünstiger als in der Spannbacke, da aufgrund des Kraftflusses in den einzelnen Teilen der Spannbacken der Verzahnungsbolzen selbst nur einen Teil der Spannkraft in axialer Richtung übertragen könne, wobei der Wert dieses den Meßaufnehmer beaufschlagenden Teils auch noch durch die in der Verzahnung auftretenden Reibungskräfte verfälscht werde.

Auch der Druckschrift D4, die den aus der Druckschrift D5 bzw. D1 bekannten Stand der Technik diskutiere, sei die Lehre zu entnehmen, einen Meßaufnehmer nicht in den Spannbacken unterzubringen. Außerdem enthalte der geltende Anspruch keine vollständige Lehre zum technischen Handeln, weil die durch die schrägliegenden Zähne beim radialen Verstellen der Spannbacken auftretende Kraft, die auch auf den Verzahnungsbolzen wirke, im Anspruch nicht berücksichtigt werde.

VII. Der einzige Anspruch lautet wie folgt:

"Kraftbetätigtes Spannfutter mit radial im Futterkörper verschiebbar geführten Spannbacken (2) aus jeweils einem durch ein im Futterkörper (1) angeordnetes Antriebsglied (5) verstellbaren Spannbackenkörper (2.1) und einem daran auswechselbar angeordneten, die Spannfläche (6) bildenden Spannbackenteil (2.2), ferner mit mindestens einem im Spannfutter (1) angeordneten, vom Spannbackenteil (2.2) mindestens einer der Spannbacken (2) beaufschlagten Meßaufnehmer (7) für die Spannkraft sowie mit einer Übertragungseinrichtung mit einem Geberteil (8) am Spannfutter (1) und einem gegenüber dem Spannfutter (1) stationären Empfängerteil (9), wobei das Geberteil (8) die Meßwerte des bzw. der Meßaufnehmer (7), gegebenenfalls in aufbereiteter Form an das Empfängerteil (9) und dieses eine zum Betrieb des Geberteils (8) etwa benötigte Hilfsenergie an letzteres jeweils berührungslos überträgt, dadurch gekennzeichnet, daß bei einem den Spannbackenkörper (2.1) und das Spannbackenteil (2.2) auskuppelbar und kraftschlüssig axial miteinander verbindenden Verzahnungsbolzen (26) dieser Verzahnungsbolzen (26) den Meßaufnehmer (7) betätigt, der in einer Ausnehmung (29) eines den Verzahnungsbolzen (26) in axialer Richtung verstellenden Stellrings (27) angeordnet ist und dem Verzahnungsbolzen (26) stirnseitig anliegt."

VIII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den Unterlagen vom 4. Dezember 1989.

Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen

Der geltende Anspruch fußt auf der Zusammenfassung der Ansprüche 1 und 3 des erteilten Patents, dessen abhängiger Anspruch 2 gestrichen worden ist.

Die Beschreibung und Figuren (Streichung der Figur 3) des erteilten Patents sind dem geltenden Anspruch angepaßt. Auch ist die Beschreibung durch den Stand der Technik, wie er den Druckschriften D2 und D3 zu entnehmen ist, ergänzt.

Die Fassung der Unterlagen genügt daher den Anforderungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.

3. Nächstkommender Stand der Technik, Aufgabe und Lösung

3.1. Der Oberbegriff des geltenden Anspruchs ist nicht zu beanstanden. Er enthält ausgehend von der Druckschrift D1 bzw. D5 im Sinne der Regel 29 (1) a) EPÜ neben der Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung die technischen Merkmale, die zur Festlegung des beanspruchten Gegenstands der Erfindung notwendig sind, jedoch in Verbindung miteinander zum Stand der Technik gehören. Die Ausführungsart gemäß Figur 4 der Druckschrift D1 bzw. D5 in Verbindung mit deren Figur 1 weist nämlich alle die im Oberbegriff des geltenden Anspruchs genannten Merkmale auf (s. D1: Sp. 3, Z. 1 bis 6; Sp. 5, Z. 36 bis 51; Sp. 6, Z. 5 bis 8; D5: S. 6, Z. 30 bis S. 7, Z. 3; S. 12, Z. 1 bis 21; S. 13, Z. 1 bis 4).

Bei diesem bekannten Spannfutter ist das auswechselbare Spannbackenteil gegen den Spannbackenkörper in einem Vorsprung abgestützt, der die Spannkraft zwischen dem Spannbackenteil und dem Spannbackenkörper im wesentlichen radial so überträgt, daß aus der durch Dehnungsmeßstreifen zu erfassenden Deformation einer Aussparung im Spannbackenkörper auf die Größe der Spannkraft geschlossen werden kann. Durch diese Aussparung wird aber der Spannbackenkörper in dem durch die Spannkraft gerade besonders beanspruchten Bereich sehr geschwächt. Außerdem entstehen durch den Vorsprung in diesem Bereich hohe Kraftdichten, was alles die Steifigkeit der Kraftübertragung (d. h. Kraftübertragung bei möglichst geringen Werkstoffdeformationen) sehr beeinträchtigt.

Hieraus ergibt sich unter Zugrundelegung der Darstellung der Erfindung in der Beschreibung des erteilten Patents im Sinne der Regel 27 (1) c) EPÜ als Aufgabe, den Meßaufnehmer in dem Spannfutter so anzuordnen, daß der verstellbare Spannbackenkörper nicht geschwächt und dadurch die Kraftübertragung über diesen Spannbackenkörper und dem auswechselbaren Spannbackenteil nicht beeinträchtigt wird (vgl. auch EP-B-0 108 857: Sp. 1, Z. 50 bis 57).

Die Lösung beruht dabei auf dem Gedanken, den Weg der Kraft, die den Meßaufnehmer beaufschlagen soll, von dem Weg der Spannkraft von einem Antriebsglied über den verstellbaren Spannbackenkörper zu dem auswechselbaren Spannbackenteil zu trennen. Dies wird nach dem geltenden Anspruch dadurch ermöglicht, daß ein Verzahnungsbolzen vorgesehen ist, der nicht nur den verstellbaren Spannbackenkörper und den auswechselbaren Spannbackenteil auskuppelbar und kraftschlüssig axial miteinander verbindet, sondern gleichzeitig auch in axialer Richtung des Spannfutters die Kraft, die ein representatives Maß für die Spannkraft ist, an den Meßaufnehmer weiterleitet. Letzterer ist zu diesem Zweck in einem zum axialen Verstellenden des Verzahnungsbolzens dienenden Stellring untergebracht, derart, daß er stirnseitig am Verzahnungsbolzen anliegt. Dadurch braucht der Meßaufnehmer selbst an der Spannbewegung der Spannbacken nicht teilzunehmen. Andererseits erfahren alle sich beim Spannvorgang bewegenden Teile des Spannfutters durch die Anordnung des Meßaufnehmers im Futterkörper keinerlei Änderung oder Beeinflussung, so daß die sonst zum Messen durch den im verstellbaren Spannbackenkörper angeordneten Meßaufnehmer benötigten spannkraftabhängigen elastischen Verformungen an dem verstellbaren Spannbackenkörper vermieden werden, wodurch die Übertragung der Spannkraft im Spannfutter nicht beeinträchtigt wird. Das Vermeiden jeglicher elastischer Verformung in dem verstellbaren Spannbackenkörper für Meßzwecke bedingt, daß es auch zur Übertragung einer Kraft vom Verzahnungsbolzen auf den Meßaufnehmer keiner elastischen Verformung bedarf.

All dies bedeutet, daß die Anordnung des Meßaufnehmers außerhalb des Bereichs, wo durch die zu übertragende Spannkraft Momente und dadurch bedingte elastische Verformungen auftreten, eine Ausbildung dieses Bereichs zuläßt, die einer hohen Steifigkeit der Kraftübertragung nicht entgegensteht und die Kraftübertragung nicht beeinträchtigt.

3.2. Die Kammer zweifelt nicht daran, daß die gestellte Aufgabe durch die angegebene Lösung auch tatsächlich gelöst wird.

Es mag zwar zutreffen, daß der Wert des representativen Teils der Spannkraft durch die in der Verzahnung zwischen Verzahnungsbolzen und Spannbackenteil auftretenden Reibungskräfte beeinflußt wird, jedoch werden die dadurch entstehenden Ungenauigkeiten, wie es der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat, in den Spannbacken des mit hoher Drehzahl umlaufenden Spannfutters gemittelt und somit wieder ausgeglichen.

3.3. Geht man jedoch von dem aus der Druckschrift D2, Figuren 1 bis 5 bekannten Spannfutter als den dem Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 am nächsten kommenden Stand der Technik aus, wie es der Beschwerdegegner u. a. auch vorgetragen hat, da dieses bekannte Spannfutter als solches aufgrund seines Konstruktionsprinzips mit dem in dem in Frage gestellten Patent beschriebenen und gezeigten Spannfutter übereinstimmt, dann liegt

- die zu lösende Aufgabe darin, das Spannfutter mit einer Vorrichtung zu versehen, mit der die aufzubringende Spannkraft gemessen und die gemessenen Werte zur Auswertung übertragen werden können, und

- die Lösung der Aufgabe in der Anordnung eines Meßaufnehmers in einer Ausnehmung des Stellrings des Verzahnungsbolzens, so daß der Meßaufnehmer stirnseitig an letzterem anliegt und von diesem betätigt wird, und in der Anordnung einer Übertragungseinrichtung mit einem Geberteil am Spannfutter und einem gegenüber dem Spannfutter stationären Empfängerteil, wobei der Geberteil die Meßwerte an das Empfängerteil und dieses eine zum Betrieb des Geberteils etwa benötigte Hilfsenergie an letzteres jeweils berührungslos überträgt.

4. Neuheit Die Prüfung aller bisher in den Verfahren vor dem Europäischen Patentamt genannten Druckschriften ergibt, daß keine dieser Druckschriften ein Spannfutter offenbart, welches alle Merkmale des geltenden Anspruchs aufweist. Da im übrigen die Neuheit des Spannfutters nach dem erteilten Patent auch von dem Beschwerdegegner nicht bestritten worden ist, erübrigt sich hierfür eine Begründung.

Der Gegenstand des geltenden Anspruchs ist daher neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Die der Druckschrift D1 bzw. D5 im Hinblick auf die Anordnung des Meßaufnehmers im Spannfutter zu entnehmenden Lehren sind:

- nach der konkreten Ausführungsart gemäß Figur 3, den Meßaufnehmer im Bereich der Greif- oder Einspannfläche einer Spannbacke anzuordnen, um die radiale Einspannkraft zu erfassen;

- nach der konkreten Ausführungsart gemäß Figur 4, den Meßaufnehmer in einer Aussparung im verstellbaren Spannbackenkörper anzuordnen, wobei die durch die Spannkraft verursachte Verformung der Aussparung erfaßt wird, und

- nach einem Hinweis in der Druckschrift D1 (Sp. 5, Z. 20 bis 25) bzw. D5 (S. 11, Abs. 2) den Meßaufnehmer an jeder Stelle im Spannfutter anzuordnen, wo er einer Kraft ausgesetzt ist, die der Spannkraft entspricht oder von dieser nach einer vorbestimmten Gesetzmäßigkeit abhängig ist.

Die letzte Lehre ist jedoch so allgemein gehalten, daß es für den Fachmann offen bleibt, an welcher von vielen möglichen Stellen in dem bekannten Spannfutter er einen Meßaufnehmer noch anordnen könnte. Die Druckschrift D1 bzw. D5 enthält hierzu keine weiteren Angaben.

Zudem wird in der Druckschrift D4, welche eine Vorrichtung zur Überwachung und/oder Regelung des Spanndrucks eines kraftbetätigten Werkstück-Spannfutters betrifft, die aus der Druckschrift D5 und damit auch die aus der ihr entsprechenden Druckschrift D1 bekannte Anordnung als nachteilig hingestellt, da eine solche Anordnung von Meßaufnehmern die Spannfutter bzw. die Spannbacken erheblich verteuert. Der Fachmann, der den Meßaufnehmer aus dem Bereich des Übertragungswegs der Spannkraft herausnehmen möchte, wird daher auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten durch den erwähnten Hinweis in der Druckschrift D4 davon abgehalten, einen Meßaufnehmer überhaupt im Spannfutter unterzubringen, sondern durch die Lehre der zuletztgenannten Druckschrift vielmehr angeregt, den Meßaufnehmer außerhalb des Spannfutters anordnen (s. S. 4, Z. 33 bis S. 5, Z. 13 und Anspruch 1: "... außerhalb des Spannfutters angeordnete Kraftmeßeinrichtung ...").

Die Druckschrift D1 bzw. D5 vermag somit dem Fachmann nicht die Anregung zu geben, die er benötigt, wenn er die aus dieser Druckschrift bekannte Anordnung eines Meßaufnehmers im Spannfutter in einem Teil desselben so anordnen will, daß - entsprechend der Lehre des geltenden Anspruchs - der Meßaufnehmer durch seine Lage nicht mehr die Übertragung der Spannkraft durch Schwächung des Übertragungswegs beeinträchtigt, aber immer noch durch eine Kraft, die representativ ist für die Spannkraft, beaufschlagt wird.

5.2. Die Druckschrift D2 betrifft, gemäß den Figuren 1 bis 6 - wie weiter oben bereits festgehalten (s. Abschn. 3.3) - einSpannfutter nach dem Konstruktionsprinzip des im in Frage gestellten Patent beschriebenen und dargestellten Spannfutters. Die Lehre dieser Druckschrift ist es, die Spannbacken in ein axial vorderes und axial hinteres Backenteil zu unterteilen und beide durch ein von außen zu betätigendes Kupplungsstück miteinander zu verbinden oder voneinander zu trennen. Dadurch sollen die Spannbacken in einfacher Weise geändert und den Erfordernissen angepaßt werden können, welche die jeweils auszuführenden Arbeiten bzw. einzuspannenden Werkstücke bedingen (s. S. 6, Z. 9 bis S. 7, Z. 11).

Von einer Vorrichtung zum Messen der Spannkraft ist in dieser Druckschrift nirgendwo die Rede, so daß ihr auch keinerlei Anregungen dahingehend entnommen werden können, eine Aufgabe, wie sie der Gegenstand des Anspruchs des in Frage gestellten Patents zu lösen hat, durch eine Anordnung eines Meßaufnehmers im Spannfutter im Sinne dieses Patents zu lösen.

5.3. Aber auch wenn der Fachmann vor die Aufgabe gestellt wird, in dem aus der Druckschrift D2 bekannten Spannfutter die Spannkraft zu messen (s. Abschn. 3.3) und er die der Druckschrift D1 bzw. D5 zu entnehmenden Lehre (s. Abschnitt 5.1) kennt, - daß ein Meßaufnehmer zum Erfassen der Spannkraft zwischen den Spannbacken und einem eingespannten Werkstück an jeder Stelle im Spannfutter angeordnet werden kann - kommt er nicht zur Lösung nach dem geltenden Anspruch. Wie nämlich bereits im obigen Abschnitt 5.1 dargelegt worden ist, ist diese Lehre so allgemein gehalten, daß es für den Fachmann viele Möglichkeiten der Anordnung gibt, wobei er aufgrund der in der Druckschrift D4 geschilderten Nachteile der Anordnung des Meßaufnehmers im Spannfutter bzw. in den Spannbacken eines Spannfutters gemäß der Druckschrift D1 bzw. D5 (s. Abschn. 5.1) geradezu von einer Anordnung des Meßaufnehmers im an den Spannbackenkörper anstoßenden Bereich des Futterkörpers abgehalten wird.

5.4. Bei dem aus dem Dokument D3 bekannten Spannfutter sind der Spannbackenkörper (Grundbacke) und das die Spannfläche bildende Spannbackenteil (Aufsatzbacke) durch Schrauben verbunden, von welchen eine zur Befestigung von Meßaufnehmern aus einem im mittleren Teil als Verformungskörper ausgebildeten Gewindestift besteht, der mit Hilfe eines aufschraubbaren Befestigungskopfes axial am Spannbackenteil abgestützt ist. Ein Fachmann findet in dieser Druckschrift nur die Anregung, einen Meßaufnehmer im Bereich des Spannbackenkörpers und Spannbackenteils anzubringen. Damit kann er aber die Aufgabe, die der Gegenstand des geltenden Anspruchs zu lösen hat, nicht lösen.

Die Lehre der Druckschrift D3 hilft daher dem Fachmann auch nicht weiter, wenn er ein kraftbetätigtes Spannfutter nach der Druckschrift D1 bzw. D5 oder nach der Druckschrift D2 im Sinne des in Frage gestellten Patents verbessern will.

5.5. Der Gegenstand des geltenden einzigen Anspruchs beruht mithin auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).

6. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit besteht kein Anlaß, von einer Aufteilung der Aufgabe in zwei Teilaufgaben auszugehen.

Aus den Abschnitten 3 und 5 ergibt sich nämlich, daß - gemäß der gängigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (vgl. z. B. Entscheidung: "Metallveredlung/BASF", T 24/81, ABl. EPA 1983, S. 133, Abschnitt 4, od. Entscheidung: "Probevorrichtung/MILES", T 31/84, ABl. EPA 1986, 369; nicht veröffentlichter Teil 4 bis 6) - die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des geltenden Anspruchs dadurch objektiviert worden ist, daß von einem objektiv gegebenen Stand der Technik ausgegangen und diesem gegenüber die Aufgabe ermittelt worden ist, die aus objektiver Sicht gestellt ist und gelöst wird.

Zudem ist es gängige Rechtsprechung, daß für das Vorhandensein von Teilaufgaben die Tatsache ausschlaggebend ist, daß es sich bei den Merkmalen eines Anspruchs um eine bloße Aggregation der Merkmale handelt. Die Merkmale müssen dabei in keiner funktionellen Wechselwirkung miteinander stehen, in dem Sinne, daß sie sich nicht einander gegenseitig zur Erreichung eines über die Summe ihrer jeweiligen Einzelwirkungen hinausgehenden technischen Erfolgs beeinflussen, wie es im Gegensatz dazu bei einer Kombination von Merkmalen vorausgesetzt wird (vgl. Entscheidung: "Beschwerdefrist/BEHR", T 389/86, ABl. EPA 1988, 87, nicht veröffentlichter Teil: Abschn. 4.2 und 4.3; nicht veröffentlichte Entscheidung T 387/87, Teile 3.4 und 3.5). Der Begründung (s. Abschn. 5) der erfinderischen Tätigkeit, auf den der Gegenstand des geltenden Anspruchs des in Frage gestellten Patents beruht, ist zu entnehmen, daß dessen Merkmale eine kombinatorische Wirkung erzielen, wobei der Stand der Technik für das Zusammenwirken dieser Merkmale unter Berücksichtigung ihrer Funktionen innerhalb der Kombination keine Anregung gibt.

7. Was den Einwand des Beschwerdegegners anbelangt, daß der geltende Anspruch keine vollständige Lehre zum technischen Handeln enthalte (s. Abschn. VI. 2), so wird darauf hingewiesen, daß aufgrund der Figur 1 in Verbindung mit der Beschreibung - die nach Artikel 69 (1), Satz 2 EPÜ zur Auslegung der Patentansprüche und nach Artikel 83 EPÜ zur Ausführbarkeit der Erfindung heranzuziehen sind -, gemäß der ursprünglich eingereichten Fassung sowie der Fassung des erteilten Patents der Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzt wird, etwaige Auswirkungen der bei der radialen Verstellung der Spannbacken über die schrägliegenden Zähne (Keilhaken), welche am Antriebsglied und am Spannbackenkörper angebracht sind, auftretenden Kräfte bei der Ausführung der Erfindung zu berücksichtigen. Dieser Einwand kann daher die Patentfähigkeit des geltenden Anspruchs gleichfalls nicht beeinträchtigen.

8. Das Patent hat deshalb Bestand und kann mit dem geltenden einzigen Anspruch in dem geändertem Umfang aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit den mit Schreiben vom 4. Dezember 1989 eingereichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

Quick Navigation