European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1994:T082092.19940111 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 11 Januar 1994 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0820/92 | ||||||||
Anmeldenummer: | 87902913.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K 37/56 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | The General Hospital | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.02 | ||||||||
Leitsatz: | Bei einem Verfahren, bei dem zwei oder mehr Stoffe (hier: eine LHRH enthaltende empfängnisverhütende Zusammensetzung und ein Östrogen- und/oder Gestagensteroid) verabreicht werden, geht es für die Zwecke des Artikels 52 (4) EPÜ nicht um die Frage, ob das beanspruchte Verfahren als Ganzes hauptsächlich oder ausschließlich aus nichttherapeutischen Gründen durchgeführt wird. Vielmehr fällt ein Verfahrensanspruch bereits dann unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn die Verabreichung eines der Stoffe ihrem Zweck nach eine therapeutische Behandlung darstellt und ein Anspruchsmerkmal ist (vgl. Nr. 5.9 der Entscheidungsgründe). | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentierbarkeit eines Verfahrens zur Empfängnisverhütung, das gleichzeitig einen therapeutischen Schritt beinhaltet (verneint) Verfahren wegen Vorhandenseins eines nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierung ausgeschlossenen Schrittes nicht gewährbar |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die als internationale Patentanmeldung eingereichte und unter der Nummer WO 87/05514 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 87 902 913.0 wurde von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
Der Entscheidung lagen die mit Schreiben vom 26. April 1991 eingereichten Ansprüche 1 bis 13 zugrunde.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Ansprüche 8 bis 13 den Anforderungen des Artikels 57 EPÜ nicht entsprächen.
Die Entscheidung stützte sich im wesentlichen auf die folgenden Gründe:
a) Die Ansprüche 8 bis 13 bezögen sich auf ein Verfahren zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren, unter anderem beim weiblichen Menschen (vgl. Anspruch 9), und schlössen die persönliche, private Verwendung des Empfängnisverhütungsmittels ein (vgl. Anspruch 10: orale Einnahme).
b) Obwohl ein ausdrücklicher Ausschluß von der Patentierbarkeit im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) und eine diesbezügliche Rechtsprechung fehlten, seien nach der ständigen Praxis des Europäischen Patentamts (EPA) Ansprüche auf Verfahren zur Empfängnisverhütung beim weiblichen Menschen nicht gewährbar, wenn diese Verfahren die persönliche, private Verwendung eines Stoffes einschlössen, und zwar deshalb, weil diese Verwendung nicht unter die Definition der gewerblichen Anwendbarkeit nach Artikel 57 EPÜ falle.
c) Bei der vom Anmelder angezogenen Entscheidung T 144/83, ABl. EPA 1986, 301 gehe es nicht um ein Verfahren zur Empfängnisverhütung, sondern um eine kosmetische Behandlung. Obwohl in dieser Entscheidung davon ausgegangen worden sei, daß die private orale Verabreichung nichttherapeutischer Stoffe nach Artikel 57 EPÜ zulässig sei, müsse wegen der sehr persönlichen und vertraulichen Natur der Empfängnisverhütung klar unterschieden werden zwischen Empfängnisverhütungsverfahren einerseits und kosmetischer Behandlung und der Verabreichung von Nahrung andererseits.
III. Der Beschwerdeführer legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und entrichtete die entsprechende Gebühr. Zusammen mit der Beschwerdebegründung reichte er einen ersten und einen zweiten Hilfsantrag ein.
IV. In einem amtlichen Bescheid nach Artikel 110 (2) EPÜ nannte die Kammer zwei weitere zu berücksichtigende Fragen, nämlich i) ob die Kombination eines Verfahrens zur Empfängnisverhütung mit einer therapeutischen Behandlung nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei und ii) ob einer der vorliegenden Anträge die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfülle.
V. In der mündlichen Verhandlung am 11. Januar 1994 wurden ein neuer Hauptantrag und ein erster und ein zweiter Hilfsantrag in einer für alle Staaten gültigen Fassung eingereicht.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Darreichungssystem zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren mit
1) einem ersten Darreichungssystem zur Verabreichung an das Säugetier während der Follikelphase des Menstruationszyklus, das eine kontrazeptiv wirksame Menge einer LHRH- Zusammensetzung und eine physiologisch wirksame Menge eines Östrogensteroids enthält, und
2) einem zweiten Darreichungssystem zur Verabreichung an das Säugetier während der Lutealphase des Menstruationszyklus, das eine kontrazeptiv wirksame Menge einer LHRH-Zusammensetzung, eine physiologisch wirksame Menge eines Östrogensteroids und eine physiologisch wirksame Menge eines Gestagensteroids enthält"
Die Ansprüche 2 bis 7 beziehen sich auf besondere Ausführungsarten des Darreichungssystems nach Anspruch 1.
Anspruch 8 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Verfahren zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren, das folgende Schritte umfaßt:
a) Verabreichung einer kontrazeptiv wirksamen Menge einer LHRH-Zusammensetzung und einer physiologisch wirksamen Menge eines Östrogensteroids mittels eines Darreichungssystems an das weibliche Säugetier während der Follikelphase des Menstruationszyklus bei Einsetzen der normalen Menstruation und
b) Ersetzen des ersten Darreichungssystems am Ende der Follikelphase durch ein zweites Darreichungssystem, mit dem dem Säugetier in der Lutealphase des Menstruationszyklus bis zum Einsetzen der normalen Menstruation eine kontrazeptiv wirksame Menge einer LHRH-Zusammensetzung, eine physiologisch wirksame Menge eines Östrogensteroids und eine physiologisch wirksame Menge eines Gestagensteroids verabreicht wird"
Die Ansprüche 9 bis 13 sind auf besondere Ausführungsarten des Verfahrens nach Anspruch 8 gerichtet.
Der erste Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, daß der Anspruch 8 wie folgt lautet:
"Verwendung einer LHRH-Zusammensetzung, eines Östrogensteroids und eines Gestagensteroids zur Herstellung eines Mittels zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren, das folgendes umfaßt:
1) ein erstes Darreichungssystem zur Verabreichung an das Säugetier während der Follikelphase des Menstruationszyklus, das eine kontrazeptiv wirksame Menge einer LHRH- Zusammensetzung und eine physiologisch wirksame Menge eines Östrogensteroids enthält, und
2) ein zweites Darreichungssystem zur Verabreichung an das Säugetier während der Lutealphase des Menstruationszyklus, das eine kontrazeptiv wirksame Menge einer LHRH-Zusammensetzung, eine physiologisch wirksame Menge eines Östrogensteroids und eine physiologisch wirksame Menge eines Gestagensteroids enthält"
Die abhängigen Ansprüche 9 bis 14 dieses Hilfsantrags sind auf besondere Ausführungsarten dieser Verwendung gerichtet.
Der zweite Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, daß die Ansprüche 8 bis 13 gestrichen sind.
Der Beschwerdeführer bringt zu dem von der Kammer gemäß Artikel 52 (4) EPÜ erhobenen Einwand sinngemäß folgendes vor:
a) Obwohl das Östrogen- und das Gestagensteroid nicht zur Empfängnisverhütung, sondern zur Korrektur etwaiger durch LHRH nachteilig beeinflußter biologischer Funktionen in das anmeldungsgemäße Darreichungssystem aufgenommen worden seien, sei das System in seiner Gesamtwirkung kontrazeptiv. Eine therapeutische Behandlung werde mit den Ansprüchen nicht angestrebt. Insbesondere die Verfahrensansprüche seien auf die Empfängnisverhütung und nicht auf eine therapeutische Anwendung gerichtet. Die Gegenwart von physiologisch wirksamen Mengen von Östrogen- und Gestagensteroiden sei lediglich als "Vorteil" des Darreichungssystems zu werten, durch den etwaige durch den kontrazeptiven Hauptbestandteil (LHRH- Zusammensetzung) verursachte Beschwerden gelindert würden.
b) Der Beschwerdeführer berief sich auf die Rechtsprechung im Vereinigten Königreich zur Stützung der nachstehenden Behauptungen:
i) Schwangerschaft sei keine Krankheit;
ii) Empfängnisverhütung gelte nicht als eine Form der Behandlung von Krankheiten;
iii) deshalb sei die Empfängnisverhütung der nationalen Rechtsprechung und ihrer medizinischen Definition nach kein Verfahren zur medizinischen Behandlung.
Da die vorliegenden Verfahrensansprüche nur auf die Empfängnisverhütung gerichtet seien, komme daher der Ausschluß nach Artikel 52 (4) EPÜ nicht zum Tragen.
c) Nach ständiger europäischer Rechtsprechung müßten alle Ausnahmen von der Patentierbarkeit eng ausgelegt werden (s. z. B. T 320/87, ABl. EPA 1990, 71, Nr. 6 und T 19/90, ABl. EPA 1990, 476, Nr. 4.5).
In den Sachen T 144/83 (l. c.) und T 36/83 (ABl. EPA 1986, 295), in denen eine klare Unterscheidung zwischen therapeutischer und kosmetischer Wirkung nicht möglich gewesen sei, habe die Kammer die Auffassung vertreten, daß dies dem Anmelder nicht zum Nachteil gereichen dürfe, und das Verfahren zur kosmetischen Behandlung zugelassen.
In der Entscheidung T 290/86 (ABl. EPA 1992, 414) habe die Kammer die Bedeutung des Wortlauts eines Patentanspruchs unterstrichen, wenn zu entscheiden sei, ob eine beanspruchte Erfindung unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ falle. Entsprechend dieser Entscheidung wäre der Ausschluß von der Patentierbarkeit aufgrund von Artikel 52 (4) EPÜ nur dann gerechtfertigt, wenn die vorliegenden Verfahrensansprüche auf "die Verwendung von Steroiden zur Abwendung oder Abschwächung der Nebenwirkungen von LHRH" gerichtet wären. Sie seien jedoch auf ein Verfahren zur Empfängnisverhütung gerichtet und sollten deshalb zugelassen werden.
d) In der Entscheidung T 208/84 (ABl. EPA 1987, 14) sei folgende Auffassung vertreten worden: Ein Anspruch, der auf ein technisches Verfahren gerichtet sei, bei dem eine mathematische Methode (die an sich nach Artikel 52 (2) a) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sei) verwendet werde, strebe auch dann nicht Schutz für die mathematische Methode als solche an, wenn die der Erfindung zugrunde liegende Idee möglicherweise in der mathematischen Methode liege; deshalb falle der Anspruch nicht unter das Patentierungsverbot. Angesichts dieser Entscheidung käme das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ nicht zum Tragen, weil mit dem beanspruchten Verfahren zur Empfängnisverhütung nicht Schutz für die therapeutische Wirkung der zugesetzten Östrogen- und Gestagensteroide begehrt werde.
Der Beschwerdeführer brachte zu den von der Prüfungsabteilung genannten Zurückweisungsgründen noch weitere Argumente vor.
VI. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hauptantrags oder des in der mündlichen Verhandlung gestellten ersten oder zweiten Hilfsantrags.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Formale Zulässigkeit der neuen Anspruchssätze (Art. 123 (2) EPÜ)
Anspruch 1 ist in allen Anträgen geändert worden, um deutlich zu machen, daß die Darreichungssysteme tatsächlich eine LHRH- Zusammensetzung und ein oder mehrere Steroide enthalten, und so den von der Kammer in ihrem ersten Bescheid erhobenen Einwand der mangelnden Klarheit auszuräumen. Diese Änderung wird durch die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gestützt (s. z. B. S. 12, Zeilen 11 - 18 und S. 4, 2. Absatz).
Außerdem wird im Anspruch 1 aller Anträge und im Anspruch 8 des Haupt- und des ersten Hilfsantrags die wirksame Menge des Östrogen- und des Gestagensteroids durch Einfügung des Adverbs "physiologisch" näher bezeichnet. Auch diese Änderung ist durch die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen belegt (s. z. B. S. 10, Zeilen 21 - 22 und S. 11, Zeilen 4 - 5).
Somit bestehen keine Einwände aufgrund des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Klarheit (Art. 84 EPÜ)
Der beanspruchte Gegenstand ist so deutlich angegeben, daß die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind. Die verwendete funktionelle Formulierung ("kontrazeptiv wirksame Menge" und "physiologisch wirksame Menge") ist zulässig und steht mit der Rechtsprechung in Einklang (s. insbesondere T 68/85, ABl. EPA 1987, 228).
4. Patentierbarkeit der Erzeugnisansprüche 1 bis 7 aller Anträge
Bei der Sachprüfung bestätigte die Prüfungsabteilung, daß das Darreichungssystem nach den Ansprüchen 1 bis 7 gemäß Artikel 52 (1) EPÜ patentierbar sei (s. angefochtene Entscheidung, Nr. 8). Auch die Kammer ist der Auffassung, daß die ermittelten Vorveröffentlichungen weder einzeln noch in Verbindung miteinander das beanspruchte Darreichungssystem offenbaren oder nahelegen. Es ist daher als patentierbar im Sinne der Artikel 54 und 56 EPÜ anzusehen.
Andere Einwände gegen die Patentierbarkeit dieser Ansprüche sind nicht erhoben worden.
5. Hauptantrag: Verfahrensansprüche 8 bis 13
5.1 Anspruch 8 ist auf ein Verfahren zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren gerichtet. Die kontrazeptive Wirkung auf das weibliche Säugetier wird durch Verabreichung einer LHRH-Zusammensetzung gewährleistet.
Die Verabreichung der hohen Dosis an LHRH-Zusammensetzungen, die zur Hemmung der Ovulation im weiblichen Körper erforderlich ist, bewirkt eine reversible, vollständige biochemische Sterilisation auf hypophysärer Ebene, bei der die Ausschüttung von Gonadotropin und Ovarialsteroiden (Östradiol und Progesteron) (s. Beschreibung, S. 2 - 3) völlig zum Stillstand kommt. Als Nebenwirkung dieses Ruhezustands der Hypophyse kommt es zu einem Östrogenmangel, der mit Hitzewallungen, vaginaler Trockenheit und - schlimmstenfalls - mit Osteopenie und Osteoporose einhergeht (s. Beschreibung, S. 3, Zeilen 23 - 29; S. 10, Zeilen 26 - 28 und S. 11, 2. Abs.).
Die Östrogen- und Gestagensteroide werden nach dem beanspruchten Verfahren nicht zu dem Zweck verabreicht, die kontrazeptive Wirkung von LHRH aufrechtzuerhalten oder zu verstärken, sondern nur zu dem Zweck, "die physiologische Ausschüttung von Steroiden im Menstruationszyklus nachzuahmen" (s. S. 5, Zeilen 5 - 7 der Beschreibung) und damit die obengenannten Nebenwirkungen abzuwenden. Die "physiologisch" wirksamen Mengen der genannten Steroide werden nämlich tatsächlich als Ausgleich für die durch die LHRH- Zusammensetzung völlig zum Stillstand gekommene Ausschüttung dieser Hormone verabreicht.
5.2 Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine prophylaktische Behandlung, die darauf abzielt, die Gesundheit durch Abwenden sonst auftretender schädlicher Wirkungen zu erhalten, einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ gleich; der Begriff "therapeutische Behandlung" beschränkt sich nicht allein auf die Wiederherstellung der Gesundheit durch Heilung einer bereits ausgebrochenen Krankheit (T 144/83, l. c.; T 81/84, ABl. EPA 1988, 207; T 19/86, ABl. EPA 1989, 25; G 5/83, ABl. EPA 1985, 64).
Im vorliegenden Fall wird zwar das weibliche Säugetier mit der LHRH-Zusammensetzung im Hinblick auf die zu erzielende empfängnisverhütende Wirkung behandelt; die gleichzeitige Behandlung mit dem Östrogen- und dem Gestagensteroid erfolgt jedoch nicht zur Empfängnisverhütung, sondern prophylaktisch zur Vermeidung der schädlichen Folgen, die sonst bei Anwendung der LHRH-Zusammensetzung auftreten würden. Dieser zweite Schritt ist eine therapeutische Behandlung im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ.
5.3 Der Beschwerdeführer hat versucht, dieser Schlußfolgerung mit dem Argument zuvorzukommen, daß das Verfahren als Ganzes ein Verfahren zur Empfängnisverhütung sei und somit das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ auf den Anspruch keine Anwendung finde. Dieses Argument beruht auf einer Verkennung der Natur dieses Verbots. Mit der Vorschrift im ersten Satz des Artikels 52 (4) EPÜ, wonach Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und diagnostische Verfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen gelten, wird ein Patentierungsverbot geschaffen, das von den Beschwerdekammern des EPA konsequent dahingehend ausgelegt worden ist, daß diese Verfahren nicht Gegenstand oder auch nur Teil des Gegenstands eines Patentanspruchs sein können.
5.4 Die vom Beschwerdeführer gezogene Parallele zum Fall T 208/84 (VICOM) (l. c.) hält die Kammer für nicht zutreffend. Nach Artikel 52 (2) EPÜ gelten bestimmte abstrakte oder geistige Tätigkeiten nicht als Erfindungen; in Artikel 52 (3) EPÜ heißt es jedoch, daß dieser Ausschluß nur für die Tätigkeiten als solche gilt. Dies wird dahingehend ausgelegt, daß nur ein Anspruch, der auf diese Tätigkeiten an sich gerichtet ist, nicht patentfähig ist. Gewährbar ist hingegen ein Anspruch, bei dem das Zusammenwirken dieser Tätigkeit mit etwas anderem als Erfindung betrachtet werden kann. Ganz anders ist jedoch die Rechtslage nach Artikel 52 (4) EPÜ, wonach eine Patentierung der genannten Verfahren auch dann nicht möglich ist, wenn diese ansonsten als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ angesehen werden könnten. Es ist darauf hinzuweisen, daß das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ durch keine mit Artikel 52 (3) EPÜ vergleichbare Regelung eingeschränkt wird.
5.5 Die bisherigen Entscheidungen zeigen, daß es bei der Klärung der Frage, ob ein Antrag mit einem bestimmten Anspruchssatz nach Artikel 52 (4) EPÜ gewährbar ist, entscheidend darauf ankommt, ob ein Verfahren offenbart wird, bei dem keiner der Schritte unter das Verbot des Artikels 52 (4) EPÜ fällt, das also weder ein Verfahren zur therapeutischen oder chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers noch ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes diagnostisches Verfahren ist. Dabei geht es nicht nur darum, daß der Anspruch entsprechend formuliert ist, sondern auch darum, ob ein solcher Verfahrensanspruch aufgrund der Gesamtoffenbarung überhaupt gewährbar ist.
5.6 In der Sache T 290/86 (l. c.) wurde keiner der Verfahrensansprüche für gewährbar erachtet, weil das offenbarte Verfahren zur Entfernung von Zahnbelag unweigerlich immer auch eine therapeutische Wirkung habe, nämlich die Verhinderung von Karies und periodontaler Erkrankungen, und somit unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ falle, und zwar unabhängig davon, daß die Entfernung des Zahnbelags auch eine kosmetische Wirkung habe, da die Zähne besser aussähen.
Auch in der Sache T 780/89 (ABl. EPA 1993, 440) wurde ein Verfahrensanspruch für nicht gewährbar erachtet; in diesem Fall machte der Beschwerdeführer geltend, daß die Immunstimulierung zur Erhöhung der Fleischproduktion und nicht als therapeutische Behandlung eingesetzt werde. Die Kammer vertrat jedoch die Auffassung, daß dies zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führe (s. Entscheidungsgründe, Nr. 7), denn selbst wenn mehr Fleisch produziert werde, weil weniger Tiere krank würden oder stürben, bleibe das Verfahren, für das Schutz beansprucht werde, eine therapeutische Behandlung.
In der Sache T 116/85 (ABl. EPA 1989, 13) war die Kammer der Ansicht, daß es sich bei der offenbarten besonderen Verwendung eines Pestizidgemisches zur Behandlung von Schweinen gegen Ektoparasiten (Krätzmilben) um eine therapeutische Behandlung handle und daß damit die Patentansprüche unter das Verbot des Artikels 52 (4) EPÜ fielen, auch wenn landwirtschaftliche Verfahren generell patentfähig seien. Ein solches Verfahren verliere nicht schon dadurch seinen therapeutischen Charakter, daß es als gewerblich anwendbar gelten könne, wenn es von einem Landwirt durchgeführt werde.
In keinem dieser drei Fälle konnte der Beschwerdeführer die Kammer davon überzeugen, daß die Verfahrensansprüche nicht auf eine nach Artikel 52 (4) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossene Verwendung gerichtet waren.
5.7 In der Entscheidung T 144/83 (l. c.), auf die sich der Beschwerdeführer hauptsächlich berief, vertrat die Kammer die Auffassung, daß die beanspruchte Verwendung eines Appetitzüglers mit einer therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nichts zu tun habe und die Ansprüche so formuliert seien, daß sie sich eindeutig auf eine nichttherapeutische Verwendung bezögen. Natürlich bezieht sich die Entscheidung auf den konkreten Sachverhalt dieses besonderen Falles. Es heißt darin auch, daß Ausschlüsse von der Patentierbarkeit der in Artikel 52 (4) EPÜ genannten Art eng ausgelegt werden müßten und nicht auf Behandlungsverfahren angewandt werden dürften, die ihrem Charakter nach nicht therapeutisch seien. Daß es nicht leicht sei, eine klare Grenze zwischen einer therapeutischen und einer kosmetischen Wirkung zu ziehen, dürfe dem Anmelder, der gemäß Anspruchswortlaut Patentschutz nur für die kosmetische Behandlung begehre, nicht zum Nachteil gereichen. Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit der Auffassung der Kammer zu sehen, wonach diese spezielle Behandlung eindeutig auch zu nichttherapeutischen Zwecken angewandt werden könne. Dieser Fall ist jedoch nicht maßgebend für die Rechtsauffassung, daß im Falle eines Zweifels an der Anwendbarkeit des Patentierungsverbots von Artikel 52 (4) EPÜ zugunsten des Anmelders entschieden werden muß oder daß eine als kosmetisch bezeichnete Behandlung ipso facto als nicht therapeutisch angesehen werden kann.
In der Sache T 36/83 (l. c.) stellte die Kammer fest, daß sowohl eine neue nichtmedizinische als auch eine neue medizinische Verwendung von Thenoylperoxid, insbesondere als komedolytisches Mittel, offenbart werde; sie ließ dementsprechend sowohl einen Anspruch auf eine kosmetische Verwendung als auch einen Anspruch auf eine Verwendung des Stoffes in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers gemäß Artikel 54 (5) EPÜ zu. Bei der Entscheidungsfindung vertrat die Kammer die Auffassung, daß die Verwendung des Wortes "kosmetisch" im Zusammenhang der Anmeldung ausreiche, um therapeutische Anwendungen auszuschließen, so daß sich ein entsprechender Disclaimer erübrige.
In allen diesen Fällen hatte sich die Kammer somit davon überzeugt, daß die von ihr zugelassenen Ansprüche keine therapeutische Behandlung umfaßten.
5.8 In der Sache T 182/90 vom 30. Juli 1993 (ABl. EPA 1994, 641) wurden Verfahrensansprüche zugelassen, obwohl einer der Verfahrensschritte einen chirurgischen Eingriff am lebenden Tier einschloß. Die Zulassung erfolgte jedoch aufgrund der Überlegung (s. Entscheidungsgründe, Nummer 2.5.2), daß bei dem in jenem Fall verwendeten Verfahren bewußt der Tod des Versuchstieres herbeigeführt werde und der chirurgische Verfahrensschritt somit nicht als eine - vom Patentschutz ausgeschlossene - chirurgische Behandlung angesehen werden könne. Die Kammer stellte in den Entscheidungsgründen, Nummer 2.5.1 fest, daß ein chirurgischer Verfahrensschritt einem mehrstufigen Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers in der Regel chirurgischen Charakter verleihe, so daß das Verfahren unter das Patentierungsverbot von Artikel 52 (4) EPÜ falle.
5.9 Bei einem Verfahren, bei dem zwei oder mehr Stoffe verabreicht werden, geht es für die Zwecke des Artikels 52 (4) EPÜ nicht um die Frage, ob das beanspruchte Verfahren als Ganzes hauptsächlich oder ausschließlich aus nichttherapeutischen Gründen durchgeführt wird. Vielmehr fällt ein Verfahrensanspruch bereits dann unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn die Verabreichung eines der Stoffe eine therapeutische Behandlung darstellt und ein Anspruchsmerkmal ist.
5.10. Da das Verfahren zur Empfängnisverhütung nach den Ansprüchen 8 bis 13 des Hauptantrags eine therapeutische Behandlung einschließt, fallen diese Ansprüche nach Ansicht der Kammer unter das Patentierungsverbot des Artikels 52 (4) EPÜ.
5.11 Infolgedessen braucht auf die Frage nicht näher eingegangen zu werden, ob und, wenn ja, unter welchen Umständen nach dem Europäischen Patentübereinkommen für ein Verfahren zur Empfängnisverhütung ein Patent erteilt werden kann.
6. Erster Hilfsantrag: Ansprüche 8 bis 14
Anspruch 8 ist auf die Verwendung einer LHRH-Zusammensetzung, eines Östrogensteroids und eines Gestagensteroids zur Herstellung eines Mittels zur Empfängnisverhütung bei weiblichen Säugetieren gerichtet, wobei das Mittel ein erstes und ein zweites Darreichungssystem nach Anspruch 1 umfaßt. Der Anspruch ist gemäß der Entscheidung G 5/83 (l. c.) gewährbar. Dieser Anspruch 8 und infolgedessen auch die von ihm abhängigen Ansprüche 9 bis 14 werden aus den bereits unter Nummer 4 genannten Gründen für patentierbar im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ erachtet. Somit ist der erste Hilfsantrag zulässig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, auf der Grundlage der Ansprüche des in der mündlichen Verhandlung am 11. Januar 1994 gestellten ersten Hilfsantrags und einer aus den ursprünglich eingereichten Seiten 1 bis 5, 7 bis 10 und 12 bis 16 sowie den mit Schreiben vom 14. Oktober 1991 eingereichten Seiten 6 und 11 bestehenden Beschreibung ein Patent zu erteilen.