T 1608/22 (Höherfester, Mn-haltiger Stahl / ThyssenKrupp) of 21.3.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T160822.20240321
Datum der Entscheidung: 21 März 2024
Aktenzeichen: T 1608/22
Anmeldenummer: 11164339.1
IPC-Klasse: C21D 8/02
C21D 8/04
C22C 38/04
C22C 38/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Höherfester, Mn-haltiger Stahl, Stahlflachprodukt aus einem solchen Stahl und Verfahren zu dessen Herstellung
Name des Anmelders: ThyssenKrupp Steel Europe AG
Name des Einsprechenden: ArcelorMittal
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(5)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0007/17
R 0004/18
T 0019/90
T 0212/97
T 0642/97
T 0928/98
T 0231/99
T 0550/04
T 0263/05
T 0071/06
T 0061/07
T 1891/20
T 1076/21
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden (Beschwerdeführerin 1) und der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 2) betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 383 353 B1 im geänderten Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 3 aufrecht zu erhalten.

II. Die folgenden, im Einspruchsverfahren zitierten Patentschriften sind hier von Relevanz:

D1a/D1|JPH07-188834 A / Automatische Übersetzung mit DeepL|

D2 |WO 2009/021897 A1 |

D5 |US 2008/0247902 A1 |

III. Der für die Entscheidung relevante Anspruch 17 des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrags 3, welcher im vorliegenden Hauptantrag (d.h. im während der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren als "Hilfsantrag IV" eingereichten Anspruchssatzes) gestrichen worden ist, lautet wie folgt:

'Verfahren zur Herstellung eines Stahlflachprodukts, umfassend folgende Arbeitsschritte:

- Erschmelzen einer Stahlschmelze, die neben Eisen und unvermeidbaren Verunreinigungen aus (in Gew.-%)

C: 0,02 - 0,5 %,

Mn: 5 - 12,0 %,

Si: 0,05 - 1,0 %,

Al: bis zu 3,0 %,

Cr: 0,1 - 4,0 %,

Cu: bis zu 2,0 %,

Ni: bis zu 2,0 %,

N: bis zu 0,05 %,

P: bis zu 0,05 %,

S: bis zu 0,01 %,

und optional einem Element oder mehreren Elemente [sic] aus der Gruppe "V, Nb, Ti", wobei die Summe der Gehalte an diesen Elementen höchstens gleich 0,5 % ist, besteht,

- Erzeugen eines Ausgangsprodukts für ein

anschließendes Warmwalzen, indem die Stahlschmelze zu

einem Strang, von dem mindestens eine Bramme oder

Dünnbramme als Ausgangsprodukt für das Warmwalzen

abgeteilt wird, oder zu einem gegossenen Band

vergossen wird, das als Ausgangsprodukt dem

Warmwalzen zugeführt wird,

- Wärmebehandeln des Ausgangsprodukts, um das

Ausgangsprodukt auf eine Warmwalzstarttemperatur von

1150 - 1000 °C zu bringen,

- Warmwalzen des Ausgangsprodukts zu einem Warmband mit

einer Dicke von höchstens 2,5 mm, wobei das

Warmwalzen bei einer 1050 - 800 °C betragenden

Warmwalzendtemperatur beendet wird,

- Haspeln des Warmbands zu einem Coil bei einer

Haspeltemperatur von <= 700 °C,

- wobei sich an das Haspeln jeweils die folgenden

Arbeitsschritte anschließen:

- Glühen des Warmbands bei einer 250 - 950 °C

betragenden Warmbandglühtemperatur,

- Kaltwalzen des geglühten Warmbands in einem

Schritt oder in mehreren Schritten zu einem

Kaltband mit einer Dicke von höchstens 60 % der

Dicke des Warmbands,

- Glühen des Kaltbands bei einer 450 - 950 °C

betragenden Kaltbandglühtemperatur,

- Beschichten der Oberfläche des Kaltbands mit einem

metallischen Korrosionsschutzüberzug,

- wobei das Stahlflachprodukt eine mindestens 4 %

betragende Bruchdehnung A80 und eine 900 - 1500 MPa

betragende Zugfestigkeit Rm aufweist und wobei das

Gefüge des Stahls zu 30 - 100 % aus Härtungsgefüge

(Martensit, angelassener Martensit oder Bainit)

besteht, während der Rest des Gefüges austenitisch

ist.'

IV. Der für die Entscheidung relevante Anspruch 1 des Hilfsantrags I (mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht als Hilfsantrag XVI) lautet wie folgt:

'1. Stahlflachprodukt mit einer Dicke von höchstens 2,5 mm sowie einer mindestens 4 % betragenden Bruchdehnung A80 und einer 900 - 1500 MPa betragenden Zugfestigkeit Rm, das neben Eisen und unvermeidbaren Verunreinigungen aus (in Gew.-%)

C: 0,02 - 0,5 %,

Mn: 7 - 12,0 %,

Si: 0,05 - 1,0 %,

Al: bis zu 3,0 %,

Cr: 1 - 4,0 %,

Cu: bis zu 2,0 %,

Ni: bis zu 2,0 %,

N: bis zu 0,05 %,

P: bis zu 0,05 %,

S: bis zu 0,01 %

und

optional einem Element oder mehreren Elemente aus der Gruppe "V, Nb, Ti", wobei die Summe der Gehalte an diesen Elementen höchstens gleich 0,5 % ist, besteht, wobei das Gefüge des Stahls zu 30 - 100 % aus Härtungsgefüge (Martensit, angelassener Martensit oder Bainit) besteht, während der Rest des Gefüges austenitisch ist, wobei das Stahlflachprodukt ein unbeschichtetes Warmband ist.'

Die abhängigen Ansprüche 2-15 betreffen besondere Ausführungsformen der Erfindung.

V. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Patentinhaberin können wie folgt zusammengefasst werden:

Zulassung des Hauptantrags

Die vorläufige Meinung der Kammer enthalte neue Argumente. Die Streichung des Verfahrensanspruches sei keine Änderung des Vorbringens. Der neue Hauptantrag sei daher zuzulassen.

Zulassung des Hilfsantrags I

Der Hilfsantrag I sei bereits als Hilfsantrag XVI im Verfahren.

Ausführbarkeit des Hilfsantrags I

Das Patent enthalte detaillierte Angaben zur Ausführung der Erfindung.

Änderungen im Hilfsantrag I

Ein Warmband bleibe auch nach einer Wärmebehandlung ein Warmband. Die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht offenbare auch die Gefügezusammensetzung.

Klarheit des Hilfsantrags I

Anspruch 1 sei ein Produktanspruch. Ein Warmband könne nur unter den Anspruch fallen, wenn es die geforderte Mikrostruktur bzw. die Beschichtung aufweise.

Erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags I

Weder D1 noch D2 führten die Fachperson auf den beanspruchten Gegenstand.

VI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden können wie folgt zusammengefasst werden:

Zulassung des Hauptantrags

Der neue Hauptantrag sei zu spät eingereicht worden und daher nicht zuzulassen.

Zulassung des Hilfsantrags I

Der Hilfsantrag I sei neu nummeriert worden und stelle daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar.

Ausführbarkeit des Hilfsantrags I

Das Patent sei aus mehreren Gründen nicht ausführbar.

Änderungen im Hilfsantrag I

Nach einer Wärmebehandlung sei das Warmband kein Warmband mehr. Zudem seien die Untergrenze von 30% Härtegefüge nicht im Zusammenhang mit dem Warmband offenbart und weitere Gefügephasen nicht ausgeschlossen.

Klarheit des Hilfsantrags I

Es sei nicht klar, wann die Mikrostruktur erhalten werde. Zudem sei nicht klar, ob das Warmband auch unbeschichtet sein könne.

Erfinderische Tätigkeit des Hilfsantrags I

Der beanspruchte Gegenstand sei für die Fachperson ausgehend von der D1 oder der D2 naheliegend, jeweils in Kombination mit D5.

VII. Anträge in der Sache:

Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage des Hauptantrags, eingereicht während der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren als Hilfsantrag IV, oder auf Grundlage des Hilfsantrags I, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung als Hilfsantrag XVI, aufrecht zu erhalten

Die Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Entscheidungsgründe

1. Zulassung des Hauptantrags

Verfahrensanspruch 17 des erteilten Patent enthielt einen Rückbezug auf den Produktanspruch 1. Dieser war auf ein Stahlflachprodukt mit zahlreichen Merkmalen, darunter einer Dicke von höchstens 2,5 mm, gerichtet. Dadurch war auch das Verfahren auf die Herstellung von Stahlflachprodukten mit einer Dicke von höchstens 2,5 mm beschränkt.

Im Verfahrensanspruch 17 des durch die Zwischenentscheidung aufrechterhalten Patents auf Basis des damaligen Hilfsantrags III wurde dieser Rückbezug gestrichen. Jedoch enthielt dieser Anspruch einen Kaltwalzschritt, in dem die Dicke des Kaltbands auf höchstens 60% der Warmbanddicke beschränkt war.

Die Einsprechende trug bereits im Verfahren, das zur angefochtenen Entscheidung führte, erfolglos vor, dass durch Beschichtungsdicken von insgesamt mehr als 1 mm das Stahlflachprodukt die Dicke von 2,5 mm überschreiten könne. Durch die Streichung des Rückbezugs auf Anspruch 1 umfasse der Verfahrensanspruch 17 daher, im Gegensatz zur erteilten Fassung des Streitpatents, nun auch die Herstellung von Stahlflachprodukten mit einer Dicke von über 2,5 mm.

Die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ seien daher verletzt. Die Einsprechende hielt im Beschwerdeverfahren diesen Angriff aufrecht (siehe Absatz 6.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie Beschwerdebegründung, Seite 16).

In der Erwiderung auf die Beschwerde der Einsprechenden reichte die Patentinhaberin unter anderem die Hilfsanträge VIII, XII und XVI ein, in denen der Verfahrensanspruch gestrichen wurde. Der letztere entspricht dem vorliegenden Hilfsantrag I.

Die Patentinhaberin hat damit augenscheinlich auf den Einwand der Einsprechenden reagiert, indem sie unter Streichung des strittigen Verfahrensanspruchs 17 Rückfallpositionen geschaffen hat.

In der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren reichte die Patentinhaberin einen neuen, mit "Hilfsantrag IV" bezeichneten Hauptantrag ein. Auch in diesem wurde der Verfahrensanspruch 17 gestrichen. Die Produktansprüche entsprachen jedoch den Produktansprüchen des mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrags IV, d.h. des durch die Zwischenentscheidung aufrechterhalten Patents.

Diese Kammer betrachtet die Streichung des Verfahrensanspruchs 17 als eine Änderung des Beschwerdevorbringens (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage (2022), Kapitel V.A.4.2.2 d)).

Somit sind für den neuen Hauptantrag die Bestimmungen des Artikels 13(2) VOBK anzuwenden, gemäß denen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Daher ist zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Die Patentinhaberin gibt an, dass die Ansicht der Kammer, derzufolge die Beschichtung auch sehr dick sein könne, überraschend gewesen sei. Weil in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK dazu keine Stellungnahme vorlag, sei die Patentinhaberin davon ausgegangen, dass der Verfahrensanspruch 17 die Erfordernisse des EPÜ erfülle.

Der Umstand, dass die Mitteilung keine Stellungnahme zur Schichtdicke der Beschichtung enthielt, kann nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Kammer der Auffassung der Patentinhaberin folge. Es war im Hinblick auf die vorläufige Meinung nicht notwendig, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die Kammer revidierte aber nach erneutem Studium des Falles, unter Berücksichtigung der Eingaben der Beteiligten vom 16. bzw. 28. Februar 2024, ihre vorläufige Meinung zum Merkmal "Warmband". Zweckdienlich brachte die Kammer daraufhin den Beteiligten zu Beginn der mündlichen Verhandlung auch ihre vorläufige Meinung zur Schichtdicke der Beschichtung zur Kenntnis. Dabei ist die Kammer jedoch lediglich der Auffassung der Einsprechenden gefolgt, deren Einwände seit Beginn des Einspruchsverfahrens der Patentinhaberin auch bekannt waren. Insofern stellt die Kammer fest, dass die Patentinhaberin nicht die gemäß Artikel 13 (1) VOBK erforderlichen stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außer-gewöhnliche Umstände vorliegen, welche die Änderung im Hauptantrag hätten rechtfertigen können.

Darüber hinaus hat die Patentinhaberin durch die Streichung des Verfahrensanspruchs die gegen diesen Anspruch gerichteten Einwände zwar beseitigt, was jedoch keine Auswirkungen auf die Einwände gegen die Produktansprüche hat.

Die Einsprechende hat gegen die Produktansprüche des durch die Zwischenentscheidung aufrechterhalten Patents (nun Hauptantrag) umfangreiche Einwände vorgetragen, die insbesondere auch die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit betreffen (Beschwerdebegründung, Seite 18 unter Verweis auf die Seiten 2-12).

Danach offenbare die D1 Bereiche für zahlreiche Legierungselemente, die sich mit den im Hauptantrag beanspruchten Bereichen überlappen. Darunter ist auch das für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit (siehe hierzu auch Punkt 5. bzgl. des Hilfsantrags I weiter unten) wichtige Mn (D1, Absatz [0015]: 2-6% vs. Hauptantrag, Anspruch 1: 5-12%; technische Aufgabe gemäß Streitpatent: Absätze [0010] und [0016]).

Es kann daher nicht von vorneherein davon ausgegangen werden, dass der Einwand der Einsprechenden gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit mit hoher Wahrscheinlich aussichtslos ist.

Die Streichung des Verfahrensanspruchs ist daher im vorliegenden Fall nicht dazu geeignet, die verbliebenen Einwände der Einsprechenden erkennbar zu beseitigen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Verfahrensökonomie beeinträchtigt wird.

Der Produktanspruch 1 des neu eingereichten Hauptantrags unterscheidet sich vom Produktanspruch 1 des mit der Beschwerdeerwiderung als Hilfsantrag XVI eingereichten Anspruchssatzes (nun Hilfsantrag I), in welchem der Verfahrensanspruch ebenfalls gestrichen worden ist, durch größere beanspruchte Bereiche für Mn und Cr.

Die Patentinhaberin schafft dadurch lediglich eine neue Rückfallposition, die zwischen dem durch die Zwischenentscheidung aufrechterhalten Patent und dem als Hilfsantrag XVI eingereichten Anspruchsatz liegt. Eine solche Rückfallposition hätte spätestens mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht werden müssen.

Die Kammer lässt somit den neuen Hauptantrag unberücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK).

2. Zulassung des Hilfsantrags I

Hilfsantrag I entspricht dem mit der Erwiderung der Patentinhaberin auf die Beschwerde der Einsprechenden als Hilfsantrag XVI eingereichten Anspruchssatz.

Hilfsantrag I ist daher Teil der Beschwerdeerwiderung. Er ist erkennbar eine Rückfallposition für die Verteidigung des Patents. Die Neunummerierung ist vorliegend für diese Tatsache unschädlich.

Daher sieht die Kammer keine Veranlassung, den Hilfsantrag I nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12(5) VOBK).

2.1 Änderungen, Artikel 123(2) EPÜ

Die Einsprechende argumentiert, dass ein Warmband durch eine Wärmebehandlung so verändert werde, dass es etwas anderes als ein Warmband sei, dass aber das beanspruchte Gefüge höchstens für ein wärmebehandeltes Gefüge offenbart sei.

Ein in Rede stehendes Warmband ist ein warmgewalztes Stahlband. Es findet als Vorprodukt für ein Kaltband oder aber auch direkt Verwendung.

Anders als z.B. eine weiterführende Formgebung zu einem Produkt oder die Weiterverarbeitung zu einem Kaltband ändert das Haspeln oder eine Wärmebehandlung zur Vorbereitung der Weiterverarbeitungsschritte nichts daran, dass es sich um ein durch Warmwalzen hergestelltes Stahlband handelt (vergleiche Schreiben der Patentinhaberin vom 16. Februar 2024, Seite 9, vierter Absatz).

Entsprechend kann das Warmband nach dem Glühen als ein geglühtes Warmband bezeichnet werden, was aber das Warmband nur näher charakterisiert. Es ist trotzdem noch ein Warmband. Ebenso wird das warmgewalzte Stahlband unabhängig davon, ob es noch walzwarm oder bereits abgekühlt ist, als Warmband bezeichnet.

Die Einsprechende argumentiert weiter, dass die ursprüngliche Anmeldung kein Warmband offenbare, das aus 30-100% Härtegefüge und ansonsten nur Austenit bestehe.

Dem wird nicht zugestimmt. Es werden in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht, mehrere Möglichkeiten offenbart, wie das Gefüge des Warmbands erzielt werden kann. Im ungeglühten Warmband liegt eine Martensitmatrix vor, d.h., ein Härtegefüge. Durch Glühen werden höhere Austenitanteile eingestellt, wodurch bis zu 70% Austenit erreicht werden können (Seite 12, letzter Absatz).

Laut Seite 5, zweiter Absatz kann der erfindungsgemäße Stahl ein Gefüge aufweisen, das aus 30-100% Härtegefüge und darüber hinaus aus Austenit besteht. Nichts anderes offenbart der ursprüngliche Anspruch 18. Seite 9, letzter Absatz bis Seite 10, zweiter Absatz offenbaren, dass die Martensitstart- und Martensitfinishtemperatur der erfindungsgemäßen Legierung so liegen, dass ein Härtegefüge mit bis zu 70% Austenit eingestellt werden kann. Auf der Seite 10 folgt eine Liste mit den möglichen Gefügebestandteilen. Diese sind entweder Austenitphasen oder Bestandteile des Härtegefüges.

Die Einsprechende argumentiert, dass die alleinige Angabe von 70% Austenit nicht ausschließe, dass auch perlitische oder ferritische Gefügebestandteile vorhanden seien.

Nichts in der ursprünglichen Offenbarung weist darauf hin, dass das Stahlfachprodukt auch perlitische oder ferritische Gefügebestandteile enthalten darf.

Es ist aus der ursprünglichen Offenbarung für die Fachperson unmittelbar erkennbar, dass das Stahlflachprodukt aus 30-100% Härtegefüge und ansonsten nur Austenit bestehen soll.

Wenn das Warmband unmittelbar nach dem Warmwalzen das anspruchsgemäße Gefüge noch nicht ausgebildet hat, beispielsweise weil seine Temperatur noch über der Martensitstarttemperatur liegt, hat das lediglich zur Folge, dass das Warmband nicht unter den Anspruch 1 fällt.

Die Erfordernisse des Artikel 123(2) EPÜ sind somit erfüllt.

3. Ausreichende Offenbarung, Artikel 83 EPÜ

Die Einsprechende argumentiert, dass bereits wegen der fehlenden Dickenangabe des Warmbandes die Beispiele keine anspruchsgemäße Ausführungsform beträfen. Hinzu komme eine Definition der Bruchdehnung, die in den Beispielen von der beanspruchten abweiche. Es seien weiter keine Walztemperaturen angegeben. Das Patent müsse zumindest eine patentgemäße Ausführungsform angeben. Es sei zudem nicht gezeigt, dass die Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sei.

Die Einsprechende zählte im Wesentlichen auf, was im Streitpatent nicht offenbart ist. Sie schließt daraus, dass daher ein Forschungsprogramm notwendig sei, um zum beanspruchten Produkt zu gelangen. Beweise, die diese Behauptung untermauern, wurden jedoch nicht vorgelegt.

Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann nach gefestigter Rechtsprechung gegen ein Patent der Einwand mangelnder Offenbarung erfolgreich erhoben werden (T 19/90, Gründe 3.3; T 1076/21 Gründe 1.1.1 bis 1.1.3).

Diese Anforderung erfüllt der Einwand der Einsprechenden bereits deshalb nicht, weil keine nachprüfbaren Fakten vorgelegt wurden.

Die Erfindung ist daher ausreichend offenbart.

4. Klarheit, Artikel 84 EPÜ

Die Einsprechende argumentierte, dass es nicht klar sei, wann die beanspruche Mikrostruktur erhalten werde. Es sei auch nicht klar, ob ein beschichtetes Warmband unter den Anspruch falle.

Der Anspruch 1 ist breit, was aber nicht mit einem Mangel an Klarheit verwechselt werden darf. Wenn das beanspruchte Stahlflachprodukt auch die Mikrostruktur aufweist, fällt es unter den Anspruch 1, unabhängig davon, ob es noch walzwarm, oder bereits abgekühlt ist, bzw. abgeschreckt wurde, oder bereits ein Glühen für folgende Verarbeitungsschritte erfolgt ist.

Anspruch 1 ist auf ein Stahlflachprodukt gerichtet, das eine Reihe von Merkmalen aufweist, wobei es jedenfalls ein unbeschichtetes Warmband sein muss.

Eine Beschichtung ist daher ausgeschlossen.

Die Erfordernisse der Klarheit sind daher erfüllt.

5. Erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ

Die Neuheit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags I über D1 und D2 wurde nicht bestritten.

Das Streitpatent betrifft ein Warmband aus Stahl.

Sowohl D1, als auch D2 offenbaren ein Warmband aus Stahl und sind als Ausgangspunkt für einen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit geeignet.

Das Streitpatent hat zum Ziel, ein Stahlflachprodukt mit guter Festigkeit und Verformbarkeit sowie hohe Bruchdehnung zu schaffen (Streitpatent, Absatz [0010]).

Als Lösung schlägt das Streitpatent ein Stahlflach­produkt nach Anspruch 1 vor, das sich von der D1 (Absatz [0015]) unter anderem durch den Mangangehalt unterscheidet.

Selbst wenn man, günstig für die Einsprechende, davon ausgeht, dass die technische Aufgabe in das Bereitstellen eines alternativen Stahlbands umformuliert werden müsste, wäre der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht nahegelegt.

Die D1, Absatz [0015] lehrt, dass ein Mangangehalt von über 6% den Korngrenzenbruch begünstigt und deshalb weniger als 6% Mn in der Legierung enthalten sein muss.

Die Einsprechende ist der Auffassung, dass der beanspruchte Mangangehalt im Hinblick auf die D5 naheliegend sei.

Die D5 lehrt, einen Mangangehalt im Bereich von 2,5% - 30% zu verwenden (D5, Anspruch 1).

Auf eine Lehre in der D5, die die in D1, Absatz [0015] geschilderten Nachteile bei höherem Mangangehalt behebt, konnte die Einsprechende nicht verweisen, noch ist eine solche ersichtlich.

Daher würde angesichts der in der D1 und D5 offenbarten Bereiche die Fachperson einen Mangangehalt von 2,5% - 6% vorsehen, und so innerhalb der in den Dokumenten D1 und D5 angegebenen Bereiche bleiben, selbst wenn die beiden Beispiele von D5 einen Stahl mit einen Mangangehalt von 7.94% und 11.5% offenbaren.

Sie würde jedoch nicht den beanspruchten Bereich in Erwägung ziehen.

6. Die D2 offenbart einen maximalen Mangangehalt von 2,5%, weil bei höheren Gehalten die darin geforderte Verformbarkeit, Schweißeignung und Beschichtbarkeit nachteilig beeinflusst werden (D2, Seite 8, letzter Absatz bis Seite 9, erster Absatz).

Wiederum ist die Einsprechende der Auffassung, dass D5 den beanspruchten Bereich von Mangan nahelege.

Auf eine Lehre in der D5, die die in D2 geschilderten Nachteile bei hohem Mangangehalt behebt, konnte die Einsprechende wieder nicht verweisen, noch ist eine solche ersichtlich.

Angesichts dessen, ist ein Angriff ausgehend von der D2 genauso aussichtslos wie von der D1.

7. Inhalt der Niederschrift

Die Einsprechende beantragte die Aufnahme spezifischer Aussagen der Patentinhaberin in die Niederschrift.

Es ist festzuhalten dass gem. Regel 124(1) EPÜ über die mündliche Verhandlung eine Niederschrift anzufertigen ist. Diese enthält die wesentlichen Punkte der mündlichen Verhandlung und die relevanten Erklärungen der Parteien. Allerdings liegt es im Ermessen des Protokollführers oder der Protokollführerin, was er oder sie als "wesentlich" oder "relevant" ansieht (T 1891/20, Gründe 2.3, T 212/97, Gründe 2.2; T 642/97, Gründe 9.3; R 7/17, Gründe 23).

Es ist nicht der Zweck der Niederschrift, eine Aussage der Patentinhaberin festzuhalten, die die Einsprechende als vielleicht relevant ansieht, die jedoch bereits schriftlich vorgetragen wurde (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, III.C.7.10.1; T 2185/15, Gründe 7.2) oder die z. B. in einem späteren Verletzungsverfahren von Nutzen sein könnte (T 928/98, T 263/05 (OJ 2008, 329), T 550/04, T 71/06, T 61/07 ).

Die Niederschrift dient vielmehr dem Zweck, den wesentlichen Gang der mündlichen Verhandlung aus der Sicht des entscheidenden Organs darzustellen (vgl. Regel 124 (1) EPÜ) und nicht das schriftliche Vorbringen zu wiederholen (Regel 124 (3) EPÜ; R 4/18, Gründe 10; T 231/99, Gründe 1.1).

Dem Antrag der Einsprechenden auf Aufnahme spezifischer Aussagen der Patentinhaberin in die Niederschrift wird daher nicht stattgegeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage des Hilfsantrags I, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 24. Januar 2023 als Hilfsantrag XVI, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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