T 0127/85 (Sprengstoffzusammensetzungen) of 1.2.1988

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1988:T012785.19880201
Datum der Entscheidung: 01 Februar 1988
Aktenzeichen: T 0127/85
Anmeldenummer: 80301578.3
IPC-Klasse: C06B 47/14
C06B 23/00
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Ireco
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: Einwände gegen die Klarheit der Ansprüche und dadurch bedingte Änderungsanträge sind für das Einspruchsverfahren nur insoweit relevant, als sie die Entscheidung über die Streitfragen nach Artikel 100 EPÜ beeinflussen oder sich im Zusammenhang mit Sachverhalten stellen können, die wegen dieser Streitfragen geändert werden müssen (vgl. Nr. 2.1 der Entscheidungsgründe). Es könnte zu einem Mißbrauch des Einspruchsverfahrens führen, wenn dem Patentinhaber Änderungen (hier: Streichung eines Beispiels) gestattet würden, die nicht durch die Einspruchsgründe an sich bedingt sind, sondern lediglich zur Bereinigung und Verbesserung der Offenbarung dienen (vgl. Nr. 7.1 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 100
European Patent Convention 1973 R 89
Schlagwörter: Änderung der Ansprüche
Mißbrauch des Einspruchsverfahrens
Klarheit der Ansprüche
Auslegung eines unklaren Begriffs
Schlüssigkeit der Offenbarung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0003/14
T 0434/87
T 0024/88
T 0059/88
T 0299/89
T 0324/89
T 0435/89
T 0684/89
T 0013/90
T 0033/90
T 0100/90
T 0188/90
T 0525/90
T 0805/90
T 0892/90
T 0126/91
T 0234/91
T 0240/92
T 0617/92
T 0957/92
T 0965/92
T 0005/93
T 0015/93
T 0459/93
T 0829/93
T 0840/93
T 0057/94
T 0794/94
T 0792/95
T 0809/96
T 0223/97
T 0891/97
T 0174/98
T 1055/98
T 0005/99
T 0232/99
T 0452/99
T 0793/00
T 1066/00
T 0668/02
T 1586/05
T 0079/07
T 0538/08
T 1495/09
T 1280/10
T 2077/10
T 1931/11

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 19 458 wurde am 5. Januar 1983 mit 13 Ansprüchen auf die am 14. Mai 1980 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung vom 21. Mai 1979 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 301 578.3 erteilt. Anspruch 1 lautete wie folgt:

"Zündkapselempfindliche Sprengstoffzusammensetzung in Form einer Wasser-in-Öl-Emulsion mit einem mit Wasser nicht mischbaren flüssigen organischen Brennstoff als kontinuierlicher Phase, einer emulgierten wäßrigen anorganischen Oxidationssalzlösung als diskontinuierlicher Phase, einem Emulgator und Perlit als Dichte reduzierendem Mittel in einer Menge, die ausreicht, um die Dichte der Zusammensetzung auf einen Bereich zwischen 0,9 und 1,4 g/cm3 zu reduzieren, dadurch gekennzeichnet, daß der Perlit eine durchschnittliche Teilchengröße zwischen 100 µm und 150 µm aufweist und in einer Menge anwesend ist, die ausreicht, um die Zusammensetzung zündkapselempfindlich zu machen"

II. Am 26. September 1983 wurde ein zulässiger Einspruch gegen das europäische Patent eingelegt.

(...)

V. Die Beschwerdeführerin verwies in ihrem Vorbringen auf die Entgegenhaltung 1, die eine Verbesserung der Zündkapselempfindlichkeit der Sprengstoffzusammensetzungen durch Aufnahme von Material aus geschlossenen Zellen mit Hohlräumen wie z. B. Mikroglaskugeln offenbare, sowie auf die im Recherchenbericht genannte Druckschrift US-3-755 964 (5), in der dargelegt werde, daß expandierter Perlit die Dichte der Zusammensetzung verringern könne. Die handelsüblichen Güteklassen dieses Materials umfaßten auch den für die Perlitpartikel beanspruchten Bereich (vgl. (3), 0 bis 1,5 mm). Der Bereich der durchschnittlichen Partikelgröße sei in den Ansprüchen nicht klar definiert, da sich dieser sowohl auf das Gewicht als auch auf die Anzahl der Partikel der Materialien beziehen könne. Keinesfalls aber lasse sich damit die Verteilung der Partikelgrößen charakterisieren.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zitierte die Beschwerdeführerin, die im parallelen Fall einer nationalen Anmeldung eingeräumt habe, daß Perlit normalerweise keine geschlossenen Zellen und keine Hohlräume enthalte; sie machte geltend, daß nach der Entgegenhaltung 1 dieser Zusatz keinen empfindlichen Sprengstoff ergebe (vgl. Spalte 5, Zeilen 53 bis 60). Was die Klarheit der Ansprüche anbelange, so gehe aus der Beschreibung eindeutig hervor, daß sich die genannte durchschnittliche Partikelgröße auf das Durchschnittsgewicht beziehe. Nur bei dieser Auslegung gelange man zu den Werten in den Beispielen, wenn man von einem absehe, das versehentlich nicht mehr unter den Umfang des Anspruchs falle und deshalb gestrichen werden müsse.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2.1. Auf die angebliche Unklarheit der Ansprüche infolge der Zweideutigkeit des Begriffs "durchschnittliche Partikelgröße" im Anspruch und auf das aus dem Umfang des Anspruchs herausfallende Beispiel braucht nur insoweit eingegangen zu werden, als dies zur Klärung der bereits bestehenden Streitfrage, nämlich der der erfinderischen Tätigkeit, erforderlich ist. Die Kammer ist der Auffassung, daß diese Einwände und dadurch bedingte Änderungsanträge für das Einspruchsverfahren nur insoweit relevant sind, als sie die Entscheidung über Streitfragen nach Artikel 100 EPÜ beeinflussen oder sich im Zusammenhang mit Sachverhalten stellen können, die wegen dieser Streitfragen in der Patentschrift geändert werden müssen. Dies gilt insbesondere für Einwände nach Artikel 84 EPÜ.

2.2. Von den beiden Auslegungsmöglichkeiten des Begriffs "durchschnittliche Partikelgröße", der sich auf das Gewicht oder die Zahl der Partikel beziehen kann, dürfte die erstere allen Beispielen gerecht werden; eine Ausnahme stellt nur das Beispiel mit INSULITE dar, bei dem der so errechnete Durchschnitt knapp außerhalb der angegebenen Grenzwerte liegt. Dies wäre jedoch nicht der Fall, wenn die einzelnen Partikel unabhängig von ihrer Größe als gleichwertig angesehen und der Durchschnitt aufgrund ihrer Anzahl errechnet würde. Bei dieser Berechnungsart würde der Durchschnitt auf einen Wert sinken, der ganz erheblich unter dem im Anspruch genannten unteren Grenzwert läge und mit der Offenbarung eindeutig nicht mehr vereinbar wäre (vgl. die Entscheidung über die Zulässigkeit von Berichtigungen in einem ähnlich gelagerten Fall, in der Sache T 13/83 "Polyisocyanurat", ABl. EPA 1984, 428). Die Kammer läßt daher die Auslegung des Begriffs auf der Grundlage des Gewichts gelten. Da bei richtiger Auslegung der Offenbarung die angebliche Unklarheit beseitigt wird, braucht der Anspruch nicht geändert zu werden.

2.3. Die des weiteren geäußerte Kritik, daß die durchschnittliche Partikelgröße deren Verteilung nicht charakterisiere, der Begriff somit unzulänglich sei, fällt wiederum unter Artikel 84 EPÜ. Da die Durchschnittsgröße immer noch für den Hauptaspekt der Größenverteilung der Partikel ausschlaggebend ist und nicht behauptet worden ist, daß das Fehlen zusätzlicher sekundärer statistischer Angaben für die Klärung der eigentlichen Streitfrage von Belang ist, muß das Argument als irrelevant zurückgewiesen werden.

(...)

7.1. Was den Antrag der Beschwerdegegnerin auf Streichung des mit INSULITE überschriebenen Beispiels aus der Beschreibung angeht, so hält die Kammer dies nach der Sachlage für nicht zulässig. Zwar können sich bei einem Anspruch, der ansonsten sprachlich und semantisch völlig klar ist, unter Umständen dadurch Unsicherheiten oder Mehrdeutigkeiten, also Unklarheiten ergeben, daß ein zur Erläuterung der Erfindung gedachtes Beispiel aus deren Umfang herausfällt. Diese Frage fällt jedoch ausschließlich unter Artikel 84 EPÜ und ist für das Verfahren vor der Erteilung oder für die Prüfung der Gewährbarkeit eines geänderten Anspruchs nach Erteilung relevant. Ein diesbezüglicher Mangel ist jedoch an sich kein Grund für einen Einspruch nach Artikel 100 EPÜ vor dem EPA, einschließlich eines Einspruchs gegen das eigene Patent im Anschluß an eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer (G 01/84 "Einspruch des Patentinhabers/MOBIL OIL", ABl. EPA 1985, 299); er kann deshalb von der Kammer nicht berücksichtigt werden, es sei denn, die Unsicherheit über den Umfang des Anspruchs beeinflußt den Ausgang der eigentlichen Streitfragen. Es könnte nämlich zu einem Mißbrauch des Instituts des Einspruchsverfahrens führen, wenn dem Patentinhaber Änderungen gestattet würden, die nicht durch die Einspruchsgründe an sich bedingt sind, sondern lediglich zur Bereinigung und Verbesserung der Offenbarung dienen; dies gilt auch dann, wenn die Änderungen nicht gegen Artikel 123 EPÜ verstoßen.

7.2. Die beantragte Berichtigung der Patentschrift fällt auch nicht unter Regel 89 EPÜ, da sie keinesfalls als offensichtliche Unrichtigkeit im Erteilungsbeschluß angesehen werden kann. Das Beispiel ist nämlich ursprünglich möglicherweise deshalb in die Anmeldung aufgenommen worden, um einen breiteren Anspruch als den schließlich gewährten zu stützen. Dem Änderungsantrag kann deshalb im vorliegenden Fall nach dem Übereinkommen nicht stattgegeben werden.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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