T 0126/91 () of 12.5.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T012691.19920512
Datum der Entscheidung: 12 Mai 1992
Aktenzeichen: T 0126/91
Anmeldenummer: 82110204.3
IPC-Klasse: B60T 15/20
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Druckmittel-Bremsanlage
Name des Anmelders: Robert Bosch GmbH
Name des Einsprechenden: Wabco Westinghouse Fahrzeugbremsen GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Ausführbarkeit gemäß Art. 83 (EPÜ) (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Keine Änderung des Patents bei Mängeln gemäß Artikel 84 (EPÜ)
Invention disclosed so that it can be carried out (yes)
Inventive step (yes)
No amendments because of Art 84 EPC
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/84
T 0127/85
T 0023/86
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0003/14

Sachverhalt und Anträge

Auf die am 5. November 1982 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 12. November 1981 (DE 3 144 961) eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 82 110 204.3 wurde mit Wirkung vom 12. November 1986 das europäische Patent Nr. 0 079 543 erteilt.

Der Patentanspruch dieses Patents lautet wie folgt:

"Druckmittel-Bremsanlage für Fahrzeuge mit Aufteilung in zwei oder mehr Bremskreise und Zuordnung je einer Druckmittel-Quelle und je eines dieser nachgeschalteten, bei Bremsbetätigung mit einem Steuermittel ansteuerbaren und mit einer zur Einleitung des Steuermittels bestimmten Steuerkammer versehenen Relaisventils, wobei als Bremswertgeber ein Mehrkreis-Bremswertgeber verwendet ist und an jedem Relaisventil je nach der Anzahl der Kreise zwei oder mehr Steuerkammern für die Ansteuermittel vorgesehen sind, wobei die verschiedenen Steuerkammern der Relaisventile an jeweils beide Einzel-Steuerteile des Mehrkreis-Bremswertgebers angeschlossen und in jeweils die Bremskreise übergreifender Steuerung ansteuerbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß jedem Relaisventil (10, 11; 31, 32; 41 42) zwei gesonderte Steuerkammern (17, 18, 19, 20; 33, 34, 35, 36; 43, 44, 45, 46) zugeordnet sind, wobei die jeweiligen Steuerkammern (17, 20; 18, 19; 33, 34; 35, 36; 43, 44; 45, 46) eines Steuerkreises über eine Ansteuermittelleitung (15, 16, 29, 30, 39, 40) miteinander verbunden sind und daß der Mehrkreisbremswertgeber (14, 28, 38) die einzelnen Steuerkreise gleichzeitig mit unterschiedlichen Ansteuermitteln beaufschlagt, von denen zumindest zwei aus der Gruppe der hydraulischen, pneumatischen oder elektrischen Ansteuermittel ausgewählt sind."

II. Gegen das erteilte Patent hat die Beschwerdeführerin am 2. Mai 1987 Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent zu widerrufen, da dessen Gegenstand nicht auf einer erfinderische Tätigkeit beruhe (Artikel 100 (a) EPÜ) bzw. das Patent die Erfindung nicht so deutlich offenbare, daß ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 100 (b) EPÜ).

Zur Stützung ihres Vorbringens bezüglich mangelnder erfinderischen Tätigkeit hat sie auf folgenden Dokumente verwiesen:

D1: DE-A-1 555 082

D2: DE-A-2 907 426.

III. Mit Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 8. November 1990 (schriftlich begründet zur Post gegeben am 18. Januar 1991) hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen.

Sie vertrat die Auffassung, daß selbst wenn man unterstellt, daß es Probleme bei der Interpretation des Anspruches geben könnte, die Offenbarung der Erfindung aus der Gesamtheit der Patentschrift ausreichend klar hervorgeht, so daß die Erfordernisse des Artikels 100 (b) erfüllt werden.

Da weiterhin der in Rede stehende Stand der Technik keinerlei Anregung enthalte um, ausgehend von einer Bremsanlage nach der D1, diese mit den im kennzeichnenden Teil des Anspruchs enthaltenen Merkmalen, welche insgesamt vier weitere Schritte enthalten, weiterzubilden, habe es einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 24. Januar 1991 Beschwerde erhoben und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet.

Die Beschwerdebegründung wurde am 15. April 1991 eingereicht.

V. Zur Vorbereitung einer von den Parteien hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung hat die Kammer mit Bescheid vom 7. November 1991 ihre vorläufige Auffassung dargelegt.

Hinsichtlich des Einwands nach Artikel 100 (b) EPÜ war die Kammer der Ansicht, daß zumindest die mit bezug auf Figur 2 und 3 beschriebenen Bremsanlagen als vom Fachmann nachvollziehbare Ausführungsbeispiele des Gegenstandes nach dem einzigen Anspruch zu werten seien.

Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchgegenstandes bemerkte die Kammer, daß außer den sich im Verfahren befindlichen Dokumenten D1 und D2 auch die internationalen Bestimmungen einer zweikreisigen Ansteuerung nach den EG-Vorschriften zu berücksichtigen sein dürften. Eine besondere, einschränkende Bedeutung des im ersten kennzeichnenden Merkmal im Anspruch vorhandene Wortes "gesonderte" wie es von der Beschwerdegegnerin als "sich nicht gegenseitig beeinflussend" gedeutet wurde, dürfte von dem Wortlaut des Anspruches nicht abzuleiten sein. Zur weiteren Auslegung könnte aber die Offenbarung aus der Zeichnung von Bedeutung sein.

Die mündliche Verhandlung hat am 12. Mai 1992 stattgefunden.

VI. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, das Patent zu widerrufen und hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung in wesentlichen folgendes vorgetragen:

a) zur Ausführbarkeit

Im Anspruch seien Widersprüche bezüglich der Zahl der Steuerkammern je Relaisventil enthalten. Auch sei es dem Fachmann nicht geläufig wie bei Vorhandensein von mehr als zwei Bremskreisen die zwei Einzel-Steuerteile des Mehrkreis-Bremswertgebers mit den Relaisventilen zusammengeschaltet werden sollen.

Weiter sei im Kennzeichen des Anspruchs angegeben, daß der Mehrkreis-Bremswertgeber die einzelnen Steuerkreise gleichzeitig mit unterschiedlichen Ansteuermitteln beaufschlagt, von denen zumindest zwei aus der Gruppe der hydraulischen, pneumatischen oder elektrischen Ansteuermittel gewählt sind, was jedoch unmißverständlich bedeute, daß die Ansteuermittel der gleichen Gruppe angehören, innerhalb dieser Gruppe aber unterschiedlich sein müssen. Solche unterschiedliche Ansteuermittel seien in den erteilten Unterlagen nicht offenbart.

Es sei weiter auch nicht offenbart, wie elektrische Größen in "Steuerkammern" eingeleitet werden können.

Da die erteilten Unterlagen keine ausreichende Lehre enthielten, um den Gegenstand nach dem Anspruch zu verwirklichen, seien die Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ nicht erfüllt.

Die Einspruchsabteilung habe zwar vorgebracht, daß im Patent eine bevorzugte Ausführungsform mit zwei Bremskreisen ausreichend beschrieben sei und deshalb der Anspruch interpretierbar sei. Der Auffassung, daß daher die Ausführbarkeit des Anspruchsgegenstands gegeben sei, könne jedoch nicht gefolgt werden.

b) zur erfinderische Tätigkeit

Es sei nicht erkennbar wie mit dem kennzeichnenden Merkmalen des Anspruchs die im Spalte 1, Zeilen 16 bis 21 erwähnte Aufgabe gelöst werde, denn diese Merkmale könnten ein Klemmen des Verteilerstückes oder Kolbens, wie in dem nächtskommenden Stand der Technik nach der D1 dargestellt, nicht ausschließen. Daher könne das Patent gar nicht auf erfinderische Tätigkeit geprüft werden.

Aber auch unter der Annahme, daß sich in der Patentbeschreibung eine zu den kennzeichnenden Merkmalen des Patentanspruchs passende Aufgabe finden werde, lasse sich der Gegenstand des Anspruchs in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik herleiten.

Was die Abgrenzung des Anspruches betreffe, zeige die D1 zusätzlich zu den Merkmalen des Oberbegriffes des Anspruchs 1 auch noch das erste kennzeichnende Merkmal wonach jedem Relaisventil zwei gesonderte Steuerkammern zugeordnet sind.

Ginge der Fachmann nun entsprechend dem Oberbegriff des erteilten Anspruchs für jeden Bremskreis von einem Relaisventil mit je nach Anzahl der Kreise zwei oder mehr Steuerkammern aus, so ergäbe es sich zwangsläufig, die einem Steuerkreis zugeordneten Steuerkammern über eine Ansteuermittelleitung miteinander zu verbinden. Weiter sei es dem auf dem Gebiet der Bremsen tätigen Fachmann bekannt, daß hydraulische und pneumatische Ansteuermittel gleichwertig sind und daß sich Relaisventile mit elektrischen Ansteuermitteln steuern lassen. Auch die Einsatzmöglichkeit unterschiedlicher Ansteuermittel gehörte am Prioritätstag zum einschlägigen Fachwissen, wie die D2 zeige.

Der Auffassung der Einspruchsabteilung, die Überschußmerkmale seien, jedes für sich betrachtet, nicht erfinderisch, ihre Kombination habe jedoch nicht nahegelegen, könne nicht beigetreten werden, denn eine Kombination von für sich naheliegenden Merkmalen sei nur dann erfinderisch, wenn sie eine überraschende Wirkung oder eine über die Summe der Einzelwirkungen der Merkmale hinausgehende Wirkung hervorrufe. Beides sei hier nicht der Fall.

c) weitere Mängel

Der Anspruch sei nicht vollständig. Die Auslegung des Merkmals "gesonderte Steuerkammern" als "sich nicht gegenseitig beeinflussend" ginge nicht aus diesem Merkmal selbst hervor. Außerdem sei noch auf mangelnde Klarheit des Patentanspruchs in bezug auf die Anzahl der vorhandenen Kreise hingewiesen.

Die Ausführungsformen nach den Figuren 1 und 3 seien nicht vom erteilten Patentanspruch gedeckt und sollten somit zusammen mit der zugehörigen Beschreibung gestrichen werden.

Weiter sei das Wort "Bremswertgeber" nicht in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart.

VII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen und vertrat folgende Auffassung:

a) zur Ausführbarkeit

Der beanspruchte Mehrkreis-Bremswertgeber sei in erster Linie als Zweikreis-Bremswertgeber wie er in der Beschreibung in bezug auf die Ausführungsformen der Figuren 1 bis 3 offenbart sei, zu verstehen.

Jedoch könne der Fachmann bei Ausbildung des Bremswertgebers als Drei-oder Vierkreis-Bremswertgeber die Relaisventile ohne weiteres nachrüsten. Siehe in dieser Hinsicht Spalte 2, Zeile 58 bis Spalte 3, Zeile 1 der Beschreibung.

Ein Bremsenfachmann wisse auch, daß elektrische Signale durchaus in Steuerkammern einleitbar und mit Hilfe von Magnetventilen druckwirksam zu machen seien. Ferner sei es ihm geläufig wie ein Bremswertgeber ausgebildet sein muß, so daß er neben einem Druckmittelsignal auch ein elektrisches Signal ausgeben könne.

Alle eventuelle Unklarheiten seien demnach ohne Schwierigkeiten mit Hilfe der Beschreibung zu beheben was nach Artikel 69 EPÜ erlaubt sei.

b) zur erfinderischen Tätigkeit

Die vorliegende Erfindung gehe von einem Stand der Technik aus, wie er durch die D1 bekannt sei.

In einem ersten Schritt werde das Gehäuse des Ansteuerteils verdoppelt, so daß jedem Steuerteil ein eigenes Ventil zugeordnet sei.

In einem zweiten Schritt werde eine Parallelanordnung der Ansteuermittel vorgesehen, so daß keine unerwünschte Beeinflussung der Steuerkammern untereinander auftreten kann.

In einem dritten Schritt würden die Steuerkammern eines Steuerkreises von zwei Relaisventilen über Leitungen zur Ausdehnung der ausfallsicheren Mehrkreisigkeit miteinander verbunden.

In einem letzten, vierten Schritt würden die einzelne Steuerkreise mit unterschiedlichen Ansteuermitteln beaufschlagt.

Daraus sei erkennbar, daß mehrere Schritte notwendig seien, um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen und daß diese Schritte in keinem der entgegengehaltenen Dokumente angesprochen und somit auch nicht naheliegend seien.

Mit diesen Maßnahmen solle die Aufgabe gelöst werden, eine Druckmittelbremsanlage zu schaffen, die sich durch große Ausfallsicherheit auszeichne, wobei auch bei Ausfall einer Relais-Betätigung die andere noch unbehindert voll wirksam sei.

Die gestellte Aufgabe werde in allen Punkten gelöst.

c) zu angeblich weiteren Mängeln

Was die Vollständigkeit des Anspruchs betrifft, gehe aus dem Begriff "gesonderte" klar hervor, daß es hier um zwei einzelne, getrennte Steuerkammern handle.

Aus der Beschreibung und den Zeichnungen gehe hervor, daß wenigstens zwei von den Steuermitteln aus der Gruppe der hydraulischen, pneumatischen oder elektrischen Ansteuermittel stammen, daß es also zumindest um eine Zweikreis-Bremse mit zwei unterschiedlichen Ansteuermitteln gehe.

Was das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 anbelange, so werde davon ausgegangen, daß Druckluft im Hochdruckniveau ein anderes Druckmittel sei als Druckluft in Mitteldruckniveau oder im Niederdruckniveau oder gar im Unterdruckniveau. Die weitere Ausführungsform nach Figur 3 sei voll von der Beschreibung gestützt.

Der Beschreibungszwang nach Artikel 78 EPÜ sei somit erfüllt.

Die Bezeichnung des Mehrkreis-Bremsventils als Mehrkreis- Bremswertgeber sei nichts anderes als eine Klarstellung der Funktion dieses Ventils da es, wie ursprünglich offenbart, im Steuerkreis der Bremsanlage angeordnet sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 und 108 und den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 83 und 100 b) EPÜ)

2.1. Im vorliegenden Fall enthält der Patentanspruch Widersprüche in bezug auf die Anzahl der Bremskreise, insbesondere was die Anzahl der Bremskreise im Steuerteil der Druckmittel-Bremsanlage betrifft, denn obwohl es nach dem Anspruchwortlaut zwei oder mehr Bremskreise geben kann mit zwei oder mehr Steuerkammern für die Ansteuermittel, sind nach dem weiteren Wortlaut des Anspruches die verschiedenen Steuerkammern der Relaisventile an jeweils beide Einzel-Steuerteile des Bremswertgebers angeschlossen und enthält jedes Relaisventil zwei gesonderte Steuerkammern.

Für die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ geht es jedoch nicht nur um den im Anspruch formulierten Gegenstand selbst, sondern um die Frage, ob das Patent insgesamt gesehen die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß sie ausgeführt werden kann. Für die Beurteilung der Ausführbarkeit einer Erfindung ist der Gesamtinhalt der Patentanmeldung, also auch der Teil mit der Beschreibung und den Zeichnungen heranzuziehen.

Aus dem Gesamtinhalt der Patentschrift, insbesondere aus der Beschreibung der Ausführungsbeispiele ist zu entnehmen, daß der Steuerkreis und der Arbeitskreis der Druckmittel-Bremsanlage zweikreisig ausgeführt sind. Weiter ist in Spalte 2, letzter Absatz darauf hingewiesen, daß es auch im Rahmen der Erfindung liege, die gesamte Relaisventil-Ansteuerung drei-oder vierkreisig durchzuführen und zwar mit der erfindungsgemäßen jeweils "übergreifenden" Steuerung. Im Hinblick auf diese klaren Aussagen hat der Fachmann, nach Auffassung der Kammer, keine Schwierigkeiten den Anspruchinhalt derart zu deuten, daß im Prinzip eine zweikreisige Ansteuerung und ein zweikreisiger Arbeitsteil im Anspruch beschrieben wird, daß aber auch mehr als zwei Kreise vorgesehen sein können, und daß dann natürlich alle Einzelteile der Druckmittel- Bremsanlage an die gewählte Zahl der Kreise angepaßt werden muß. Nach Auffassung der Kammer hat der Fachmann keine Schwierigkeiten bei der Verwirklichung einer solchen mit mehr als zwei Kreisen arbeitenden Ausführungsform, denn sie beinhaltet nicht mehr als eine einfache Vervielfachung des bei zweikreisigen Bremsanlagen offenbarten Prinzips.

2.2. In bezug auf das letzte Merkmal des Anspruchs, nach dem die einzelnen Steuerkreise gleichzeitig mit unterschiedlichen Ansteuermitteln beaufschlagt werden und von denen zumindest zwei aus der Gruppe der hydraulischen, pneumatischen oder elektrischen Ansteuermitteln ausgewählt sind, ist die Kammer der Auffassung, daß diese Formulierung unmißverständlich definiert, daß zumindest zwei der genannten Ansteuermittel aus der oben genannten Gruppe ausgewählt werden und daher der Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden kann.

2.3. Die Beschwerdeführerin hat weiter beanstandet, daß nicht offenbart sei wie elektrische Steuermittel in die "Steuerkammern" eingeleitet werden können.

Dieses Argument ist für die Frage, ob die Erfordernisse des Artikel 100 b) EPÜ erfüllt sind, ohne Bedeutung, da zumindest eine Lösung, nämlich eine hydraulische und pneumatische Ansteuerung offenbart ist. Im übrigen kann der Fachmann, nach Auffassung der Kammer, sehr wohl erkennen, daß es im wesentlichen um die Ansteuerung der Relaisventile geht und daß diese bei elektrischer Ansteuerung selbstverständlich so ausgeführt werden müssen, daß die beabsichtigten Wirkungen erreicht werden; er hat hierzu u. a. wohlbekannte Magnetventile zur Verfügung.

3. Offenbarung der Anspruchsmerkmale in den ursprünglichen Unterlagen (Art. 100 c) EPÜ)

3.1. Wie oben bei Punkt 2.1 schon erwähnt, muß der Anspruch mit Hilfe der Beschreibung und Zeichnungen so interpretiert werden, daß im Prinzip eine Druckmittel-Bremsanlage mit zwei Steuerkreisen beansprucht wird, jedoch Ausführungen mit mehr als zwei Steuerkreisen mitumfaßt sind.

3.2. Wie von der Beschwerdeführerin angeführt sind im Anspruch Begriffe enthalten, die in den ursprünglichen Unterlagen nicht vorhanden waren. Aus folgenden Gründen werden hierbei dennoch die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt.

3.2.1. In den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen wurde der Mehrkreis-Bremswertgeber nach dem Anspruch des Streitpatents als Mehrkreis-Bremsventil bezeichnet.

Die Kammer ist der Auffassung, daß im vorliegenden Fall, in dem eine indirekte Ansteuerung über Relaisventile stattfindet, der Begriff Mehrkreis-Bremswertgeber zutreffender ist als Mehrkreis-Bremsventil zumal in den letzten beiden Absätzen der ursprünglichen Beschreibung auch auf eine elektrische Ansteuerung Bezug genommen ist. Daher betrifft diese Änderung nur eine Klarstellung, die im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung liegt.

3.2.2. Nach dem Kennzeichen des Anspruchs sind jedem Relaisventil zwei gesonderte Steuerkammern zugeordnet. In den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ist der Begriff "gesonderte" zwar nicht aufgeführt, er wird jedoch, nach Auffassung der Kammer, von zumindest den in den Figuren 2 und 3 gezeigten Ausführungsformen gedeckt, denn bei unterschiedlichen Ansteuermitteln müssen die Steuerkammern zwangsläufig getrennt ausgeführt werden. Im übrigen kann das Merkmal "gesonderte Steuerkammern" gemäß den Ausführungsbeispielen des Patents auch dahingehend ausgelegt werden, daß jedes der zwei oder mehr Relaisventile eine eigene Steuerkammergruppe aufweist, ganz im Gegensatz zu einer bekannten Lösung (vgl. den folgenden Punkt 4.1), bei der alle Relaisventile nur ein einziges gemeinsames Steuerkammerpaar aufweisen.

Nach Ansicht der Kammer kann der Begriff "gesonderte" unter Zuhilfenahme der Darstellung der Relaisventile in den Zeichnungen jedoch nicht im Sinne von "sich nicht gegenseitig beeinflussend" ausgelegt werden, zumal in der mündlichen Verhandlung die Beschwerdegegnerin selbst anerkannt hat, daß die schematische Darstellung der Steuerkammern der Relaisventile im Streitpatent auch eine Steuerkammerkonstruktion wie beim Relaisventil nach der D1 nicht ausschließt. Bei der Lösung nach der D1 ist nämlich eine gewisse Beeinflussung der Steuerkolben untereinander aufgrund ihrer gleichachsigen Anordnung und ihres stirnseitigen Kontaktes nicht ausgeschlossen.

3.3. Im Hinblick auf die Schlußfolgerung unter Punkt 2.2 fällt die Ausführungsform nach der Figur 1 nicht unter den Wortlaut des Anspruchs. Die Kammer ist in Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung der Meinung, daß Luft mit unterschiedlichen Drücken ein und dasselbe Ansteuermittel verkörpert. Im übrigen ist die Verwendung von Luft mit unterschiedlichen Drücken oder mit Unterdruck in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auch nicht offenbart.

4. Stand der Technik

4.1. Die Druckschrift D1 offenbart eine hydraulische Bremssteuervorrichtung mit einem pneumatischen Mehrkreis- Bremsventil. Die in den Figuren 1 und 2 gezeigte Relaisventilanordnung a, b, c enthält steuerseitig zwei gleichachsig angeordnete Kolben, von denen jeder für sich von je einer Ansteuerleitung eines zweikreisigen Bremswertgebers (Mehrkreis-Bremsventil) angesteuert wird. Die Anordnung der Kolben ist derart, daß bei Ausfall einer der beiden Steuerkreise der jeweils andere voll funktionstüchtig bleibt; die Kolben arbeiten nämlich in Parallelschaltung. Mittels dieser Kolben werden über eine Platte 8 gemeinsam die drei Relaisventile a, b, c gesteuert. Alle Relaisventile sind somit ein und demselben Steuerkammerpaar zugeordnet.

Dieser Stand der Technik nach D1 entspricht einer Druckmittel-Bremsanlage nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 des Streitpatents.

4.2. Die D2 offenbart eine Zweikreis-Druckmittelbremsanlage mit lastabhängigen Regelungen für Kraftfahrzeuge.

Entsprechend der Ausführungsform nach Figur 1 zeigt dieser Stand der Technik in wesentlichen ein hydraulisch einkreisig angesteuertes Relaisventil, das über einem zusätzlichen, pneumatisch wirkenden, Steueranschluß von einem lastabhängig geregelten pneumatischen Bremsdruck einer ersten Fahrzeugachse beaufschlagt wird.

In bezug auf den Gegenstand des Anspruchs des Streitpatents wird offenbart, daß ein Relaisventil mit unterschiedlichen Ansteuermitteln beaufschlagt werden kann, es fehlt jedoch insbesondere eine zweikreisige Ansteuerung über einem Mehrkreis-Bremswertgeber.

4.3. Die Druckschriften D1 und D2 sind die einzigen im Verfahren befindlichen Dokumente des Standes der Technik. Da die Parteien sich auf keine weiteren Dokumente gestützt haben und der im Recherchenbericht genannte Stand der Technik offensichtlich nicht über das aus der D1 oder D2 Bekannte hinausgeht, sieht die Kammer keinen Grund, einen weiteren Stand der Technik zu erörtern.

5. Neuheit

5.1. Im Hinblick auf den oben besprochenen Stand der Technik kommt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß keines der relevanten Dokumente eine Druckmittel-Bremsanlage mit allen im Anspruch des Streitpatents aufgeführten Merkmalen offenbart und daß daher die Neuheit im Sinne von Artikel 54 EPÜ gegeben ist.

Da die Neuheit auch nicht bestritten wurde, erübrigen sich weitere Erörterungen dazu.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1. Die bekannte Vorrichtung nach der zur Bildung des Oberbegriffes des Anspruchs herangezogenen D1 weist Nachteile in bezug auf ein mechanisches Verteilerstück (Platte 8) auf, das als Druckübertrager arbeitet. Eine solche Konstruktion ist nicht ausfallsicher, weil beim Klemmen des Verteilerstückes oder des das Verteilerstück unmittelbar betätigenden Kolbens beide Bremskreise ausfallen.

6.2. Die zu lösende Aufgabe des Patents kann daher, im Einklang mit der im Patent genannten Problemstellung in Spalte 1, Zeilen 16 bis 21, in einer Verbesserung der aus der D1 bekannten Bremsanlage gesehen werden, wobei eine größere Ausfallsicherheit erreicht werden soll. Dabei soll bei Ausfall einer Relaisventil-Betätigung die andere noch unbehindert voll wirksam sein.

6.3. Diese Aufgabe wird von der Druckmittel-Bremsanlage nach dem Anspruch des Streitpatents in wesentlichen dadurch gelöst, daß

1) jedem Relaisventil zwei eigene (= gesonderte) Steuerkammern zugeordnet sind,

2) die jeweiligen Steuerkammern eines Steuerkreises über Leitungen miteinander verbunden werden und,

3) gleichzeitig unterschiedliche Ansteuermittel verwendet werden.

6.4. Die Kammer stellt fest, daß die Anordnung von zumindest zwei eigenen Steuerkammern für jedes einzelne Relaisventil aus keinem der ermittelten Dokumente zu entnehmen ist.

Die Beschwerdeführerin hat behauptet, daß, wenn Relaisventile unabhängig voneinander funktionieren sollen, es dem Fachmann naheliege, sie auch unabhängig anzusteuern. Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen, denn der Fachmann müßte erst auf den Gedanken kommen mehrere unabhängige Relaisventile für einen Arbeitsbremskreis zu verwenden, wozu er ausgehend von der aus der D1 bekannten Anordnung durch nichts angeregt wird.

Auch das Merkmal 2) liegt nicht nahe, da es, nach Auffassung der Kammer, eine Folge der Verwendung von mehreren Relaisventilen für einen Arbeitskreis mit einer eigenen Ansteuerung ist und daher diesen ersten Schritt voraussetzt.

Ebenfalls ist dem ermittelten Stand der Technik keine Anregung zu einer Verwendung von unterschiedlichen Ansteuermitteln in zwei oder mehreren Ansteuerkreisen zu entnehmen.

In der Anordnung nach der Figur 1 der Druckschrift D2 geht es um eine Zweifachansteuerung und eine Mitregelung des Bremsdruckes im Vorderachsbremskreis mittels eines vom lastabhängigen Bremsdruck der Hinterachse abgeleiteten Signals. Anstelle der gemäß Figur 1 benutzten unterschiedlichen Ansteuermittel für das Relaisventil des Vorderachsbremskreises erfolgt die Zweifachansteuerung des Vorderachs-Bremsdruckes bei der Anordnung nach der Figur 2 über gleiche Ansteuermittel. Nach Auffassung der Kammer ist diese bekannte Zweifachansteuerung nicht mit dem vorliegenden Fall einer Zweikreisbremsanlage vergleichbar, bei der aus Sicherheitsgründen unterschiedliche Ansteuermittel verwendet werden. Die D2 kann daher den Fachmann auch nicht dazu anregen zur Erhöhung der Sicherheit unterschiedliche Ansteuermittel in den Ansteuerkreisen zu verwenden.

6.5. Zusammenfassend kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß die Gegenstände der Druckschriften D1 und D2 weder für sich noch in Kombination noch in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen dem Anspruchsgegenstand des Streitpatents patenthindernd entgegenstehen (Artikel 56 EPÜ), so daß das Patent auf der Basis des erteilten Patentanspruchs Bestand hat.

7. Die vorstehend unter den Punkten 2. und 3. festgestellten Mängel des Patents bezüglich der Klarheit (Art. 84 EPÜ) sowie der Tatsache, daß die Ausführungsform nach der Figur 1 nicht unter den Wortlaut des Patentanspruches fällt bilden keinen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. T 127/85, ABl. EPA 1989, 271 und T 23/86, ABl. EPA 1987, 316 und G 01/84, ABl. EPA 1985, 303, Pkt. 9) ist die Kammer der Ansicht, daß solche Mängel keinen Anlaß für eine Änderung des Patents gemäß Artikel 102 (3) EPÜ bilden. Der einzige Patentanspruch ist folglich so hinzunehmen, wie er unter Heranziehung der Beschreibung und der Zeichnungen zu verstehen ist.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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