T 0646/03 (Abgasreinigung/FRAUNHOFER-GESELLSCHAFT) of 31.8.2004

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2004:T064603.20040831
Datum der Entscheidung: 31 August 2004
Aktenzeichen: T 0646/03
Anmeldenummer: 94120588.2
IPC-Klasse: B01D 53/32
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Abgasreinigung
Name des Anmelders: Fraunhofer-Ges. zur Förderung der angew. Forschung e.V., et al
Name des Einsprechenden: SIEMENS AG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 59
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs - ja, Umfang, Gründe und Beweismitteln klar erkennbar
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0182/89
T 0204/91
T 0199/92
T 0522/94
T 0223/95
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 94 120 588.2 wurde das europäische Patent Nr. 0 659 465 mit 15 Ansprüchen erteilt.

Die unabhängigen Ansprüche 1 und 10 lauteten wie folgt:

Anspruch 1:

"Verfahren zum Reinigen von Abgasen, wobei man die Abgase

- einer elektrischen Gasentladung unterwirft, wobei mindestens eine der Elektroden durch eine dielelektrische Barriere vom Entladungsraum getrennt ist, und

- dem Kontakt mit katalytischem Material aussetzt, dadurch gekennzeichnet,

dass katalytisches Material auf dem Dieleketrikum aufgebracht ist oder das Dieleketrikum darstellt und/oder ein Metalloxid, eine Keramik oder ein Zeolith oder eine Mischung hiervon auf mindestens einer Elektrode aufgebracht ist."

Anspruch 10:

"Vorrichtung zur Abgasreinigung, wobei man die Abgase einer elektrischen Gasentladung unterwirft und dem Kontakt mit katalytischem Material aussetzt, umfassend einen Bereich zur elektrischen Gasentladung, in welchem mindestens eine der Elektroden durch eine dielektrische Barriere vom Entladungsraum getrennt ist, wobei katalytisches Material auf dem Dielektrikum aufgetragen ist oder das Dielektrikum darstellt und/oder ein Metalloxid, eine Keramik, ein Zeolith oder eine Mischung hiervon auf mindestens einer Elektrode aufgebracht ist."

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein. Der Einspruch wurde auf die Gründe nach Artikel 100 EPÜ, insbesondere Artikel 100 a) EPÜ gestützt. Beantragt wurde, das Streitpatent vollständig zu widerrufen, zumindest aber im Umfang der unabhängigen Ansprüche 1 und 10.

III. Die Einwände wurden u. a. auf folgende vier Entgegenhaltungen gestützt:

D1: Monographie "Plasma Chemistry IV", Topics in Current Chemistry, Guest Editors: S. Veprek and M. Venugopalan: Kinetics and Catalysis in Plasma Chemistry (Springer Verlag Berlin-Heidelberg), 1983, insbesondere Seiten 3 bis 58, Seiten 3 ff., Seiten 18 ff., Seiten 34-39.

D2: The AlChe Spring National Meeting 1991, Houston, Texas, AlChe Proceedings Vol. 629, Seiten B3-C8

D3: US-A-3 983 021

D4: Helvetica Physica Acta, Vol. 65 (1992), Seiten 129- 130.

IV. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Als Entscheidungsgründe wurden genannt:

a) Es sei unklar, unter welchen Artikeln des EPÜ (Artikel 54 oder Artikel 56) das Patent angegriffen werde (Punkt 5).

b) Die vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel seien nicht so ausreichend angegeben, daß die angeführten Einspruchsgründe und ihre Stichhaltigkeit von der Einspruchsabteilung und vom Patentinhaber ohne eigene Ermittlungen richtig verstanden werden könnten (Punkte 19 und 20).

Die Argumente, die dazu vorgebracht wurden, können wie folgt zusammengefaßt werden:

- Die Einspruchsschrift enthalte keine Stelle, die als Angriff unter Artikel 54 oder 56 identifiziert werden könne. Es fehle der Einspruchschrift an einem logischen Aufbau, der möglicherweise eine implizite Indikation der Gründe unter Artikel 100 a) darlegen könnte.

- Aus dem Einspruchsschriftsatz gehe nicht eindeutig hervor, welche Merkmale der Ansprüche durch welche Entgegenhaltungen vorweggenommen würden.

- Die Einspruchsschrift mache keine klaren Aussagen darüber, welche Kombination von Dokumenten für eine Analyse der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden müsse.

- Die einzelnen Darlegungen der zitierten Dokumente seien fehlerhaft.

- Die vor dem Ablauf der Einspruchsfrist eingereichten Kopien von D1 seien unvollständig.

- Zur D2 seien keine Beweismittel vorgelegt worden, woraus sich ergebe, daß der Inhalt dieses Dokumentes der Öffentlichkeit auch tatsächlich zugänglich gemacht wurde.

- Es könne nicht festgestellt werden, welches Merkmal D3 genau vorwegnehmen solle.

- D4 sei nur als Einwendung gegen die abhängigen Unteransprüche herangezogen worden und könne daher nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht als Einspruchsgrund nach Artikel 100 a)EPÜ gegen die unabhängigen Ansprüche herangezogen werden.

- Die übrigen Dokumente bezögen sich nicht auf einen spezifischen, unabhängigen Anspruch.

- Die Tatsachen, auf die sich der Einspruch stützt, seien nicht konkret angegeben worden. Es dürfe weder der Einspruchsabteilung noch der Patentinhaberin überlassen werden, in den zitierten Dokumenten nach den relevanten Passagen zu recherchieren.

V. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde eingelegt.

In der Beschwerdebegründung wurde den in der angefochtenen Entscheidung dargelegten Gründen zur Unzulässigkeit des Einspruchs widersprochen.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat die Argumente der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Ihre Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden:

- Es fehle eine Analyse und Zuordnung der angeblich aus dem Stand der Technik (D1, D2, D3) bekannten Merkmale zu den Merkmalen des Anspruchs 1, so daß die Einspruchsabteilung hierzu selbst Ermittlungen anstellen müßte. Hierzu wurde auf die Entscheidungen T 223/95 und T 182/89 hingewiesen.

- Der rechtliche Rahmen des Einspruchs sei unklar. Es sei nicht explizit angegeben, auf welche der Artikel 52 bis 57 der Einspruch sich stütze. Hierzu wurde auf die Entscheidungen T 522/94 und T 199/92 hingewiesen.

- Die Substantiierung des Einspruchs sei unvollständig. D1 sei nicht vollständig vorgelegt worden. D2 sei nicht publiziert worden. Es sei unklar, zu welchem Merkmal D3 herangezogen werde. D4 sei nur zu den Unteransprüchen herangezogen worden. Die Einspruchsabteilung sei nicht ermächtigt gewesen, zu untersuchen, ob D4 auch für die unabhängigen Ansprüche relevant sei. Hierzu wurde auf die Entscheidung T 204/91 verwiesen.

VII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur erneuten Prüfung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Sie trug vor, daß der Einspruch alle Voraussetzungen zur Zulässigkeit erfülle. In der Einspruchsschrift sei insbesondere durch die Würdigung der D1, ein zur Beurteilung der Patentfähigkeit geltend gemachter Stand der Technik, der der Öffentlichkeit zugänglich war, dargestellt worden und aus der D1 ein neuheitsschädlicher Sachverhalt nämlich "It has been pointed out that catalytic processes are the only realistic way of increasing the reactor yield" zitiert worden. Es sei daher sowohl dem Patentinhaber als auch der Einspruchsabteilung die Möglichkeit gegeben worden, den behaupteten Einspruchsgrund mangelnde Neuheit zu überprüfen, wobei dieser Sachvortrag auch gegebenenfalls die Behauptung fehlender erfinderischer Tätigkeit mit umfasse.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Einspruch wurde auf Grund der Regel 56 (1) in Verbindung mit Regel 55 c) EPÜ als unzulässig verworfen.

Regel 55 c) nennt drei formale Bedingungen, die eine Einspruchsschrift erfüllen muß und zwar

a) eine Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird,

b) eine Erklärung darüber, auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, und

c) die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismitteln.

3. In der Einspruchsschrift wurde beantragt, das Europäische Patent 0 659 465 vollständig zu widerrufen, zumindest aber im Umfang der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 (Seite 1). Es ist damit unbestreitbar, daß die Bedingung unter oben 2a) nämlich die Angabe des Umfangs des Einspruchs erfüllt ist.

4. Als Einspruchsgrund wurde in der Einspruchsschrift zunächst nur pauschal auf die rechtlichen Gründe nach Artikel 100 EPÜ, insbesondere Artikel 100 a) EPÜ (Seite 1) verwiesen. In der weiteren Begründung (Seiten 2-8) wurden jedoch konkreter ausgeführte rechtliche Angaben zum Mangel der Neuheit und einer erfinderischen Tätigkeit gemacht. Auf Seite 5 wurde gesagt, daß "der Gegenstand des Patentanspruches 1 in der Gesamtheit seiner Maßnahmen bzw. Merkmale jeweils von einer der beiden Entgegenhaltungen (1) oder (2) vorweggenommen oder zumindest nahegelegt" werde und insofern die Erfordernisse der Artikel 52 bis 56 EPÜ nicht erfüllt seien. Weiter wurde auf Seite 5 ausgeführt, daß gleiches hinsichtlich des Patentanspruches 10 gelte und es wurde ferner zusammengefaßt: "Da die beiden unabhängigen Patentansprüche 1 und 10 der EP 0. 659 465 B1 vollinhaltlich vom nachgewiesenen Stand der Technik vorweggenommen bzw. nahegelegt sind, ist das Patent auf der Grundlage dieser Ansprüche zu widerrufen!". Damit wurden nach Ansicht der Kammer in der Einspruchsschrift zumindest die rechtlichen Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit ausreichend klar identifiziert. Dem Argument der Beschwerdegegnerin, daß in der Beschwerdeschrift nicht klar angegeben werde, auf welche Rechtsgrundlage sich der Einspruch stütze, kann nicht gefolgt werden. Aus dem auf den 13. Dezember 2002 datierten Bescheid zur Ladung für die mündliche Verhandlung, worin Neuheit und erfinderische Tätigkeit als Einspruchsgründe genannt wurden, geht hervor, daß die Einspruchsabteilung zunächst offensichtlich kein Problem hatte, die von der Einsprechenden genannten Einspruchsgründe zu identifizieren. Der Verweis auf die Artikel 52 bis 56 EPÜ in der Einspruchsschrift schließt die Artikel 54 und 56 ein. Dies zusammen mit der Angabe, daß alle Merkmale des Anspruchs 1 jeweils von einer der beiden Entgegenhaltungen D1 oder D2 vorweggenommen oder zumindest nahegelegt werden, kann nach Auffassung der Kammer nur so interpretiert werden, daß fehlende Neuheit (Artikel 54 EPÜ) geltend gemacht wird und falls die Einspruchsabteilung die Neuheit anerkennen sollte, die erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) in Frage gestellt wird. Es handelt sich hierbei um eine in der Einspruchspraxis gängige Ausdrucksweise, die den rechtlichen Rahmen zweifelsfrei festlegt. Die Kammer verkennt nicht, daß die Einspruchsschrift wegen ihres breiten und unbestimmten Ausführungen auch noch Raum für die Annahme weiterer Einspruchsgründe ließe. Diese sind aber nicht genügend substantiiert, um in zulässiger Weise den Umfang des Einspruchs zu erweitern. Für die Erfüllung der Voraussetzungen nach Regel 55 c) EPÜ reicht es aber aus, daß mindestens ein Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ eindeutig identifiziert werden kann (siehe auch T 204/91 vom 22. Juni 1992, letzte Absatz unter Punkt 5), selbst wenn darüber hinaus in unzulässiger Weise auf weitere Einspruchsgründe verwiesen wird. Die Kammer stellt damit fest, daß die Einspruchsschrift die rechtlichen Einspruchsgründe Artikel 54 und 56 EPÜ i.V.m. Artikel 100 a) EPÜ entsprechend der Regel 55 c) EPÜ (vgl. oben Punkt 2b) in Bezug auf die unabhängigen Ansprüche 1 und 10 benennt. Die Frage, ob diese Einspruchsgründe durch die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln genügend substantiiert wurden, wird im folgenden näher untersucht.

5. Die Einspruchsschrift analysierte einleitend die Anspruchsnatur der Ansprüche 1-9 und 10-15. Erstere wurden als Ansprüche auf Arbeits- bzw. Betriebsverfahren zur Reinigung von Abgasen bewertet, wobei der Hauptanspruch 1 als zweiteiliger Anspruch ausformuliert sei und sich somit gegen einen spezifischen Stand der Technik abgrenze. Für den fachmännischen Leser ist damit klar, daß die Einspruchsschrift die Abgrenzung des Anspruchs 1 zum Stand der Technik nur durch das kennzeichnende Merkmal dieses Anspruchs gegeben sah. Anspruch 10 wurde nach der Feststellung der Einspruchsschrift als einteiliger Vorrichtungsanspruch zur Abgasreinigung gesehen.

Zum Verfahrensanspruch 1 führte die Einspruchsschrift ferner aus, daß dieser im Oberbegriff zwar als Verfahrensanspruch formuliert sei, aber daß das Kennzeichen nicht das Arbeitsverfahren weiterbilde, sondern vielmehr ein Sachmerkmal bezüglich einer spezifischen Anordnung des katalytischen Materials beinhalte (Blatt 3 unten/Blatt 4 oben der Einspruchsschrift). Der Anspruch 10 sei mit gleichem Inhalt wie Anspruch 1 als Sachanspruch formuliert. Daraus zieht die Einspruchsschrift die Folgerung, daß die tatsächlichen Angriffe gegen Anspruch 1 in gleicher Weise den Patentanspruch 10 als Sachanspruch treffen (Blatt 5, 2. Absatz der Einspruchsschrift).

Aus der Sicht der Einspruchsschrift bezogen sich daher die Ausführungen zu den anzugebenden Tatsachen und Beweismitteln somit auf die Ansprüche 1 und 10 des Patents, ohne daß hierzu nähere Unterscheidungen zu treffen waren.

6. Die Einspruchsschrift bezieht sich zur Darstellung des Stands der Technik zwar zunächst nur allgemein auf verschiedene Dokumente, konkretisiert dies aber im nachfolgenden Text wörtlich wie folgt:

a) "... Beispielsweise wird in der DE 4 017 120 A1 der Einsatz eines nichtthermischen Plasmas zur Abgasreinigung beschrieben, wobei speziell eine Koronaentladung in Kombination mit einem feinen Ölnebel zur Abgasreinigung von KFZ benutzt wird. Aus den Figuren 1, 3, 4 und 5 dieser Druckschrift ist in Kombination mit der zugehörigen Beschreibung zu entnehmen, daß das nichtthermische Plasma beispielsweise durch dielektrisch behinderte oder sogenannte "stille Entladungen" erzeugt werden kann ..." (Blatt 3, 2. Absatz der Einspruchsschrift).

b) "... In der Entgegenhaltung (1) wird nämlich bereits in der Einführung zitiert: "Since excitation in the plasma is not selective, a significant part of the electrical energy is consumed by the excitation of non-reacting low energy states...It has been pointed out that catalytic processes are the only realistic way of increasing the reactor yield". Dieses wird in einem eigenen Kapitel (Seiten 19 bis 41) näher ausgeführt, zu dem zahlreiche Literaturzitate gegeben werden. Explizit werden hier in Unterabschnitten die Phänomene " Effects Due to Materials on Electrodes" and "Effects Due to Materials in the Inter-electrode Space" behandelt! Damit ist es also bereits vom Stand der Technik vorweggenommen, katalytisches Material auf einem Dielektrikum aufzubringen bzw. auch das Dielektrikum zu realisieren ..." (Blatt 4, 2. Absatz der Einspruchsschrift).

c) "... Im wesentlichen gleiches ergibt sich aus der Entgegenhaltung (2): Hier wird allgemein über die Kombination dielektrisch behinderter Entladungen (DBE) mit katalytischen Materialien zum Stickoxidabbau berichtet und auf Seite B9, letzter Absatz der Proceedings im einzelnen ausgeführt, dass unterschiedliche Materialien, beispielsweise beschichtete Glaswolle, getestet wurden ..." (Blatt 4, 3. Absatz der Einspruchsschrift).

d) "... Schliesslich wird bereits in Entgegenhaltung (3) der Abbau der Stickoxide, z. B. in KFZ-Abgasen, durch die Kombination nichtthermischer Gasentladungen mit katalytischen Materialen beansprucht, wobei die nichttermischen Entladungen "barrier discharges" sind. Beispielsweise ergibt sich aus den Ansprüchen 1 und 9 der US 3 983 021 A, dass die Materialen für die Entladungen katalytische Materialen enthalten, die auch als Schicht auf ein dielektrisches Material aufgebracht sein können ..." (Blatt 4, 4. Absatz der Einspruchsschrift).

7. Diese tatsächlichen Ausführungen der Einspruchsschrift benannten einzelne technische Merkmale und verwiesen hierzu auf genau bezeichnete Textstellen in Dokumenten, die als Stand der Technik bezeichnet wurden. Die Einsprechende zog daraus den Schluß, daß damit bereits vom Stand der Technik vorweggenommen sei, katalytisches Material auf einem Dielektrikum aufzubringen bzw. auch das Dielektrikum zu realisieren, was sie als kennzeichnendes Merkmal des Anspruchs 1 und damit auch als ein wesentliches Merkmal des Anspruchs 10 bezeichnete.

Diese tatsächlichen Ausführungen genügen den Anforderungen der Regel 55 c) EPÜ zur Notwendigkeit der Angabe von Tatsachen im Hinblick auf behauptete Einspruchsgründe. Ob die Schlußfolgerung der Einsprechenden, daß das kennzeichnende Merkmal in Anspruch 1 durch die einzelnen Dokumente vorweggenommen (Artikel 54 EPÜ) oder zumindest nahegelegt (Artikel 56 EPÜ) wird, richtig ist, bildet keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Einspruchs. Aus der Sicht der Einsprechenden gilt dies in gleicher Weise für den Vorrichtungsanspruch 10. Damit enthält die Einspruchsschrift einen konkreten, den Einspruchsgründen unter Artikeln 54 und 56 EPÜ zuordenbaren Tatsachenvortrag mit Bezug auf den Inhalt von (angeblich) vorveröffentlichten Sachverhalt.

8. Gemäß Regel 59, Satz 1 EPÜ sind Unterlagen, die in der Einspruchsschrift genannt werden, in zwei Stücken einzureichen. Sind solche Unterlagen nicht beigefügt und werden sie nach Aufforderung durch das Europäische Patentamt nicht rechtzeitig nachgereicht, so braucht das Europäische Patent das darauf gestützte Vorbringen nicht zu berücksichtigen (Regel 59, Satz 2 EPÜ). Hieraus folgt, daß die Unvollständigkeit der mit der Einspruchsschrift eingereichten Kopien zu D1 ohne vorherige Aufforderung und Fristsetzung durch das EPA nicht zur Konsequenz haben kann, den Einspruch als unzulässig zu betrachten. Da die fehlenden Kopien nachgereicht wurden, gibt es auch keinen Grund die auf D1 gestützten Argumente nicht zu berücksichtigen.

9. Auch das Fehlen von ausreichender Darlegung und der Vorlage von Beweismitteln zur Frage, ob ein Dokument zum Stand der Technik gehört, kann nicht zur Konsequenz haben, daß der Einspruch als unzulässig, sondern lediglich im Zweifel zum Nachteil der Einsprechenden als unbegründet anzusehen ist. Dies gilt im vorliegenden Fall jedenfalls auch deshalb, weil in der Einspruchsschrift zur Begründung der (angeblich) fehlenden Neuheit und erfinderischen Tätigkeit noch auf drei andere Entgegenhaltungen verwiesen wurde, deren Inhalt unstrittig zum Stand der Technik gehört. Soweit die Einsprechende im Lauf des Einspruchsverfahrens ihre Behauptung der Vorveröffentlichung von D2 fallengelassen und durch die Behauptung ersetzt hat, der Inhalt dieses Dokuments sei während einer im Einspruchsschriftsatz näher bezeichneten Tagung im Jahre 1991 vorgetragen worden, kann dies die zunächst gegebene Zulässigkeit des Einspruchs nicht nachträglich in Wegfall bringen.

10. Im vorliegenden Fall ist es für die Frage der Zulässigkeit des Einspruchs nicht entscheidungserheblich, ob neben der D1 noch andere Dokumente als relevant benannt wurden und auf ihren Inhalt ausreichend Bezug genommen wurde. Für die Erfüllung der formalen Zulässigkeitskriterien nach Regel 55 c) ist es ausreichend, daß aus der Einspruchsschrift rechtlich mindestens ein Einspruchsgrund durch Bezugnahme auf den Inhalt wenigstens eines Beweismittel begründet wird und die Begründung unabhängig von ihrer Richtigkeit als solches nachvollziehbar ist. Die Beschwerdeführerin hat sich in ihrer Einspruchsschrift ausführlich über mehrere Seiten mit der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber D1 auseinander gesetzt und auf einschlägige Passagen aus der D1 hingewiesen. Ob ihre Ausführungen zutreffend sind ist eine Frage, die die Einspruchsabteilung gegebenenfalls nach Durchführung des in Regel 58 EPÜ festgelegten Verfahrens gemäß Artikel 102 (1) - (3) EPÜ zu entscheiden hat, die aber nicht die Zulässigkeit des Einspruchs nach Regel 55 c) EPÜ betrifft.

Die Kammer stellt daher fest, daß mit der Einspruchsschrift alle Tatbestandsvoraussetzungen nach Regel 55 c) hinsichtlich der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 und damit auch hinsichtlich der davon jeweils abhängigen Unteransprüche 2 bis 9 bzw. 11 bis 15 zu den Einspruchsgründen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit erfüllt sind und der Einspruch vom 21. Dezember 1999 zulässig ist.

Auch die im Verfahren zitierten Entscheidungen stellen die Feststellung zur Zulässigkeit des vorliegenden Einspruchs nicht in Frage.

11. T 182/89 (ABl. EPA, 1991, 391) stellt fest, daß die Einspruchsabteilung über Einspruchsgründe, die nicht in der Einspruchsschrift enthalten sind, nicht zu entscheiden hat, und daß Behauptungen, die nicht durch einen substantiierten Vortrag gemäß Regel 55 c) EPÜ in der Einspruchsschrift gestützt sind, ebensowenig zu berücksichtigen sind als wären sie unzulässig (Leitsätze II.1 und II.2 (Punkte 2 und 3.4 der Entscheidungsgründe). Wie jedoch oben ausgeführt wurden die Einwände mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit durch die Einspruchsschrift ausreichend nachvollziehbar dargelegt.

12. T 522/94 (ABl., EPA, 1998, 421) enthält in der deutschen Übersetzung die bildliche Aussage, daß man in eine Sackgasse geraten kann, wenn man bei den Verfahrenserfordernissen ein Auge zudrückt (Satz 1 in Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Diese Aussage wurde in Zusammenhang mit der Beweisführung für eine offenkundige Vorbenutzung gemacht. Es wurde festgestellt, daß für die Zulässigkeit des Einspruchs im Sinne der Regel 55 c) EPÜ, aus der Einspruchsschrift hervorgehen muß "was", "wann" und unter welche Umstände - insbesondere "wem" - zugänglich gemacht worden ist, und daß Unzulänglichkeiten in der Angabe der Vorbenutzung nach der Einspruchsfrist nicht nachgeholt werden können (Leitsätze II bis V; Punkte 3 und 20- 27. der Entscheidungsgründe). Im vorliegenden Fall ist die öffentliche Zugänglichkeit des Beweismittels D1 vor dem Prioritätstag unbestritten. Daß die betreffenden Kopien nicht vollständig vor der Einspruchsfrist vorgelegen haben, bedeutet nicht, daß die Einspruchsabteilung für die Zugänglichkeit des Beweismittels eigene Untersuchungen anstellen mußte. Wie oben ausgeführt gibt Regel 59 EPÜ eine klare Rechtsgrundlage für die Möglichkeit, solche Unterlagen (nach Aufforderung) nachzureichen. Entscheidend ist, daß die Einsprechende die in Bezug genommenen Textstellen in der Einspruchsschrift nachvollziehbar aufgeführt hat.

13. T 199/92 (11. Januar 1994) betont in Hinblick auf Regel 55 c) EPÜ, daß man dem Patentinhaber durchaus einen gewissen Interpretationsaufwand abverlangen kann soweit der Aufwand, die Angriffe gegen das Patent in der Einspruchschrift nachzuvollziehen, die Zumutbarkeitsgrenze nicht überschreitet (Punkt 1.2 der Entscheidungsgründe). Nach Auffassung der Kammer kann im vorliegenden Fall von einem unzumutbaren Aufwand in dieser Hinsicht keine Rede sein.

14. T 204/91 (22. Juni 1992) bestätigt nochmals, daß es für die Zulässigkeit nötig, aber auch ausreichend ist, daß ohne weitere Untersuchungen seitens der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung mindestens ein Einspruchsgrund und die ihn stützenden Tatsachen und Beweismittel zur Nachvollziehbarkeit des Angriffs genannt werden (Punkte 5 und 7 der Entscheidungsgründe). Wie bereits oben dargelegt ist die Kammer der Auffassung, daß im vorliegenden Fall diese Bedingung durch die Einspruchsschrift erfüllt wird.

15. In T 223/95 (4. März 1997) wird festgestellt, daß es nicht Aufgabe der Einspruchsabteilung ist, selbstständig die Kenntnisse eines Durchschnittsfachmanns zu ermitteln (Punkt 4 der Entscheidungsgründe). Diese Feststellung steht nicht in Zusammenhang mit der Zulässigkeit eines Einspruchs. Im vorliegenden Fall ist bereits ausführlich dargelegt, daß die Einspruchsabteilung für das Nachvollziehen der Argumente bezüglich Neuheit und erfinderischen Tätigkeit keine eigene Ermittlungen anstellen mußte.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der am 21. Dezember 1999 eingelegte Einspruch ist zulässig.

3. Die Angelegenheit wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückverwiesen.

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