European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1985:T003683.19850514 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Mai 1985 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0036/83 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79400198.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Roussel-Uclaf | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | Werden für ein Erzeugnis mehrere Eigenschaften geltend gemacht, so können hierauf basierende verschiedene Verwendungen auch im Rahmen einer Anmeldung schutzfähig sein. So können in derselben Anmeldung ein Erzeugnis zur ersten Verwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und dessen Verwendung zu kosmetischen Zwecken beansprucht werden. Die kosmetische Anwendung eines Erzeugnisses, das daneben therapeutisch anwendbar ist, fällt nicht unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52(4) EPÜ. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erste medizinische Indikation - breiter Anspruch Anwendung als kosmetisches Erzeugnis |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 28. März 1979 eingereichte und am 17. Oktober 1979 unter der Nr. 0 004 810 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 79 400 198.2, für die die Priorität einer Voranmeldung vom 31. März 1978 in Frankreich in Anspruch genommen wird, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 15. Oktober 1982 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die am 6. Mai 1981 eingegangenen Patentansprüche zugrunde. Die Ansprüche 1, 7, 9 und 10 lauteten wie folgt:
"1. Arzneimittel, dadurch gekennzeichnet, daß es aus Thenoylperoxid folgender Formel besteht:
(FORMEL)
7. Pharmazeutische Zusammensetzungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie als Wirkstoff Thenoylperoxid enthalten.
9. Anwendung von Thenoylperoxid als kosmetisches Erzeugnis.
10. Kosmetische Zusammensetzungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie Thenoylperoxid enthalten.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Ansprüche 1 und 7 gegen Artikel 54 (5) EPÜ verstoßen. Um dem Erfordernis dieses Artikels zu genügen, hätten - so die Prüfungsabteilung - diese Ansprüche nämlich auf die tatsächlich beschriebenen therapeutischen Anwendungen beschränkt werden müssen.
III. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung am 6. Dezember 1982 Beschwerde eingelegt und die Gebühr fristgerecht entrichtet. Sie hat ihre Beschwerde am 3. Februar 1983 begründet. Sie macht geltend, die angegebenen Bestimmungen des EPÜ, insbesondere Artikel 54 (5) EPÜ, enthielten keinerlei Vorschrift, daß der Anwendungsbereich des Arzneimittels zu begrenzen sei.
IV. In ihren Zwischenbescheiden hat die Kammer im wesentlichen redaktionelle Änderungen der Arzneimittelansprüche vorgeschlagen, hauptsächlich um sie an die im Hinblick auf Artikel 54 (5) EPÜ zulässige Formulierung anzupassen. Diese Formulierung ist von der Beschwerdeführerin gebilligt worden. Außerdem hat die Kammer Zweifel an der Zulässigkeit des Anspruches 8 in seiner letzten Fassung geäußert. Dieser Anspruch ist mit Anspruch 9 des zurückgewiesenen Anspruchssatzes identisch. Anspruch 9 war von der Erstinstanz nicht beanstandet worden. Nach Auffassung der Kammer schien es sich hier um ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung (Art. 52 (4) EPÜ) zu handeln, da es zur Behandlung von Akne, einer Krankheit, dient.
V. In ihrer am 4. Mai 1984 eingegangenen Erwiderung bestreitet die Beschwerdeführerin, daß es sich bei Anspruch 8 in seiner letzten Fassung um ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung handele, und beruft sich dabei auf die französischen Bestimmungen. Sie führt zu diesem Zweck das Werk "Droit pharmaceutique", Heft 5 (1978), Seite 7 an. Sie beantragt zuletzt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents mit folgenden Ansprüchen:
"1. Chemische Verbindung bestehend aus Thenoylperoxid der Formel
(FORMEL)
Zur Anwendung in einem Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers.
2. Chemische Verbindung nach Anspruch 1 zur Anwendung als Bakterizid.
3. Chemische Verbindung nach Anspruch 1 zur Anwendung als Fungizid.
4. Chemische Verbindung nach Anspruch 1 zur Verwendung als komedolytisches Mittel.
5. Chemische Verbindung nach Anspruch 1 zur Anwendung bei der Behandlung von Akne.
6. Pharmazeutische Zubereitungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie als Wirkstoff Thenoylperoxid sowie einen inerten pharmazeutischen Träger enthalten.
7. Zubereitungen nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß sie 2 bis 20 % Wirkstoff enthalten.
8. Anwendung von Thenoylperoxid als kosmetisches Erzeugnis.
9. Kosmetische Zubereitungen, dadurch gekennzeichnet, daß sie Thenoylperoxid enthalten.
10. Zubereitungen nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß sie 0,2 bis 20 % Thenoylperoxid enthalten.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Der Gegenstand der Ansprüche geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die Verwendung von Thenoylperoxid als pharmazeutischer Wirkstoff und als Arzneimittel gemäß den Ansprüchen 1 bis 5 ist in der ursprünglichen Anmeldung offenbart (s. S. 1, Zeilen 15 - 20, S. 3, Zeile 34, S. 4, Zeile 2 und Anspruch 1). Die Ansprüche 6 und 7 finden ihre Stütze in den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3 und in der Beschreibung, S. 2, Zeilen 11 bis 22. Die Ansprüche 8 bis 10 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 4 bis 6.
3. Die Anmelderin hat der Fachwelt die neue Lehre vermittelt, daß Thenoylperoxid als Therapeutikum, insbesondere als Arzneimittel zur Behandlung von Akne, verwendet werden kann. Der beanspruchte Wirkstoff Thenoylperoxid ist bereits im Stand der Technik beschrieben (Monatshefte für Chemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften, 1949, 80, 739). Seine Verwendung in einem Verfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ gehört aber nicht zum Stand der Technik. Ein solcher Gegenstand gilt gemäß Artikel 54 (5) EPÜ als neu.
4. Zwar wird ein Thenoylperoxid strukturell verwandtes Erzeugnis, nämlich Benzoylperoxid, zur Behandlung von Akne beim Menschen verwendet, was die Anmelderin unter Hinweis auf J. Pharm.Sci. 1977, 66, 718 auch eingeräumt hat (s. ursprüngliche Beschreibung, S. 3, Zeilen 1 bis 13). Die Anmelderin hat sich jedoch gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik die Aufgabe gestellt, nicht nur ein Arzneimittel zur Behandlung von Akne zu finden, das besser als Benzoylperoxid ist, sondern auch ein Erzeugnis, dessen bakterizide, fungizide und komedolytische Wirkung eine therapeutische und kosmetische Anwendung ermöglicht. Mit der Bereitstellung von Thenoylperoxid hat die Anmelderin eine Lösung dieser Aufgabe gefunden, die in den Ansprüchen 1 bis 10 zum Ausdruck kommt. Nach Berücksichtigung der Veröffentlichung "Monatshefte für Chemie und verwandte Teile anderer Wissenschaften", 1949, 80, 739 sieht die Kammer keine Veranlassung, die Neuheit der Zusammensetzungen oder des Gegenstands der Ansprüche 1 bis 10 in Frage zu stellen. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit erkennt sie an, daß die von der Anmelderin nachgewiesene therapeutische und kosmetische Wirkung aufgrund der beiden zum nächstliegenden Stand der Technik gehörenden Druckschriften nicht voraussehbar war. Die Druckschrift, die sich auf die Behandlung von Akne bezieht, legt keineswegs nahe, daß diese Wirkung auch bei strukturell ähnlichen Erzeugnissen auftritt, auch nicht bei einem schon so lange bekannten Erzeugnis wie Thenoylperoxid. Außerdem sind die in der Beschreibung vorgelegten Vergleichsversuche ausschlaggebend; sie zeigen deutlich, daß das Problem tatsächlich gelöst worden ist. Da keine andere Druckschrift vorliegt, die eine solche Lösung nahelegt, hält die Kammer - wie schon die Prüfungsabteilung - unter diesen Umständen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bei dem Gegenstand der Ansprüche 1 bis 10 für gegeben.
5. Die von der Prüfungsabteilung genannten Zurückweisungsgründe gelten nur für die Ansprüche 1 und 6 (die den zurückgewiesenen Ansprüchen 1 und 7 entsprechen). Somit ist im Sinne des Antrags nur zu prüfen, ob die Fassung der Ansprüche 1 und 6 mit ihrer breiten Indikation aufgrund des Artikels 54 (5) EPÜ zulässig ist.
5.1. In ihrer Entscheidung T 128/82 "Pyrrolidin-Derivate/HOFFMANN-LA ROCHE" (ABl. EPA 1984, 164) hat die Kammer bereits zur Frage der ersten medizinischen Indikation Stellung genommen und entschieden, daß bei einem bekannten Stoff, der erstmals für die Therapie bereitgestellt und beansprucht wird, allein der Umstand, daß anmeldungsgemäß eine spezifische Anwendung offenbart ist, zu keiner Einschränkung des zweckgebundenen Stoffanspruchs auf diese Anwendung zwingt.
5.2. Dieser Grundsatz läßt sich auch auf den hier vorliegenden Fall anwenden. Hier wie dort ist die Verwendung des beanspruchten Erzeugnisses als Arzneimittel von Anfang an in der Beschreibung breit offenbart worden (s. S. 1, Zeile 15 bis S. 2, Zeile 26 der ursprünglichen Beschreibung). Die Ansprüche 1 bis 6 sind daher zulässig.
6. Da die Zulässigkeit des Anspruchs 8 von der Kammer selbst in Zweifel gezogen worden ist, ist noch zu prüfen, ob er gewährt werden kann. Hier stellt sich die Frage, ob eine kosmetische von einer therapeutischen Anwendung unterscheidbar ist. Diese Unterscheidung kommt schon in der ursprünglichen Beschreibung deutlich zum Ausdruck (s. S. 2, Zeilen 27 bis 30).
6.1. Bei Durchsicht der Beschreibung zeigt sich einerseits, daß die für Thenoylperoxid belegte bakterizide und komedolytische Wirkung wesentlich für die Behandlung von Akne ist und daß hierzu anmeldungsgemäß nur eine topische Anwendung vorgesehen ist (Beschreibung, S. 6). Andererseits können - wie es in der Anmeldung heißt - die pharmazeutische und die kosmetische Zubereitung der Form nach sehr ähnlich, wenn nicht gar identisch sein (s. ursprüngliche Beschreibung, S. 2, Zeile 1 bis S. 3, Zeile 6). Somit kann die anmeldungsgemäße kosmetische Behandlung gelegentlich auch eine therapeutische Behandlung miteinschließen.
6.2. Andererseits erstreckt sich die in der Beschreibung enthaltene pharmakologische Untersuchung des Thenoylperoxids auch auf dessen komedolytische Wirkung. Bei dieser Untersuchung wird der äußere Durchmesser der Komedonen vor und nach der Anwendung von Thenoylperoxid gemessen. Die Messung zeigt, daß sich die zuvor geschlossenen Komedonen öffnen, so daß die Hornmasse herausgedrückt werden kann (ursprüngliche Beschreibung, S. 5, Zeilen 10 bis 13). Dadurch wird die Reinigung der Haut erleichtert. Die Kammer sieht darin eine Wirkung des Thenoylperoxids, die offensichtlich eher unter die nichtmedikamentöse Körperhygiene als unter die Therapie fällt. Die Nutzung dieser Wirkung bei einer kosmetischen Anwendung fällt somit nicht unter das Patentierungsverbot von Artikel 52 (4) EPÜ.
6.3. Im Hinblick auf das Patentierungsverbot von Artikel 52 (4) EPÜ ist es wichtig, daß der Anspruch 8 richtig formuliert wird. Da die Anmelderin erstmalig überraschende Eigenschaften bei einem bereits bekannten chemischen Erzeugnis nachgewiesen und diese in verschiedenen Anwendungen eingesetzt hat, hat sie ein Anrecht auf Schutz dieser verschiedenen Anwendungen. Im vorliegenden Fall bestehen sie, wie der Beschreibung zu entnehmen ist, aus zwei Verfahren, nämlich aus einer therapeutischen und aus einer nicht-therapeutischen Behandlung.
Gemäß Artikel 52 (4) EPÜ ist das therapeutische Behandlungsverfahren nicht patentfähig, wohl aber das zur Durchführung dieses Vefahrens verwendete Erzeugnis. In dieser Form sind auch die Patentansprüche 1 bis 7 abgefaßt. Das nichttherapeutische Behandlungsverfahren fällt in den allgemeinen Rahmen patentfähiger Erfindungen. Gegen seine Patentierung sowohl in Form von Anwendungs- als auch von Verfahrensansprüchen im allgemeinen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist es nur eine Frage der individuellen Wahl, ob der Anmelder eine Tätigkeit als Verfahren zur Ausführung der Tätigkeit oder als Anwendung oder Verwendung einer Sache beansprucht, da hierin kein sachlicher Unterschied zu sehen ist (Gr 01/83, zweite medizinische Indikation/BAYER, ABl. EPA 1985, 60, Nrn. 11 und 12 der Entscheidungsgründe). Die Anmelderin hat die Bezeichnung "Anwendung von Thenoylperoxid als kosmetisches Erzeugnis" gewählt. Die Kammer hält diese Anspruchsformulierung im vorliegenden Fall für gewährbar. Außerdem vertritt sie die Auffassung, daß sich die Frage der gewerblichen Anwendbarkeit hier nicht stellt. Die gewerbsmäßige Anwendung der Erfindung in einem Kosmetiksalon ist nämlich eine gewerbliche Anwendung im Sinne des Artikel 57 EPÜ.
6.4. Im Zusammenhang mit der Formulierung des Anspruches 8 hält die Kammer folgende Anmerkung für nützlich: Um bei einem Verwendungs- oder Anwendungsanspruch einen Verstoß gegen Artikel 52 (4) EPÜ mit Sicherheit auszuschließen, hätte die gemäß dieser Vorschrift nicht patentierbare Erfindung mittels eines "Disclaimer" ausgeschlossen werden können. Im vorliegenden Fall wird nach Ansicht der Kammer durch die Verwendung des Wortes "kosmetisch" eine ausreichende Präzisierung vorgenommen. Man braucht nicht auf die nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen, die ebenfalls in diese Richtung weisen (s. Nr. V), um festzustellen, daß das Adjektiv "kosmetisch" einen nichtmedikamentösen Stoff bezeichnet, der auf die Haut usw. aufgetragen wird (s. Grand dictionnaire encyclopédique Larousse). Die großen deutschen und englischen Nachschlagewerke bestätigen diese Definition.
7. Unter diesen Umständen braucht der Hilfsantrag, auf den die Beschwerdeführerin nicht verzichtet hatte, nicht geprüft zu werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 15. Oktober 1982 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird mit der Auflage an die erste Instanz zurückverwiesen, ein europäisches Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen: Beschreibung, ursprüngliche Seiten 3 bis 6 Seite 1, eingegangen am 3. Oktober 1983 Seite 2, eingegangen am 4. Mai 1984 Ansprüche 1 bis 10, eingegangen am 20. April 1985