T 2232/11 () of 20.1.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T223211.20170120
Datum der Entscheidung: 20 Januar 2017
Aktenzeichen: T 2232/11
Anmeldenummer: 06013428.5
IPC-Klasse: H02P 21/14
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur geberlosen Drehzahlbestimmung einer Asynchronmaschine
Name des Anmelders: Jungheinrich Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 103
European Patent Convention Art 83
Schlagwörter: Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
R 0017/11
T 0019/90
T 0007/12
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung mit der Nummer 06 013 428.5 zurückzuweisen.

II. Der Entscheidung liegen die Ansprüche 1 bis 10 zugrunde, die am 13. April 2011 eingereicht wurden. Die Ansprüche 2 bis 10 sind von Anspruch 1 abhängig, der wie folgt lautet (Änderungen gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung hervorgehoben):

"1. Verfahren zur geberlosen Drehzahlbestimmung einer Asynchronmaschine, das die folgenden Verfahrensschritte aufweist:

- ein Modul (10) zur feldorientierten Regelung berechnet die an der Asynchronmaschine (11) anzulegenden Spannungen (22) ausgehend von einem Soll-Wert für die Drehzahl (20), mindestens zwei gemessenen Werten für den Leiterstrom (21) und einer von einem Drehzahl[deleted: Beobachter]modul (14[deleted: 2]) berechneten Drehzahl (28),

- an dem Beobachtermodul (12) liegen die Spannungswerte (22) aus der feldorientierten Regelung (10) oder die gemessenen Spannungswerte (23) an, das aus den anliegenden Werten einen Wert für den momentbildenden Strom îsq(t) (25) und ein inneres Moment Mi(t) (27) der Asynchronmaschine ermittelt,

- ein als adaptiver PI-Regler ausgeführtes Momentenmodul (13) berechnet aus der Differenz der momentbildenden Ströme aus der feldorientierten Regelung (10) und dem Beobachtermodul (12) ein auf die Asynchronmaschine (11) wirkendes Lastmoment Ml(t) (26), wobei die Reglerverstärkungen über die Drehzahlabweichung verändert werden,

- ein Drehzahlmodul (14) berechnet über das Lastmoment (26) des Momentenmoduls (13) und das innere Moment (27) des Beobachtermoduls (12) die aktuelle Drehzahl (28) der Asynchronmaschine."

Im Wesentlichen stellte die Einspruchsabteilung in der Entscheidung fest, dass die Anmeldung die Erfordernisse des Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt, weil der Fachmann durch die Anmeldung, wie ursprünglich eingereicht, nicht befähigt werde, das im Anspruch 1 beanspruchte Beobachtermodul auszuführen. Insbesondere wurde bemängelt (siehe Entscheidungsgründe 10.2 bis 10.4), dass das Beobachtermodul nach Anspruch 1 aus den Spannungswerten usa(t), usb(t) [aus der feldorientierten Regelung] oder aus gemessenen Spannungen den momentbildenden Strom îsq(t) und das innere Moment Mi(t) ermitteln soll, dass jedoch die dazu erforderlichen Verfahrensschritte in der gesamten Anmeldung nicht offenbart seien. Es sei dem Fachmann nicht ersichtlich, auch nicht anhand des aus D6 gewonnenen allgemeinen Fachwissens, wie aus den Spannungswerten oder gemessenen Spannungen der momentbildende Strom und das innere Moment berechnet werden können. Die Prüfungsabteilung hat die Meinung vertreten, dass der Fachmann das Fachwissen der D6 bei der Ausführung der beanspruchten Erfindung im Sinne von Art. 83 EPÜ nicht berücksichtigen würde, weil D6 keine geberlose Drehzahlbestimmung offenbare, sondern eine Regelung mit Rotorlagegeber.

III. Folgende in der angefochtenen Entscheidung zitierte Dokumente sind für diese Entscheidung relevant. An dieser Nummerierung wird festgehalten:

D1: EP 1 049 245 A1

D2: Kasa, N. et al: "An Estimating Method of Instantaneous Load Torque by Wavelet Transform for the Induction Motor Drive", AMC '96-MIE. Proceedings, 18. März 1996, Seiten 321 bis 325, XP010164153

D5: Holtz, J.: "Speed Estimation and Sensorless Control of AC Drives", Proceedings of IECON '93, 15. November 1993, Seiten 649 bis 654, XP010109145

D6: "Rotorfluß-orientierte Regelung eines spannungsgespeisten Asynchronmotors" aus dem Fachbuch: Werner Leonard, "Regelung elektrischer Antriebe", 2. Auflage, Springer Verlag, 2000

IV. Die Beschwerdeführerin wurde zur mündlichen Verhandlung eingeladen. In einer der Ladung beigefügten Mitteilung legte die Kammer ihre vorläufigen Bemerkungen dar.

Die Kammer sah vorläufig keine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ und damit keinen Grund, eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 EPÜ anzuordnen.

Die Kammer wies darauf hin, dass in der mündlichen Verhandlung zu erörtern sein werde, ob es dem Fachmann aus dem durch D6 belegten allgemeinen Fachwissen bekannt war, wie die vier beanspruchten Module, insbesondere das Beobachtermodul, ausgeführt werden können.

Die Kammer war zudem der vorläufigen Auffassung, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichte Druckschrift (Seiten 420 bis 431 aus Dierk Schröder, "Elektrische Antriebe", 2. Auflage, 2011, Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York) nach Artikel 12 (4) VOBK schon deshalb nicht zuzulassen sei, weil überhaupt nicht ausgeführt worden sei, weshalb diese Druckschrift einschlägig sein sollte.

V. Die mündliche Verhandlung fand am 20. Januar 2017 statt. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der am 13. April 2011 eingereichten Ansprüche zu erteilen, sowie die Beschwerdegebühr rückzuerstatten. Hilfsweise, sofern die Kammer die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ als erfüllt ansehe, beantragte die Beschwerdeführerin, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen. Die Entscheidung wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.

VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Zu den Einwänden nach Artikel 83 EPÜ bezüglich des Beobachtermoduls räumte die Beschwerdeführerin ein, dass es der Anmeldung nicht zu entnehmen sei, wie der momentbildende Strom îsq(t) und das innere Moment Mi(t) aus den Spannungswerten usa(t), usb(t) aus der feldorientierten Regelung oder aus gemessenen Spannungen berechnet werden können. Sie wies jedoch darauf hin, dass dieses Wissen aus dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns bekannt sei. Als Beleg dafür wurden sowohl das Dokument D6 als auch das Dokument D5 zitiert.

Zu D6 argumentierte die Beschwerdeführerin, es sei für die Ausführbarkeit nicht entscheidend, dass D6 eine Asynchronmaschine mit Rotorlagegeber zeigt. In den Signalflussdiagrammen von D6 seien die notwendigen Informationen enthalten, um die Erfindung ausführen zu können.

Beim Dokument D5 handele es sich um ein Konferenzpapier, das einen Überblick zum Thema geberlose Geschwindigkeitsregelung gebe und das bei einer internationalen Konferenz präsentiert worden sei und daher zum allgemeinen Fachwissen im vorliegenden Fachbereich gehöre. Das Papier präsentiere anhand von Signalflussdiagrammen eine Zusammenfassung von verschiedenen auf dem Gebiet bekannten Techniken. Aus den Signalflussdiagrammen sei ersichtlich, dass dem Fachmann die notwendigen Informationen bekannt sind, um das beanspruchte Beobachtermodul ausführen zu können.

Hinsichtlich des Antrags auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass ihr im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung nicht die Gelegenheit eingeräumt wurde, das allgemeine Fachwissen auf der Grundlage weiterer Dokumente zu belegen, obgleich sie dies zu Beginn der Diskussion ausdrücklich angekündigt habe. Ein entsprechender Antrag auf Berichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung sei von der Prüfungsabteilung nicht behandelt worden. Zudem stütze sich die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf das Dokument D5, zu dem sie in der mündlichen Verhandlung auch nicht gehört wurde. Insofern sei im erstinstanzlichen Verfahren der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt worden. Zudem liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, weil die Prüfungsabteilung den Einwand der mangelnden Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ unsubstantiiert erhoben habe.

Entscheidungsgründe

1. Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr

1.1 Nach Regel 103 (1) a) EPÜ ist die Beschwerdegebühr in voller Höhe zurückzuzahlen, wenn der Beschwerde abgeholfen oder ihr durch die Beschwerdekammer stattgegeben wird und die Rückzahlung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels der Billigkeit entspricht.

1.2 Die Beschwerdeführerin behauptet, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wurde. Dazu brachte sie im wesentlichen vor, dass sie zu Beginn der Erörterung des Einwandes nach Artikel 83 EPÜ darauf hingewiesen habe, dass sie beabsichtige, das allgemeine Fachwissen nicht nur auf der Basis des Dokuments D6, sondern auch auf der Grundlage eines weiteren Lehrbuchs und des recherchierten Standes der Technik zu diskutieren. Nachdem des allgemeine Fachwissen auf der Grundlage des Dokuments D6 erörtert worden ist, sei die mündliche Verhandlung unterbrochen worden und die Prüfungsabteilung habe, nach einer Beratung und nach Fortführung der mündlichen Verhandlung, die Endentscheidung verkündet, nämlich die Zurückweisung der Anmeldung, ohne der Beschwerdeführerin (bzw. Anmelderin) die Möglichkeit zu geben, das allgemeine Fachwissen auf der Grundlage der angekündigten weiteren Dokumente erörtern zu können. Ein weiterer Vortrag sei ihr dann trotz Protests von der Prüfungsabteilung verwehrt worden. Demnach sei eine Entscheidung ergangen, ohne dass die Patentanmelderin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme über das allgemeine Fachwissen gehabt habe. Zudem habe die Prüfungsabteilung einen entsprechenden Antrag auf Berichtigung des Protokolls, der darauf abzielte, den Verlauf der mündlichen Verhandlung entsprechend wiederzugeben, nicht behandelt.

1.3 In diesem Zusammenhang ist zunächst zu bemerken, dass sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass die Prüfungsabteilung der Patentanmelderin auf telefonischem Wege mitgeteilt hat, dass sie dem Antrag auf Berichtigung des Protokolls nicht stattgeben werde. Zudem ergibt sich aus dem Protokoll, dass neben der D6 offenbar auch andere Dokumente in die Diskussion mit einbezogen worden sind. Es könnte demnach die Frage aufgeworfen werden, ob es der Beschwerdeführerin gelungen ist, den behaupteten Verlauf der mündlichen Verhandlung ausreichend nachzuweisen. Die Beschwerdekammer erachtet es jedoch im vorliegenden Fall für nicht erforderlich, die Frage, ob der Beweis über den behaupteten Verlauf der mündlichen Verhandlung erbracht wurde, zu entscheiden. Denn selbst wenn die Behauptungen über den Verlauf der mündlichen Verhandlung als bewiesen angenommen werden, wurde nach Auffassung der Beschwerdekammer der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung nicht verletzt.

1.4 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass im schriftlichen Verfahren vor der Prüfungsabteilung ein entsprechender Vortrag über das allgemeine Fachwissen auf der Basis anderer Dokumente, d.h. außer auf der Grundlage von D6, nicht substantiiert vorgetragen wurde. Die bloße Ankündigung eines weiteren Vortrags auf der Grundlage weiterer Dokumente zu Beginn der Diskussion über die Ausführbarkeit der Erfindung reicht in einer solchen Situation nicht aus, um eine Verpflichtung der Prüfungsabteilung zu begründen, dieser bloßen Ankündigung im Rahmen der mündlichen Verhandlung ex officio nachzugehen. Es lag daher im Verantwortungsbereich der Anmelderin, spätestens am Ende der Diskussion, die im vorliegenden Fall beinahe 1,5 Stunden dauerte, die Prüfungsabteilung erforderlichenfalls mit einem förmlichen Antrag darauf aufmerksam zu machen, dass ein weiterer Vortrag zu diesem Thema beabsichtigt ist. In diesem Zusammenhang ist zudem zu berücksichtigen, dass der Vortrag der Anmelderin zum allgemeinen Fachwissen offenbar nicht nur auf der Grundlage des Dokuments D6 erfolgte, sondern auch Anmerkungen zu Dokument D2 umfasste (siehe Seite 1, letzter Absatz, sowie Seite 2, erster Absatz, des Verhandlungsprotokolls vor der Prüfungsabteilung). Weiterhin wurde auch die Frage erörtert, ob die Prüfungsabteilung überhaupt berechtigt gewesen ist, einen Einwand nach Artikel 83 EPÜ zu erheben. Die Diskussion war demnach nicht nur auf das Dokument D6 beschränkt, sodass von einer grundsätzlich offenen Diskussion auszugehen ist. Für die Beschwerdekammer sind daher keine Gründe ersichtlich, weshalb die Anmelderin Ausführungen zum Fachwissen nicht auch auf der Grundlage anderer Dokumente hätte machen können bzw. jedenfalls die Zulassung eines solch neuen Vortrags hätte beantragen können. Die Prüfungsabteilung konnte demnach mangels eines förmlichen Antrags, einen weiteren Vortrag auf der Grundlage anderer Dokumente zuzulassen, und im Hinblick darauf, dass ein entsprechender Vortrag auch im schriftlichen Verfahren nicht substantiiert dargelegt wurde, nach ausführlicher Diskussion berechtigterweise davon ausgehen, dass von der Anmelderin kein weiterer Vortrag zur Frage des Artikels 83 EPÜ beabsichtigt war. Angesichts dieser Verfahrenssituation, musste die Anmelderin damit rechnen, dass die Prüfungsabteilung nach Unterbrechung der Verhandlung und anschließender Beratung zu einer Endentscheidung gelangen könnte.

1.5 Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage, 2016, III.B.2.6 "Rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung", zweiter Absatz), wonach es nicht Aufgabe einer Beschwerdekammer bzw. einer Einspruchsabteilung ist, von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle Punkte, die zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens aufgeworfen worden sind, in der mündlichen Verhandlung besprochen werden. Es obliegt den Parteien, einen Punkt, den sie für relevant halten und der ihrer Ansicht nach übersehen werden könnte, anzusprechen und - gegebenenfalls mit einem formalen Antrag - auf seiner Behandlung zu bestehen. Wird dann einer Partei nicht die Gelegenheit gegeben, ihre Argumente vorzubringen, kann dies ein Anlass für den Einwand sein, der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ sei verletzt worden (R 17/11 und T 7/12, Entscheidungsgründe, 5.4).

1.6 Dies gilt im Kern auch für mündliche Verhandlungen vor einer Prüfungsabteilung, sodass die Beschwerdekammer unter Berücksichtung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu dem Schluss kommt, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen ist, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im erstinstanzlichen Verfahren nachzuweisen.

1.7 Zudem führte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer aus, dass sich die Entscheidung der Prüfungsabteilung auch auf das Dokument D5 stütze (vgl. Entscheidungsgründe Nr. 10.3 und Nr. 11.4), das jedoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung nicht diskutiert worden sei, sodass auch dadurch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt worden sei.

1.8 Die Beschwerdekammer kann dieser Argumentation der Beschwerdeführerin aus folgenden Gründen nicht folgen: Zunächst ist zu bemerken, dass die Entscheidung lediglich in allgemeiner Weise auf dieses Dokument verweist, ohne dieses für die gezogenen Schlussfolgerungen tatsächlich zu benötigen, d.h. die Entscheidungsbegründung würde auch ohne Verweis auf dieses Dokument verständlich sein und zu dem gleichen Resultat führen. Zudem wird es offenbar unterstützend herangezogen, um darzulegen, was der Fachmann aus den entsprechenden Eingangs- bzw. Ausgangsgrößen ermitteln könnte. Der Verweis auf dieses Dokument verschlechtert somit jedenfalls nicht die Position der Anmelderin. Außerdem, und dies ist der zentrale Punkt, war ein entsprechender Verweis auf D1 und D5, zu eben diesem Thema, bereits in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung (vgl. ebd. Punkt 4.2) vorhanden. Wäre dies ein Anliegen der Anmelderin gewesen, hätte sie bereits in schriftlicher Weise bzw. in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung darauf reagieren und diesen Punkt thematisieren können. Wie bereits oben erwähnt, ist es nicht Aufgabe der Prüfungsabteilung, alle möglichen Punkte in der mündlichen Verhandlung von sich aus zur Sprache zu bringen. Insbesondere dann, wenn Ausführungen in der Anlage zur Ladung enthalten sind, liegt es im Verantwortungsbereich der Anmelderin zu den aufgeworfenen Themen Stellung zu nehmen. Insofern wurde das rechtliche Gehör im vorliegenden Fall auch diesbezüglich nicht verletzt.

1.9 Die Beschwerdeführerin bringt zudem vor, dass ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliege, weil die Prüfungsabteilung den Einwand der mangelnden Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ unsubstantiiert erhoben habe. Nach T 19/90 dürfe dieser Einwand nur dann erhoben werden, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen. An solchen nachprüfbaren Fakten fehlte es jedoch im vorliegenden Verfahren.

1.10 In der zitierten Entscheidung ("Onco-Mouse") ging es darum, ob der Fachmann die in der Beschreibung offenbarte, an Mäusen durchgeführte Erfindung auch, wie beansprucht, an allen anderen nichtmenschlichen Säugerarten erfolgreich hätte durchführen können (Entscheidungsgründe, 3.2). In diesem Kontext hieß es (Entscheidungsgründe, 3.3):

"Die bloße Tatsache, daß ein Anspruch weit gefaßt ist, ist jedoch an sich noch kein Grund zu der Annahme, daß die Anmeldung das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt. Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung erhoben werden."

1.11 Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht darum, dass die Ansprüche weiter als die Beschreibung gefasst sind. Es geht vielmehr darum, wie auch von der Prüfungsabteilung ausgeführt, dass ein spezifisches Verfahren beansprucht wird, bei dem ein Beobachtermodul aus Spannungswerten (22), aus der feldorientierten Regelung (10) oder aus gemessenen Spannungswerten (23) einen Wert für den momentbildenden Strom îsq(t) (25) und ein inneres Moment Mi(t) (27) der Asynchronmaschine ermittelt, ohne dass in der Beschreibung bzw. Zeichnung entsprechende Angaben zu finden sind, wie dies geschehen soll. Insofern bestanden nach den Ausführungen der Prüfungsabteilung im vorliegenden Fall begründete Zweifel an der Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung, die der Anmelderin auch mitgeteilt wurden. Die Frage, ob die Prüfungsabteilung berechtigt war, den Einwand nach Artikel 83 EPÜ zu erheben, wurde zudem im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung diskutiert und in der angefochtenen Entscheidung behandelt (vgl. Nummer 11.4 der Entscheidungsgründe mit Verweis auf die Ausführungen unter den Nummern 10.1 bis 10.3 der Entscheidungsgründe). Da ein durchaus begründeter Zweifel an der Ausführbarkeit der Erfindung bestand, der der Anmelderin nachvollziehbar dargelegt wurde, weist die Vorgangsweise der Prüfungsabteilung nach Auffassung der Beschwerdekammer keinen Verfahrensmangel auf, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr begründen könnte.

1.12 Aus den obengenannten Gründen liegt daher kein wesentlicher Verfahrensmangel vor, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ rechtfertigen könnte. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wurde daher in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zurückgewiesen.

2. Einwände nach Artikel 83 EPÜ

2.1 Bei der Frage der Ausführbarkeit geht es im vorliegenden Fall darum, ob der Fachmann aus dem Offenbarungsgehalt der Anmeldung unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens in der Lage war, die dem beanspruchten Verfahren zugrundeliegenden vier Module, insbesondere das Beobachtermodul (12), auszuführen.

2.2 Bezüglich D6 ist die Kammer von der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugt, wonach es für die Ausführbarkeit nicht entscheidend sei, dass D6 eine Asynchronmaschine mit Rotorlagegeber zeigt. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann bei der Ausführung der beanspruchten Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ das durch die D6 belegte Fachwissen nicht heranziehen würde, weil D6 keine geberlose Drehzahlbestimmung betrifft und daher prima facie als nicht relevant für die Erfindung erscheinen würde.

2.3 Das Dokument D5 wurde im europäischen Recherchenbericht und in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung erwähnt und war daher Teil des erstinstanzlichen Verfahrens. Die sich darauf stützende Argumentation bezüglich Artikel 83 EPÜ wurde jedoch erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgebracht. Diese Argumentation gilt daher als eine Änderung des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung im Sinne von Artikel 13 (3) VOBK. Da diese Änderung des Vorbringens jedoch keine Fragen aufwarf, die die Kammer während der mündlichen Verhandlung nicht behandeln konnte, wurde diese Argumentation ins Verfahren zugelassen.

2.4 Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach das Dokument D5 zum allgemeinen Fachwissen im vorliegenden Fachbereich (geberlose Drehzahlbestimmung von asynchronen elektrischen Maschinen) gehört.

Dokument D5 präsentiert einen Überblick ("overview", siehe "Abstract") über verschiedene, auf dem Gebiet bekannte Methoden anhand von Signalflussdiagrammen, die komplexe Raumvektoren repräsentieren (vgl. "2.1 The complex signal flow diagram", insbesondere Seite 649, rechte Spalte, dritter Absatz).

Die Figur 9 von D5 zeigt eine von einer Spannungsquelle betriebene Asynchronmaschine (vgl. "2.3 "Limitations"), wobei der Eingang Us dem komplexen Raumvektor der Statorspannung entspricht.

Aus der Figur 9 ist ersichtlich, dass aus Us der Wert is berechnet wird, der dem komplexen Raumvektor des Statorstroms entspricht. Dieser umfasst bekannterweise d- and q-Komponenten des Statorstroms isd und isq, wobei die Quadrature-Komponente isq das Drehmoment der Maschine erzeugt, wie es im technischen Bereich von Elektromotoren allgemein bekannt ist.

In Figur 9 ist zudem ersichtlich, dass aus Us der Wert Psir berechnet wird, der dem komplexen Raumvektor des magnetischen Rotorflusses entspricht. Weiterhin zeigt der untere Teil der Figur, dass aus den Raumvektoren Psir und is der Wert Te berechnet wird, der im Englischen für "electrical torque" steht. Diesem Wert Te entspricht das "innere Drehmoment", wie es in der vorliegenden Anmeldung verwendet wird.

Somit steht D5 als Hinweis dafür, dass es in der Fachwelt allgemein bekannt ist, aus (zeitlich variierenden) Statorspannungs-Werten den moment-bildenden Strom und das "innere Moment" einer elektrischen Maschine zu ermitteln. Der Figur 9 von D5 ist zwar kein abgegrenztes "Beobachtermodel" zu entnehmen. Dies ist jedoch für die Frage der Ausführbarkeit der vorliegenden Erfindung nicht entscheidend.

2.5 Aus diesen Gründen gelangte die Kammer zu dem Schluss, dass die Anmeldung die Erfindung im Sinne von Artikel 83 EPÜ ausreichend offenbart, sodass sie ausgeführt werden kann.

3. Zurückverweisung

In der angefochtenen Entscheidung hat sich die Prüfungsabteilung mit der Frage der Patentierbarkeit nicht auseinandergesetzt. Daher verweist die Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurück.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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