T 0441/91 () of 18.8.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T044191.19920818
Datum der Entscheidung: 18 August 1992
Aktenzeichen: T 0441/91
Anmeldenummer: 84114915.6
IPC-Klasse: G01R 1/073
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: B
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Adapter für ein Leiterplattenprüfgerät
Name des Anmelders: Maelzer, Martin, et al
Name des Einsprechenden: 01) Siemens Aktiengesellschaft
02) atg electronik GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 87(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: Verspätete Behauptungen offenkundiger Vorbenutzung aufgrund unvollständiger Substantiierung nicht berücksichtigt
Offenbarung der erfindungswesentlichen Merkmale legt Prioritätsdatum fest
In Widerspruch zur Beschreibung stehende Abmessungsmerkmale kein Stand Stand der Technik
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Novelty - public prior use - insufficient evidence
Novelty - state of the art (no)
Inventive step (yes)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0222/85
T 0002/89
T 0093/89
T 0182/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0886/91
T 0169/93
T 0828/93

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 149 776.

II. Die Beschwerdeführerin "atg electronic GmbH" und die Firma "Siemens AG" haben gegen die Patenterteilung gemäß Artikel 100 a) EPÜ unter Angabe von insgesamt sieben Dokumenten Einspruch erhoben, von denen zuletzt im Beschwerdeverfahren nur folgende Dokumente eine Rolle spielten:

D1: DE-U-7 031 416,

D2: DE-U-8 335 245,

D5: EP-A-0 141 747,

D6: EP-A-0 026 824.

Des weiteren machte die Beschwerdeführerin in ihrem Einspruchsschriftsatz eine auf Einvernahme des Zeugen "Manfred Prokopp" gestützte offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes des erteilten unabhängigen Anspruchs 7 geltend, den die Beschwerdegegnerin im Laufe des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung fallen ließ. Unter Berücksichtigung der sieben genannten Dokumente hat die Einspruchsabteilung in einer Zwischenentscheidung im Sinne von Artikel 106 (3) EPÜ festgestellt, daß im Hinblick auf Artikel 102 (3) EPÜ die Erfordernisse dieses Übereinkommens der Aufrechterhaltung des Streitpatents in geändertem Umfang aufgrund der in der Zwischenentscheidung genannten Unterlagen - d. h. im wesentlichen im Umfang der erteilten Ansprüche 1 bis 6 und 10, wobei Anspruch 5 zusätzlich insbesondere auf einen festen Abstand der Führungsplatten voneinander beschränkt wurde - nicht entgegenstehen. Sie vertrat dabei insbesondere die Auffassung, daß ein Zwei-Platten-Adapter gemäß dem erteilten Anspruch 1 erfinderisch sei, da aus keinem der genannten Dokumente ein Hinweis zu entnehmen sei, der im Hinblick auf den erteilten Anspruch 1 eine Verschiebbarkeit der beiden Platten zueinander nahelegen würde, und daß ein Drei-Platten-Adapter gemäß dem erteilten Anspruch 5 patentfähig sei, da der Fachmann durch den nachgewiesenen Stand der Technik keine Anregung erhalte, die Bohrungen der mittleren Platte in "Führungsflucht" zu den Bohrungen der oberen und unteren Platte anzuordnen.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende "atg electronic GmbH" Beschwerde erhoben und in ihrer Beschwerdebegründung erstmals zwei offenkundige Vorbenutzungen des Gegenstands des erteilten Anspruchs 5 geltend gemacht:

Die vorgebrachte erste offenkundige Vorbenutzung wurde gestützt auf zwei eidesstattliche Versicherungen des Herrn Jürgen Prellwitz vom 13. Mai 1991 und 2. August 1991 sowie dessen Benennung als Zeugen über eine angeblich am 10. Oktober 1984 ohne Geheimhaltungsverpflichtung erfolgte Vorführung eines Modells und von Zeichnungen eines Adapters mit den Merkmalen des in geändertem Umfang aufrechterhaltenen Anspruchs 5 des Streitpatents im Rahmen einer Besprechung bei der Beschwerdeführerin durch Herrn Prokopp, den Inhaber der Firma "atg", worüber angeblich am 11. Oktober 1984 die Herren Heinisch, Feldmann und Arnold und Fräulein Otto der Firma "Mania GmbH" und am 13. Oktober die Herren Schätty und Erhard Prellwitz ohne Geheimhaltungsverpflichtung informiert wurden. Die Beschwerdegegnerin legte in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Dieter Feldmann vom 19. Februar 1992 vor, daß - unter anderem - er sowie Herr Arnold gar kein Gespräch am 11. Oktober 1984 mit Herrn Prellwitz hätten führen können, da sie beide an diesem Tag eine Dienstreise durchführten. Zur weiteren Glaubhaftmachung wurde eine Ablichtung einer Reisekostenabrechnung des Herrn Feldmann vom 11. Oktober 1984, 11.00 Uhr bis 12. Oktober 1984, 23.00 Uhr, sowie des Herrn Arnold vom 7. Oktober 1984, 12.30 Uhr, bis 12. Oktober 1984, 17.30 Uhr, vorgelegt. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Jürgen Prellwitz vom 4. August 1992 ein, daß das Gespräch mit Herrn Feldmann am 11. Oktober 1984 vor 11.10 Uhr stattgefunden habe, sowie die Kopie einer monatlichen Stundenabrechnung zur Glaubhaftmachung seiner Anwesenheit in der Firma "Mania" am 11. Oktober 1984 ab 8.10 Uhr.

Die geltend gemachte zweite offenkundige Vorbenutzung wurde belegt durch ein Schreiben des Herrn Claus Zimmermann vom 26. März 1991, ein Schreiben des Herren Karl F. Zimmermann vom 28. Mai 1991, in denen eine nicht näher spezifizierte angebliche "Benutzung" eines Adapters mit den Merkmalen des Anspruchs 5 des Streitpatents "vor dem Anmeldetag des Streitpatents" dargelegt wird, und durch eine Zeichnung 529-0550 eines Adapters der Firma "ESP Electronic Systems and Programming, Inc." ohne Datum, die angeblich am 30. August 1983 angefertigt wurde.

IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) VOBK zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien unter anderem ihre vorläufige Auffassung mit:

a) daß sie - nach einer Überprüfung der vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel gemäß Artikel 114 (1) EPÜ - möglicherweise die beiden erst im Beschwerdeverfahren geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen als verspätetes Vorbringen nach Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt lassen werde, und

b) daß der Wortlaut des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchs 5 möglicherweise weiterer Änderungen bedürfe, um Artikel 84 und 123 (1) EPÜ zu genügen.

V. Auf diese Mitteilung der Kammer hin machte die Beschwerdeführerin erstmals eine dritte offenkundige Vorbenutzung des Gegenstands des Anspruchs 5 geltend, und zwar durch Ausstellung auf dem Stand der Firma "PDI (Program Data Incorporated)" auf der "Nepcon-Ausstellung im Februar 1984". Aus dem diesbezüglich eingereichten Schreiben des Herrn Allen Aksu vom 6. April 1992 geht weiter hervor, daß der ausgestellte Adapter bei der Firma "PDI" noch vorhanden sei. Ferner wurde ein Photo eingereicht, das angeblich den Messestand mit dem ausgestellten Adapter und einer Mitarbeiterin der Firma PDI zeigen soll, die als Zeugin Mrs. Theresa Chacon benannt wurde.

VI. Die Beschwerdegegnerin reichte am 17. Juli 1992 einen vollständigen Satz neuer Unterlagen für das in geändertem Umfang aufrechtzuerhaltene Streitpatent ein, in denen nunmehr nur noch ein Drei-Platten-Adapter (auf der Basis der erteilten Ansprüche 5 bis 7) weiterverfolgt wird. Anspruch 1 lautet:

"1. Adapter für ein Leiterplattenprüfgerät mittels welchem im Raster befindliche Prüfkontakte mit außer oder in und außer Raster befindlichen Prüfpunkten einer zu prüfenden Leiterplatte (2) durch Adapterstifte (81) verbindbar sind, mit einer ersten Führungsplatte (76), einer zweiten Führungsplatte (77) und einer dritten Führungsplatte (78), die parallel zueinander und in einem festen Abstand voneinander angeordnet sind, wobei die dritte Führungsplatte sich zwischen der ersten und der zweiten Führungsplatte erstreckt und wobei die Führungsplatten Führungslöcher (80, 79, 82) aufweisen, in die die Adapterstifte einsteckbar sind, wobei die Führungslöcher (80) der ersten Führungsplatte (76) im Raster der Prüfkontakte liegen, wobei ferner die Führungslöcher (79) der zweiten Führungsplatte (77) entsprechend den Prüfpunkten der Leiterplatte (2) außer oder in und außer Raster liegen, und wobei die Führungslöcher (82) der dritten Führungsplatte (78), die im Raster befindlichen Führungslöchern (79) der zweiten Führungsplatte (77) entsprechen, ebenfalls im Raster liegen, dadurch gekennzeichnet, daß die Adapterstifte (81) im eingesetzten Zustand eine linear verlaufende Achse aufweisen, daß die Führungslöcher (82) der dritten Führungsplatte (78), die den außer Raster befindlichen Führungslöchern (79) der zweiten Führungsplatte (77) entsprechen, weniger weit als diese vom Raster abweichen, derart, daß sie in Führungsflucht zwischen den jeweils zwei entsprechenden Führungslöchern (79, 80) in der ersten und der zweiten Führungsplatte liegen derart, daß jeweils ein in einer der Führungslöcher (80) der ersten Führungsplatte (76) eingesetzter Adapterstift (81) jeweils nur in eines der Führungslöcher (82) der dritten Führungsplatte (78) eindringen kann und dieses Führungsloch (82) der dritten Führungsplatte den Adapterstift (81) ohne Berührung mit anderen Adapterstiften (81) jeweils in ein vorgebbar zugeordnetes Führungsloch (79) der zweiten Führungsplatte (77) lenkt (Fig. 3)."

Ansprüche 2 und 3 hängen von Anspruch 1 ab.

VII. Am 18. August 1992 fand eine mündliche Verhandlung statt, zu der die ordnungsgemäß geladene Einsprechende "Siemens AG", von der überdies während des Beschwerdeverfahrens keinerlei Stellungnahme einging, nicht erschien.

Anfangs wandten sich beide Parteien hinsichtlich der Zulässigkeit der behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen an die Kammer. In Folge ihres Vorbringens wurde die Entscheidung verkündet, daß diese Behauptungen nicht zulässig sind. Danach äußerten sich beide Parteien zur Frage der erfinderischen Tätigkeit in bezug auf die genannten Dokumente.

Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende "atg electronic GmbH") die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Streitpatent in geändertem Umfang nunmehr aufgrund der am 17. Juli 1992 eingereichten Unterlagen aufrechtzuerhalten, in denen in Spalte 1, Zeilen 59 bis 61 die Worte von "und" bis einschließlich "gewährleistet" zu streichen sind.

VIII. Die Beschwerdeführerin stützte ihren Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:

a) Es entspräche der Lebenserfahrung, daß ein Einsprechender nicht von vorneherein über sämtliche offenkundigen Vorbenutzungen seiner Mitbewerber informiert sei. Die dreifache offenkundige Vorbenutzung sei ein weiteres Beweisanzeichen, daß die Struktur des Drei-Platten-Adapters gemäß dem Streitpatent an die Öffentlichkeit gedrungen sein müsse. Durch Einreichung der eidesstattlichen Versicherungen des Herrn Prellwitz, der Schreiben der Herren Zimmermann mit beigefügter Zeichnung und durch Benennung der Zeugin Mrs. Theresa Chacon seien die drei offenkundigen Vorbenutzungen hinreichend glaubhaft gemacht und sollten anerkannt werden.

b) Da die Priorität eines Patentanspruchs durch das Offenbarungsdatum der Summe seiner Merkmale bestimmt werde, sei dem Gegenstand des nunmehr gültigen Anspruchs 1 nur die Priorität des europäischen Anmeldetages des Streitpatents zuzuerkennen und Dokument D2 sei als Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ zu berücksichtigen. Der in Figur 4 des Dokuments D2 dargestellte Drei-Platten-Adapter nehme in Verbindung mit der in Dokument D2, Seite 7, Zeilen 24 bis 27, genannten Alternative einer starr angeordneten mittleren Platte 35 sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorweg. Der Schräglage des in Fig. 4 dargestellten zweiten und dritten Adapterstiftes von links könne der Fachmann direkt die beanspruchte "Führungsflucht" der Führungslöcher der dritten (mittleren) Führungsplatte und ihre Funktion entnehmen, die Adapterstifte in die Führungslöcher der zweiten (unteren) Führungsplatte zu lenken. Alle weiteren Funktionsangaben seien unbeachtliche Überbestimmungen.

c) Über die Lage der Mittelpunkte der Führungslöcher der ersten (oberen) und dritten (mittleren) Führungsplatte in Fig. 4 relativ zueinander enthalte Dokument D2 keine erschöpfenden Angaben. Die Beschränkung auf eine koaxiale Lage der Mittelpunkte gemäß Anspruch 4 und Seite 2, Abs. 3, schließe den der Figur 4 entnehmbaren seitlichen Mittelpunktsversatz zwischen den Führungslöchern der ersten und dritten Führungsplatte nicht aus, da nicht alle offenbarten Varianten beansprucht werden könnten. Ein Widerspruch zwischen Beschreibung und Zeichnung liege somit in Dokument D2 nicht vor, zumal Seite 2, Abs. 3 des Dokuments D2 in der Beschränkung der Einführbarkeit der Adapterstifte die lenkende Führungsfunktion der Führungslöcher der mittleren Führungsplatte erkennen lasse. Die technische Information der Figur 4 des Dokuments D2 als Reinzeichnung für die veröffentlichten Unterlagen dieses Dokuments werde nicht von der Tatsache beeinträchtigt, daß in der ursprünglich als Handzeichnung eingereichten Figur 4 des Dokuments D2 die Führungslöcher der mittleren Führungsplatte anders dargestellt sind. Denn das Dokument D2 zweifellos entnehmbare "Taumelkreisprinzip", d. h. die Vorgabe der maximalen Adapterstiftauslenkung a durch die Größe D des Führungsloches der dritten (mittleren) Führungsplatte, sei keinesfalls auf eine konzentrische Anordnung der Führungslöcher der ersten (oberen) und dritten Führungsplatte beschränkt.

d) Die von der Beschwerdegegnerin genannte Entscheidung T 77/87, ABl. EPA 1990, 280, sei nicht relevant, da keine zusammengehörigen Beweismittel vorlägen, aus denen auf eine fehlerhafte Offenbarung eines der Dokumente geschlossen werden könne.

IX. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Argumentation der Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:

a) Die drei von der Beschwerdeführerin geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen stünden in keinem sachlichen Zusammenhang zueinander, sondern seien jeweils einzeln für sich zu beurteilen. Die Beschwerdeführerin habe keine Erklärung für das verspätete Vorbringen der auf ihrer eigenen Entwicklung beruhenden ersten offenkundigen Vorbenutzung (Prellwitz) gegeben und nicht die Vorlage eines Modells oder von Zeichnungen als Beweismittel angeboten. In den keine Beweismittel im Sinne des Artikels 117 EPÜ darstellenden Briefen der Herren Zimmermann sind weder der genaue Zeitpunkt, der genaue Umfang noch die genauen Umstände der zweiten Vorbenutzung substantiiert vorgetragen und bewiesen. Die Zeichnung 529-0550 zeige weder Führungslöcher noch Adapterstifte. Da es sowohl in den USA als auch in Japan mehrere Ausstellungen mit dem Namen "Nepcon" gegeben habe und das Ausstellungsdatum nicht präzisiert sei, seien Ort und Zeit der geltend gemachten dritten offenkundigen Vorbenutzung (Chacon) nicht ausreichend substantiiert. Auf dem beigefügten Photo seien keine technischen Einzelheiten des ausgestellten Gegenstandes erkennbar. Da die Führungsplatten üblicherweise aus undurchsichtigem Material hergestellt würden, habe ein Ausstellungsbesucher die Beschaffenheit der ausgestellten mittleren und unteren Führungsplatten gar nicht erkennen können, da diese von der obersten Platte überdeckt werden. Wenn in der Firma "PDI" ein Adapter angeblich mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents vorhanden sei, so könne hieraus nicht zwingend der Schluß gezogen werden, daß dieser Adapter acht Jahre zuvor auch ausgestellt worden sei.

b) Anspruch 1 des Streitpatents komme die Unionspriorität des Streitpatents zu, da die Unterkombination aus starren Stiften und drei Platten mit festem Abstand durch das Prioritätsdokument gedeckt sei und dieser Umstand im Hinblick auf die Entscheidung T 85/87 -3.3.1 vom 21. Juli 1988 (unveröffentlicht) Anspruch 1 insgesamt die Unionspriorität verleihe. Daher stelle Dokument D2 keinen Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ dar und sei unbeachtlich.

c) Überdies sei der aus Dokument D2 bekannte Adapter eine Vorstufe des Drei-Lagen-Adapters gemäß dem Streitpatent. Anspruch 4, Seite 2, Abs. 4 sowie die Fig. 4 der am 8. Dezember 1983 ursprünglich einge- reichten Handzeichnungen offenbaren in Dokument D2 eindeutig und ausschließlich koaxial angeordnete Führungslöcher in der ersten und dritten Führungsplatte. Der von der Beschwerdeführerin aus der nachträglich am 30. März 1984 eingereichten Reinzeichnung der Fig. 4 hergeleitete seitliche Versatz der Mittelpunkte sei ein reiner Zeichenfehler, der gemäß der Entscheidung T 77/87 nicht als Stand der Technik gelte und somit unbeachtlich sei. Die auf Seite 7 des Dokuments D2 erwähnten Beschränkungs- und Lenkungsfunktionen werden kausal ausschließlich auf die Größe der Führungslöcher (vgl. Zeile 17) zurückgeführt. Der Durchmesser D der Führungslöcher der bekannten dritten (mittleren) Führungsplatte sei größer als der Durchmesser d der Adapterstifte und beschränke die freie Auslenkbarkeit der Adapterstiftspitze in der Ebene der zweiten (unteren) Führungsplatte auf die Fläche eines "Taumelkreises" (mit dem Durchmesser a in Fig. 4, dessen Umfang den geometrischen Ort der maximalen Auslenkbarkeit darstellt. Der Mittelpunkt des Taumelkreises liege koaxial zu denen der Führungslöcher der ersten und dritten Führungsplatte. Eine dezentrale Anordnung der Mittelpunkte der Führungslöcher der dritten Führungsplatte und damit des Taumelkreises oder gar die Ausrichtung des Mittelpunkts eines Führungslochs der dritten Führungsplatte auf ein in Rasterversatz angeordnetes Führungsloch der zweiten Führungsplatte im Sinne der beanspruchten "Führungsflucht" sei damit Dokument D2 nicht zu entnehmen und werde auch nicht durch eines der anderen im Verfahren befindlichen Dokumente nahegelegt.

X. Am Schluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen werde mit der Auflage, das Streitpatent in geändertem Umfang aufgrund des nunmehrigen Antrags der Beschwerdegegnerin aufrecht zu erhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die verspätet vorgebrachten Behauptungen offenkundiger Vorbenutzungen

Bereits die Zulässigkeit eines Einspruchs hängt gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA davon ab, ob "die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel" nach Regel 55 c) EPA vom Inhalt her geeignet ist, das Vorbringen eines Einsprechenden objektiv verständlich zu machen (vgl. T 222/85, ABl. EPA 1988, 128), und dieses Vorbringen so ausreichend angegeben ist, daß es vom EPA und vom Patentinhaber ohne weitere eigene Ermittlungen verstanden werden kann (vgl. T 2/89, ABl. EPA 1991, 51).

Eine derartige vollständige Substantiierung, die die Überprüfung eines Vorbringens ohne jegliche zusätzliche Sachaufklärung ermöglicht, ist nach Auffassung der Kammer zur Vermeidung unzumutbarer Verfahrensverlängerungen erst recht zu fordern, wenn Einspruchsgründe oder Tatsachen verspätet genannt werden. In diesem Zusammenhang betont die Kammer, daß der Unterschied zwischen einem verspätet vorgebrachten vorveröffentlichten Dokument und einer verspätet vorgebrachten Behauptung einer Vorbenutzung wichtig ist. Bei einem früheren Dokument gibt es normalerweise keine strittige Auffassung zwischen den Parteien hinsichtlich der Tatsache und des Datums seiner Veröffentlichung (d. h. ob und wann es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde), so daß sofort die Beurteilung der sachlichen Relevanz und des Einflusses seiner technischen Fakten auf die Patentfähigkeit der beanspruchten Erfindung beginnen kann. Bei einer behaupteten Vorbenutzung muß jedoch normalerweise eine Folge von zwei Fragen geklärt werden: Erstens, welche Dinge tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, und zweitens die Relevanz und Wirkung dieser technischen Fakten auf die Patentierbarkeit.

Bei der ersten Frage kann der Patentinhaber - im Gegensatz zu der üblichen Situation bei einem vorveröffentlichten Dokument - das Vorbringen des Einsprechenden erst dann kennen und hinreichend verstehen, wenn die Behauptungen des Einsprechenden hinsichtlich der Umstände der Vorbenutzung (d. h. was, wann, wo und wie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde) vollständig angegeben und in ihrer Gesamtheit durch Beweismittel substantiiert sind. Nur anhand der vollständigen Substantiierung der Vorbenutzung ist der Patentinhaber in der Lage, die Entscheidung in Angriff zu nehmen, ob und wie die Behauptungen bestritten werden können, z. B. durch Vorlage von eigenem Beweismaterial, um dem Beweismaterial des Einsprechenden zu widersprechen. Nach Auffassung der Kammer folgt aus dem Vorstehenden, daß die Behauptung einer Vorbenutzung bereits in einem frühen Stadium des Einspruchsverfahrens vollständig substantiiert sein muß, wenn sie in das Verfahren eingeführt werden soll.

In Anlehnung an die Entscheidung T 182/89, ABl. EPA 1991, 391, Leitsatz 3, hält die Kammer es daher für gerechtfertigt, Artikel 114 (1) EPÜ dahingehend auszulegen, daß er keine Verpflichtung enthält, ein unvollständig substantiiertes Vorbringen eines Einsprechenden durch Ermittlungen von Amts wegen zu vervollständigen. Sie schließt sich daher der Entscheidung T 93/89 - 3.3.3 vom 15. November 1990 (wird veröffentlicht, Leitsätze abgedruckt in ABl. EPA 1991, Heft 10) an, daß eine verspätet vorgebrachte Behauptung einer offenkundigen Vorbenutzung, die nicht ausreichend substantiiert ist, als nicht relevant zu erachten ist und somit nach Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt bleiben kann.

Im vorliegenden Fall wurden die Behauptungen der offenkundigen Vorbenutzungen erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht. Wie in der oben im Absatz IV genannten Mitteilung der Kammer angegeben war, würde der Fall gemäß der ständigen Praxis der Beschwerdekammern an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen worden sein, falls die Behauptungen in das Verfahren hätten eingeführt werden müssen, um eine Prüfung dieser Behauptungen in zwei Instanzen sicherzustellen. Insbesondere unter den Umständen des vorliegenden Falles wäre es nach Auffassung der Kammer in bezug auf den Patentinhaber nicht billig und gerechtfertigt, diese Behauptungen zu einem so späten Verfahrensstadium zuzulassen, selbst wenn sie vollständig substantiiert worden wären. Es ist deshalb zu untersuchen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten drei offenkundigen Vorbenutzungen (Prellwitz, Zimmermann und Chacon; vgl. oben Pkt. III und V) so ausreichend substantiiert sind, daß sie ohne weitere eigene Ermittlungen der Kammer beurteilt werden können. Hierzu ist gemäß der ständigen Praxis des EPA zu überprüfen, ob alle konkreten Umstände angegeben sind, die eine klare und eindeutige Antwort auf die Fragen geben, was, wo, wann, wie und durch wen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

1.1. Die anhand der eidesstattlichen Versicherungen des Herrn Jürgen Prellwitz vom 13. Mai 1991, 2. August 1991 und 4. August 1992 geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung (vgl. oben Abs. III) beruht angeblich auf einer am 10. Oktober 1984 ohne Geheimhaltungsverpflichtung erfolgten Einnahme des Augenscheins von Modellen und Zeichnungen eines Adapters der Beschwerdeführerin selbst. Die Kammer erachtet es für erforderlich festzustellen, daß während des gesamten Beschwerdeverfahrens diese Herrn Prellwitz angeblich gezeigten Modelle und Zeichnungen von der Beschwerdeführerin nicht als Beweismittel angeboten wurden. Überdies hat sie keine Gründe genannt, die erklären, warum sie - in Abweichung von einer als normal zu erachtenden Vorgehensweise - ihre eigene Vorbenutzung nicht bereits während der im April 1986 endenden Einspruchsfrist, sondern erst mit ihrer Beschwerdebegründung vom 2. August 1991 geltend gemacht hat. Somit ist festzustellen, daß das "was" der offenkundigen Vorbenutzung durch eine Erklärung eines benannten Zeugen über eine ca. sieben Jahre zurückliegende Einvernahme des Augenscheins technischer Sachverhalte als einziges Beweismittel substantiiert wird.

Es ist bereits im Zusammenhang mit einer mündlichen Offenbarung festgestellt worden, daß keine Verpflichtung gemäß Artikel 114 (1) EPÜ bestehe, Sachverhalte umstrittener Tatsachen zu ermitteln, die 12 Jahre zurückliegen (vgl. T 60/89, ABl. EPA 1992, 268, Abs. 3.1.1) und daß ferner nicht mit Sicherheit angenommen werden könne, daß das mündlich Offenbarte mit dem Inhalt eines volle drei Jahre später verfaßten Artikels identisch sei (vgl. T 153/88 -3.3.3 vom 9. Januar 1991, unveröffentlicht, Abs. 7.4). Es erscheint der Kammer unwahrscheinlich, daß ein Zeuge - allein aus seiner Erinnerung heraus - mit Sicherheit Auskunft über die technischen Details eines Gegenstandes geben kann, den er vor mehr als sieben Jahren in Augenschein genommen hat. Aus diesem Grunde hält die Kammer eine mehrere Jahre zurückliegende Inaugenscheinnahme - im Rahmen einer eidesstattlichen Erklärung oder einer Zeugeneinvernahme - als alleiniges Beweismittel der technischen Merkmale eines angeblich vorbenutzten Gegenstandes schon aufgrund des langen Zeitraums für ungeeignet. Darüber hinaus sind in den eingereichten Erklärungen zur Charakterisierung des angeblich vorbenutzten Adapters im wesentlichen nur Teile des Wortlauts des angegriffenen Anspruchs verwendet worden, die nicht erkennen lassen, welche Struktur der angeblich vorbenutzte Gegenstand in seiner Gesamtheit besaß.

Aus den vorstehend genannten Gründen erachtet die Kammer den technischen Inhalt der ersten behaupteten Vorbenutzung "Prellwitz", d. h. "was" in Augenschein genommen wurde, für nicht ausreichend substantiiert.

1.2. Die Schreiben des Herrn Claus Zimmermann vom 26. März 1991 und des Herrn Karl F. Zimmermann vom 28. Mai 1991 (vgl. oben Absatz 3) geben weder das Datum (wann) noch die konkreten Umstände (wie) der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung an. Ferner ist keinerlei Beweismittel für die Lage der nicht in der Zeichnung 523-0550 enthaltenen Führungslöcher (was) präzisiert. Aus diesen Gründen erachtet die Kammer diese zweite behauptete Vorbenutzung als nicht ausreichend substantiiert.

1.3. Neben den Mängeln des fehlenden genauen Ausstellungsdatums und der ungenauen Angabe des Ausstellungsortes ist die Kammer vor allem der Auffassung, daß bei der dritten behaupteten offenkundigen Vorbenutzung "Chacon" (vgl. oben Absatz V) nicht überprüfbar ist, "wie" der Öffentlichkeit die "Führungsflucht" der Führungsbohrungen zugänglich gemacht worden sein soll. Es ist nicht dargelegt, daß der Zusammenbau des ausgestellten Gegenstandes durch die benannte Zeugin von der Öffentlichkeit beobachtet werden konnte. Auf der eingereichten Photographie sind keinerlei technische Details erkennbar, vor allem nicht die Lage der Führungslöcher. In Abwägung der realen Umstände hält es die Kammer für wahrscheinlicher, daß nicht nur die erste Führungsplatte aus einem üblichen kostengünstigeren undurchsichtigen Material hergestellt war und damit die Führungslöcher der dritten Führungsplatte abdeckte, sondern daß auch ein sachkundiger Besucher beim Betrachten des ausgestellten Gegenstandes den behaupteten Versatz der Mittelpunkte der Führungslöcher wegen seiner kleinen Größe visuell nicht erkennen konnte. Aus den vorstehenden Gründen reicht im vorliegenden Fall die vorgebrachte Tatsache der Ausstellung allein nicht aus, um ausreichend zu substantiieren, "wie" der Öffentlichkeit die erfindungswesentlichen Merkmale des Streitpatents zugänglich gemacht worden sein sollen.

Aus den vorstehend genannten Gründen erachtet die Kammer die dritte behauptete offenkundige Vorbenutzung "Chacon" für nicht ausreichend substantiiert.

1.4. Wie in Abs. 1.1 bis 1.3 oben im einzelnen angegeben ist, sind die von der Beschwerdeführerin äußerst verspätet vorgebrachten drei behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen nicht ausreichend substantiiert. Sie sind deshalb als nicht relevant anzusehen und bleiben nach Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt.

2. Der gültige Anspruch 1 entspricht dem Wortlaut des erteilten Anspruchs 5 und enthält zusätzlich Merkmale, die in der ursprünglichen Beschreibung Seite 17, Zeile 4, Seite 4, Zeilen 10 bis 35, sowie in der ursprünglichen Zeichnung der Figur 8 offenbart sind. Der nunmehrige Anspruch 2 entspricht dem ursprünglichen Anspruch 6, der nunmehrige Anspruch 3 dem ursprünglichen Anspruch 13. Die weiteren Änderungen der Beschreibung beschränken sich auf die Anpassung an den sachlichen Inhalt des nunmehr gültigen Anspruchs 1 und auf die Würdigung des Standes der Technik. Die nunmehr gültigen Unterlagen des Streitpatents sind daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin in Abs. VIII-b legt das funktionelle Merkmal "daß jeweils ein in eines der Führungslöcher der ersten Führungsplatte eingesetzter Adapterstift jeweils nur in eines der Führungslöcher der dritten Führungsplatte eindringen kann" die Größe des Durchmessers der Führungslöcher der ersten Führungsplatte als wesentlichen Parameter fest. Die weiteren Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 bringen in funktioneller Form zum Ausdruck, daß gemäß der Lehre der ursprünglichen Figur 6 innerhalb der Projektion der quadratischen Fläche, die von vier nebeneinander angeordneten Führungslöchern der ersten Führungsplatte aufgespannt wird, auf die zweite Führungsplatte jeweils höchstens ein Führungsloch angeordnet ist, um den zu erzielenden Anschluß der gegenseitigen Berührung von Adapterstiften zu gewährleisten. Von einer Überbestimmung des Merkmals "Führungsflucht", das eine Anordnung der Mittelpunkte der drei von einem Stift durchsetzten Führungslöcher auf einem Strahl betrifft, kann deshalb nicht die Rede sein. Somit genügt Anspruch 1 in seiner derzeit gültigen, geänderten Fassung Artikel 84 EPÜ.

3. Priorität des Anspruchs 1

3.1. Die von der Beschwerdegegnerin in Absatz IX-b angezogene Entscheidung T 85/87 befaßt sich nicht mit Unterkombinationen von Merkmalen einer technisch und baulich in sich zusammenhängenden Vorrichtung, sondern mit den technisch voneinander unabhängigen Alternativen eines eine allgemeine chemische Formel enthaltenden Stoffanspruchs. Sie erkennt nur denjenigen der vom Anspruchswortlaut umfaßten und alternativ beanspruchten Stoffe die Unionspriorität zu, deren Substituenten in den Prioritätsunterlagen identisch offenbart sind. Andererseits hat die Kammer in ihrer Entscheidung T 16/87, ABl. EPA 1992, 212, Abs. 5 festgestellt, daß ein nach dem Prioritätstag hinzugefügtes Merkmal nur dann nicht zum Verlust des Prioritätsrechts führt, wenn dieses Merkmal kein wesentlicher Bestandteil der Erfindung ist.

In diesen Entscheidungen und in anderen Entscheidungen der Beschwerdekammern wird jedoch anerkannt, daß die Berechtigung zur Inanspruchnahme einer Priorität davon abhängt, ob das Prioritätsdokument dieselbe Erfindung offenbart wie diejenige, die in einer Nachanmeldung beansprucht wird.

3.2. Der Wortlaut des Anspruchs 1 definiert - außer den alternativen Rasterabweichungen - keinerlei sachliche bauliche Alternativen, sondern einen einzigen technisch zusammenhängenden Gegenstand. Nach Auffassung der Kammer ist das wirksame Prioritätsdatum durch das Offenbarungsdatum seiner in ihm untrennbar verankerten erfindungswesentlichen Merkmale bedingt. Hierzu gehört im Fall des Anspruchs 1 des Streitpatents insbesondere die in seinem kennzeichnenden Teil definierte "Führungsflucht". Nach den Angaben des Prioritätsdokuments, insbesondere Seite 2, Abs. 3 und Seite 7, Zeilen 13 bis 17, bestimmt der Durchmesser der Führungslöcher der dritten (mittleren) Führungsplatte das "Auslenkmaß" der Adapterstifte und beschränkt den Bewegungsspielraum ihrer Spitzen auf "am nächsten liegende Führungslöcher" der zweiten Führungsplatte. Eine Führungsflucht und eine eindeutige Beschränkung des Bewegungsspielraums der Stiftspitzen auf nur ein Loch der zweiten Führungsplatte sind den Prioritätsunterlagen nicht entnehmbar, sondern ausschließlich in den ursprünglichen Unterlagen der europäischen Patentanmeldung offenbart. Die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 definierte "Führungsflucht" stellt ein zur Lösung der im Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 56 bis 59, genannten Aufgabe unabdingbar erforderliches Merkmal der Erfindung dar, derart, daß in Anspruch 1 des Streitpatents eine andere Erfindung definiert wird als im Prioritätsdokument DE-3 344 457.9. Dem Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher nur die Priorität des europäischen Anmeldetags des Streitpatents vom 7. Dezember 1984 zuzuerkennen. Damit ist Dokument D2, dessen technischer Inhalt übrigens mit dem des Prioritätsdokuments DE-3 344 457.9 identisch ist, als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zu berücksichtigen.

4. Neuheit

4.1. Der vorstehend in Absatz 3.2 dargelegte Sachverhalt stellt auch den Grund dar, warum sich die Lehre des Dokuments D2, das dem Prioritätsdokument sachlich vollständig entspricht, auf die im Oberbegriff des Gattungsbegriffs des Anspruchs 1 enthaltenen Merkmale und das Merkmal beschränkt, daß die Adapterstifte im eingesetzten Zustand eine linear verlaufende Achse aufweisen.

4.2. In der ursprünglichen Handzeichnung der Figur 4 des Dokuments D5 werden die Führungslöcher der dritten Führungsplatte von dem schräg verlaufenden Stift nicht mittig durchsetzt und sind - in Übereinstimmung mit der Gesamtoffenbarung des Dokuments D2 - als konzentrisch zu den Führungslöchern der ersten Führungsplatte angeordnet interpretierbar. Erst in der am 30. März 1984 eingereichten Reinzeichnung der Figur 4 erscheint ein mittiger Durchsatz, der einen lateralen Versatz der Mittelpunkte der Führungslöcher in der dritten Führungsplatte gegenüber denen der ersten Führungsplatte vortäuscht. Nach Auffassung der Kammer sind die beiden Zeichnungen der Figur 4 durchaus als zusammengehörige Beweismittel im Sinne der Entscheidung T 77/87 zu werten. Da das bei mangelnder sachlicher Übereinstimmung zu konsultierende Originaldokument sich widerspruchsfrei in die Gesamtoffenbarung des Dokuments D2 eingliedert, ist es dem Fachmann ohne weiteres gegeben, in dem lateralen Versatz der Reinzeichnung einen Zeichenfehler zu erkennen und ihn nicht als Lehre zum technischen Handeln zu bewerten. Nach Auffassung der Kammer ist es deshalb gerechtfertigt, den lokalen Versatz der Mittelpunkte der Führungslöcher der ersten und dritten Führungsplatte in der Reinzeichnung der Figur 4 als eine fehlerhafte Offenbarung anzusehen, die gemäß der ständigen Rechtspraxis des EPA nicht als Stand der Technik gilt. Eine Interpretation der Reinzeichnung der Figur 4 im Sinne der beanspruchten "Führungsflucht" erachtet die Kammer überdies als eine unzulässige ex-post-facto-Analyse, die erst in Kenntnis der Lehre des Streitpatents möglich ist.

Des weiteren stützt sich die Ableitung der "Führungsflucht" als technisches Merkmal auf Abmessungen, die einer schematischen Darstellung entnommen werden. Die Kammer hat bereits in einem anderen Zusammenhang entschieden, daß ein solches Merkmal nicht zur Offenbarung eines Dokuments gehört, wenn es im Widerspruch zur Lehre der Beschreibung steht; vgl. T 56/87, ABl. EPA 1990, 188. In der Beschreibung des Dokuments D2 wird das Auslenkmaß a der Adapterstiftspitze kausal ausschließlich auf die Größe des Führungslochs der dritten Führungsplatte zurückgeführt. Eine Realisierung dieses Auslenkmaßes a durch lateralen Mittelpunktversatz (Führungsflucht) steht hierzu in einem technischen Widerspruch.

4.3. Aus den vorstehend genannten Gründen wird der Adapter gemäß Anspruch 1 -entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gemäß Absatz VIII-b und VIII-c durch das Dokument D2 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist also neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik gemäß Dokument D2 liegt dem Streitpatent objektiv die Aufgabe zugrunde, diesen bekannten Adapter dahingehend weiter zu entwickeln, daß eine gegenseitige Berührung von Adapterstiften ausgeschlossen ist.

5.2. Diese Aufgabe wird anspruchsgemäß dadurch gelöst, daß

a) "die Führungslöcher der dritten Führungsplatte, die den außer Raster befindlichen Führungslöchern der zweiten Führungsplatte entsprechen, weniger weit als diese vom Raster abweichen, derart, daß sie in Führungsflucht zwischen den jeweils zwei entsprechenden Führungslöchern in der ersten und der zweiten Führungsplatte liegen";

b) "daß jeweils ein in eines der Führungslöcher der ersten Führungsplatte eingesetzter Adapterstift jeweils nur in eines der Führungslöcher der dritten Führungsplatte eindringen kann"; und

c) "daß dieses Führungsloch der dritten Führungsplatte den Adapterstift ohne Berührung mit anderen Adapterstiften jeweils in ein vorgebbar zugeordnetes Führungsloch der zweiten Führungsplatte lenkt.

Während das "Taumelkreisprinzip" gemäß Dokument D2 nur dessen Radius R maximal vorgibt, und die Adapterstiftspitze beliebige Polarkoordinaten r< R und einnehmen kann, legt das obige Merkmal a) in bezug auf den Mittelpunkt des Führungslochs der ersten Führungsplatte nunmehr vor allem die Polarkoordinate der Adapterstiftspitze im Taumelkreis praktisch fest und beschränkt damit die Beweglichkeit der Adapterstiftspitze auf einen Bruchteil des Taumelkreisumfangs. Merkmal b) stellt eine Dimensionierungsvorschrift für die Größe der Führungslöcher in der ersten Führungsplatte dar und Merkmal c) erfordert eine Anpassung der Größe der Rasterdichte in den drei Führungsplatten.

5.3. Die Merkmale a, b und c werden nach Auffassung der Kammer durch keines der im Verfahren genannten Dokumente nahegelegt. Dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik und insbesondere Dokument D2 fehlt vor allem jegliche Anregung, einer dritten (mittigen) Führungsplatte eine andere Funktion zu geben als das maximale Auslenkmaß der Adapterstifte festzulegen. Somit erhält der Fachmann durch den Stand der Technik keinerlei Anregung, die Fixierung der -Koordinate des Taumelkreises dazu zu benutzen, um gemeinsam mit einer Rasterdichtenanpassung gegenseitige Berührungen der Adapterstifte zu vermeiden. Eine solche Beschränkung der Beweglichkeit der Adapterstiftspitze innerhalb der aus Dokument D2 bekannten Taumelkreisfläche konzentrisch zu einem Führungsloch der ersten Führungsplatte übersteigt nach Auffassung der Kammer die von einem Fachmann zu erwartenden Fähigkeiten.

5.4. Der aus Dokument D6 bekannte Drei-Platten-Adapter benutzt anstelle des Taumelkreisprinzips die elastische Auslenkbarkeit der Adapterstifte, um die Führungslöcher in der zweiten Führungsplatte zu durchsetzen und liegt daher vom Gegenstand des Anspruchs weiter entfernt. Dokument D1 betrifft einen Zwei-Platten-Adapter und Dokument D5 stellt einen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ dar, der bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auszuschließen ist.

5.5. Aus den in Absatz 5.1 bis 5.4 dargelegten Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

6. Anspruch 1 genügt, wie oben dargelegt, auch den sonstigen Erfordernissen des Übereinkommens im Sinne von Artikel 102 (3) EPÜ. Er kann daher in der nunmehr gültigen Fassung aufrechterhalten werden. Die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 und 3 betreffen zweckmäßige Ausführungsarten des Gegenstandes des Anspruchs 1 und können somit gleichfalls aufrechterhalten werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent 0 149 776 nunmehr mit den am 17. Juli 1992 eingereichten Unterlagen in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, in denen in Spalte 1, Zeilen 59 bis 61, die Worte von "und" bis einschließlich "gewährleistet" zu streichen sind.

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