T 0599/01 (Vekokung von Wärmetauschern/MANNESMANN) of 29.7.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T059901.20030729
Datum der Entscheidung: 29 Juli 2003
Aktenzeichen: T 0599/01
Anmeldenummer: 94250241.0
IPC-Klasse: C10G 9/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Verminderung der Verkokung von Wärmetauschflächen
Name des Anmelders: MANNESMANN Aktiengesellschaft, et al
Name des Einsprechenden: BASF Aktiengesellschaft
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung (ja) - Zweifel nicht anhand nachprüfbarer Fakten belegt
Erfinderische Tätigkeit (ja) - selbst bei Kombination unterschiedlicher Lehren zweier Entgegenhaltungen wird der Streitgegenstand nicht nahegelegt
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0019/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 94 250 241.0 wurde das europäische Patent Nr. 0 647 699 mit sechs Ansprüchen erteilt. Der einzige unabhängige Anspruch hatte folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Verminderung der Verkokung von Wärmetauschflächen in einem Röhrenwärmetauscher aus einem Kesselbaustahl, der insbesondere innerhalb einer Anlage für das Thermocracken von Kohlenwasserstoffen zu Alkenen hinter dem Crackofen unter Erzeugung von Wasserdampf eine schnelle Abkühlung der Crackprodukte vornimmt, dadurch gekennzeichnet,

daß die mit den Crackprodukten in Kontakt tretenden Seiten der Wärmetauschflächen nach einer durchgeführten Reinigung vor dem Wiedereinsatz des Röhrenwärmetauschers so lange unter reduzierenden Bedingungen behandelt werden, bis eine weitestgehende Reduktion von Fe2O3 an der Oberfläche zu Fe3O4 eingetreten ist, ohne daß dabei submikrones Fe-Pulver gebildet wird."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1.

II. Gegen die Patenterteilung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) wegen unzureichender Offenbarung (Artikel 83 und 100 b) EPÜ) sowie wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 und 100 a) EPÜ) Einspruch eingelegt. Sie stützte sich dabei auf folgende Entgegenhaltungen:

E1 US-A-3 532 542,

E2 F.-D.Kopinke et al., J. Anal. Appl. Pyrolysis, Vol. 27, Issue 1, (1993), Seiten 45 bis 55 und

E3 A. Holmen et al., J. Chem. Tech. Biotechnol. 1985, 35A, Seiten 358 bis 364.

Mit Schreiben vom 5. Januar 2001 haben die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) in zwei Hilfsanträgen geänderte Anspruchssätze eingereicht.

III. In ihrer Entscheidung war die Einspruchsabteilung zur Auffassung gelangt, daß der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ erfülle. Er sei auch erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Denn ausgehend von E3 als nächstliegendem Stand der Technik werde die technische Aufgabe darin gesehen, die im Betrieb der Wärmetauscher auftretenden Verkokungsprobleme zu verringern, und die in Anspruch 1 angegebene Lösung dieser Aufgabe, nämlich durch weitestgehende Reduktion von Fe2O3 an der Oberfläche der Wärmetauscher in Fe3O4 und ohne Bildung von submikronem Eisenpulver, durch den Stand der Technik nicht nahegelegt worden sei. Vielmehr sei die Bedeutung der gezielten Reduktion nach einer Entkokung und vor einem Wiedereinsatz der Wärmetauscher durch das Streitpatent erstmals erkannt worden. Daher sei auch der über das funktionelle Merkmal breit definierte Schutzbereich gerechtfertigt.

IV. Am 29. Juli 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

V. Die Beschwerdeführerin hat - schriftlich und mündlich - vorgetragen, daß die Bedingungen von Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt seien, da der Aufwand zur Ermittlung des Schutzbereichs unzumutbar hoch und damit die Nacharbeitbarkeit der Lehre des Patents nicht gegeben sei,

- weil es nicht möglich sei, das Vorliegen von submikronem Eisenpulver nachzuweisen, ohne den Wärmetauscher zu zerstören,

- weil die Verkokung der Wärmetauscherflächen von vielen unterschiedlichen Parametern abhänge und

- weil der Fachmann aus der strittigen Patentschrift nicht die zur Erreichung des gewünschten Ziels notwendigen Reduktionsbedingungen entnehmen könne.

Dem Streitgegenstand mangle es auch an erfinderischer Tätigkeit,

- weil das einzige Merkmal, das den Streitgegenstand von einer Zusammenschau der E1 und E3 unterscheide, nämlich die besondere Reduktion von Fe2O3 zu Fe3O4 ohne Bildung von submikronem Eisenpulver, durch E2 nahegelegt sei.

VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen können wie folgt zusammengefaßt werden:

- Aufgabe des Streitpatents sei es, die Wiederverkokung zu verringern und die Lösung dieser Aufgabe bestehe in der anspruchsgemäßen Lehre wie die Reduktion durchzuführen sei. Die dafür einzuhaltenden Verfahrensparameter seien Fachwissen und auch dem Streitpatent zu entnehmen.

- Der Streitgegenstand sei in seinem gesamten Umfang ohne unzumutbaren Aufwand durchführbar, weil die Bedingungen für die Reduktion durch Experimente festlegbar seien.

- Der Streitgegenstand sei durch den Stand der Technik nicht nahegelegt, weil E2 keine reduktive Behandlung der Wärmetauscherflächen vorschlage und die Wirkung von Fe2O3, Fe3O4 und Eisenpulver auf die Verkokung der Wärmetauscherflächen aus dem Stand der Technik nicht bekannt gewesen sei.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen oder hilfsweise das Patent in geändertem Umfang auf Basis der Hilfsanträge 1 oder 2, wie eingereicht mit Schreiben vom 5. Januar 2001, aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)

1.1. Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit betrifft das Merkmal, wonach innerhalb einer Thermocrackanlage die den Crackprodukten ausgesetzten Wärmetauschflächen nach einer Reinigung und vor dem Wiedereinsatz "so lange unter reduzierenden Bedingungen behandelt werden, bis eine weitestgehende Reduktion von Fe2O3 an der Oberfläche zu Fe3O4 eingetreten ist, ohne daß dabei submikrones Fe-Pulver gebildet wird".

1.2. Die Beschwerdeführerin brachte hierzu im wesentlichen folgende Argumente vor:

1.2.1. Der Fachmann könne die Erfindung nicht in allen wesentlichen Teilen ausführen und daher nicht ermitteln, wann er im Schutzbereich der Ansprüche arbeite. Denn der Aufwand zur Ermittlung des Schutzbereiches sei unzumutbar hoch, insbesondere dann, wenn das Verfahren, wie von Anspruch 1 umfaßt, in einer großtechnischen Thermocrackanlage durchgeführt werden soll. Der Fachmann sei nämlich nicht in der Lage festzustellen, wann sich das in Anspruch 1 genannte gewünschte Ergebnis einstellt, ohne den Wärmetauscher zersägen zu müssen, um dessen Innenflächen auf das Vorliegen von submikronem Eisenpulver prüfen zu können, und ein Nachweis in der Koksschicht sei wegen deren Verbrennung im Zuge der Reinigung nicht möglich.

1.2.2. Aus der Beschreibung des Streitpatents gehe zwar hervor, daß die in Anspruch 1 genannte Reduktion mit einem Gemisch aus Wasserdampf und Wasserstoff erfolgen soll, wobei das Gemisch in einer solchen Zusammensetzung vorliegen soll, daß das Fe2O3 auf der Innenoberfläche des Wärmetauschers gezielt in Fe3O4 umgewandelt wird (Seite 3, Zeilen 4 bis 13). Aber Tabelle 2 des Streitpatents zeige, daß eine Vorreduzierung mittels eines Gemisches aus Wasserstoff und Wasserdampf nicht unbedingt zur Erreichung des genannten Ziels führt, sondern mitunter zu einer Verschlechterung der Wiederverkokung gegenüber einer Fahrweise ohne Vorreduzierung. Daher würde der Fachmann dem Streitpatent nicht die erforderlichen Reduktionsbedingungen, insbesondere nicht den notwendigen Wasserstoffgehalt im Reduktionsmittel, entnehmen können. Ohne solche konkreten Angaben könne der Fachmann aber nicht wissen wann das gewünschte Ziel der Reduktion erreicht ist.

1.2.3. Darüber hinaus sei die Verkokung der Crackanlage von unterschiedlichsten Parametern abhängig, so z. B. von der Zusammensetzung des gecrackten Rohstoffes.

1.3. Artikel 83 EPÜ sieht vor, daß die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Danach ist die Offenbarung einer Patentschrift in Abhängigkeit vom maßgeblichen technischen Wissen und Verständnis des einschlägigen Fachmannes zu beurteilen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Seite 167, Kapitel II.A.2.).

1.4. Aus der Patentschrift ist bekannt, daß bei der üblichen Reinigung der Wärmetauscher mit einem heißen Gemisch aus Wasserdampf und Luft auf deren Innenflächen Fe2O3 gebildet wird und feinste staubförmige Eisenpartikel in fein verteilter Form zurückbleiben, sofern eine entsprechende Reduktion stattgefunden hat. Ferner geht aus dem Streitpatent hervor, daß gerade Fe2O3 und solch submikrones Fe-Pulver eine sehr hohe katalytische Aktivität für die Koksbildung aufweisen, während Fe3O4 katalytisch inaktiv ist und metallisches Eisen im Verbund metallischer Werkstoffe nur eine mittlere katalytische Wirkung besitzt (Seite 2, Zeilen 49 bis 56). Der Fachmann erfährt somit aus dem Streitpatent, daß eine unerwünschte katalytische Unterstützung der Koksbildung unterdrückt werden kann, wenn das nach der Reinigung an der Oberfläche der Wärmetauscherrohre entstandene Fe2O3 maximal zu Fe3O4 reduziert wird, ohne daß dabei submikrones Fe-Pulver gebildet wird.

1.5. Daß ein Fachmann weiß, wie eine solche gezielte Reduktion zu bewerkstelligen ist, hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten. Ihr Argument betrifft daher im wesentlichen die Frage, ob der Fachmann anhand der in der Patentschrift enthaltenen Informationen und ohne unzumutbarem Aufwand die erforderlichen Reduktionsbedingungen einstellen kann, wenn der Reduktionsfortschritt nicht direkt überprüfbar ist.

1.6. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerinnen sei ein Fachmann durchaus in der Lage, für einen bestimmten Wärmetauschertyp die Verfahrensparameter experimentell festzulegen, die für die beanspruchte gezielte Reduktion erforderlich sind. Welche Verfahrensparameter wie einzuhalten sind, sei in Beispiel 2 des Streitpatents gezeigt. Auch sei die unerwünschte Bildung von Eisenpulver sowohl direkt in der Koksschicht nachweisbar als auch indirekt, weil wegen der katalytisch induzierten Koksbildung auf den Wärmetauscherflächen die Kühlleistung der Wärmetauscher abnehme. Daß die Verkokung der Wärmetauscherflächen über deren Oberflächentemperatur nachweisbar ist, wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

1.7. Der auf dem technischen Fachgebiet des Streitpatents kompetente Fachmann ist zweifellos ein Petrochemiker, der die Problematik der Verkokung von Wärmetauscherflächen hinter Thermocrackanlagen beispielsweise aus den Dokumenten E2 und E3 kennt.

1.8. Nach diesem Stand der Technik, zwei wissenschaftlichen Berichten, die sich mit der Koksbildung im Crackreaktor (E3) bzw. im nachgeschalteten Wärmetauscher (E2) befassen, konnten die Vorgänge an den inneren Oberflächen von Reaktor und Wärmetauscher zumindest mittels Simulationsverfahren im Labormaßstab untersucht werden, ohne daß die Apparaturen zerstört werden mußten. So ist in E3 davon die Rede, daß sich die Zusammensetzung der inneren Oberfläche des Reaktorstahls in Abhängigkeit von der Temperatur ändert, daß eine oxidative Behandlung der Oberflächen zur Bildung von Oxiden führt, daß sich solche Oxidschichten vom Untergrund ablösen können, wobei eine eisenreiche Oberfläche freigelegt werde und daß sich demzufolge Koks bildet, der mit Eisen angereichert ist (Seiten 358 bis 359, "2. Experimental" und Seite 362, Zeile 4 bis Seite 363, Zeile 15). Ähnliches gilt für E2, zumindest im Hinblick auf Ort und Geschwindigkeit der Koksbildung, aber auch im Hinblick auf die Herkunft des Kokses, d. h. welche Kohlenwasserstoffe hauptsächlich zur Koksbildung beitragen (Seite 46, "Experimental Section") bis Seite 49, 1. Absatz von "Results and Discussion").

Daß solche Untersuchungen in großtechnischen Crackanlagen nicht möglich sind, hat die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht. Die Ergebnisse von E2 und E3 widerlegen auch das Argument der Beschwerdeführerin, wonach ein Nachweis von Eisen in der gebildeten Koksschicht nicht möglich sei, weil dieser Nachweis vor einer Reinigung erbracht werden kann.

1.9. Ferner übersieht die Beschwerdeführerin bei ihrem Argument, der Fachmann könne das streitgegenständliche Verfahren insbesondere im großtechnischen Maßstab nicht durchführen, daß nicht notwendigerweise ein detailliertes Ausführungsbeispiel hierfür vorliegen muß, solange die Ausführbarkeit in diesem Maßstab nicht aufgrund nachprüfbarer Fakten ernsthaft bezweifelt werden muß (siehe auch T 19/90, ABl. EPA 1990, 476, Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe). Solche Fakten hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht vorgelegt.

1.10. Indessen liefert Beispiel 2 des Streitpatents, entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin, Anhaltspunkte für die notwendigen Reaktionsbedingungen. Dieses Beispiel zeigt für den Fall einer Pyrolyse von technischem Propan in einer Laborapparatur, daß in der "Postcrackingzone" bei 500°C auf einem 15Mo3-Probekörper nach vierstündiger Behandlung mit einem Gemisch aus Wasserstoff und Wasserdampf in einem H2/H2O- Volumenverhältnis von 2.5, 1.5 und 0.7 eine deutlich geringere Koksbildung auftritt als ohne Behandlung oder mit H2-reichen (ab einem H2/H2O-Volumenverhältnis von 4) bzw. mit H2-armen (H2/H2O-Volumenverhältnis von 0.1) Gemischen (vgl. Tabelle 2). Im Lichte der allgemeinen Beschreibung des Streitpatents (vgl. oben unter 1.4) schließt der fachkundige Leser aus diesem Ergebnis, daß unter den gegebenen Bedingungen mit den H2/H2O- Volumenverhältnissen von 2.5, 1.5 und 0.7 die erfindungsgemäße maximale Reduzierung des Fe2O3 zu Fe3O4 stattgefunden haben muß, ohne daß aber bereits submikrones Eisenpulver gebildet wurde, wohingegen offenbar letzteres mit den H2-reicheren Gemischen entsteht und mit H2-ärmeren Gemischen eine unzureichende Reduktion zu Fe3O4 erfolgt.

Die Beschwerdeführerin hat weder gezeigt, daß diese Schlußfolgerung nicht zutrifft, noch daß die Bedingungen des Beispiels 2 im großtechnischen Maßstab nicht zum Erfolg führen, um ihre Zweifel, ob der Fachmann in der Lage sei, den Schutzbereich der Ansprüche festzustellen, mit nachprüfbaren Fakten zu belegen.

1.11. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht gezeigt, daß andere Parameter, wie beispielsweise die Zusammensetzung des "Feedstock" bzw. die Herkunft der Koksschicht beim streitgegenständlichen Verfahren eine Rolle spielten.

Es mag zwar zutreffen, wie die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorbrachte, daß bei schwefelhaltigen Ausgangsprodukten auf den Reaktor- und Wärmetauscherrohren eine die Koksbildung nicht katalysierende Schutzschicht aus Eisensulfid entsteht. Dieses Argument hat aber mit der Ausführbarkeit des Streitgegenstandes nichts zu tun. Denn der Streitgegenstand betrifft nur solche Verfahren, bei denen auf den Wärmetauscherflächen Fe2O3 vorliegt.

1.12. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit nicht als derart ausreichend begründet angesehen werden kann, als daß er ein Patenthindernis darstellen könnte. Die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ sind daher als erfüllt anzusehen.

2. Erfinderische Tätigkeit

2.1. Technischer Hintergrund

2.1.1. Das Streitpatent befaßt sich mit der Problematik der Verkokung der Innenflächen des Röhrenwärmetauschers einer Thermocrackanlage (Seite 2, Zeilen 3 bis 15).

2.1.2. Wegen der mit der Verkokung einhergehenden Leistungsverminderung werden die Wärmetauscher in regelmäßigen Abständen einer Reinigung unterzogen, üblicherweise mittels eines Gemisches aus heißem Wasserdampf und Luft (Seite 2, Zeilen 12 bis 21). Ein solches Reinigungsverfahren ist beispielsweise aus E1 bekannt, bei dem Koksablagerungen sowohl in den Rohren im Pyrolyseofen als auch im anschließenden Wärmetauscher mittels eines solchen Gemisches verbrannt und die Verbrennungsprodukte ausgetragen werden (vgl. Anspruch 1).

2.1.3. Trotz solcher Reinigungsmaßnahmen tritt aber kurz nach Wiederinbetriebnahme des Wärmetauschers erneut Verkokung auf (Patentschrift, Seite 2, Zeilen 22 bis 28). Dieser Umstand wird laut Patentschrift darauf zurückgeführt, daß sich bei der üblichen Reinigung mittels eines Gemisches aus heißem Wasserdampf und Luft auf den Wärmetauscherflächen Fe2O3 bildet und gerade dieses Oxid eine sehr starke katalytische Wirkung für die Verkokung entfaltet (Seite 2, Zeilen 49 bis 50 und 54 bis 56).

2.1.4. Das Streitpatent betrifft daher konkret ein Verfahren zur Verminderung der während des Betriebs der Thermocrackanlagen auftretenden Wiederverkokung der Wärmetauscherflächen nach einer Entkokung mit einem Gemisch aus heißem Wasserdampf und Luft (Seite 2, Zeile 54 bis Seite 3, Zeile 13).

2.1.5. Das technische Problem der Wiederverkokung des Wärmetauschers nach der Reinigung ist im verfügbaren Stand der Technik nicht angesprochen. Aber mit E2 und E3 stehen wissenschaftliche Abhandlungen über die Ursachen des Verkokens zur Verfügung.

2.1.6. E2 befaßt sich mit den Mechanismen der Koksbildung an den Wärmetauscherflächen in Thermocrackanlagen (Titel und Seite 45 "Abstract"). Es wird festgestellt, daß Wärmetauscher normalerweise aus Stählen bestehen, die eine Zersetzung der Kohlenwasserstoffe und damit die Verkokung katalytisch unterstützen, daß aber Wasserdampf als Katalysatorgift die Verkokung der Wärmetauscherflächen verringern kann (Seite 53, letzter Absatz bis Seite 54, Zeile 8 und Figur 8). Es wird angenommen, daß Wasser hierbei die Stahloberflächen zu einer teilweise oxidierten Oberfläche oxidiert, die inaktiv hinsichtlich einer Zersetzung der Kohlenwasserstoffe ist, während bei Abwesenheit von Wasserdampf wieder eine reduzierte Eisenoberfläche entsteht, welche aktiv ist (Seite 54, Zeile 4 von unten bis Seite 55, Zeile 2 und Figur 8).

2.1.7. E3 befaßt sich mit der Koksbildung im Pyrolysereaktor (Titel und Seite 358 "Introduction") und insbesondere mit den Auswirkungen einer Voroxidation und einer Vorreduzierung der Stahloberflächen (Seite 358, erster Absatz). Es wurde gefunden, daß die Stahloberfläche bei den im Reaktor herrschenden hohen Temperaturen von über 800°C hohe Konzentrationen an Mangan und Chrom aufweisen und eine Voroxidation zur Bildung von Oxidschichten führt, die zum Abplatzen neigen, wodurch die darunterliegende, katalytisch aktive Eisen- und Nickelreiche Oberfläche freigelegt wird. Es wird daher angenommen, daß eine Voroxidation im Reaktor zu einer verstärkten Verkokung der Reaktorinnenflächen führt, während eine Vorreduzierung der Reaktorwände sehr günstig sein könne im Hinblick auf das Thermocracken, bei dem nach gängiger Praxis die Reaktorwände mit Mischungen aus Wasserdampf und Sauerstoff entkokt werden (Seite 362, Zeile 4, bis Seite 363, letzter Absatz).

2.2. Nächstliegender Stand der Technik

2.2.1. Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geht die Beschwerdeführerin von einer "Zusammenschau" der Dokumente E1 und E3 aus, mit der Begründung, daß der in E1 erwähnte, aber nicht näher beschriebene Pyrolysereaktor aus E3 bekannt sei.

2.2.2. Die Beschwerdegegnerinnen vertreten die Auffassung, daß sich keines der zitierten Dokumente als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eigne. Jedenfalls könne mit dem von der Beschwerdeführerin gewählten Ausgangspunkt das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht in Frage gestellt werden.

2.2.3. Die Kammer folgt diesen Ansichten insofern als es im vorliegenden Fall nicht vorrangig darauf ankommt, welcher Stand der Technik dem Streitgegenstand tatsächlich am nächsten kommt oder den besten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bietet, sondern darauf, ob der einzige Vortrag der Beschwerdeführerin überzeugend ist.

2.3. Technische Aufgabe

2.3.1. Nach Meinung der Beschwerdeführerin gehe E3 zwar nicht gesondert auf die Koksbildung im Wärmetauscher ein. Da aber, wie aus E1 bekannt, die gleichen Maßnahmen zur Beseitigung der Koksablagerungen sowohl im Reaktor wie auch im Wärmetauscher führen, müßten zu deren Verhinderung ebenfalls die gleichen Maßnahmen gelten. Ferner empfehle E3 bereits eine Reduktion der inneren Oberflächen. Somit bestehe der tatsächliche Beitrag des Streitgegenstands zum Stand der Technik gemäß E1 und E3 allein in der Dauer der reduzierenden Behandlung der Wärmetauscherflächen, nämlich so lange bis eine weitestgehende Reduktion von Fe2O3 an der Oberfläche zu Fe3O4 erreicht ist, ohne daß dabei submikrones Fe-Pulver gebildet wird.

2.3.2. Diese Argumentation überzeugt nicht, weil im Wärmetauscher mit etwa 500°C erheblich niedrigere Temperaturverhältnisse und damit andere Bedingungen herrschen als im Reaktor (vgl. E2, Seite 45, "Abstract" und Seiten 46 bis 47, "Experimental Section" und Figur 2; sowie Streitpatent, Seite 3, Zeilen 21 bis 22). Auch E3 macht hier eine klare Unterscheidung, nämlich hinsichtlich Zusammensetzung der inneren Stahloberflächen im Reaktor bei über 800°C und derjenigen, die bei etwa 500°C vorliegt. So liegt bei den niedrigen Temperaturen unter Luftzutritt eine Oberfläche vor, die mit Eisen angereichert ist und nicht mit Chrom und Mangan wie bei über 800°C (Seite 362, Zeilen 4 bis 13). Daher ist nicht davon auszugehen, daß die Ursachen der Entstehung sowie die Maßnamen zur Verhinderung von Koksablagerungen im Reaktor mit denen im Wärmetauscher zu vergleichen sind. Dies wird in E2 bestätigt, wonach die Verkokung der Wärmetauscherflächen nicht einfach eine Fortführung der Reaktorverkokung im Wärmetauscher bei erniedrigten Temperaturen darstellt (Seite 49, vorletzte Zeile bis Seite 50, Zeile 2). Die einschlägige Lehre von E3 lautet daher, bei mindestens 800°C die mit Chrom und Mangan angereicherte Stahloberfläche vorzureduzieren, um die Bildung einer Oxidschicht, deren Abplatzen vom Untergrund und somit das Freilegen einer katalytisch aktiven eisenreichen Oberfläche zu verhindern (siehe oben unter 2.1.7).

2.3.3. Der tatsächliche Beitrag des Streitgegenstandes zum Stand der Technik gemäß E3 ist somit nicht nur in der Dauer oder Intensität der Reduktion zu sehen, sondern vor allem darin, was reduziert wird, nämlich an der Oberfläche vorhandenes Fe2O3.

2.3.4. Wie oben angegeben (siehe unter 2.1.4), besteht gemäß Streitpatent das eigentlich zu lösende technische Problem in der Bereitstellung eines Verfahrens zur Verminderung der beim Betrieb von Thermocrackanlagen nach einer Entkokung mit einem Gemisch aus heißem Wasserdampf und Luft auftretenden Wiederverkokung der Wärmetauscherflächen. In Anbetracht von Beispiel 2 des Streitpatents (siehe unter 1.10), hat die Kammer keinen Grund anzunehmen, daß diese Aufgabe durch den genannten Beitrag nicht auch gegenüber der "Zusammenschau" aus E1 und E3 gelöst wird.

2.4. Naheliegen der Lösung

2.4.1. Somit bleibt zu untersuchen, ob die gemäß Streitpatent vorgeschlagene Lösung, nämlich das nach der Reinigung der Wärmetauscher an der Oberfläche entstandene Fe2O3 weitestgehend zu Fe3O4 zu reduzieren, ohne daß dabei submikrones Fe-Pulver gebildet wird, in Anbetracht des Stands der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2.4.2. Die Beschwerdeführerin argumentierte, daß die anspruchsgemäße Lösung der Aufgabe durch E2 nahegelegt sei, weil daraus bekannt sei, daß eine reduzierte Eisenoberfläche katalytisch aktiv hinsichtlich der Kohlenwasserstoff- Zersetzung und eine teiloxidierte Oberfläche katalytisch inaktiv sei. Somit sei dem Fachmann aus E2 bekannt, daß bei einer Vorreduktion, wie sie in E3 vorgeschlagen sei, nicht soweit reduziert werden darf, daß eine reduzierte Eisenoberfläche vorliegt.

2.4.3. Hierbei übersieht die Beschwerdeführerin, daß die Bildung einer reduzierten Eisenoberfläche bei der in E3 vorgeschlagenen Vorreduktion bei etwa 800°C gar nicht zu erwarten ist, weil sich bei dieser Temperatur Chrom und Mangan an der Stahloberfläche anreichern, nicht aber Eisen. Solches wurde das an der Oberfläche nicht nachgewiesen (siehe auch Figuren 6, 7a und 7b).

2.4.4. E2 allein aber kann die streitgegenständliche gezielte Reduktion nicht nahelegen, weil es die Lehre vermittelt, daß die unerwünschte Bildung einer reduzierten Eisenoberfläche nur verhindert werden kann, solange mit Wasserdampf oxidativ behandelt wird (siehe oben unter 2.1.6). Von Maßnahmen für eine Reduktion der Stahloberfläche ist dort jedenfalls nicht die Rede.

2.4.5. Selbst wenn man aber der Beschwerdeführerin zustimmt, daß mit dem Hinweis in E2 auf die katalytische Inaktivität der teilweise oxidierten Stahloberfläche in Verbindung mit der Lehre von E3 eine Reduktion von Fe2O3 auf den Wärmetauscherflächen bereits angedeutet sein sollte (vgl. unter 2.4.2), bleibt ungeklärt, wie weit die Reduktion zu führen ist. Der Ausdruck "teilweise oxidierte Oberfläche" kann nämlich unterschiedlich interpretiert werden und sowohl Fe3O4, als auch FeO, Mischungen aus Fe3O4 und Fe2O3 oder FeO, oder Mischungen aus Eisen in oxidierter und elementarer Form bedeuten. In Abwesenheit einer eindeutigen Definition dieses Ausdrucks kann daher auch eine Kombination der Lehren von E2 und E3 nicht die beanspruchte gezielte Reduktion der Wärmetauscherflächen nahelegen.

2.5. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der von der Beschwerdeführerin herangezogene Stand der Technik keinerlei Anregung bietet, nach einer üblichen Reinigung der Wärmetauscherflächen einer Thermocrack-Anlage mit Wasserdampf und Luft das an der Oberfläche gebildete Fe2O3 so weit wie möglich zu Fe3O4 zu reduzieren, ohne daß dabei submikrones Fe- Pulver gebildet wird, um eine Wiederverkokung zu vermindern.

Der Gegenstand nach Anspruch 1 beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 6 betreffen besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 und werden von diesem getragen.

2.6. Da somit dem Hauptantrag stattzugeben ist, erübrigt es sich, auf die Gewährbarkeit der Hilfsanträge einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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