European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2007:T008305.20070522 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 Mai 2007 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0083/05 | ||||||||
Entscheidung der Großen Beschwerdekammer: | G 0002/13, G 0002/07 | ||||||||
Anmeldenummer: | 99915886.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A01H 5/10 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Plant Bioscience Limited | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Syngenta Participations AG Groupe Limagrain Holding |
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Kammer: | 3.3.04 | ||||||||
Leitsatz: | Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt: 1. Entgeht ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das die Schritte der Kreuzung und Selektion von Pflanzen umfasst, dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ allein schon deswegen, weil es als weiteren Schritt oder als Teil eines der Schritte der Kreuzung und Selektion ein zusätzliches Merkmal technischer Natur umfasst? 2. Falls die Frage 1 verneint wird, welches sind die maßgeblichen Unterscheidungskriterien dafür, ob ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist oder nicht? Ist insbesondere maßgebend, worin das Wesen der beanspruchten Erfindung liegt und/oder ob der Beitrag des zusätzlichen technischen Merkmals zur beanspruchten Erfindung über etwas Unwesentliches hinausgeht? |
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Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Erweiterung (verneint) ausreichende Offenbarung (bejaht) Berechtigung des Prioritätsanspruchs (bejaht) Neuheit (bejaht) erfinderische Tätigkeit (bejaht) Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen - Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung - Befassung der Großen Beschwerdekammer |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende I (Beschwerdeführerin I) und die Einsprechende II (Beschwerdeführerin II) haben Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, der zufolge das europäische Patent Nr. 1 069 819 (Anmeldung Nr. 99 915 886.8, die als WO-A-99/52345 veröffentlicht wurde und die Priorität von US 60/081,169 vom 9. April 1998 in Anspruch nimmt) in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 11 des von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) im Einspruchsverfahren vorgelegten Hauptantrags aufrechterhalten werden konnte.
II. Die Kammer lud die Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung, die am 4. und 5. Mai 2006 stattfand.
III. In der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag und einen Hilfsantrag mit jeweils 9 Ansprüchen ein. Die Ansprüche des neuen Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von Brassica oleracea mit erhöhten Mengen an 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder beidem, bei dem man
a) wilde Brassica-oleracea-Spezies aus der Gruppe der Brassica villosa und Brassica drepanensis mit doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien kreuzt und
b) Hybride mit Mengen an
4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder
3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder beidem auswählt, die höher als die anfänglich in doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien gefundenen Mengen sind,
c) Pflanzen mit der genetischen Kombination, die die Expression von erhöhten Mengen an 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder beidem codiert, rückkreuzt und auswählt und
d) eine Broccoli-Linie mit erhöhten Mengen an 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder beidem auswählt, die in der Lage sind, eine starke Induktion von Phase-II-Enzymen zu bewirken,
wobei in den Schritten b und c molekulare Marker dazu verwendet werden, Hybride mit einer genetischen Kombination auszuwählen, die die Expression von erhöhten Mengen an 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder beidem codiert, die in der Lage sind, eine starke Induktion von Phase-II-Enzymen zu bewirken."
"2. Verfahren nach Anspruch 1, bei dem die Brassica-oleracea-Zuchtlinien doppelt haploide Broccoli-Zuchtlinien sind, die spezifische SI-Allele enthalten, deren Präsenz bei der Brassica oleracea zu Selbstinkompatibilität führt, wobei man in dem Verfahren wilde Brassica oleracea mit doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien, die die spezifischen SI-Allele enthalten, zur Züchtung von Pflanzen kreuzt und diese Pflanzen auswählt, indem man mit molekularen Sonden nach den spezifischen SI-Allelen sucht."
"3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, wobei nur die Menge an 4-Methylsulfinylbutylglucosinolat erhöht gegenüber der anfänglich in den Brassica-oleracea-Zuchtlinien gefundenen Menge ist."
"4. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, wobei nur die Menge an 3-Methylsulfinylpropylglucosinolat erhöht gegenüber der anfänglich in den Brassica-oleracea-Zuchtlinien gefundenen Menge ist."
"5. Genießbare Brassica-Pflanze, hergestellt nach dem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4."
"6. Genießbarer Teil einer Broccoli-Pflanze, hergestellt nach dem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4."
"7. Samen einer Broccoli-Pflanze, hergestellt nach dem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4."
"8. Broccoli-Pflanze mit erhöhten Mengen an 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder beidem, wobei die Broccoli-Pflanze eine Hybridpflanze nach dem Kreuzen von doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien mit wilden Brassica-oleracea-Spezies aus der Gruppe der Brassica villosa und Brassica drepanensis ist und die Mengen an 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder beidem zwischen 10 und 100 mymol pro Gramm Trockengewicht der Pflanze liegen."
"9. Broccoli-Infloreszenz mit erhöhten Mengen an 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder beidem, wobei die Broccoli-Infloreszenz aus einer Hybridpflanze nach dem Kreuzen von doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien mit wilden Brassica-oleracea-Spezies aus der Gruppe der Brassica villosa und Brassica drepanensis erhalten wird und die Mengen an 3-Methylsulfinylpropylglucosinolaten oder 4-Methylsulfinylbutylglucosinolaten oder beidem zwischen 10 und 100 mymol pro Gramm Trockengewicht der Infloreszenz liegen."
Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die "Gewinnung von doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien" als zusätzlicher Schritt a des beanspruchten Verfahrens aufgenommen wird.
IV. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
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D7 Principles of Cultivar Development, Bd. 1, Kapitel 28: Backcross Method, Seiten 360 - 376 (1987);
( )
D17 Katalog "A Germ Plasm Collection of Crucifers", Instituto Nacional de Investigaciones Agrarias, Madrid, Seiten 14, 52 und 53 (1990);
( )
D22 Palmer C. E. et al. in "In Vitro Haploid Production in Higher Plants", Kluwer Academic Publishers, Bd. 2, Seiten 143 - 172 (1996);
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V. Das schriftliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin I und/oder der Beschwerdeführerin II lässt sich wie folgt zusammenfassen:
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Ausreichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
- Das Verfahren nach Anspruch 1 sei nicht nacharbeitbar, weil das Patent keine ausreichenden Informationen i) zum Ausgangsmaterial, d. h. geeigneten wilden Brassica-villosa- und Brassica-drepanensis-Pflanzen sowie geeigneten doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien, ii) zum Schritt der Rückkreuzung und iii) zu den zu verwendenden molekularen Markern enthalte.
- Der Fachmann würde auch nach großem Zeit- und Arbeitsaufwand nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Auch wenn dieser Ansicht nicht gefolgt würde, wäre doch keine ausreichende Offenbarung gegeben, da der Fachmann nicht ohne unzumutbaren Aufwand zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen könnte.
- Die in Absatz [0043] des Patents genannten spezifischen Marker seien nicht nacharbeitbar offenbart, denn es genüge nicht, dass sie auf Anfrage bei Dr. Osborn erhältlich seien. Das Material müsse während der gesamten Laufzeit des Patents verfügbar sein (s. Entscheidungen T 576/91 und T 815/90). Ein Fachmann könne keine anderen Marker herstellen, da im Patent nicht offenbart sei, welcher Art die gewünschte genetische Veränderung sei, nach der gesucht werde.
- Der Ausdruck "erhöhte Mengen" sei außerdem nicht abgegrenzt, und es sei nicht ausreichend offenbart, wie man diese im gesamten beanspruchten Bereich erhalten solle.
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Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen (Artikel 53 b) EPÜ)
- Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 4 des Hauptantrags sei ein im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen. Nur weil beim Selektionsschritt molekulare Marker verwendet würden, entgehe er noch nicht dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ.
- Regel 23b (5) EPÜ enthalte keine erschöpfende Definition der Verfahren, die nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgenommen seien. Gemäß Artikel 164 (2) EPÜ habe die letztere Bestimmung einen höheren Rechtsrang und schließe im Wesentlichen biologische Verfahren, also nicht nur vollständig biologische Verfahren aus. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern müsse die Anwendbarkeit des Patentierungsverbots ausgehend vom Wesen der Erfindung beurteilt werden, wobei der Gesamtanteil der menschlichen Mitwirkung und deren Auswirkung auf das erzielte Ergebnis zu berücksichtigen seien (T 320/87). Die Erteilung von Patenten auf biologische Verfahren, die lediglich einen unwesentlichen technischen Schritt enthielten, durch dessen Aufnahme man Artikel 53 b) EPÜ bewusst umgehen wolle, widerspräche dem Geist des Übereinkommens.
- Selbst nach dem Wortlaut der Regel 23b (5) EPÜ sei der beanspruchte Gegenstand von der Patentierung ausgeschlossen, da die Verwendung molekularer Marker Teil des Selektionsschritts sei, der laut ausdrücklicher Definition in der Regel als natürliches Phänomen zu betrachten sei. Der Begriff "molekulare Marker" sei außerdem so breit, dass er auch völlig natürliche Phänomene wie phänotypische oder morphologische Marker mit einschließe.
VI. Das schriftliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es entscheidungserheblich ist, wie folgt zusammenfassen:
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Ausreichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
- Die in den Absätzen [0040] und [0043] des Patents beschriebenen Marker seien bei Dr. Osborn auf Anfrage erhältlich (s. Dokumente D18 und D19). Unabhängig von diesen spezifischen Markern hätte ein Fachmann geeignete molekulare Marker herstellen können, da alle erforderlichen technischen Schritte zum allgemeinen Fachwissen gehörten.
( )
Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen (Artikel 53 b) EPÜ)
- Artikel 53 b) EPÜ sei eine Ausnahme von dem in Artikel 52 (1) EPÜ verankerten allgemeinen Grundsatz der Patentierbarkeit und sei eng auszulegen.
- In Regel 23b (5) EPÜ, die auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei, sei definiert, wann ein Verfahren im Wesentlichen biologisch sei. Ein einziger nicht natürlicher Schritt in einem beanspruchten Verfahren bewirke schon, dass das Verfahren dem Patentierungsverbot entgehe. Da die beanspruchten Verfahren nicht vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhten, fielen sie nicht unter Artikel 53 b) EPÜ.
- Auch bei Auslegung der Ausschlussbestimmung gemäß der früheren Rechtsprechung vor Einführung der Regel 23b (5) EPÜ seien die beanspruchten Verfahren patentierbar, da a) die Verwendung molekularer Marker ein technischer Schritt sei, der eine Entnahme und In-vitro-Analyse des Pflanzengewebes erfordere, b) die Erfindung die Verwendung eines nicht natürlichen Ausgangsmaterials, nämlich eines doppelt haploiden Stamms, erfordere und c) die im beanspruchten Verfahren verwendeten wilden Brassica-Stämme gezielt durch menschliches Zutun in Kontakt mit Broccoli-Zuchtlinen gebracht werden müssten.
VII. Die Beschwerdeführerinnen I und II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Sie beantragten außerdem, die Rechtsfragen auf Seite 10 der Schriftsätze der Beschwerdeführerin II vom 4. April 2006 der Großen Beschwerdekammer vorzulegen, falls die Kammer der Auffassung zuneige, dass die Ansprüche 1 bis 4 der vorliegenden Anträge der Beschwerdegegnerin nicht gegen Artikel 53 b) EPÜ verstoßen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 9 des Hauptantrags oder alternativ der Ansprüche 1 bis 9 des Hilfsantrags, die beide in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2006 eingereicht wurden.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung erklärte die Vorsitzende die sachliche Debatte für beendet und kündigte an, dass die Große Beschwerdekammer mit Rechtsfragen befasst werde.
Entscheidungsgründe
In Bezug auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 53 b) EPÜ stellt sich nach Auffassung der Kammer eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Da nach Artikel 112 (1) a) EPÜ die Große Beschwerdekammer nur dann befasst werden soll, wenn eine Entscheidung erforderlich ist, hat die Kammer geprüft, ob die übrigen Einspruchsgründe der beantragten Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Form entgegenstehen.
Hauptantrag
Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ)
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Ausreichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ)
5. Am Prioritätstag des Streitpatents waren Samen der Pflanzensorten B. villosa und B. drepanensis der Öffentlichkeit ebenso zugänglich (s. Dokument D17) wie Techniken zur Gewinnung von doppelt haploiden Broccoli-Linien (s. Dokument D22). Mangels gegenteiliger Beweise geht die Kammer davon aus, dass das Verfahren des Anspruchs 1 unter Verwendung der öffentlich verfügbaren Materialien und Techniken durchgeführt werden konnte. Auch Verfahren zur Rückkreuzung waren im Stand der Technik allgemein bekannt (s. Dokument D7), und beim Lesen der Patentbeschreibung würde ein Fachmann verstehen, dass die Rückkreuzung in Schritt c des Anspruchs 1 mit der Broccoli-Linie durchzuführen ist. Der Schritt der Selektion von Hybriden mit Glucosinolat-Mengen, die höher sind als die anfänglich in doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien gefundenen Mengen, wäre für einen Fachmann nach Auffassung der Kammer ebenfalls kein Problem, da in Absatz [0051] des Streitpatents auf wissenschaftliche Fachliteratur verwiesen wird, die sich mit einem Verfahren zum Messen der Glucosinolat-Werte befasst.
6. Was die im Verfahren des Anspruchs 1 in den Schritten b und c zu verwendenden molekularen Marker betrifft, so zeigen die Dokumente D3 und D9 bis D11, dass vor dem Prioritätstag des Streitpatents Verfahren zur Herstellung molekularer Marker, die mit einem gewünschten Merkmal segregieren, aus dem Stand der Technik allgemein bekannt waren und im Zusammenhang mit Brassica-Spezies verwendet wurden. Obwohl die Entwicklung der erforderlichen spezifischen Marker mit einigem Aufwand verbunden ist, handelt es sich dennoch um ein Standardverfahren, das keinen unzumutbaren Aufwand darstellt. Ein Fachmann wäre somit in der Lage gewesen, angesichts der Offenbarung des Streitpatents, insbesondere der Zeilen 1 bis 4 des Absatzes [0043], geeignete Marker herzustellen.
7. Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass der beanspruchte Gegenstand den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ entspricht.
Berechtigung des Prioritätsanspruchs (Artikel 87 und 88 EPÜ)
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Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
( )
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
( )
Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen (Artikel 53 b) EPÜ)
Allgemeines
36. Die Beschwerdeführerin II hat als Einspruchsgrund den Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 53 b) EPÜ angezogen. Sie macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin ein im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und damit nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen sei.
37. Wie nachstehend im Einzelnen ausgeführt wird (Nrn. 62 bis 66), hängt der Ausgang des vorliegenden Falls entscheidend davon ab, wie die in Artikel 53 b) EPÜ verankerte Ausschlussbestimmung für Verfahren ausgelegt wird. Da die Kammer der Auffassung ist, dass diese Auslegung - insbesondere angesichts der 1999 vom Verwaltungsrat eingeführten Regel 23b (5) EPÜ - eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, hat sie beschlossen, der Großen Beschwerdekammer zwei Fragen vorzulegen. Unter diesen Umständen erscheint es angebracht, einen umfassenden Überblick über die entscheidungserheblichen Punkte zu geben. Im Folgenden beleuchtet die Kammer zunächst die Entstehungsgeschichte des Artikels 53 b) EPÜ (Nrn. 38 bis 42) und die einschlägige Rechtsprechung der Beschwerdekammern (Nrn. 43 bis 47). Danach untersucht sie die möglichen Auswirkungen der Regel 23b (5) EPÜ auf die Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ, indem sie den Hintergrund zur Einführung dieser Regel (Nrn. 48 bis 50), deren Entstehungsgeschichte (Nrn. 51 bis 52), ihre mögliche Bedeutung (Nrn. 53 bis 55) und gewisse Zweifel an ihrer Anwendbarkeit (Nrn. 56 bis 59) erörtert.
Entstehungsgeschichte des Artikels 53 b) EPÜ
38. Artikel 53 b) EPÜ hat fast den gleichen Wortlaut wie Artikel 2 b) des 1963 unterzeichneten Straßburger Übereinkommens zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Patentrechts. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Letzterer keine zwingende Ausschlussbestimmung ist, sondern den Unterzeichnerstaaten nur die Möglichkeit gibt, den genannten Gegenstand in ihrem nationalen Recht von der Patentierbarkeit auszunehmen. Wie die Entstehungsgeschichte zeigt, wurden beide Bestimmungen in den frühen 60er Jahren konzipiert, wobei sich die jeweiligen Arbeitsgruppen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Europarats gegenseitig beeinflusst haben. Die wichtigsten Schritte dieser Entwicklung sind im Folgenden aufgeführt:
39. Die relevante Passage in Artikel 12 des von der EG-Arbeitsgruppe vorgelegten ersten Arbeitsentwurfs für das Übereinkommen vom 14. März 1961 (s. Dok. IV/2071/61) lautete:
"Ausgenommen von der Erteilung europäischer Patente sind:
[1. ...]
2. Erfindungen, deren Gegenstand die Züchtung oder ein Verfahren zur Züchtung einer neuen Pflanzensorte oder einer neuen Tierart ist.
Dies gilt nicht für Verfahren, die technischer Natur sind.
[3. ...]."
Der vorgeschlagene Text wurde wie folgt erläutert (s. Dok. IV/2071/61, Bemerkungen, S. 6):
"Auch wenn man für das europäische Patentrecht den Schutz neuer Pflanzenzüchtungen und den Schutz von Verfahren zur Züchtung neuer Pflanzen ausschließt, so muss doch die Erteilung europäischer Patente für solche Verfahren bestehen bleiben, die zwar Pflanzen betreffen, jedoch technischer Natur sind, beispielsweise ein Verfahren zur Züchtung neuer Pflanzen durch Bestrahlung der Pflanzen selbst oder der Samen mit Isotopen."
40. Artikel 2 des vorläufigen Entwurfs des Übereinkommens des Europarats (s. Dok. EXP/Brev (61) 2 rev., S. 26) lautete:
"Die Formulierung 'gewerblich anwendbar' ist im weitesten Sinne zu verstehen.
Dennoch sind die Vertragsstaaten nicht verpflichtet, die Erteilung von Patenten für neue Pflanzensorten oder Tierarten oder rein biologische, gartenbauliche oder landwirtschaftliche (agronomische) Verfahren vorzusehen."
Nach eingehenden Beratungen in einer Ausschusssitzung vom 7. bis 10. November 1961 wurde diese Bestimmung substanziell geändert, indem die Worte "gartenbauliche oder landwirtschaftliche (agronomische)" gestrichen wurden und der restliche Ausdruck ("rein biologische Verfahren") durch die jetzige Formulierung "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren" ersetzt wurde. Eine Notiz des Ausschusssekretariats (s. Dok. EXP/Brev 61 (8), S. 4 - 5) enthält folgende Erläuterungen:
"Die im neuen Wortlaut genannten Verfahren zur 'Züchtung von Pflanzen oder Tieren' umfassen solche, mit denen sich bekannte Sorten bzw. Arten erzeugen lassen sowie solche, mit denen sich neue erzeugen lassen, wobei letztendlich nur neue Sorten bzw. Arten selbst schutzfähig sind. Als Beispiele für solche Verfahren (im Pflanzenreich) sind die Selektion und Hybridisierung von bestehenden Sorten zu nennen. Der neue Wortlaut spezifiziert, dass die Verfahren, denen Patentschutz versagt werden kann, im Wesentlichen (und nicht mehr rein) biologisch sind. Es war klar, dass die Ausschlussbestimmung erweitert werden sollte auf Verfahren, die grundsätzlich biologischer Art sind, auch wenn als sekundäres Merkmal 'technische' Vorrichtungen zum Einsatz kommen (Verwendung einer bestimmten Art von Instrument bei einem Veredelungsverfahren oder eines speziellen Treibhauses für die Aufzucht einer Pflanze), wobei solche technischen Vorrichtungen durchaus selbst patentiert werden können, nicht aber das biologische Verfahren, in dem sie verwendet werden."
Diese Ausführungen wurden fast wörtlich im Bericht des Expertenausschusses für das Ministerkomitee über die Sitzung vom 10. bis 13. Juli 1962 in Straßburg übernommen (s. Dok. CM (62) 160, S. 4, Nr. 7).
41. Der Wortlaut, auf den sich der Expertenausschuss des Europarats im November 1961 einigte, ging in Artikel 2 b) des Straßburger Übereinkommens und - später - in Artikel 53 b) EPÜ ein. Als einzige weitere Änderung wurde die Einschränkung hinzugefügt, dass die jeweilige Vorschrift nicht auf mikrobiologische Verfahren und auf die mit Hilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse anzuwenden ist. Andere Vorschläge, die auf eine weitere Klarstellung der Ausschlussbestimmung (s. Dok. EXP/Brev (62) (6), S. 2) oder auf deren komplette Streichung (s. Dok. BR/135/71, S. 52) abzielten, wurden vorgebracht, fanden aber keine Mehrheit.
42. Der vorstehende Überblick über die "Travaux préparatoires" zeigt, dass die Verfasser der Vorschrift "biologisch" im Gegensatz zu "technisch" sahen, dass sie bewusst die Adverbiale "im Wesentlichen" anstelle des engeren Begriffs "rein" wählten und dass für sie Verfahren zur Pflanzenzüchtung auf der Grundlage von Selektion und Hybridisierung unter die Ausschlussbestimmung fielen, auch wenn sekundäre Merkmale der Verfahren durch die Verwendung technischer Vorrichtungen gekennzeichnet waren.
Einschlägige Rechtsprechung
43. Die zur Diskussion stehende Ausschlussbestimmung wurde von den Beschwerdekammern bereits mehrfach geprüft. In der Entscheidung T 320/87 (ABl. EPA 1990, 71, Nrn. 6 und 9 der Entscheidungsgründe), die von einer Kammer aus fünf Mitgliedern getroffen wurde und die Züchtung von Hybridpflanzen betraf, wurde befunden, dass die Anwendbarkeit der Ausschlussbestimmung ausgehend vom Wesen der Erfindung unter Berücksichtigung des Gesamtanteils der menschlichen Mitwirkung und deren Auswirkung auf das erzielte Ergebnis beurteilt werden müsse. Obwohl der Ausschluss nach Auffassung der Kammer eng auszulegen war, sah sie in der Notwendigkeit menschlicher Mitwirkung allein noch kein hinreichendes Kriterium dafür, dass das Verfahren kein "im Wesentlichen biologisches" ist. Menschliches Eingreifen könne auch nur bedeuten, dass das Verfahren kein "rein biologisches" sei, ohne dass der Beitrag des Menschen dabei über ein unbedeutendes Maß hinausginge. Die nötige grundlegende Änderung des Charakters eines bekannten Pflanzenzüchtungsverfahrens könne entweder über seine Merkmale, d. h. seine Bestandteile, oder - bei mehrstufigen Verfahren - über die besondere Abfolge der Verfahrensschritte herbeigeführt werden. Im damaligen Fall wurde zugunsten der beschwerdeführenden Anmelderin entschieden, dass die beanspruchten Verfahren zur Erzeugung von Hybridpflanzen eine wesentliche Änderung der bekannten klassischen biologischen Zuchtverfahren mit sich brächten, wobei der mit dem Erzeugnis verbundene hohe Wirkungsgrad und der hohe Ertrag einen bedeutenden technologischen Charakter aufwiesen.
44. In der Sache T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476) entschied die mit fünf Mitgliedern besetzte Kammer, der entsprechende Ausschluss von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Tieren gelte nicht für Verfahrensansprüche zur Erzeugung transgener nicht menschlicher Säuger durch chromosomale Einbringung einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom des Säugers. Da das Onkogen durch technische Maßnahmen eingeschleust werde, nämlich durch Insertion in einen Vektor, der dann durch Mikroinjektion in einem frühen Embryonalstadium eingebracht werde, seien die beanspruchten Verfahren nicht auf "im Wesentlichen biologische Verfahren" gerichtet.
45. Die Entscheidung T 356/93 (ABl. EPA 1995, 545) betraf unter anderem einen Verfahrensanspruch zur Erzeugung einer Pflanze oder von Vermehrungsmaterial dieser Pflanze. In dem Verfahren wurden Pflanzenzellen oder Pflanzengewebe mit einer rekombinanten DNA, die eine bestimmte heterologe DNA enthielt, transformiert, aus den transformierten Pflanzenzellen und dem entsprechenden Pflanzengewebe dann die Pflanzen oder deren Vermehrungsmaterial regeneriert und diese gegebenenfalls biologisch vervielfältigt. Die Kammer sah in dem Schritt der gentechnischen Transformation der Pflanzenzellen oder des Pflanzengewebes mit einer rekombinanten DNA einen wesentlichen technischen Schritt, der entscheidenden Einfluss auf das gewünschte Endergebnis habe und nicht ohne menschliches Zutun erfolgen könne. Sie kam zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren zur Pflanzenzüchtung als Ganzes kein im Wesentlichen biologisches Verfahren sei.
46. In ihrer Entscheidung T 1054/96 vom 13. Oktober 1997 (ABl. EPA 1998, 511) legte die jetzige Kammer in anderer Besetzung der Großen Beschwerdekammer mehrere Rechtsfragen zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ vor. Eine dieser Fragen war breit angelegt und betraf auch die Auslegung des Ausdrucks "im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen". In diesem Zusammenhang sah die vorlegende Kammer drei verschiedene Wege, um zu dem erforderlichen "Werturteil" zu gelangen (s. Nrn. 25 bis 29 der Entscheidungsgründe). Der erste Weg entspreche dem Konzept, das bei chirurgischen und therapeutischen Behandlungsverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ angewandt werde, und führe zu dem Ergebnis, dass ein beanspruchtes Verfahren bei Aufnahme eines im Wesentlichen biologischen Schritts nicht gewährbar sei. Der zweite Weg sei der in der Entscheidung T 320/87 (s. vorstehend Nr. 43) aufgezeigte. Beim dritten Weg entginge ein Verfahren dem in Artikel 53 b) EPÜ verankerten Patentierungsverbot, wenn es neben beliebig vielen "im Wesentlichen biologischen Schritten" mindestens einen genau angegebenen "nicht biologischen" Verfahrensschritt aufwiese, der Ersteren zur Gewährbarkeit verhelfen würde. Dabei wurde festgestellt, dass dieses dritte Konzept, das in Artikel 2 (2) des (damaligen) Entwurfs der EU-Biotechnologierichtlinie aufgegriffen werde, das für die Anmelder günstigste Konzept sei, dass die Beschwerdekammern aber bisher von ihm keinen Gebrauch gemacht hätten.
47. In ihrer Entscheidung G 1/98 (ABl. EPA 2000, 111) beantwortete die Große Beschwerdekammer die mit der Entscheidung T 1054/96 vorgelegten Rechtsfragen. Sie ging jedoch inhaltlich nicht auf die Auslegung der Ausschlussbestimmung für Verfahren nach Artikel 53 b) EPÜ ein. Da sich die beschwerdeführende Anmelderin vor der Großen Beschwerdekammer bereit erklärt hatte, die Verfahrensansprüche durch weitere Änderungen auf genau angegebene Verfahrensschritte zu beschränken, um im Wesentlichen biologische Verfahren auszuschließen, wurde befunden, dass die Relevanz der Frage noch nicht geklärt sei. Eine Beurteilung ohne einen konkreten Sachverhalt hielt die Große Beschwerdekammer nicht für zweckmäßig.
Einführung der Regel 23b (5) EPÜ
48. Mit Beschluss des Verwaltungsrats der EPO vom 16. Juni 1999, der am 1. September 1999 in Kraft trat, wurde die Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (nachfolgend "Biotechnologierichtlinie") umgesetzt. In die Ausführungsordnung zum EPÜ wurde ein neues Kapitel VI aufgenommen, das unter anderem die neue Regel 23b (5) mit folgendem Wortlaut enthält:
"Ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ist im Wesentlichen biologisch, wenn es vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung oder Selektion beruht."
49. Zweck des Verwaltungsratsbeschlusses insgesamt war die Angleichung des europäischen Patentrechts an die Biotechnologierichtlinie, die nach Regel 23b (1) Satz 2 EPÜ ergänzend zur Auslegung heranzuziehen ist. Regel 23b (5) EPÜ hat denselben Wortlaut wie Artikel 2 (2) der Biotechnologierichtlinie.
50. In der Mitteilung des EPA vom 1. Juli 1999 über die Änderung der Ausführungsordnung zum EPÜ (ABl. EPA 1999, 573, Nr. 19) wurde die Einführung der neuen Regel wie folgt erklärt:
"Regel 23b (5) legt entsprechend Artikel 2 (2) der Richtlinie näher fest, wann ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren 'im Wesentlichen biologisch' ist. Damit wird insbesondere Artikel 53 b) EPÜ näher konkretisiert und klargestellt, dass nur Züchtungsverfahren, die vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhen, von der Patentierung ausgeschlossen sind. Auch wenn die Beschwerdekammern des EPA dies bislang so noch nicht explizit entschieden haben (vgl. T 320/87, T 19/90, T 356/93), liegt die von den Kammern entwickelte Auslegung im Rahmen der mit der neuen Regel gegebenen Definition."
Entstehungsgeschichte der Regel 23b (5) EPÜ und des Artikels 2 (2) der Biotechnologierichtlinie
51. Die Entstehungsgeschichte der Biotechnologierichtlinie zeigt, dass der Wortlaut der Vorschrift, die später zu Artikel 2 (2) wurde, mehrmals geändert wurde. Zur Veranschaulichung seien die folgenden drei Entwurfsfassungen angeführt.
- Artikel 7 des ursprünglichen Vorschlags (KOM (88) 496 endg./SYN 159 vom 20. Oktober 1988, ABl. EG Nr. C 10/3 vom 13. Januar 1989):
"Ein Verfahren, bei dem das Eingreifen des Menschen darüber hinaus geht, vorhandenes biologisches Material auszuwählen und es unter natürlichen Bedingungen eine ihm innewohnende biologische Funktion ausüben zu lassen, gilt als ein patentfähiger Erfindungsgegenstand."
- Artikel 6 des vom Rat am 7. Februar 1994 festgelegten Gemeinsamen Standpunkts (EG) Nr. 4/94 (ABl. EG Nr. C 101/65 vom 9. April 1994):
"Im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren sind nicht patentierbar. Bei der Festlegung dieses Ausschlusses von der Patentierbarkeit werden das menschliche Eingreifen und die Wirkungen eines solchen Eingreifens auf das erzielte Ergebnis berücksichtigt. Ein Verfahren, das als Ganzes in der Natur nicht vorkommt und bei dem es sich um mehr als ein herkömmliches Züchtungsverfahren handelt, ist patentierbar."
- Artikel 2 (2) des geänderten Vorschlags vom 29. August 1997 (KOM (97) 446 endg., ABl. EG C 311/12 vom 11. Oktober 1997):
"Ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ist im Wesentlichen biologisch, wenn es auf Kreuzung und Selektion beruht."
52. Der endgültige Wortlaut des Artikels 2 (2) der Biotechnologierichtlinie kam erst in einem späten Stadium der Entstehungsgeschichte zustande, nämlich als der EG-Rat am 26. Februar 1998 seinen Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 19/98 festlegte (ABl. EG C 110/17 vom 8. April 1998). In der dazugehörigen Erklärung hieß es (s. Begründung des Rates, Nrn. 12 und 13, ABl. EG C 110/27 vom 8. April 1998):
"Der Rat hat den Begriff 'im Wesentlichen biologisches Verfahren' in dieser Bestimmung weiter ausgestaltet, wobei er sich nicht mehr auf diese Änderung 48, sondern auch auf den Änderungsvorschlag 22 des Europäischen Parlaments zum Erwägungsgrund 18 des ursprünglichen Vorschlags stützte.
Da in Artikel 2 Absatz 2 eine umfassende Definition aufgenommen worden ist, hat der Rat den entsprechenden Erwägungsgrund (Erwägungsgrund 33 des gemeinsamen Standpunkts) zu einem Erwägungsgrund deklaratorischer Art umgestaltet."
Auslegung der Regel 23b (5) EPÜ
53. Der Wortlaut des Artikels 2 (2) der Biotechnologierichtlinie und der Regel 23b (5) EPÜ ist nach Auffassung der Kammer nicht ganz einfach zu verstehen. Einerseits gelten nur Verfahren, die vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhen, als im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen. Andererseits werden Kreuzung und Selektion als Beispiele für natürliche Phänomene angeführt. Dies scheint in sich ein gewisser Widerspruch zu sein, da die systematische Kreuzung und Selektion, wie sie bei der traditionellen Pflanzenzüchtung praktiziert wird, in der Natur ohne Zutun des Menschen nicht stattfinden würde.
54. Trotz dieser Unklarheiten ist die Kammer der Meinung, dass der Wortlaut der Regel 23b (5) EPÜ insbesondere auch wegen des Adverbs "vollständig" auf eine sehr enge Auslegung der in Artikel 53 b) EPÜ verankerten Ausschlussbestimmung für Verfahren abzielt. Die Kammer interpretiert die Regel 23b (5) EPÜ so, dass ein Verfahren außerhalb der Ausschlussbestimmung läge, wenn es neben "natürlichen Phänomenen" (die als Rechtsfiktion auch Kreuzung und Selektion abzudecken scheinen) ein zusätzliches Merkmal technischer Natur enthält. Wie bereits in der Entscheidung T 1054/96 (s. vorstehend Nr. 46) ausgeführt, wurde dieser Ansatz von den Beschwerdekammern vor Einführung der Regel 23b (5) EPÜ nicht angewandt. Die Kammer kann deshalb nur schwer der Aussage in der vorstehend (unter Nr. 50) genannten EPA-Mitteilung zustimmen, wonach die von den Kammern entwickelte Auslegung im Rahmen der mit der neuen Regel gegebenen Definition liegt.
55. Die Beschwerdeführerin II hat argumentiert, dass die Regel 23b (5) EPÜ vom Gesetzgeber anders als die Definitionen in den Absätzen 3, 4 und 6 formuliert worden sei und somit keine erschöpfende Definition darstelle. Deshalb müsse ein Verfahren, das nicht vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhe, nach Artikel 53 b) EPÜ selbst bewertet werden. Die Kammer räumt zwar ein, dass die Formulierung der Regel 23b (5) von derjenigen der Regel 23b (3), (4) und (6) abweicht, kann sich aber der Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin II nicht anschließen. Angesichts i) des Kontexts des Absatzes 5 in der Regel 23b EPÜ, ii) des Wortlauts des Erwägungsgrunds 33 der Biotechnologierichtlinie: "Für die Zwecke dieser Richtlinie ist festzulegen, wann ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren im Wesentlichen biologisch ist" (Hervorhebung durch die Kammer) und iii) der Entstehungsgeschichte (s. vorstehend Nr. 52) ist die Kammer der Meinung, dass die Regel 23b (5) EPÜ als umfassende Definition gedacht war.
Die beiden Ansätze, die in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und in der Regel 23b (5) EPÜ gewählt wurden, lassen sich somit nicht in der von der Beschwerdeführerin II vorgeschlagenen Weise in Einklang bringen.
Zweifel an der Anwendbarkeit der Regel 23b (5) EPÜ
56. Nach Ansicht der Kammer klärt die Einführung der Regel 23b (5) EPÜ nicht endgültig, welches der richtige Ansatz zur Auslegung der Ausschlussbestimmung für Verfahren in Artikel 53 b) EPÜ ist. Die Anwendbarkeit dieser Regel kann mit drei Argumentationslinien hinterfragt oder eingeschränkt werden.
57. Eine erste Argumentationslinie (für die Kammer die wichtigste) beruht auf Artikel 164 (2) EPÜ, nach dem im Fall mangelnder Übereinstimmung mit den Vorschriften der Ausführungsordnung die Vorschriften des Übereinkommens vorgehen. Wenn der von den Beschwerdekammern vor Einführung der Regel 23b (5) EPÜ angewandte Ansatz die wahre Bedeutung der Ausschlussbestimmung für Verfahren nach Artikel 53 b) EPÜ wiedergäbe, wäre schwer vorstellbar, wie diese Bedeutung durch eine Änderung der Ausführungsordnung geändert werden könnte. Hier sei auf die Entscheidung T 39/93 (ABl. EPA 1997, 134, Nr. 3.2 der Entscheidungsgründe) verwiesen, wo mit Blick auf Artikel 164 (2) EPÜ befunden wurde, dass die Wirkung eines Artikels des EPÜ, dessen richtige Auslegung die Große Beschwerdekammer in einer Entscheidung festgestellt habe, nicht durch eine neu gefasste Regel der Ausführungsordnung aufgehoben werden könne, deren Wirkung in Widerspruch zu dieser Auslegung stehe. Die Kammer erkennt zwar an, dass Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer eine andere Autorität haben als solche der Beschwerdekammern (auch wenn diese mit fünf Mitgliedern besetzt sind wie in der Sache T 320/87), stellt aber zugleich fest, dass der in Regel 23b (5) EPÜ gewählte Ansatz offenbar im Widerspruch zur wahren Bedeutung des Artikels 53 b) EPÜ steht und angesichts des Artikels 164 (2) EPÜ nicht befolgt werden kann - sofern Artikel 53 b) EPÜ in der bisherigen Rechtsprechung nicht falsch ausgelegt worden ist.
58. Zum Zweiten kann argumentiert werden, dass sich die Befugnis des Verwaltungsrats zur Änderung der Ausführungsordnung nach Artikel 33 (1) b) EPÜ nicht auf Kernfragen des materiellen Patentrechts erstreckt und dass die Einführung von Vorschriften zur Abgrenzung patentfähiger Gegenstände eine Überschreitung seiner Befugnisse darstellt. Für dieses Argument finden sich zwar gewisse Belege in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern - so in der Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer in den zusammengelegten Verfahren J 11/91 und J 16/91 (ABl. EPA 1994, 28, Nr. 2.3.4 der Entscheidungsgründe), die die weitreichende Aussage enthält, dass in der Ausführungsordnung nur Verfahrensfragen, nicht jedoch materiellrechtliche Fragen geregelt werden dürfen -; in der Entscheidung T 315/03 (ABl. EPA 2006, 15, Nr. 5.8 der Entscheidungsgründe) wurde dieses Argument aber ausdrücklich zurückgewiesen und festgestellt, dass allein der Gesetzgeber entscheidet, ob Rechtsvorschriften in Form von Artikeln oder von Ausführungsvorschriften erlassen werden. Außerdem hat die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 2/93 (ABl. EPA 1995, 275) anerkannt, dass eine Bestimmung der Ausführungsordnung, nämlich Regel 28 EPÜ, bei mikrobiologischen Erfindungen die Verwirklichung des in Artikel 83 EPÜ verankerten allgemeinen Grundsatzes sicherstellen solle und diese Bestimmung damit zumindest teilweise materiellrechtlicher Art sei.
59. Ein dritter Punkt, der im vorliegenden Fall zu berücksichtigen ist, betrifft den Geltungszeitraum der Regel 23b (5) EPÜ. Das angefochtene Patent wurde auf der Grundlage einer Anmeldung erteilt, deren Anmeldetag (8. April 1999) vor dem Tag liegt, an dem die neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ in Kraft getreten sind, nämlich dem 1. September 1999 (s. vorstehend Nr. 48). Da der Beschluss des Verwaltungsrats zur Umsetzung der Biotechnologierichtlinie keine Übergangsbestimmungen enthält, sind offenbar grundsätzlich die neuen Regeln anzuwenden, wenn in anhängigen Verfahren eine Entscheidung zu treffen ist, ohne dass es auf den Anmeldetag der betreffenden Patentanmeldung ankommt (s. Entscheidungen T 272/95 vom 23. Oktober 2002, Nr. 4 der Entscheidungsgründe und T 315/03, Nrn. 5.1 und 5.12 der Entscheidungsgründe). Der Kammer ist jedoch bewusst, dass der Großen Beschwerdekammer mit der Entscheidung T 1374/04 vom 7. April 2006 (zur Veröffentlichung im ABl. EPA vorgesehen ) vor Kurzem eine verwandte Rechtsfrage vorgelegt wurde, nämlich ob die neue Regel 23d c) EPÜ auf eine Anmeldung anzuwenden ist, die vor dem Inkrafttreten der Regel eingereicht wurde. Die jetzige Kammer hält es daher nicht für angebracht, sich definitiv zum Geltungszeitraum der Regel 23b EPÜ zu äußern. Wenn allerdings mit der Einführung der Regel 23b (5) EPÜ das Recht geändert, d. h. die in Artikel 53 b) EPÜ verankerte Ausschlussbestimmung für Verfahren in ihrem Umfang begrenzt und somit der Bereich der patentfähigen Gegenstände erweitert wurde, ist vielleicht zu erwägen, ob Dritte in ihrem Vertrauen darauf zu schützen sind, dass eine Tätigkeit, die nach früherem Recht ein im Wesentlichen biologisches Verfahren darstellte, nicht patentiert werden kann, wenn die entsprechende Anmeldung vor dem Inkrafttreten der Regel 23b (5) EPÜ eingereicht wurde.
Richtiger Ansatz zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ noch zu bestimmen
60. Die Beschwerdekammern haben bisher über keinen Fall entschieden, dessen Ausgang davon abhing, welcher der beiden oben genannten Ansätze maßgebend ist. Als die jetzige Kammer in anderer Besetzung am 6. Dezember 2000, also nach Einführung der Regel 23b (5) EPÜ, ihre abschließende Entscheidung in der Beschwerdesache T 1054/96 traf, prüfte sie unter anderem, ob Verfahrensansprüche, die die Erzeugung transgener Pflanzen betrafen und die von der Anmelderin nach der Entscheidung G 1/98 der Großen Beschwerdekammer geändert worden waren, den Erfordernissen des Artikels 53 b) EPÜ genügten. Die Schlussfolgerungen der Kammer wurden unter Nummer 3 der Entscheidungsgründe dargelegt:
"Die Ansprüche 23 und 24 besagen, dass die transgene Pflanze durch Transformation und Regeneration herzustellen ist. Der Schritt der Transformation der Wirtspflanze verlangt, dass DNA in sie eingebracht, d. h. eine Reihe rein technischer Vorgänge durchgeführt wird: so wird die Transformations-DNA isoliert (S. 21 bis 32 der Anmeldung), die Wirtspflanze durchlässig für die DNA gemacht (S. 32) und ein Screening der Transformanden vorgenommen (S. 38 und 42). Es liegt somit im Wesen des Verfahrens der nun vorgelegten Ansprüche 23 und 24, dass gentechnische Schritte durchgeführt werden. Der Anspruch ist folglich nicht auf ein im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen gerichtet, das nach Artikel 53 b) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommen wäre. Zu derselben Schlussfolgerung würde man gelangen, wenn man die seit 1. September 1999 geltende Regel 23b (5) EPÜ anwendet [ ], sodass kein Fall mangelnder Übereinstimmung zwischen Vorschriften des Europäischen Patentübereinkommens und Vorschriften der Ausführungsordnung nach Artikel 164 (2) EPÜ vorliegt, der zu prüfen wäre" (Hervorhebung durch die Kammer).
Die oben durch Fettdruck hervorgehobene Passage zeigt, dass die Kammer sich damals der Möglichkeit mangelnder Übereinstimmung in diesem Kontext durchaus bewusst war, diese Frage aber nicht behandeln und entscheiden musste.
61. In der von einer Kammer aus fünf Mitgliedern getroffenen Entscheidung T 315/03 wurde der Einwand behandelt, dass das beanspruchte Verfahren zur Erzeugung transgener Mäuse ein im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Tieren sei (Nr. 13.3.5 der Entscheidungsgründe). Die Kammer zitierte die neue Regel 23b (5) EPÜ und folgerte, dass ein Verfahren, das Genmanipulation umfasse, ganz offensichtlich nicht vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhe und damit durch Artikel 53 b) EPÜ nicht von der Patentierung ausgeschlossen sei. Obwohl sich die Kammer auf die Regel 23b (5) EPÜ stützte, um die Nichtanwendbarkeit des Artikels 53 b) EPÜ zu begründen, kann angesichts der Entscheidung im Ex-parte-Beschwerdeverfahren T 19/90 im selben Fall (s. vorstehend Nr. 44), in dem es um entsprechende Verfahrensansprüche ging, mit Sicherheit angenommen werden, dass das beanspruchte Verfahren dem Patentierungsverbot auch nach dem "traditionellen" Ansatz entgangen wäre.
Relevanz der Bestimmung des richtigen Ansatzes für den vorliegenden Fall
62. Wie nachfolgend dargestellt, hängt der Ausgang des vorliegenden Falls von der Bestimmung des richtigen Ansatzes zur Auslegung des Artikels 53 b) EPÜ ab, da die beiden Ansätze - anders als in den Entscheidungen T 1054/96 und T 315/03 - hier zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden.
63. Anspruch 1 des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Brassica oleracea mit erhöhten Mengen an bestimmten Glucosinolaten. Das Verfahren enthält mehrere Kreuzungs- und Selektionsschritte. Die erste Kreuzung ("Schritt a") erfolgt zwischen bestimmten wilden Brassica-oleracea-Spezies und doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien. Aus den daraus resultierenden Hybriden werden diejenigen ausgewählt, die zumindest eines der spezifischen Glucosinolate in erhöhter Menge aufweisen ("Schritt b"). Danach folgt ein Schritt der Rückkreuzung und Selektion ("Schritt c"). Das heißt, dass die ausgewählten Hybride mit doppelt haploiden Broccoli-Zuchtlinien gekreuzt und erneut diejenigen Pflanzen ausgewählt werden, die zumindest eines der Glucosinolate in erhöhten Mengen aufweisen. Hierauf folgt der letzte Schritt, nämlich die Selektion einer Broccoli-Linie mit dem gewünschten Merkmal ("Schritt d"). Der Anspruch spezifiziert ferner, dass in den Schritten b und c molekulare Marker verwendet werden, um Hybride mit der gewünschten genetischen Kombination auszuwählen, die die Expression von erhöhten Mengen an Glucosinolaten codiert.
Anspruch 1 des Hilfsantrags der Beschwerdegegnerin entspricht Anspruch 1 des Hauptantrags, enthält aber zusätzlich als ersten Schritt des beanspruchten Verfahrens das Merkmal, dass doppelt haploide Broccoli-Zuchtlinien gewonnen werden.
64. Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, dass der Mensch auf mindestens drei Ebenen eingreife, wodurch die beanspruchte Erfindung außerhalb des Patentierungsverbots des Artikels 53 b) EPÜ liege.
- Zum einen sei die Verwendung von molekularen Markern in den Schritten b und c des beanspruchten Verfahrens ein technischer Schritt, der die Entnahme und In-vitro-Analyse von Pflanzengewebe erfordere.
- Zum Zweiten müsse für die beanspruchte Erfindung nichtnatürliches Ausgangsmaterial verwendet werden, nämlich eine doppelt haploide Linie. Haploide Linien erhalte man durch Extraktion von Mikrosporen aus sich entwickelnden Antheren, d. h. Zellen, bei denen die Meiose erfolgt sei (sodass sie haploid seien) und aus denen sich Pollen entwickeln würden. Die Mikrosporen würden in Medium in eine Petrischale mit Pflanzenhormonen gegeben, die sie zu haploiden Pflanzen wachsen ließen. Diese Pflanzen würden dann mit Colchicin behandelt, das die Zellteilung verhindere und somit die Chromosomen "verdopple", sodass die Pflanzen "doppelt haploid" würden.
- Zum Dritten wüchsen die in Schritt a des beanspruchten Verfahrens genannten wilden Brassica-Linien in entlegenen Gegenden, sodass die Hybridisierung mit Broccoli-Zuchtlinien unwahrscheinlich sei, sofern sie nicht durch menschliches Eingreifen gezielt miteinander in Kontakt gebracht würden.
65. Der in Regel 23b (5) EPÜ gewählte Ansatz (s. vorstehend Nr. 54) würde zu dem Schluss führen, dass zumindest das erste von der Beschwerdegegnerin angeführte Merkmal ausreichend wäre, um das beanspruchte Verfahren dem Geltungsbereich des Artikels 53 b) EPÜ zu entziehen. Unter den Parteien war zwar umstritten, wie breit der Begriff "molekulare Marker" zu verstehen ist, nach Ansicht der Kammer beinhaltet die Verwendung solcher Marker aber eine Laboranalyse an Pflanzenmaterial. Das heißt, dass vor und während der Selektion ein technischer Schritt durchgeführt wird, der menschliches Zutun erfordert.
66. Falls jedoch der von der jetzigen Kammer in ihren früheren Entscheidungen T 320/87 und T 356/93 angewandte Ansatz noch der richtige wäre, würde keines der von der Beschwerdegegnerin angeführten Merkmale bewirken, dass das beanspruchte Verfahren dem in Artikel 53 b) EPÜ verankerten Patentierungsverbot für Verfahren entgeht.
- Die Verwendung von molekularen Markern wie DNA-Markern ist generell ein wohlbekannter Schritt bei der Selektion von Pflanzen mit gewünschten Eigenschaften. Verfahren zur Entdeckung und Herstellung molekularer Marker, die mit einem gewünschten Merkmal segregieren, waren aus dem Stand der Technik allgemein bekannt und waren bereits im Zusammenhang mit Brassica-Spezies verwendet worden (s. vorstehend Nr. 6). Dies wurde von der Beschwerdegegnerin eingeräumt (s. vorstehend Nr. VI). Die Kammer ist deshalb nicht der Meinung, dass dieses Merkmal einen Beitrag zur beanspruchten Erfindung leisten kann, der über etwas Unwesentliches hinausgeht.
- Was die Verwendung von doppelt haploiden Linien betrifft, so ist festzustellen, dass die Beschreibung des Patents keine Einzelheiten dazu enthält, wie solche Linien generell bei Broccoli entwickelt werden können, und nur auf ein Dokument aus dem Stand der Technik verwiesen wird, das eine spezifische Linie betrifft (s. S. 8, Z. 15 bis 16 des Patents). Die Kammer sah hierin keinen Mangel an technischer Information, der bezüglich Artikel 83 EPÜ kritisch wäre, da doppelt haploide Zuchtlinien als solche bei der Pflanzenzüchtung durchaus bekannt sind und Techniken zu ihrer Gewinnung bei Broccoli öffentlich verfügbar waren (s. Dokument D22 und vorstehend Nr. 5). Die Gewinnung solcher Zuchtlinien kann deshalb nicht als das Wesen der beanspruchten Erfindung angesehen werden oder als ein Beitrag zur Erfindung, der über etwas Unwesentliches hinausgeht. Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst außerdem im Gegensatz zu Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht die Erzeugung einer doppelt haploiden Linie, sondern nur deren Verwendung in zwei Schritten des beanspruchten Verfahrens.
- Das Argument, es sei unwahrscheinlich, dass wilde Brassica-Linien in der Natur mit Broccoli-Zuchtlinien hybridisieren, hilft der Beschwerdegegnerin nach Auffassung der Kammer im Zusammenhang mit Artikel 53 b) EPÜ nicht, wobei es ohne Belang ist, ob man dem in Regel 23b (5) EPÜ gewählten Ansatz folgt oder nicht. Selbst die traditionellsten Formen der Pflanzenzüchtung, die vollständig auf Kreuzung und Selektion beruhen, sind in der Natur an sich ein unwahrscheinliches Ereignis und vielmehr durch irgendeine Art menschlicher Mitwirkung gekennzeichnet (s. vorstehend Nr. 53).
SCHLUSSFOLGERUNG
67. Angesichts der vorstehenden Ausführungen gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ die zwei in der nachstehenden Entscheidungsformel genannten Rechtsfragen vorzulegen sind. Bei der Formulierung der Fragen hat die Kammer die Anregungen der Beschwerdeführerin II (s. S. 10 ihres Schriftsatzes vom 4. April 2006) gebührend berücksichtigt. Die Fragen wurden jedoch weiter gefasst, damit die Große Beschwerdekammer nicht in ihrer Aufgabe eingeschränkt wird, die richtige Auslegung des in Artikel 53 b) EPÜ verankerten Patentierungsverbots für Verfahren zu bestimmen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Entgeht ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das die Schritte der Kreuzung und Selektion von Pflanzen umfasst, dem Patentierungsverbot des Artikels 53 b) EPÜ allein schon deswegen, weil es als weiteren Schritt oder als Teil eines der Schritte der Kreuzung und Selektion ein zusätzliches Merkmal technischer Natur umfasst?
2. Falls die Frage 1 verneint wird, welches sind die maßgeblichen Unterscheidungskriterien dafür, ob ein nicht mikrobiologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen ist oder nicht? Ist insbesondere maßgebend, worin das Wesen der beanspruchten Erfindung liegt und/oder ob der Beitrag des zusätzlichen technischen Merkmals zur beanspruchten Erfindung über etwas Unwesentliches hinausgeht?