European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1989:T049388.19891213 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 13 Dezember 1989 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0493/88 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81400060.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | G21C 3/34 | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | CEA-FRAMATOME | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Siemens | ||||||||
Kammer: | 3.4.01 | ||||||||
Leitsatz: | 1. Nach den Bestimmungen der Artikel 101 (1) und 102 (2) EPÜ kann eine Einspruchsabteilung erst dann rechtsgültig auf Zurückweisung eines Einspruchs entscheiden, wenn sie sich davon überzeugt hat, daß die in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe in ihrer Gesamtheit der Aufrechterhaltung des betreffenden europäischen Patents nicht entgegenstehen. Sie darf sich bei ihrer Prüfung nicht auf die in der Einspruchsschrift ausdrücklich angeführten Gründe allein beschränken, sondern muß den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln, wie dies Artikel 114 (1) EPÜ vorschreibt. 2. Eine Entscheidung einer Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs ist nicht vorschriftsmäßig begründet im Sinne der Regel 68 (2) Satz 1 EPÜ, wenn nach Angabe der Gründe, aus denen die Einspruchsabteilung den Gegenstand des Patents entgegen der Auffassung des Einsprechenden für neu erachtet, nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen diesem Gegenstand auch eine erfinderische Tätigkeit zuerkannt wird. |
||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Ungenügend begründete Entscheidung Prüfung des Einspruchs Umfang der Befugnisse der Einspruchsabteilung und der Beschwerdekammer Prüfung von Amts wegen |
||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdegegner sind Inhaber des europäischen Patents Nr. 0 033 263 (Anmeldung Nr. 81 400 060.0). Der einzige unabhängige Anspruch der insgesamt 10 Ansprüche dieses Patents lautet wie folgt:
"1. Abstandsgitter für eine Brennstoffanordnung zur Verwendung in einem Druckwasserreaktor, das durch sich kreuzende Platten (19) in quadratischer Rasteranordnung gebildet wird und durch dessen Zellen (7) die Brennstäbe (8) zur Querstabilisierung geführt werden, wobei die Stäbe ein Bündel bilden, in dem einige Stäbe durch Führungsrohre (10) ersetzt sind, die einerseits die mechanische Stabilität der Brennstoffanordnung und andererseits die Führung der Steuerstäbe für die Reaktivität sicherstellen, und die die Zellwände bildenden Platten zweierlei in das Zelleninnere ragende Halterungselemente für die Brennstäbe tragen, nämlich einerseits starre Noppen (13, 14) und andererseits Federn (12), die Querkräfte auf die Brennstäbe ausüben sollen, in das Gitter eingesetzt und so auf die Platten verteilt sind, daß jede Seite einer jeden einen Brennstab umschließenden Zelle ein anderes Element trägt als die gegenüberliegende Seite, dadurch gekennzeichnet, daß
- der größte Teil der mit Federn ausgestatteten Wände Doppelfedern (12) trägt, die zwei aktive Abschnitte, nämlich jeweils einen auf jeder Seite der die Doppelfeder tragenden Wand aufweisen, so daß diese Feder symmetrisch auf zwei verschiedene Brennstäbe in zwei benachbarten Zellen einwirken kann,
- die übrigen mit Federn ausgestatteten Wände einfache Federn (16) mit einem einzigen aktiven Abschnitt aufweisen, der in einer der beiden Zellen angeordnet ist, die durch die die Feder tragende Wand getrennt werden, wobei der andere Abschnitt, der nicht mit einem Brennstab in Berührung kommen soll, mindestens einen Verformungsbereich (68) aufweist und die beiden vorgenannten Federabschnitte zudem an den Enden miteinander verschweißt und zu der sie tragenden Platte frei verschieblich sind."
II. Die Kraftwerk Union Aktiengesellschaft, deren Rechtsnachfolgerin die Beschwerdeführerin ist, legte gegen dieses Patent Einspruch ein.
In ihrer Einspruchsschrift vom 25. September 1986 beantragte sie den Widerruf des Patents in vollem Umfang und hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung. Sie stützte ihren Einspruch auf Artikel 100 a) EPÜ und machte im einzelnen geltend, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den Inhalt des Dokuments
DE-A-2 137 158 (Dokument 1)
vollständig vorweggenommen werde.
III. Nachdem sich die Beteiligten schriftlich zur Frage einer etwaigen Vorwegnahme des Gegenstands des Anspruchs 1 durch den Inhalt des Dokuments 1 geäußert hatten, berief die Einspruchsabteilung eine mündliche Verhandlung ein. In der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vom 26. April 1988 ließ die Einspruchsabteilung die Beteiligten wissen, daß sie den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents entgegen der Behauptung der Einsprechenden für neu halte und keine Veranlassung sehe, zur Frage der erfinderischen Tätigkeit Stellung zu nehmen, da von der Einsprechenden mangelnde erfinderische Tätigkeit nicht explizit als Einspruchsgrund genannt worden sei.
IV. Die von der Einspruchsabteilung anberaumte mündliche Verhandlung fand am 6. Juni 1988 statt.
Aus der in der Akte befindlichen Niederschrift über die mündliche Verhandlung geht hervor, daß die Einsprechende in ihrer Argumentation im wesentlichen nachzuweisen versuchte, daß die Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und dem Inhalt des Dokuments 1, die die Einspruchsabteilung in ihrer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung aufgeführt hatte, entweder gar nicht bestünden oder sich aus Merkmalen ergäben, die für den Fachmann keine ausreichende Anleitung für die Ausführung der Erfindung darstellten oder aber in den Unterlagen der ursprünglich eingereichten Anmeldung entgegen der Forderung des Artikels 123 (2) EPÜ nicht offenbart gewesen seien.
Dies wurde von den Patentinhabern bestritten.
Zum Abschluß der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende der Einspruchsabteilung die Entscheidung auf Zurückweisung des Einspruchs.
V. Die schriftliche Entscheidung vom 8. August 1988 wurde den Beteiligten später zugestellt.
In dem den Sachverhalt und die Anträge betreffenden Teil dieser Entscheidung erklärte die Einspruchsabteilung, daß sie in der mündlichen Verhandlung festgestellt habe, daß der Gegenstand des Patents von der Einsprechenden nur im Hinblick auf die Neuheit im Sinne der Artikel 52 (1) und 54 EPÜ angefochten worden sei, und daher beschlossen habe, den auf Artikel 100 a) gestützten Einspruch nur unter dem Gesichtspunkt der Neuheit zu prüfen (S. 4, Absatz 3).
In der Entscheidungsbegründung heißt es ferner: "Gemäß dem Antrag der Einsprechenden ... hat die Einspruchsabteilung den Gegenstand des Patents ausschließlich auf die Neuheit geprüft, wobei sich die Argumentation der Einsprechenden nur auf ein einziges Dokument stützt ..., das den besagten Gegenstand in seiner Gesamtheit vorwegnehmen soll" (Nr. 1 der Entscheidungsgründe).
In der Sache stellte die Einspruchsabteilung fest, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber dem im Dokument 1 offenbarten Stand der Technik neu sei und die von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände einer unzulässigen Erweiterung des Gegenstands und mangelnder Klarheit nicht gerechtfertigt seien. Deshalb habe sie entschieden, den Einspruch zurückzuweisen und das europäische Patent unverändert aufrechtzuerhalten (Nr. 4 der Entscheidungsgründe).
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde ein.
VII. In ihrer Beschwerdeschrift beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr. Hilfsweise begehrt sie ferner die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
VIII. Zur Stützung ihrer Anträge weist die Beschwerdeführerin zunächst darauf hin, daß sich der Einspruch vom 25. September 1986 ausdrücklich auf Artikel 100 a) EPÜ berufe, der auf die Artikel 52 bis 57 EPÜ, also insbesondere auch auf die Artikel 52 (1) und 56, Bezug nehme. Folglich erstreckten sich die in der Einspruchsschrift genannten Einspruchsgründe auch auf mangelnde erfinderische Tätigkeit.
Außerdem habe der in Artikel 114 (1) EPÜ verankerte Grundsatz der Ermittlung von Amts wegen Vorrang vor der dem EPA durch Artikel 114 (2) eingeräumten Befugnis, von den Beteiligten verspätet vorgebrachte Tatsachen oder Beweismittel unberücksichtigt zu lassen (vgl. Entscheidung T 156/84 der Technischen Beschwerdekammer 3.4.1 vom 9. April 1987, ABl. EPA 1988, 372).
Die Einspruchsabteilung sei daher nicht berechtigt gewesen, in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 1988 die Ausführungen der Einsprechenden zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit von vornherein zurückzuweisen; ihre Weigerung, die Einsprechende hierzu anzuhören, stelle ganz offensichtlich einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige.
Außerdem macht die Beschwerdeführerin geltend, daß Anspruch 1 des angefochtenen Patents insoweit gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße, als das im Prüfungsverfahren eingeführte Merkmal, wonach das beanspruchte Gitter in einem Druckwasserreaktor zum Einsatz komme, in den Unterlagen der ursprünglich eingereichten Anmeldung nicht offenbart gewesen sei. Der Umstand, daß die ursprünglich beschriebene Brennstoffanordnung Führungsrohre aufweise, bedeute ihres Erachtens nicht zwangsläufig, daß der Reaktor mit Druckwasser gekühlt werde. In diesem Zusammenhang verweist die Beschwerdeführerin auf das Dokument
US-A-3 802 995 (Dokument 2),
das nach Aktenlage bis dahin wohl weder im Einspruchs- noch im Prüfungsverfahren herangezogen worden war. Dieses Dokument beschreibe eine für einen Siedewasserreaktor bestimmte Brennstoffanordnung, die ein dem Führungsrohr der beanspruchten Vorrichtung entsprechendes Rohr für die Wasserführung aufweist.
Schließlich ist die Beschwerdeführerin der Meinung, daß sich die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 aus einer naheliegenden Kombination der Merkmale ergäben, die entweder aus dem Dokument 1 oder aus dem zu Beginn der Beschreibung des Streitpatents genannten Dokument
FR-A-1 536 257
bekannt seien.
IX. In ihrer Erwiderung vom 8. März 1989 auf die Beschwerdeschrift weisen die Beschwerdegegner zum einen darauf hin, daß die Beschwerdeführerin "es für ungerechtfertigt hält, daß sich die Einspruchsabteilung in der am 6. Juni 1988 in München abgehaltenen mündlichen Verhandlung von vornherein geweigert hat, in Erörterungen über die Frage der erfinderischen Tätigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit einem neuen Dokument, einzutreten". Dies sei eine Streitfrage zwischen der Beschwerdeführerin und dem EPA, über die das EPA zu befinden habe; hervorzuheben sei aber, daß eine Darstellung des Sachverhalts, der die Beschwerdeführerin an einer früheren Vorlage der verspätet vorgebrachten Dokumente gehindert habe, in der Akte offenkundig fehle, obwohl eine solche Darstellung nach der von der Beschwerdeführerin herangezogenen Entscheidung T 156/84 erforderlich wäre.
Außerdem bestreiten die Beschwerdegegner die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß Anspruch 1 nicht den Vorschriften des Artikels 123 (2) EPÜ entspreche und es seinem Gegenstand an erfinderischer Tätigkeit mangele.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neben den Merkmalen des Anspruchs 1 der Anmeldung in der eingereichten Fassung enthält Anspruch 1 des erteilten Patents noch einige genauere Angaben, wonach
a) es sich bei dem Kernreaktor, in dem das beanspruchte Gitter zum Einsatz kommt, um einen Druckwasserreaktor handelt;
b) die Führungsrohre einerseits die mechanische Stabilität der Anordnung und andererseits die Führung der Steuerstäbe für die Reaktivität sicherstellen;
c) der Abschnitt der einfachen Federn, der nicht mit einem Brennstab in Berührung kommen soll, mindestens einen Verformungsbereich besitzt, wobei die beiden Federabschnitte zudem an den Enden miteinander verschweißt und zu der sie tragenden Platte frei verschieblich sind.
Was das zusätzliche Merkmal a) anbelangt, so heißt es in den Unterlagen der ursprünglich eingereichten Anmeldung explizit, daß das beanspruchte Abstandsgitter in einem Leichtwasserreaktor verwendet werden kann (S. 1, Zeilen 6 und 7), ohne daß jedoch präzisiert wird, daß das Wasser unter Druck steht. Die Kammer sieht allerdings keinen triftigen Grund, die Aussage der Beschwerdegegner anzuzweifeln, wonach nur druckwassergekühlte Kernreaktoren aus Brennstäben bestehende Brennstoffanordnungen aufweisen, bei denen einzelne Stäbe durch Führungsrohre für Steuerstäbe, wie sie in der eingereichten Anmeldung beschrieben werden, ersetzt sind, zumal der Siedewasserreaktor, der in dem von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift angezogenen Dokument 2 offenbart ist, Brennstoffanordnungen (20) aufweist, von denen jede aus Brennstäben (21) sowie einem zentralen Rohr (41) besteht, durch das Wasser zur Moderation des Reaktors zugeleitet wird, nicht jedoch Steuerstäbe geführt werden; letztere werden nämlich durch Elemente mit kreuzförmigen Querschnitt (13) gebildet, die sich außerhalb der Brennstoffanordnungen befinden (Spalte 4, Zeilen 36 - 50; Spalte 5, Zeilen 54 - 60; Abbildung 4).
Die anderen zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 ergeben sich entweder aus der Aufnahme des banalen Hinweises auf die Funktion der Führungsrohre, die in der Führung der Steuerelemente besteht, oder werden ausdrücklich durch die Beschreibung in der eingereichten Fassung gestützt (S. 1, Zeilen 19 - 23; S. 16, Zeilen 1 - 24 und 29 - 32; S. 17, Zeilen 14 - 17).
Deshalb steht der in Artikel 100 c) EPÜ genannte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen.
Dasselbe gilt für den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ, da nach Auffassung der Kammer das Patent in seiner Gesamtheit die in Anspruch 1 definierte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Dies wird von der Beschwerdeführerin im übrigen auch nicht mehr bestritten, da sie, insbesondere bezüglich des Ausdrucks "der größte Teil", den sie im Einspruchsverfahren als zu unbestimmt beanstandet hatte, inzwischen selbst zu der Auffassung gelangt ist, daß der Fachmann ohne weiteres feststellen könnte, wie viele Doppelfedern erforderlich sind, um eine bestimmte Brennstoffanordnung zu halten (S. 4, Absatz 2 der Beschwerdeschrift).
3. Neuheit
Nach Auffassung der Kammer ist in den in der Akte enthaltenen Dokumenten zum Stand der Technik nirgends ein Abstandsgitter offenbart, das alle in Anspruch 1 definierten Merkmale aufweist. Insbesondere sind die Enden der beiden in Dokument 1 offenbarten Federabschnitte gegenüber der sie tragenden Platte nicht frei verschieblich, sondern vielmehr fest auf ihr verankert, wie ausdrücklich in Anspruch 6 dieses Dokuments ("fest verankert") und in der Beschreibung (S. 14, letzte Zeile, "sicher befestigt") festgestellt wird.
Diesbezüglich verweist die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift (S. 5, Absatz 2) auf eine Passage des Dokuments 1, wonach die Trageclips auf die innere Rippenmatrix "aufgesteckt" werden, um die Abstandhalter zu bilden (Dokument 1, S. 15, Absatz 2). Aus dieser Textstelle läßt sich aber bestenfalls ableiten, daß man die Clips bei der Montage über den Rand der entsprechenden Rippe schieben kann, nicht jedoch, daß sie nach Erreichen ihrer endgültigen Montagestellung frei verschieblich sind.
Schon aus diesem Grund ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
Die Neuheit dieses Gegenstands wird von der Beschwerdeführerin auch nicht mehr bestritten.
4. Erfinderische Tätigkeit
Unabhängig von der von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift vorgebrachten Kritik an der Verfahrensführung durch die Einspruchsabteilung stellt die Kammer fest, daß die angefochtene Entscheidung auf Zurückweisung des Einspruchs zwar unter anderem detailliert Aufschluß darüber gibt, aus welchen Gründen die Abteilung den Gegenstand des Anspruchs 1 für neu erachtet, aber keinerlei Stellungnahme zur Frage des erfinderischen Charakters dieses Gegenstands enthält.
Daher hat die Kammer geprüft, ob unter diesen Gegebenheiten der Pflicht zur Begründung, wie dies Regel 68 (2) Satz 1 EPÜ vorschreibt, in der angefochtenen Entscheidung Genüge getan wird.
4.1. Nach Artikel 101 (1) EPÜ muß die Einspruchsabteilung, sofern der Einspruch zulässig ist, prüfen, "ob die in Artikel 100 genannten Einspruchsgründe" der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen. Artikel 102 (2) EPÜ bestimmt überdies, daß die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückweist, wenn sie der Auffassung ist, daß "die in Artikel 100 genannten Einspruchsgründe" der Aufrechterhaltung des europäischen Patents in unveränderter Form nicht entgegenstehen.
Die vorstehenden Bestimmungen beziehen sich zweifelsfrei und eindeutig auf alle in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe und beschränken den Umfang der von der Einspruchsabteilung durchzuführenden Prüfung weder explizit noch implizit auf die Einspruchsgründe, die der Einsprechende in seiner Einspruchsschrift gemäß Regel 55 c) EPÜ geltend gemacht hat. Eine Auslegung dieser Bestimmungen, durch die die Einspruchsprüfung auf die vom Einsprechenden ausdrücklich angeführten Gründe beschränkt würde, stünde außerdem im Widerspruch zu dem in Artikel 114 (1) EPÜ verankerten Grundsatz der Ermittlung von Amts wegen, demzufolge das Europäische Patentamt den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt und dabei weder auf das Vorbringen noch auf die Anträge der Beteiligten beschränkt ist.
Aus den Gründen, die die Kammer in ihrer auch von der Beschwerdeführerin angezogenen Entscheidung T 156/84 dargelegt hat (s. vorstehend Nr. VIII, Absatz 2), kann das Amt erst dann, wenn es den Sachverhalt gemäß Artikel 114 (1) EPÜ von Amts wegen ermittelt hat und zu dem Schluß gelangt ist, daß dieser Sachverhalt für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist, beschließen, die von den Beteiligten verspätet vorgebrachten Tatsachen oder Beweismittel gemäß Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt zu lassen (Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
Deshalb kann sich die Kammer in diesem Punkt nicht der Meinung anschließen, die die Kammer 3.3.1 in einer Entscheidung vom 29. August 1989 in der Sache T 320/88 - 3.3.1 (nicht veröffentlicht) vertreten hat; danach ist die Einspruchsabteilung in keiner Weise verpflichtet, die Frage der erfinderischen Tätigkeit zu erörtern, wenn der Einsprechende zu diesem Punkt nichts vorgebracht hat (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe). Nach Auffassung der Kammer kann eine Einspruchsabteilung erst dann rechtsgültig auf Zurückweisung eines Einspruchs entscheiden, wenn sie sich davon überzeugt hat, daß keiner der in Artikel 100 EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des betreffenden Patents entgegensteht.
4.2. Dies bedeutet natürlich nicht, daß in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich und erschöpfend dargelegt werden muß, weshalb die einzelnen in Artikel 100 EPÜ aufgeführten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehen.
Wenn die besonderen Umstände des Falls klar erkennen lassen, daß bestimmte Einspruchsgründe das Patent in keiner Weise gefährden, kann es im Interesse der Verfahrensökonomie vollauf gerechtfertigt sein, diese Gründe in der Entscheidung auf Zurückweisung des Einspruchs nicht zu erörtern. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn bestimmte Einspruchsgründe offenkundig in keinem Zusammenhang mit den vom Einsprechenden im Einspruchsverfahren vorgebrachten Gründen stehen oder für den geprüften Sachverhalt nicht maßgeblich sind (mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit oder Erweiterung des Gegenstands des Patents im Sinne des Artikels 100 c) EPÜ, wenn die Anmeldung nicht geändert worden war). Wenn nun aber Artikel 114 (2) EPÜ das Amt ermächtigt, für die Entscheidung belanglose Tatsachen oder Beweismittel unberücksichtigt zu lassen, falls sie verspätet vorgebracht worden sind, drängt sich geradezu der Schluß auf, daß für das Amt wohl kaum eine Verpflichtung besteht, sie zu berücksichtigen, wenn sie von den Beteiligten überhaupt nicht vorgebracht wurden.
Die Tatsache, daß in einem Einspruchsverfahren die Neuheit des Patentgegenstands angefochten wird, deutet allerdings in der Regel darauf hin, daß dieser Gegenstand dem ermittelten Stand der Technik zumindest relativ nahe kommt. Außerdem gestattet die Definition des Neuheitsbegriffs und des Begriffs der erfinderischen Tätigkeit, wie sie sich beispielsweise aus der Rechtsprechung zur Prüfung der Patentierbarkeit von Äquivalenten oder zur Ermittlung des impliziten Offenbarungsgehalts ergibt, keine vollkommen klare Abgrenzung zwischen diesen beiden Kriterien. Somit kann allein daraus, daß bei der Neuheitsprüfung Unterschiede zwischen dem Patentgegenstand und dem nächstliegenden Stand der Technik zutage getreten sind, im allgemeinen nicht schon automatisch gefolgert werden, daß der Gegenstand auch nicht naheliegend ist; hiervon ausgenommen mögen Sonderfälle sein, so beispielsweise wenn die Neuheitsprüfung gezeigt hat, daß der vom Einsprechenden herangezogene nächstliegende Stand der Technik der Öffentlichkeit de facto nicht vor dem Anmeldetag der Anmeldung zugänglich gemacht wurde oder aus einer europäischen Anmeldung im Sinne des Artikels 54 (3) EPÜ hervorgeht, die bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen ist (Art. 56 Satz 2 EPÜ).
4.3. Im vorliegenden Fall konnte die Kammer solche besonderen Umstände jedoch nicht ausmachen.
Vielmehr hat die Beschwerdeführerin in ihrer Einspruchsschrift zwar nur Argumente zum Nachweis mangelnder Neuheit des Patentgegenstands vorgebracht, aber doch auch darauf hingewiesen, daß sich ihr Einspruch auf Artikel 100 a) EPÜ stütze, der sich auf alle in den Artikeln 52 bis 57 EPÜ genannten Patentierbarkeitsvoraussetzungen beziehe. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, daß ein Einsprechender, der den Gegenstand des von ihm angefochtenen Patents in Anbetracht eines bestimmten Stands der Technik - wenn auch fälschlich - für nicht neu hält, deshalb zu einem solchen Ergebnis gelangt, weil er keine Unterschiede zwischen dem Patentgegenstand und dem Gegenstand des betreffenden Stands der Technik feststellen konnte. In diesem Fall kann von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden, daß er auch eine Argumentation zur erfinderischen Tätigkeit vorbringt, da diese doch nur auf der Feststellung bestimmter Unterschiede und auf der Einschätzung aufbauen könnte, daß diese Unterschiede naheliegend sind.
Auch wenn im vorliegenden Fall die Formulierung der Einspruchsschrift zunächst den Schluß zuließ, daß sich der Einspruch der Einsprechenden gegen den ersten Anspruch auf die Neuheit beschränke und die erfinderische Tätigkeit nur im Zusammenhang mit den abhängigen Ansprüchen 2 bis 10 angesprochen werde, zeigte das zweite Schreiben der Einsprechenden vom 15. Juli 1987 aber doch, daß sie sich sehr wohl über gewisse Unterschiede zwischen dem Gegenstand des Dokuments 1 und demjenigen des Anspruchs 1 des Streitpatents im klaren war, diese Unterschiede aber für bedeutungslos hielt ("es ist unwesentlich, ob ...", "einzig wichtig ist ..."), ja sie sogar im Dokument 1 für jeden Fachmann implizit offenbart sah.
Die bloße Tatsache, daß die Einsprechende in ihrer Einspruchsschrift nur ein einziges Dokument herangezogen hat, kann ebenfalls nicht als Beschränkung ihres Einspruchs auf die Frage der Neuheit allein ausgelegt werden, wie es dem Anschein nach die Einspruchsabteilung getan hat (Nr. 1, Absatz 1 der Entscheidungsgründe), da der erfinderische Charakter des Gegenstands eines Anspruchs sehr wohl auf der Grundlage der Lehre eines einziges Dokuments, ergänzt beispielsweise durch das allgemeine Wissen des Fachmanns, in Frage gestellt werden kann.
Die Einspruchsabteilung hätte deshalb im vorliegenden Fall prüfen müssen, ob sich der Gegenstand des Anspruchs 1 für den zuständigen Fachmann in Anbetracht des in der Einspruchsschrift genannten Dokuments in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik im Sinne des Artikels 56 EPÜ ergibt, und hätte die Gründe für ihre Schlußfolgerung darlegen müssen.
Daher ist die Kammer der Auffassung, daß die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung nicht wie in Regel 68 (2) Satz 1 EPÜ vorgeschrieben begründet hat und diese Entscheidung schon deshalb aufgehoben werden muß.
5. Da aus der Akte nicht hervorgeht, ob sich die Einspruchsabteilung in bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 1 bereits mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit auseinandergesetzt hat, hat die Kammer, um das Recht der Beteiligten auf eine vollständige Prüfung des Einspruchs in zwei Instanzen zu wahren, beschlossen, von der ihr nach Artikel 111 EPÜ übertragenen Befugnis Gebrauch zu machen und die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
6. Die Kammer ist zu den vorstehenden Schlußfolgerungen gelangt, ohne die Behauptung der Beschwerdeführerin, die Einspruchsabteilung habe sich von vornherein geweigert, sie zur Problematik des erfinderischen Charakters des Patentgegenstands zu hören, auf ihre Stichhaltigkeit geprüft zu haben.
In diesem Punkt läßt sich anhand der Akte nicht mit Sicherheit feststellen, ob die Einspruchsabteilung die Beschwerdeführerin ihre Argumentation zum erfinderischen Charakter des Patentgegenstands tatsächlich nicht hat vorbringen lassen oder ob sie nach Anhörung dieser Argumentation entschieden hat, sie unberücksichtigt zu lassen. Ebensowenig ist dort das "neue Dokument" ausgewiesen, dessen Erörterung die Einspruchsabteilung nach Aussage der Beschwerdegegner nicht zulassen wollte (Nr. 1 ihrer Ausführungen vom 8. März 1989).
Eingedenk ihrer vorstehenden Schlußfolgerungen hält es die Kammer nicht für sinnvoll, die Akte weiter zu durchforsten, um diesen Sachverhalt genau zu klären und zu entscheiden, ob die Kritik der Beschwerdeführerin berechtigt ist.
7. Nach Ansicht der Kammer stellt die Nichtbeachtung der Vorschriften der Regel 68 (2) Satz 1 EPÜ über die Begründung von Entscheidungen einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der die von der Beschwerdeführerin beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.
8. Da die Kammer damit den Hauptanträgen der Beschwerdeführerin entsprochen hat, ist deren Hilfsantrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung hinfällig geworden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.