T 0892/90 () of 12.1.1993

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1993:T089290.19930112
Datum der Entscheidung: 12 Januar 1993
Aktenzeichen: T 0892/90
Anmeldenummer: 86901067.8
IPC-Klasse: E03F 5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flüssigkeitsspeicherraum mit Spüleinrichtung
Name des Anmelders: Dipl.-Ing.
Name des Einsprechenden: GfW - Gesellschaft für Wassertechnik mbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 100(a)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Gegenstand des Patents nach Artikel 100 a) EPÜ ist der von Beschreibung und Zeichnung gestützte Anspruchsgegenstand
Interpretation des Anspruchs durch den Einsprechenden
Inventive step (yes)
Opposition grounds - excluded matters
Claims - interpretation
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0127/85
T 0422/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0003/14

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen das am 21. September 1988 erteilte, vierzehn Patentansprüche umfassende Patent Nr. 211 058 ist am 19. Juni 1989 ein Einspruch eingereicht worden, mit dem Antrag, das Patent mangels erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang zu widerrufen. Der Einspruch stützte sich insbesondere auf folgende Dokumente:

D1: CH-A-590 980;

D2: Zeitschrift "Wasser und Boden" 11 - 1979, Seiten 320 - 324;

D2a: zehn Fotografien des zur Kläranlage Bettendorf der Stadt Aalsdorf bei Aachen gehörenden Regenrückhaltebeckens (Baujahr 1976), zur Geltendmachung offenkundiger Vorbenutzung;

D3: DE-C-2 523 942;

D4: DE-C-3 007 035.

Anspruch 1 des erteilten Patents lautet:

"1. Flüssigkeitsspeicherraum (1), insbesondere Regenbecken- oder Kanalstauraum, mit mindestens einer im Bereich eines Sohlhochpunktes des Speicherraumes angeordneten, mit Speicherflüssigkeit füllbaren Spülkammer (1b), die bei leergelaufenem Speicherraum über mindestens eine Spülöffnung (10) die Speicherflüssigkeit als Spülschwall auslaufen läßt, dadurch gekennzeichnet, daß die Spülkammer (1b) sich mit steigendem Speicherflüssigkeitsniveau von selbst mit Speicherflüssigkeit füllt, Mittel (12) vorgesehen sind, die die zugelaufene Speicherflüssigkeit in der Spülkammer (1b) zurückhalten und die Spülöffnung (10) durch einen vom Speicherflüssigkeitsniveau des Speicherraumes (1) gesteuerten Verschluß (13) verschlossen und freigegeben wird."

II. Der Einspruch wurde durch Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 14. September 1990 zurückgewiesen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann aus dem vorgelegten Stand der Technik nicht in naheliegender Weise hervorgehe.

III. Der Beschwerdeführer (Einsprechender) legte am 16. November 1990 gegen diesen Entscheid eine Beschwerde ein, zahlte zugleich die Beschwerdegebühr und reichte die Beschwerdebegründung am 17. Januar 1991 ein. Mit Schriftstücken, datiert vom 30. Januar 1991 und 17. September 1991, legte der Beschwerdeführer noch die folgenden Schriftstücke vor:

D5: Rudolf Lauterich: "Der Abwasserkanal", Handbuch für Planung, Ausführung und Betrieb, 4. Auflage, 1980, Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin: Titelblatt, Seiten 209 und 210.

D5a: Passavant-Werke Michelbacher Hütte, 6209 Aarbergen 7, Katalogblätter PAN 5210: "Heberbeschickung Modell 80 - 300" und Seite 49.

D6: "Lehr- und Handbuch der Abwassertechnik", dritte, überarbeitete Auflage, Band II, 1982, Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin-München, Seiten 380 und 381.

D7: VAG-Armaturen GmbH, Prospekt "VAG-JKO- Schnellschlußschieber PN 10/6", 4 Seiten.

D8: DE-A-2 506 126.

IV. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wies die Kammer darauf hin, daß sie die Dokumente D7 und D8 nicht als relevanter als die übrigen Dokumente erachte und sie deshalb nach Artikel 114 (2) EPÜ nicht weiter in Betracht ziehen werde.

V. Die folgenden weiteren Schriftstücke sind seitens des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 18. Dezember 1992, eingereicht worden:

D9: "LUEGERS Lexikon der gesamten Technik", 3. Auflage, 1929, S. 309, 310;

D10: "DER STÄDTISCHE TIEFBAU" III. Teil, Stadtentwässerung, 5. Auflage, 1926, S. 79 bis 83;

D2b: Schreiben des Stadtdirektors der Stadt Alsdorf vom 15. Oktober 1992;

D2c: "Regenüberlaufbecken Alsdorf-Schaufenberg", verkleinerte Plankopie, datiert vom 30. November 1972.

VI. Mit Schreiben, datiert vom 16. Dezember 1992, reichte der Beschwerdegegner für Anspruch 1 zwei geänderte Fassungen ein, auf die zwei Hilfsanträge gestützt werden.

VII. Am 12. Januar 1993 wurde mündlich verhandelt.

VIII. Die wesentlichen Argumente des Beschwerdeführers hinsichtlich des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Der nächste Stand der Technik werde durch die Entgegenhaltung D2 dargestellt, die am meisten mit Anspruch 1 übereinstimmende Merkmale aufweise, und nicht durch D1.

2. Der Stand des allgemeinen Fachwissens sei durch die Entwicklung gemäß den Dokumenten D9, D10, D6, D5 und D5a gegeben. Danach seien die Gedanken der selbsttätigen Öffnung, des kräftigen Spülstroms, der Plötzlichkeit des Öffnens, der Schwallspülung (Kopfwelle in D6) allgemein bei Kanälen bekannt gewesen.

3. Der Artikel D2 sei eine kritische Auseinandersetzung des Fachmanns mit dem Stand der Technik und stelle alle wesentlichen Möglichkeiten der Reinigung von Regenbecken differenziert zusammen, insbesondere unter "3.5 Spülung durch Spülkammern" und "3.6 Spülung mit Spülkippen". Der Hinweis auf "gut gängige Schnellschieber" (3.5) sei, übereinstimmend mit D5 und D6, als Synonym zur Plötzlichkeit des Öffnens nach der Patentschrift zu verstehen. Mit den weiteren Ausführungen über den Schleppspannungsnachweis sei klar, daß hier ein Verschluß und ein Spülschwall im Sinne des Anspruchs 1 zur Wirkung komme.

4. Die mit den Schriftstücken D2a, D2b und D2c geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung zeige eine D2 entsprechende Spülkammer, wobei allerdings Handschieber zum Einsatz kämen. Dem Fachmann hätte es jedoch keine Schwierigkeiten bereitet, schneller bewegliche Türen etc. anstelle der Handschieber anzuordnen. Die Bemerkung seitens des Beschwerdegegners, daß der Reinigungseffekt dieser Anlage zweifelhaft sei, werde insofern bestätigt, als die Anlage zu lang konstruiert war.

5. Im Hinblick auf die Dokumente D3 und D4 ergebe sich: "Wenn der Durchschnittsfachmann weiß, daß er die für die Verstellung eines Drosselorgans erforderlichen Verstellkräfte aus der Veränderung des Flüssigkeitsspiegels durch einen dem Flüssigkeitsspiegel folgenden Schwimmer und ein entsprechendes Gestänge beziehen kann, (D3), dann ist es für ihn ohne jede Bedeutung, ob diese Verstellkräfte etwa nur auf ein Drosselorgan wirken, das eine Öffnung mehr oder weniger abdeckt oder ein Verschlußorgan, das eine Öffnung entweder vollständig verschließt oder vollständig freigibt."

6. Der Anspruch 1 sei unzulänglich, er sei aufgabenhaft formuliert und definiere keine ausreichende Lehre. Der Verschluß selbst sei sowenig definiert wie dessen Steuerung und Betätigung.

7. Die Konstruktion nach der Entgegenhaltung D2, zusammen mit D2a, D2b und D2c weise alle Merkmale des Anspruchs 1 auf, mit Ausnahme von "vom Speicherflüssigkeitsniveau des Speicherraums gesteuert wird". Solche selbsttätigen Vorrichtungen seien jedoch dem Durchschnittsfachmann bei Bedarf nahegelegt, was etwa durch die Entgegenhaltung D5 zu belegen sei. Somit könne Anspruch 1 gemäß Hauptantrag keinen Bestand haben.

IX. Die wesentlichen Argumente des Beschwerdegegners lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die Entgegenhaltung D1 werde weiterhin zur Bildung des Oberbegriffs des Anspruchs 1 als zweckmäßig erachtet. Dort werde ein plötzlich zur Wirkung kommender Spülschwall vorgeschlagen, ein Gedanke, der für die Erfindung wesentlich sei, jedoch in D2 nicht dargestellt werde. Nach Dokument D2 würden zwingend ein manueller Eingriff oder maschinelle Hilfsaggregate zum Spülen bzw. Regeln des Verschlusses benötigt. Nach Dokument D1 seien dagegen maschinelle Hilfsmittel erforderlich, um die Spülkippe zu füllen. Anspruch 1 sei daher gegenüber D1 präzise abgegrenzt.

2. Bei gefülltem Speicherraum seien für den Verschluß nur zwei Betriebsstellungen möglich, entweder verschlossene oder freigegebene Stellung. Deshalb werde der Speicherraum durch einen kräftigen Schwall gespült. Bei D2 und D2a entstehe kein Spülschwall und keine Wasserwalze, sondern ein Sprühstrahl. Im Aufsatz D2 würden Schieber vorgeschlagen, die manuell oder mittels Motoren durch Drehen betätigt werden. Das Drehen solcher Spindeln erlaube kein schlagartiges Freigeben der Öffnung.

3. D3 und D4 zeigten gerade keine Verschlußorgane; sie führten zu anderen hydraulischen Konsequenzen: die Drosselöffnungen sollen dafür sorgen, daß die Öffnung niemals ganz geschlossen werden könne. Es handle sich nicht um eine Steuerung, sondern um eine Regelung, die einen konstanten Ausfluß ermögliche. Ein vollständiges Schließen wäre dabei technisch nicht zu machen: nach einem Schließen wäre ein Öffnen nicht mehr möglich.

4. Die Erfindung betreffe sowohl das selbsttätige Spülen des Speicherraumes wie auch das selbsttätige Steuern des Verschlusses der Spülkammer.

5. Die Konstruktionen in D6, D9 und D10 würden sich grundsätzlich von der gegebenen technischen Situation unterscheiden. Dort werde ein Transportkanal vollständig abgesperrt, die Verunreinigungen blieben oberhalb der Spültür zurück. Die Erfindung beziehe sich nicht auf einen Transportkanal. Bei den Entgegenhaltungen handle es sich daher um ein ganz anderes System, das nicht aus zwei ineinander angeordneten Speicherräumen bestehe, dessen einer Teil einen Teil des anderen darstelle. Gemäß Erfindung müsse der erste Raum, der eigentliche Speicherraum, zuerst leer laufen, bis der zweite Raum, die Spülkammer, entleert und die Spülung des Speicherraums durchgeführt werde. Bei den erwähnten Entgegenhaltungen werde der Aufstaubereich nicht gespült. Die Spültür werde vom Oberwasser gesteuert freigegeben; jedoch werde sie unter Anwendung von Fremdenergie geschlossen.

6. Die Vorbenutzung nach D2a, D2b, D2c, die als solche anerkannt werde, weise nach Augenschein erhebliche Ablagerungen auf und scheine deshalb zur wirksamen Reinigung nicht besonders geeignet zu sein.

7. Luegers Lexikon aus dem Jahre 1929 (D9) enthalte einen Hinweis auf eine "kräftige Spülung". Genau besehen könne es sich dabei aber kaum um einen plötzlichen Spülschwall im Sinne der Erfindung handeln. Die Angabe "kräftiger Spülstrom von 10 - 25 Sekundenlitern" (S. 310) bedeute für eine Spülkammer mit einem Volumen von 10 m3 eine Auslaufzeit von mindestens 6 2/3 Minuten, beziehe sich also auf keinen besonders schnellen oder gar plötzlichen Vorgang. In D6 werde hinsichtlich der Schwallspülung darauf hingewiesen, daß sich dieselbe nur für Kanäle mit kleineren Profilen eigne. (S. 381, dritter Absatz).

8. Keine der Entgegenhaltungen gebe einen Hinweis, den Verschluß ohne manuellen Eingriff bzw. ohne maschinelle Hilfsaggregate im Sinne einer selbsttätigen Spülung nach jedem Speichervorgang zu betätigen.

X. Der Beschwerdeführer beantragt, das Patent im vollen Umfang zu widerrufen.

Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen oder das Patent nach einem der Hilfsanträge in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Interpretation des Anspruchs 1 (Hauptantrag)

Ein Einspruch kann nach Artikel 100 a) EPÜ nur darauf gestützt werden, daß der Gegenstand des Patents nicht patentfähig ist. Als "Gegenstand des Patents" ist der nach Artikel 84 EPÜ durch Beschreibung und Zeichnung gestützte Anspruchsgegenstand zu verstehen. Sprachliche Klarstellungen, die am Gegenstand des Patents nichts ändern, sind daher allein nicht erforderlich.

Soweit sich die Einwendungen des Beschwerdeführers nicht auf den durch Beschreibung und Zeichnung gestützten Gegenstand des Anspruchs 1 beziehen, sondern nur auf sprachliche Unklarheiten, beziehen sie sich nicht auf den Gegenstand des Patents und gehen über die von Artikel 100 a) EPÜ festgelegten Grenzen hinaus; sie sind insofern unerheblich. (in Übereinstimmung mit T 422/90 vom 18.8.92, nicht veröffentlicht; in Weiterführung von T 127/85; ABl. EPA 1989, 271).

Im vorliegenden Fall geht die Beschreibung des Streitpatents von dem in Dokument D1 dargestellten Stand der Technik, nämlich einer Spülkippe, aus. Ab Spalte 1, Zeile 63 wird dort ausgeführt (Hervorhebungen hinzugefügt): "Durch eine entsprechende Anordnung der Achse zwischen diesen beiden Schwerpunkten wird erreicht, daß erst am Ende des Einfüllvorganges ein Übergewicht entsteht, wodurch die Kippe geschwenkt wird. Dies bewirkt, daß sich ein Wasserschwall gegen die Beckenwand ergießt."

An einem weiteren Stand der Technik gemäß Dokument D2 wird kritisiert, (Spalte 2, Zeilen 51 ff.) "ein schlagartiges Öffnen kann bei Schiebeverschlüssen nicht erfolgen, so daß ein Spülschwall mit optimaler Wirkung nicht erzeugt werden kann."

Der Begriff "Spülschwall" im Anspruch 1 umfaßt demnach im Sinne der Beschreibung die technischen Merkmale "durch plötzliches Öffnen erreichter, schlagartiger optimaler Spülschwall mit Breitenwirkung". Hinsichtlich der Plötzlichkeit liegt eine Ähnlichkeit mit dem hydrodynamischen Vorgang vor, der mit der Spülkippe nach D1 genutzt wurde.

Unter dem Begriff "Verschluß" im Anspruch 1 muß infolge dieser Zusammenhänge eine Vorrichtung verstanden werden, die sich plötzlich öffnet und dadurch einen schlagartigen Spülschwall ermöglicht. (Beispiel: Verschlußklappe, Spalte 3, Zeile 58).

3. Neuheit

Keine der geltendgemachten Entgegenhaltungen offenbart sämtliche Merkmale des Anspruchs 1. Eine weitere Begründung der Neuheit, die von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt wird, ist daher nicht erforderlich.

4. Stand der Technik, Aufgabe und Lösung

4.1. Der Oberbegriff des Anspruchs 1 geht von einer Vorrichtung mit einer Spülkippe gemäß Schriftstück D1 aus. Dabei weist ein im oberen Bereich eines Speicherraums um eine horizontale Kippachse drehbar gelagerter Trog eine besondere Formgebung auf, dank welcher aufgrund der Position des Schwerpunktes des gefüllten Trogs ein Kippmoment entsteht, das zum Ausleeren des Troginhalts und zum Fall des darin gespeicherten Wassers führt. Die Position des Schwerpunktes des leeren Trogs bewirkt dagegen die Entstehung eines stabilisierenden Moments, das den Trog in die Ausgangslage zurückführt, in welcher der Trog wieder gefüllt werden kann. Diese Konstruktion weist nach der Beschreibung des Streitpatents verschiedene Mängel auf, wie eine komplizierte Wasserstandsmeßeinrichtung, die Größenbeschränkung infolge der erforderlichen Fallhöhe mit dem Erfordernis mehrerer Spülvorgänge nacheinander, Versorgungsleitungen für das Füllen und Pumpen für das Hochpumpen des Wassers.

Die Beschreibung des Streitpatents erwähnt auch eine weitere Vorrichtung, entsprechend Entgegenhaltung D2 ("3.5 Spülung durch Spülkammern"), bei welcher das Spülen der Beckensohle durch Öffnen von Schiebern bewirkt wird. Dabei kann jedoch nicht ein schlagartiges Öffnen mit optimaler Spülwirkung erreicht werden.

Die Abgrenzung des Oberbegriffs nach D1 kann unverändert bleiben, da nur so der für die Erfindung maßgebende Begriff des Spülschwalls angemessen eingeführt wird. Die dennoch möglicherweise unzweckmäßige Aufteilung in die beiden Anspruchsteile gemäß Regel 29 (1) a) und b) EPÜ ist unbeachtlich, weil sie ebenfalls keinen Beschwerdegrund darstellt (vgl. oben Abschnitt 2).

4.2. Damit stellte sich dem Erfinder die objektive Aufgabe gestellt, eine Vorrichtung zu finden, welche die Nachteile der erwähnten Vorrichtungen überwindet, und nach jedem Speichervorgang den Spülvorgang selbsttätig durchführt.

Daß nach Ansicht beider Parteien zur Aufgabe gehöre, daß sowohl Füllen wie Spülen ohne Fremdenergie ermöglicht werden solle, ist ein Aspekt, der Hinweise auf die Lösung zu enthalten scheint. Er wird daher für die objektive Aufgabenstellung außer Acht gelassen.

4.3. Anspruchsgemäß wird die Aufgabe insbesondere durch einen Verschluß der Spülkammer gelöst, dessen Offen- oder Geschlossenstellung durch das Niveau der Speicherflüssigkeit gesteuert wird und der einen plötzlichen eingeleiteten und schlagartig wirkenden Spülschwall mit Breitenwirkung ermöglicht. Von besonderem Vorteil scheint dabei zu sein, daß ein Gesamtsystem mit einer Vollautomatik realisierbar ist, das mit vergleichsweise einfachen Mitteln und ohne jede Fremdenergie arbeitet.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1. Die Kammer ist - im Gegensatz zum Beschwerdeführer - der Ansicht, daß der von der Beschreibung des Streitpatents gestützte Anspruch 1 dem Fachmann einen technischen Wirkungszusammenhang beschreibt, der die zur Realisierung notwendigen Elemente deutlich genug beschreibt. Insofern liegt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein durch technische Merkmale ausreichend definierter Anspruchsgegenstand vor.

5.2. Anspruch 1 vereinigt technische Merkmale zu einem zusammenwirkenden System, das als Ganzes zu beurteilen ist. Es ist einzuräumen, daß dessen Elemente als solche vorbekannt waren - jedoch gebunden an Voraussetzungen, die keinen ausreichenden Bezug zu der technisch gegebenen Ausgangssituation und dem zu lösenden Problem aufweisen. Noch weniger findet sich im geltendgemachten Stand der Technik ein Bezug auf den beanspruchten Wirkungszusammenhang.

Es handelt sich bei den entscheidenden Merkmalen im wesentlichen um einen

A - Speicherraum (insbesondere Regenrückhaltebecken), der am Sohlhochpunkt eine

B - Spülkammer enthält. Diese weist einen

C - Verschluß auf, der

CA - sich selbsttätig öffnet und schließt,

CS - gesteuert ist vom Flüssigkeitsniveau des Speicherraums, und der

CP - die Flüssigkeit der Spülkammer mit einen plötzlichen Spülschwall schlagartig austreten läßt.

5.3. Entgegenhaltung D1 steht der hydrodynamischen Wirkungsweise der Erfindung am nächsten, vermittelt aber keine Hinweise auf die Merkmale C, CA und CS.

In Entgegenhaltung D2 sind keine Hinweise zu finden, die den Gedanken an einen plötzlichen (diskontinuierlichen) Spülschwall ausdrücken würden, und auch keine, die etwas mit der Automatik der Steuerung durch das Flüssigkeitsniveau zu tun hätten. D2 enthält keine Hinweise auf das Zusammenspiel der Merkmale CA, CS und CP. Der bloße Ausdruck "gut gängige Schnellschieber" in D2 kann nicht - wie der Beschwerdeführer vortrug - die Vorstellung der plötzlichen Schwallspülung im Sinne der Erfindung implizieren - denn dann wäre die Verwendung von Hand oder motorisch bewegter Schieber zum vornherein unzweckmäßig. Jedoch wurde auf hohe Spülkammern Wert gelegt, um große Wasserdrücke und große Ausflußgeschwindigkeit zu erzeugen. Die spezifische Form des durch den Verschluß zu beeinflussenden anspruchsgemäßen Spülvorganges wurde weder angeregt noch erwähnt. Insbesondere kann Plötzlichkeit nicht mit hoher Geschwindigkeit gleichgesetzt werden: Plötzlichkeit bedeutet Diskontinuität, hohe Geschwindigkeit impliziert Kontinuität. Daran ändern auch Hinweise auf ausreichende Grenzschleppspannungen nichts.

Die Schriftstücke D2a, D2b und D2c, die eine öffentlich zugängliche Vorbenutzung geltend machen, beziehen sich auf Handschieber. Sie bestätigen, daß die Plötzlichkeit der Öffnung und ein entsprechend spezifizierter Schwallvorgang in der einschlägigen Technik kein über die Spülkippe nach D1 hinausgehender bekannter Gedanke war.

D3 und D4 enthalten Hinweise auf eine niveauabhängige Regelung (nicht Steuerung) zwecks Konstanthaltung der ausfließenden Wassermenge eines Sammelbeckens, also ohne Zusammenhang mit dem Problem der Spülung. In diesen Schriftstücken kann im nachhinein eine gewisse Ähnlichkeit mit dem isolierten Merkmal CS festgestellt werden. Da diese Niveauregelungen jedoch einem hinsichtlich der Erfindung entgegengesetzten Zweck (konstante Abflußmenge) mittels einer entgegengesetzten Funktion (Kontinuität der Drosselung, ohne Verschluß) dienen, und überdies ohne Zusammnhang zu den Merkmalen A, B und C sind, konnte der Fachmann auch hier keine Angaben finden, die in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand hätten führen können.

D5 und D6 enthalten Hinweise auf selbsttätige Verschlußorgane -allerdings ohne jeden Zusammenhang mit den Merkmalen A, B, CA und CS. Sie kommentieren etwas näher, was aus D2 im Prinzip schon bekannt ist. Die in D5 und D6 angegebenen Beispiele bezüglich der Verschlußorgane enthalten aber jedenfalls keine Hinweise auf die Plötzlichkeit der Öffnung in Verbindung mit dem dadurch definierten schlagartigen Spülstoß gemäß Anspruch 1.

D9 und D10 datieren aus den Jahren 1929 und 1926. Sie zeigen plötzlich öffnende Kanalverschlüsse; zum Schließen wird Fremdenergie benötigt. Sie sind ohne Zusammenhang mit den Merkmalen A, B, CA und CS und enthalten dementsprechend keine ausreichenden Anregungen dazu.

6. Mithin ist festzustellen, daß aus den entgegengehaltenen Schriftstücken insgesamt keine dem Fachmann nahegelegten Hinweise zu dem nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierten Gesamtzusammenhang abzuleiten sind. Der Gegenstand des Anspruchs 1 bleibt somit patentfähig; hinsichtlich der Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 14 gemäß Hauptantrag bestehen ebenfalls keine Einwände.

7. Da dem Hauptantrag stattgegeben wird, erübrigt es sich, auf die Hilfsanträge einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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