T 0172/82 (Teilchenanalysator) of 19.5.1983

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1983:T017282.19830519
Datum der Entscheidung: 19 Mai 1983
Aktenzeichen: T 0172/82
Anmeldenummer: 80100890.5
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Contraves
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: Die Streichung eines Merkmals in einem Anspruch ist dann zulässig, wenn sie nur der Klarstellung und/oder Behebung eines Widerspruchs dient.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Änderung
Streichung eines Merkmals
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0068/88
T 0248/88
T 0118/89
T 0392/89
T 0688/90
T 0508/92
T 0487/96
T 0764/99
T 0606/08
T 2280/15

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 22. Februar 1980 eingegangene und am 15. Oktober 1980 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 100 890.5 (Veröffentlichungsnr. 0 016 953) mit der Bezeichnung "Zusatzvorrichtung zu einem Teilchenanalysator", für welche eine Priorität vom 27. März 1979 aus einer Voranmeldung in der Schweiz in Anspruch genommen ist, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 29. Juni 1982 zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde damit begründet, infolge Weglassung des im ursprünglichen und veröffentlichten einzigen Anspruch enthaltenen kennzeichnenden Merkmals f) ("Mittel (6) zur Verzögerung des Ausgangssignals auf der Zuführung (12) aus dem ersten Vergleicher (1)") gehe der Gegenstand der Anmeldung zum Zeitpunkt der Zurückweisung "über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus", und es liege somit ein Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ vor.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit dem am 8. September 1982 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde erhoben. Die Beschwerdegebühr wurde am 30. August 1982 entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 20. Oktober 1982 eingegangen. Auf Vorschlag des Berichterstatters der Kammer hat die Beschwerdeführerin am 4. Mai 1982 neue Unterlagen (Anspruch, Beschreibung, zwei Blatt Zeichnungen) für den Hauptantrag vorgelegt. Der Anspruch hat folgenden Wortlaut: Zusatzvorrichtung (B) zu einem Teilchenanalysator

(A) zur Bestimmung der Teilchenzahl innerhalb von durch verschiebbare Schwellen begrenzten Teilchengrößenintervallen, insbesondere zu einem Teilchenanalysator zur Analyse von Blutkörperchen, wobei der Teilchenanalysator mit einem Fühlelement (40) ausgestattet ist, das der Größe der Teilchen entsprechende elektrische Signale erzeugt, gekennzeichnet durch

a) einen ersten Vergleicher (1), dem die elektrischen Signale des Fühlelements (40) und eine Vergleichsspannung aus einem ersten Vergleichsspannungserzeuger (10) zur Festlegung einer unteren Zählschwelle (V1) zugeführt werden,

b) einen zweiten Vergleicher (2), dem die elektrischen Signale des Fühlelements (40) und eine Vergleichsspannung aus einem zweiten Vergleichsspannungserzeuger (20) zur Festlegung einer der unteren Zählschwelle (V1) benachbarten Zählschwelle (V2) zugeführt werden,

c) Mittel (100) zum gleichzeitigen Verändern der ersten und der zweiten Vergleichsspannung um den gleichen Betrag,

d) einen dritten Vergleichsspannungserzeuger (30) zur Festlegung der Obergrenze (V3) der zu erfassenden Teilchenklassenbreite (V1-V3),

e) einen Umschalter (5) in der Zuführung (21a, 21b) der zweiten Vergleichsspannung zum zweiten Vergleicher (2) zur Umschaltung auf eine Zuführung (31, 21a) aus dem dritten Vergleichsspannungserzeuger (30),

f) ein an den Ausgang des ersten (1) und des zweiten (2) Vergleichers angeschlossenes Antivalenzglied (7) sowie

g) einen Zähler (8) zur Ermittlung der minimalen Impulsrate der aus dem Antivalenzglied (7) kommenden Impulse. Die mit der Beschwerdeerhebung eingegangene Fassung des Anspruchs gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von der nach Hauptantrag dadurch, daß zwischen den kennzeichnenden Merkmalen e) und f) des Anspruchs nach Hauptantrag ein weiteres Merkmal "Mittel (6) zur Verzögerung des Ausgangssignals auf der Zuführung (12) aus dem ersten Vergleicher (1)" eingefügt ist.

III. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung über die Zurückweisung der europäischen Anmeldung aufzuheben und das Patent zu erteilen, offensichtlich auf der Grundlage der am 4. Mai 1983 eingegangenen Unterlagen (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage der in der Anlage II zur Beschwerdeerhebung niedergelegten Fassung für den Anspruch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ. Die Beschwerde ist daher zulässig.

2. Sieht man von präzisierenden und klarstellenden Änderungen ab so entspricht der zum Zeitpunkt der Zurückweisung der Anmeldung vorliegende Anspruch dem geltenden Anspruch nach Hauptantrag, während der ursprüngliche und veröffentlichte Anspruch im Kennzeichen noch das weitere Merkmal "Mittel (6) zur Verzögerung des Ausgangssignals auf der Zuführung (12) aus dem ersten Vergleicher (1)" enthielt. Dieses Merkmal war in der Figur 3 dargestellt, in der Beschreibung jedoch nicht näher erläutert. In der Weglassung dieses Merkmals erblickte die Prüfungsabteilung eine unzulässige Änderung der Unterlagen und damit einen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ. Dem kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen: Die Kernstücke der beanspruchten Zusatzvorrichtung sind das schmale verschiebbare Schwellenintervall (V2-V1) für die Teilchengröße und die Ermittlung der minimalen Impulsrate in diesem Intervall als Funktion der Verschiebung (kennzeichnende Merkmale a), b), c), f) und g)). Für den fachmännischen Leser der ursprünglichen Unterlagen ist ohne weiteres erkennbar, daß das Verzögerungsglied (6) für die Bildung des verschiebbaren Schwellenintervalles und für die Erfassung der Teilchenzahl in diesem Intervall bedeutungslos ist, ja sogar die Funktion der Schaltung in Frage stellt, da für eine einwandfreie Ermittlung der Teilchenzahl die von den beiden Vergleichern (1, 2) kommenden Zählimpulse gleichzeitig in das Antivalenzglied (7) einlaufen müssen. Die Weglassung des Verzögerungsgliedes liegt daher im Rahmen der Beseitigung einer Unklarheit oder der Behebung eines Widerspruchs, welche die Prüfungsrichtlinien zulassen, vgl. C-VI, 5.3. Die Kammer verkennt nicht, daß es Fälle geben kann, bei denen die Entfernung eines Merkmals zu einer unzulässigen Änderung des Anmeldungsgegenstandes führt, vgl. z. B. das in den Prüfungsrichtlinien unter C-VI, 5.8 angeführte Beispiel. Hier würde die Streichung des Merkmals der Außenschicht zu einer anderen Verbundplatte führen als ursprünglich beansprucht. Es wird daher jeweils nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu entscheiden sein, ob die Weglassung eines Merkmals nur a) der Klarstellung und/oder Behebung eines Widerspruches dient oder b) den Gegenstand unzulässig ändert. Die Prüfungsrichtlinien erlauben in Einzelfällen sogar die Aufnahme ursprünglich nicht offenbarter Merkmale, sofern sie einer offensichtlichen Klarstellung dienen und dem fachmännischen Wissen zuzuordnen sind, vgl. C-VI, 5.6. Was für die Hinzufügung von Merkmalen gilt, darf mutatis mutandis nicht minder für die Streichung von Merkmalen gelten. Unter den gegebenen Umständen wird die Streichung des Verzögerungsgliedes im Anspruch und in den sonstigen Unterlagen als zulässig, ja sogar für geboten erachtet. Der Anspruch ist daher formal nicht zu beanstanden.

3. Gegen die Neuheit und erfinderische Tätigkeit wurden von der Prüfungsabteilung keine Bedenken geltend gemacht. Sie hat auch keine Druckschriften in das Verfahren eingeführt, so daß von dem von der Beschwerdeführerin in der Anmeldungsbeschreibung zitierten Stand der Technik auszugehen ist. Die dort genannten Druckschriften (und nur diese) sind im Recherchenbericht angeführt.

3.1. Demnach sind neben Teilchenzählgeräten mit fest eingestellter Zählschwelle solche mit einer oder mehreren einstellbaren Zählschwellen, z. B. mit Hilfe einer oszilloskopischen Darstellung der Partikelverteilungskurve, bekannt. Dieser Stand der Technik ist im Gattungsteil des Anspruchs berücksichtigt. Bei dem in der US-A-3 638 227 beschriebenen Gerät zur Erfassung der Größenverteilung von Teilchen wird in einem einzigen analytischen Durchgang die Zählrate als Funktion der Schwellenspannung aufgezeichnet. Aus dieser Aufzeichnung kann auf den einzustellenden Schwellenwert für das gerade zu analysierende Teilchensystem geschlossen werden.

Die US-A-3 557 352 betrifft zwar ein Teilchenzählgerät, das über eine Schaltung zur Setzung einer Zählschwelle verfügt. Die Zählschwelle dient hier nicht zum Separieren zweier benachbarter Teilchenklassen, sondern zur Einteilung einer Klasse in zwei Teilbereiche, insbesondere zum Ermitteln des Mittelwertes der Massenverteilung. Gegenstand der FR-A-2 097 763 ist ein spezielles Rechensystem zum Auffinden einer Klasse mit geringer Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in einem aus optischen Signalen gebildeten Histogramm. Das System beruht auf dem Vergleich der Signale mit einer Serie voreingestellter Werte. Sein hauptsächliches Anwendungsgebiet ist die automatische Navigation von Raumfahrzeugen. Ein schmales verschiebbares Zählintervall mit einem zugeordneten Zähler zur Ermittlung der minimalen Impulsrate beim Verschieben des Intervalles ist bei dem letztgenannten System ebensowenig vorhanden wie bei den eigentlichen Teilchenanalysatoren nach den US-A-3 638 227 und 3 557 352. Die Zusatzvorrichtung zu einem Teilchenanalysator gemäß dem Anspruch ist demnach neu (Art. 52 EPÜ).

3.2. Gemäß Seite 6, zweiter Absatz der Beschreibung liegt dem Anmeldungsgegenstand die Aufgabe zugrunde, eine einfache Zusatzvorrichtung zu einem Teilchenanalysator zu schaffen, mit der die durch Ermessensdifferenzen bedingten Unsicherheiten bei der Zählschwelleneinstellung beseitigt werden, so daß die Analysengenauigkeit auch bei der Bedienung des Gerätes durch weniger geschultes Personal erhalten bleibt. Die bei der Schwelleneinstellung vorhandenen Probleme sind hinlänglich bekannt, vgl. z. B. US-A-3 638 227, Spalte 1, Zeilen 10-37. Um die Erzielung einer hohen Analysiergenauigkeit ist die Fachwelt ständig bemüht, so daß in der Aufgabenstellung nichts Besonderes erblickt werden kann.

Diese Aufgabe wird durch die kennzeichnenden Merkmale a), b), c), f) und g) des Anspruchs gelöst, während die Merkmale d) und e) nach Festlegung der Zählschwelle noch zusätzlich die sofortige Eingabe der Obergrenze der zu erfassenden Teilchenklassenbreite in den Analysator ermöglichen. Der Grundgedanke besteht in der Vorgabe eines schmalen Teilchengrößenintervalles, seiner Verschiebung längs der Teilchengrößenkoordinate und der Erfassung der Zählrate beim Verschieben des Intervalles, wobei der Koordinatenwert beim Auftreten der minimalen Impulsrate den Ort für die Einstellung der Zählschwelle festlegt. Für eine solche Konzeption vermag der Stand der Technik keinerlei Anregungen zu liefern. Selbst der Stand der Technik in seiner dem Anmeldungsgegenstand am nächsten kommenden Ausführungsform (Schwellenpositionierung entsprechend einer oszilloskopischen Darstellung der Partikelsignale) offenbart nur einstellbare Zählschwellen einer ganz einfachen Art. Noch viel weniger ist die spezielle im Anspruch niedergelegte Schaltung zur Realisierung dieser Grundidee aus dem übrigen Stande der Technik in einer für den Fachmann naheliegenden Weise herleitbar.

Das beanspruchte Zusatzgerät zu einem Teilchenanalysator beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).

3.3. Der Anspruch nach Hauptantrag erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 52(1) EPÜ und ist daher gewährbar.

4. Die geltende Beschreibung entspricht den Vorschriften der Regel 27 EPÜ.

5. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, zum Hilfsantrag Stellung zu nehmen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 29. Juni 1982 wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein europäisches Patent auf Grund folgender Unterlagen zu erteilen: Beschreibung, ein Anspruch und zwei Blatt Zeichnungen, sämtlich eingegangen am 4. Mai 1983.

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