T 0392/89 () of 3.7.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T039289.19900703
Datum der Entscheidung: 03 Juli 1990
Aktenzeichen: T 0392/89
Anmeldenummer: 83810451.1
IPC-Klasse: B41J 13/00
B41J 11/58
Verfahrenssprache: DE
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Fassungen: Unpublished | Unpublished v2
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Beschicken einer Büromaschine mit Einzel-Blättern
Name des Anmelders: Rünzi, Kurt
Name des Einsprechenden: Ziyad Inc.
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 114
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 112
Schlagwörter: Grounds - opposition - introduction by the Board
Claim - feature - deletion
Enlarged Board of Appeal - submission to -point of law
stay of proceedings
Einführung eines neuen Einspruchgrundes durch die
Kammer
Weglassen von Merkmalen in einem Anspruch (unzulässig)
Vorlage einer Rechtsfrage an die Grosse BK (abgelehnt)
Aussetzung des Verfahrens
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0052/82
T 0172/82
T 0120/83
T 0190/83
T 0151/84
T 0156/84
T 0194/84
T 0066/85
T 0159/86
T 0177/86
T 0416/86
T 0009/87
T 0133/87
T 0331/87
T 0248/88
T 0493/88
T 0182/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0225/90
T 1376/07
T 0151/09
T 1253/09
T 1404/10

Sachverhalt und Anträge

I. Das Patent Nr. 0 106 801 wurde am 29. Januar 1986 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 83 810 451.1 mit sechs Ansprüchen erteilt. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Vorrichtung zum Beschicken einer Büromaschine, insbesondere eines Schreibautomaten, mit Einzelblättern von einem auf einer Wippe (2) mit abgefedertem Wippenboden (13) aufliegenden Vorratsstapel (6), wobei das oberste Blatt des Vorratsstapels (6) mit Reibschluß gegen zwei auf einer Antriebswelle (14) gelagerte Abzugsrollen (15) anliegt, der Vorratsstapel (6) mit den Blattvorderkanten gegen einen Vorratsstapel-Anschlag (18) anstößt und Vereinzelungsorgane (28) für die abzuziehenden Blätter vorhanden sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Vorrichtung zwei parallel zur Antriebswelle (14) verschiebbare Wippen (2) aufweist, die je einen abgefederten Wippenboden (13) haben, wobei die beiden Wippenböden (13) durch eine parallel zur Antriebswelle (14) angeordnete Achse (9) parallel verschwenkbar sind, daß die Abzugsrollen (15) auf der Antriebswelle (14) verschiebbar sind, und daß die beiden Wippen (2) über je ein Kupplungselement (46, 48) mit je einer der Abzugsrollen (15) verbunden sind und je eines der als Vereinzelungsecken (28) ausgebildeten Vereinzelungsorgane tragen."

II. Am 29. Oktober 1986 wurde ein Einspruch eingelegt, mit dem der Widerruf des Patents nach Artikel 100 a) EPÜ beantragt wurde.

Der Einspruch war auf den druckschriftlichen Stand der Technik nach der EP-A-0 105 844, der DE-A-2 913 594 sowie der CH-A-611 577 gestützt. Nach Ablauf der Einspruchsfrist wurde noch auf die DE-A-1 786 545 hingewiesen. Außerdem machte die Einsprechende nach Ablauf der Einspruchsfrist drei offenkundige Vorbenutzungen eines sog. Sheet-Feeders ASF 522 durch die Firma BDT Büro- und Datentechnik GmbH geltend, nämlich 1) die Ausstellung eines solchen ASF 522 auf der Hannover-Messe vom 21. bis 28. April 1982, 2) die Auslieferung eines Mustergerätes des ASF 522 an die Firma General Electric in Waynesboro, USA, am 12. Juni 1982 und 3) die Ausstellung eines Prototyps des ASF 522 auf der französischen Büromaschinenausstellung SICOB vom 20. bis 28. September 1982 in Paris. Zusätzlich hierzu wurde als vierte offenkundige Vorbenutzung die Ausstellung eines Sheet-Feeders der Firma Qume Corp. San Jose, Kalifornien, auf der NCC-National Computer Conference in Houston, Texas, USA, vom 07. bis 10. Juni 1982 geltend gemacht.

III. In der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 1989 wurde das Patent widerrufen. Am 28. Juni 1989 erging die schriftlich begründete Widerrufsentscheidung.

In der mündlichen Verhandlung vom 1. Februar 1989hat eine Zeugeneinvernahme stattgefunden, wobei die Einsprechende auch ein Modell der Einzel-Zuführung ASF 522 gemäß der offenkundigen Vorbenutzung vorgelegt hat. Während dieser Beweisaufnahme wurden zwei der geladenen Zeugen einvernommen bezüglich der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung betreffend die Lieferung eines ASF 522 im Juni 1982 an die Firma General Electric (GE) in Waynesboro, USA. Im Zuge dieser Zeugeneinvernahme hat der Zeuge Kammerer 3 Seiten persönlicher handschriftlicher Notizen betreffend seine Reise zur Firma General Electric nach Waynesboro, USA, vorgelegt. Diese Notizen tragen das Datum vom 12. Juni 1982.

Aufgrund des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme wurde laut angefochtener Entscheidung von der Einspruchsabteilung festgestellt, daß das an die Firma GE gelieferte Modell offensichtlich mit dem vorgelegten Modell identisch ist und alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents aufwies.

In der angefochtenen Entscheidung wird ferner festgestellt, daß aus den Aussagen der beiden Zeugen geschlossen werden kann, daß ein Modell der ASF 522 vor dem Prioritätstag des Streitpatents, nämlich dem 12. Oktober 1982, der Öffentlichkeit zugänglich war. Die Einspruchsabteilung hat es dabei als erwiesen angesehen, daß ein Modell des ASF 522 im Juni 1982 ohne Geheimhaltungsverpflichtung an die Firma General Eletric in Waynesboro, USA geliefert wurde, wobei dieses gelieferte Modell sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents aufwies. Im dortigen Punkt 10.1 wird auf Seite 9 ausgeführt:

"Was in diesem Zusammenhang die vom Zeugen Kammerer vorgelegten handschriftlichen Notizen anbelangt, so geht aus deren Inhalt nichts über die genaue Konstruktion des an die Firma GE gelieferten ASF 522 hervor. Daher können diese Aufzeichnungen nach Auffassung der Einspruchsabteilung nicht als Beweis dessen dienen, welches Gerät genau geliefert und vorbenutzt wurde. Im Hinblick auf die widerspruchsfreien Zeugenaussagen gibt es allerdings für die Einspruchsabteilung keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit der beiden vernommenen Zeugen irgendwie zu zweifeln, dies umso weniger, als einerseits in der mündlichen Verhandlung die Echtheit dieser handschriftlichen Aufzeichnungen nicht angezweifelt wurde...."

IV. Gegen die Widerrufsentscheidung wurde bereits am 27. April 1989 unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt, zusammen mit einer vorläufigen Begründung. Eine ausführliche Beschwerdebegründung wurde am 26. August 1989 eingereicht.

V. Mit Bescheid vom 22. August 1989 wurde den Beteiligten u. a. mitgeteilt, daß die Kammer vorab die Auffassung vertrete, daß der erteilte Anspruch 1 nicht als Grundlage für einen Vergleich mit den angeblich offenkundig vorbenutzten Gegenständen dienen könne, da er eindeutig gegen Artikel 100 (c) EPÜ verstoße. Wie aus der Erteilungsakte zu ersehen sei, habe der Anmelder (Beschwerdeführer), von sich aus einen neuen Anspruchssatz (Ansprüche 1-6) vorgelegt, dessen Anspruch 1 eine Reihe von Merkmalen nicht mehr enthalte, die im ursprünglichen Anspruch 1 enthalten waren und einen integralen Bestandteil der gesamten ursprünglichen Offenbarung bilden würden. Es handele sich um folgende Merkmale:

a) Die Wippen (nicht nur die Wippenböden) sind schwenkbar und abgefedert; b) der Vorratsstapelanschlag ist mit der Wippe schwenkbar verbunden; c) jeweils eine Vereinzelungsecke wird durch eine Platte getragen, die an der Wippe um eine zur Wippenachse parallele Achse schwenkbar befestigt ist; d) die Wippen sind schräg angeordnet; e) die Wippenachse verläuft horizontal.

Das im ursprünglichen Anspruch 1 enthaltene weitere Merkmal, daß Wippe, Anschlag und Platte jeweils eine Baueinheit bilden, ergebe sich zwangsläufig aus den vorstehenden Merkmalen b) und c) und könnte daher als unnötige Wiederholung entfallen.

VI. In den Erwiderungen vom 16. Oktober 1989, 10. November 1989 und 30. April 1990 und in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 1990 brachte der Beschwerdeführer (Patentinhaberin) im wesentlichen folgendes vor:

Die Kammer habe weder die Pflicht noch das Recht zu prüfen und zu entscheiden, ob das vorliegende Patent gegen Artikel 100 (c) EPÜ verstößt, weil dieser Einspruchsgrund von den Einsprechenden nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde. Außerdem dürften sehr wohl Merkmale aus einem Anspruch weggelassen werden, ohne gegen Artikel 123 (2) EPÜ zu verstoßen, wenn wie im vorliegenden Fall die weggelassenen Merkmale zur Lösung der Aufgabe nicht zwingend erforderlich sind, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch die ursprüngliche Beschreibung und die ursprünglichen Zeichnungen hinreichend gestützt ist und gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung nicht neu ist.

Er machte ferner detaillierte Ausführungen zu folgenden Themen:

i) Wortlaut des Artikels 123 (2) EPÜ ii) Sinn des Artikels 123 (2) EPÜ iii) Analogie zu anderen Teilen des EPÜ iv) Vergleich zur Praxis anderer Ämter v) Auswirkung auf die Praxis falls es zur Amtspraxis werden sollte, daß die Erweiterung unabhängiger Ansprüche nur noch zur Behebung von Widersprüchen zulässig sein sollte.

Der Beschwerdeführer ließ in der mündlichen Verhandlung seinen Auftrag auf Beweissicherung fallen und stellte die folgenden Anträge:

1. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben und der Einspruch zurückzuweisen.

2. Für den Fall, daß Antrag zu 1 nicht stattgegeben wird, wird hilfsweise der Antrag gestellt, das widerrufene Patent mit dem Patentanspruch 1, eingereicht am 18. Oktober 1989, ansonsten mit den erteilten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

3. Die Beschwerdegebühr ist zurückzuzahlen.

4. Dem Beschwerdeführer sind die ihm durch die Zeugeneinvernahme, die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 1989 und das Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten durch die Einsprechende zu erstatten.

5. Der von der Kammer geltend gemachte Einwand gemäß Artikel 100 c) EPÜ ist fallenzulassen.

6. Für den Fall, daß Antrag zu 5 nicht stattgegeben wird, wird hilfsweise beantragt, der Großen Beschwerdekammer die folgende Rechtsfrage vorzulegen:

"Ist ein geänderter unabhängiger Anspruch, der weniger oder allgemeinere Merkmale als der entsprechende ursprüngliche unabhängige Anspruch hat und durch die ursprüngliche Beschreibung und Zeichnung im Sinne von Artikel 84 gestützt ist, im Hinblick auf Artikel 123 (2) auch dann zulässig, wenn die durchgeführte Änderung keinen Widerspruch behebt und keine Unklarheit beseitigt?".

Als Alternative zu diesem Hilfsantrag wird des weiteren hilfsweise beantragt, die Sache an die Vorinstanz zwecks Entscheidung dieser Rechtsfrage zurückzuverweisen.

VII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und, hilfsweise, die Befassung der Großen Beschwerdekammer für den Fall, daß die Kammer die Auffassung vertritt, sie sei im vorliegenden Fall nicht befugt, den erteilten Patentanspruch 1 auch hinsichtlich Artikel 100 c) EPÜ zu überprüfen.

VIII. Am 29. Juni 1990 hat der Beschwerdeführer eine Kopie einer von ihm mit Schriftsatz vom 20. Juni 1990 beim Landgericht München I unter Aktenzeichen 244 Js 45908/90 erhobene Strafanzeige gegen Herren Kammerer und Steinhilber wegen des Verdachtes eines Betruges gemäß § 263 StGB in Verbindung mit ihren Aussagen vor der Einspruchsabteilung eingereicht.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Prüfungsbefugnis der Beschwerdekammer

2.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers hat die Kammer weder die Pflicht noch das Recht zu prüfen und zu entscheiden, ob das vorliegende Patent gegen Artikel 100 (c) EPÜ verstößt, weil dieser Einspruchsgrund von der Einsprechenden nicht geltend gemacht wurde und auch nicht mehr erhoben werden könnte, nachdem die Einspruchsfrist längst abgelaufen ist. Dieser Rechtsgrundsatz sei in der Beschwerdeentscheidung T 9/87 (ABl. EPA 1989, 438) klar festgehalten und begründet.

Der Beschwerdeführer hat jedoch diese Entscheidung offensichtlich insofern mißverstanden, als diese sich nur mit dem Umfang des Einspruchs im Sinne der durch den Einspruch angegriffenen Teile des Patents und nicht mit den Einspruchsgründen, auf die der Einspruch gestützt wird, befaßt. Allerdings wird in der Entscheidung T 182/89 derselben Kammer vom 14. Dezember 1989 (Leitsatz veröffentlicht in ABl. EPA 1990 Nr. 8, Vorblatt) die Auffassung vertreten, daß sich die Prüfung nicht auf solche Einspruchsgründe erstrecken solle, die in der Einspruchsschrift nicht geltend gemacht und ausreichend begründet wurden.

2.2. Abweichend hiervon ist die im vorliegenden Fall entscheidende Kammer davon überzeugt, daß sie gestützt auf den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß Artikel 114 (1) EPÜ jedenfalls das Recht hat, alle Einspruchsgründe zu untersuchen, gleichgültig ob diese von der Einsprechenden geltend gemacht wurden oder nicht. Im vorliegenden Fall ist der Verstoß gegen Artikel 100 (c) EPÜ so offensichtlich, daß die Kammer sich darüber hinaus auch verpflichtet fühlte, diesen Einwand zu erheben.

2.3. Sie stimmt in dieser ihrer Rechtsauffassung mit der mehrheitlichen Rechtsprechung der Beschwerdekammern überein, wie sie in den Entscheidungen T 493/88 vom 13. Dezember 1989 (wird veröffentlicht) und T 156/84 (ABl. EPA 1988, 372) dargelegt ist, wonach es eine Verpflichtung des EPA gegenüber der Öffentlichkeit gibt, keine Patente zu erteilen oder aufrechtzuerhalten, von denen es überzeugt ist, daß sie rechtlich keinen Bestand haben (siehe Abs. 3.5 und 3.6 von T 156/84).

Nachdem aber auch die oben zitierte Entscheidung T 182/89 der Einspruchsabteilung oder Beschwerdekammer nicht ausdrücklich die Kompetenz oder Befugnis abspricht, alle Einspruchsgründe zu prüfen, und in Anbetracht der ansonsten weitgehend übereinstimmenden Rechtsprechung, wonach alle Einspruchsgründe zumindest untersucht werden können, sieht die Kammer keine Veranlassung, die Große Beschwerdekammer mit dieser Frage zu befassen, da bei diesem Tatbestand eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer (gemäß Artikel 112 (1) EPÜ) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung nicht erforderlich ist.

3. Zuständigkeit der Kammer

3.1. Gemäß Artikel 111 (1) EPÜ wird die Beschwerdekammer entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Demnach gewährt Artikel 111 EPÜ den Parteien keinen absoluten Anspruch auf die Prüfung jeder in einem Beschwerdeverfahren vorgebrachten Frage durch zwei Instanzen (vgl. T 133/87 vom 23. Juni 1988, unveröffentlicht). Es ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen der Kammer überlassen, unter Würdigung der Umstände des Falles über die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz zu entscheiden, wobei auch der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie eine Rolle spielt.

Im vorliegenden Fall ist in Betracht zu ziehen, daß die erste Instanz die Möglichkeit gehabt hat, die Sache auch im Hinblick auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ zu untersuchen. Die Tatsache, daß sie diesbezüglich keinen Einwand erhoben hat, heißt nicht, daß diese Prüfung nicht erfolgte und stellt jedenfalls kein Hindernis gegen einen solchen Einwand seitens der Kammer dar.

Für eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, wie sie vom Beschwerdeführer hilfsweise beantragt wurde, bestand daher weder aus sachlichen noch aus verfahrensrechtlichen Gründen eine Notwendigkeit.

4. Formale Zulässigkeit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (Art. 100 c) und 123 (2) EPÜ).

4.1. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob durch das Weglassen der oben unter Abschnitt V oben angegebenen Merkmale a) bis e) aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 das angefochtene Patent so geändert worden ist, daß sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und damit gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt. Der Zweck dieser Bestimmung, bei der es sich gemäß Artikel 100 c) EPÜ auch um einen Einspruchsgrund handelt, besteht darin, Änderungen auszuschließen, mit denen der Anmelder oder Patentinhaber Gegenstände beanspruchen könnte, die in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbart sind, d. h. durch die ein neuer Gegenstand entstehen würde.

4.2. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist, abgesehen von einer Ausnahme (vgl. T 190/83 vom 24. Juli 1984, nicht veröffentlicht), insofern einheitlich, als sie festlegt, daß das Weglassen von Merkmalen aus einem unabhängigen Anspruch einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ darstellen kann.

4.3. Im vorliegenden Fall ist auf Seite 1, dritter Absatz der ursprünglichen Beschreibung angegeben, daß mit der Erfindung die Aufgabe gelöst werden soll, eine Vorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 weiterzuentwickeln, derart, daß sie u. a. kompakter ausgebildet werden kann. Dieser Aufgabenaspekt wird an erster Stelle genannt, noch vor dem vom Beschwerdeführer nunmehr in den Vordergrund gestellten Aspekt der leichteren Anpassung der Vorrichtung an unterschiedliche Maschinenfabrikate und Papierbreiten und dem weiteren Aspekt der einfachen Vereinzelung der Blätter. Auch bei der anschließenden Angabe der durch die Erfindung erreichten Vorteile (Seite 1, letzter Absatz bis Seite 2, Absatz 1 der ursprünglichen Beschreibung) steht die besonders einfache und kostengünstige Gestaltung der Vorrichtung im Vordergrund. Es besteht daher aus der Sicht der Ursprungsoffenbarung der Erfindung keine Basis für die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, der Fachmann entnehme den Ursprungsunterlagen die "Grundaufgabe" der einfacheren Anpassung, für deren Lösung die weggelassenen Merkmale unwesentlich seien.

Der ursprünglich an erster Stelle genannte Aufgabenaspekt soll offensichtlich durch die im Kennzeichen des ursprünglichen Anspruchs 1 genannten Merkmale gelöst werden. Der Fachmann erkennt, daß insbesondere die in Abschnitt V oben genannten Merkmale a) bis c) hierzu einen wichtigen Beitrag leisten und das weitere Merkmal, daß Wippe, Anschlag und Platte jeweils eine Baueinheit bilden, einschließen. Diese Merkmale dienen offensichtlich dazu, eine "kompakte Ausbildung" zu schaffen. Folglich stellen sie wesentliche Merkmale der Erfindung dar, wie sie in der ursprünglichen Fassung dargestellt worden sind. Der Durchschnittsfachmann wird an keiner anderen Stelle in den ursprünglichen Unterlagen, einschließlich der Zeichnungen, darauf hingewiesen, daß auf diese Merkmale gegebenenfalls auch verzichtet werden könnte. Somit fehlt für das Weglassen der genannten Merkmale jegliche Basis in den Ursprungsunterlagen.

4.4. Der Beschwerdeführer hat eine Reihe von Entscheidungen herangezogen, u. a. auch solche, in denen verschiedene Kammern versucht haben, verschiedene Tests auszuarbeiten, um das Feststellen zu erleichtern, ob der Gegenstand einer Patentanmeldung bzw. eines Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Während die Entscheidung T 190/83 (vgl. oben) den einfachen Neuheitstest auch im Falle des Weglassens von Merkmalen aus einem ursprünglichen unabhängigen Anspruch grundsätzlich empfiehlt und zu dem Ergebnis kommt, daß durch das Weglassen von Merkmalen kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ erfolgen kann, ist in der vom Beschwerdeführer kritisierten Entscheidung T 194/84 (ABl. EPA 1990, 59) angegeben, wie dieser Neuheitstest durchzuführen ist. Es kommt demnach darauf an, daß durch die Änderung (Verallgemeinerung) keine neuen, aus dem Inhalt der Ursprungsoffenbarung nicht eindeutig herleitbaren Informationen gegeben werden. Diese Rechtsauffassung wird in der Entscheidung T 416/86 (ABl. EPA 1989, 308) bestätigt.

Der Beschwerdeführer hat insbesondere unter Berufung auf die Entscheidungen T 52/82 (ABl. EPA 1983, 416), T 120/83 vom 27. September 1984 (unveröffentlicht), T 151/84 vom 28. August 1987 (unveröffentlicht) und T 331/87 vom 6. Juli 1989 (wird veröffentlicht) geltend gemacht, daß das Weglassen von unwesentlichen Merkmalen zulässig sei. Es liegt jedoch insoweit keine Analogie vor, als im vorliegenden Fall, wie vorstehend dargelegt, die weggelassenen Merkmale wesentlich zur Lösung der ursprünglich genannten Aufgabe beitragen.

Gemäß dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung T 159/86 vom 27. Oktober 1987 (unveröffentlicht) der im vorliegenden Fall ebenfalls entscheidenden Kammer zugrunde lag, war aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung für den Fachmann klar, daß eine spezifische Lehre unter den dort gegebenen Umständen verallgemeinert werden konnte. Es liegt also auch hier keine Analogie zum vorliegenden Fall vor.

In der vom Beschwerdeführer ergänzend herangezogenen Entscheidung T 177/86 dieser Kammer vom 9. Dezember 1987 (unveröffentlicht) wird betont, daß das Weglassen von Merkmalen grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn dafür in den ursprünglichen Unterlagen eine Offenbarungsgrundlage vorhanden ist (Abschnitt 4). Dabei wird der Entscheidung T 66/85 (ABl. EPA 1989, 167) gefolgt, in der im übrigen noch darauf hingewiesen wird, daß es in diesem Zusammenhang unerheblich sei, ob das betreffende (weggelassene) Merkmale für die Erfindung relevant ist.

4.5. Die Entscheidung T 190/83 (vgl. oben), auf die sich der Beschwerdeführer in erster Linie stützt, ist demnach als Ausnahme in einer sonst, zumindest hinsichtlich der Frage des Weglassens wesentlicher Merkmale, weitgehend einheitlichen Rechtsprechung anzusehen.

4.6. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen und nach Berücksichtigung aller Argumente des Beschwerdeführers gelangt die Kammer somit zu der Auffassung, daß es im vorliegenden Fall nicht zulässig war, aus einem unabhängigen Anspruch Merkmale zu streichen, die in der ursprünglich eingereichten Anmeldung durchweg als wesentliche Erfindungsmerkmale dargestellt worden sind. Eine solche Änderung würde zu einem Gegenstand führen, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und demzufolge gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen.

Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist daher unzulässig und letzterer schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

5. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 172/82 (ABl. EPA 1983, 493), in der festgestellt wurde, daß die Streichung eines Merkmals in einem Anspruch dann zulässig ist, wenn sie nur der Klarstellung und/oder Behebung eines Widerspruchs dient, beantragte der Beschwerdeführer ferner, der Großen Beschwerdekammer die in Abschnitt VI oben zitierte Rechtsfrage vorzulegen (Antrag 6).

Wie in der Entscheidung T 248/88 vom 14. November 1989 (unveröffentlicht) dargelegt ist, stellt eine solche Frage keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine Tatsachenfrage dar, die sich nur aus den Umständen des jeweiligen Einzelfalls heraus beantworten läßt.

In jedem einzelnen Fall muß dabei festgestellt werden, ob die ursprüngliche Offenbarung der Anmeldung einem Fachmann entweder explizit oder implizit einen Hinweis dahingehend gibt, daß ein in einem unabhängigen Anspruch enthaltenes Merkmal entfallen kann.

Außerdem ist, wie vorstehend in Abschnitt 4 dargelegt wurde, die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zumindest im Hinblick auf das Weglassen von ursprünglich als wesentlich offenbarten Merkmalen einheitlich, mit Ausnahme der Entscheidung T 190/83 (vgl. oben), so daß der in Artikel 112 (1) EPÜ genannte Vorlagegrund der "Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung", entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, ebenfalls nicht besteht.

7. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag

7.1. Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag enthält zusätzlich zu den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 die unter Abschnitt V oben erwähnten Merkmale a) bis e). Er ist daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht zu beanstanden. Auch sonst bestehen gegen ihn keine Einwände in formaler Hinsicht.

7.2. Bezüglich der Frage der Patentfähigkeit der Vorrichtung nach diesem Anspruch 1 hat die Kammer in ihrem Bescheid vom 22. August 1989 die vorläufige Meinung vertreten, daß es fraglich erscheine, ob die angeblich vorbenutzten Gegenstände einschließlich des Modells ASF 522 der Fa. BDT Büro- und Datentechnik GmbH noch patenthindernd entgegenstehen, wenn man von der vom Zeugen Kammerer bei seiner Vernehmung durch die Einspruchsabteilung gegebenen Beschreibung dieses Modells ausgehe. In dem weiteren Bescheid der Kammer vom 22. März 1990 ist ausgeführt, daß der Anspruch 1 des Hilfsantrags als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents geeignet scheint, und zwar auch dann, wenn die behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen als erwiesen angesehen würden, und bei Berücksichtigung der Ausführungen der Beschwerdegegnerin vom 10. Januar 1990. Bei diesem Sachverhalt dürften sich die beantragte Beweissicherung und eine nochmalige Einvernahme der Zeugen K. Kammerer und H. Steinhilber ebenso wie die Einvernahme neuer Zeugen bezüglich das angebliche offenkundig vorbenutzten Sheetfeeders der Firma Qume erübrigen.

Auch der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe vom 16. Oktober 1989 in Abschnitt 10 die Ansicht vertreten, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag selbst dann neu und erfinderisch wäre, wenn der ASF 522 Stand der Technik wäre, was allerdings nicht der Fall sei.

7.3. Abweichend hiervon hat der Beschwerdeführer jedoch während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer mehrfach betont, daß die weggelassenen Merkmale keinen Beitrag zu der Erfindung liefern. Weiterhin gibt er auch zu, daß das angeblich offenkundig vorbenutzte Modell ASF 522 praktisch identisch ist mit der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Unter diesen Umständen muß die Kammer insbesondere untersuchen, ob in bezug auf dieses Modell der Tatbestand der offenkundigen Vorbenutzung erfüllt ist, so daß es als Bestandteil des im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Standes der Technik zu betrachten wäre.

Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung den Widerruf auf die Aussagen der Herren H. Steinhilber und K. Kammerer gestützt. Sie hat es als erwiesen angesehen, daß ein Modell des ASF 522 im Juni 1982 ohne Geheimhaltungsverpflichtung an die Firma General Electric in Waynesboro, USA geliefert worden ist, wobei die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung davon ausging, daß dieses gelieferte Modell sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweist.

Wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung wurde der Kammer vom Beschwerdeführer eine Kopie einer mit Schriftsatz vom 20. Juni 1990 beim Landgericht München I erhobene Strafanzeige gegen die Herren Kammerer und Steinhilber (Aktenzeichen 244 Js 45908/90) vorgelegt, in der diesen Personen im Zusammenhang mit dem obigen Sachverhalt Falschaussage vor der Einspruchsabteilung vorgeworfen wird.

Unter diesen Umständen sieht es die Kammer aus verfahrensökonomischen Gründen als geboten an, das Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen einer Entscheidung in der Sache betreffend dieser Strafanzeige auszusetzen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Anträge auf Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung und auf Fallenlassen des Einwandes gemäß Artikel 100 c) EPÜ werden zurückgewiesen.

2. Der Hilfsantrag, die Große Beschwerdekammer mit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Rechtsfrage zu befassen, sowie der Hilfsantrag, die Sache zur Entscheidung dieser Rechtsfrage an die Vorinstanz zurückzuverweisen, werden zurückgewiesen.

3. Das Verfahren wird ausgesetzt bis zum Vorliegen einer Entscheidung in der Sache betreffend die von dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20. Juni 1990 beim Landgericht München I erhobene Strafanzeige.

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