T 0081/84 (Dysmenorrhoe) of 15.5.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:T008184.19870515
Datum der Entscheidung: 15 Mai 1987
Aktenzeichen: T 0081/84
Anmeldenummer: 80900811.3
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Rorer
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: Die Linderung von Schmerzen oder Beschwerden und die Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähikeit durch Verabreichung eines geeigneten Mittels gelten unabhängig von den Ursachen der Befindlichkeitsstörung - als "therapeutische Behandlung" oder "therapeutische Anwendung" im Sinne des Artikels 52(4) EPÜ; in diesem ist die Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer zu Ansprüchen zu berücksichtigen, die auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung gerichtet sind (GR 01/83 "zweite medizinische Indikation", ABl. EPA 1985,60).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 52(4)
European Patent Convention 1973 Art 54(5)
Schlagwörter: Therapie - Linderung von Schmerzen oder Beschwerden
Therapie - Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit
Zweite medizinische Indikation
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0820/92
T 0469/94
T 0443/01
T 1172/03
T 0293/12
T 1402/13
T 0205/17
T 1259/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 2. April 1980 als internationale Anmeldung nach dem PCT mit der Nummer PCT/US 80/00 344 eingereichte europäische Patentanmeldung Nummer 80 900 811.3 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 7. November 1983 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen 12 Ansprüche zugrunde. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 8 lauteten wie folgt:

"1. Verfahren zur Linderung von Menstruationsbeschwerden beim Menschen durch Verabreichung einer wirksamen Menge eines Amidinoharnstoffs der allgemeinen Formel

(FORMEL)

oder seiner pharmazeutisch brauchbaren Salze,

wobei

R2, R3, R4, R5 und R6 gleich oder verschieden sind und Wasserstoff, Halo, Niederalkyl, Haloniederalkyl, Nitro, Niederalkoxy, Hydroxy, Arylniederalkoxy, Acyloxy, Cyano, Haloniederalkoxy oder Niederalkylsulfonyl bedeuten;

R und R' Wasserstoff oder Niederalkyl sind;

R" und R"' Wasserstoff, Niederalkyl, Niederalkoxy, Niederalkenyl, Cycloalkenyl mit bis zu 9 Kohlenstoffatomen, Cycloalkylniederalkyl, Niederalkyl, Cycloalkyl, Aralkyl, Niederalkinyl, Haloalkyl, Hydroxyalkyl, Alkoxyalkyl, Cyanoalkyl, Aminoalkyl, Mono- und Diniederalkylaminoalkyl, Carbamoylalkyl, Mono- und Dicarbamoylalkyl, Carboxyalkyl, Alkoxycarbonylalkyl, Aralkoxycarbonylalkyl, Formyl, Acyl, Acylalkyl, Alkylsulfonyl oder Aralkylsulfonyl bedeuten;

R" und R"' zusammen einen 5- bis 7gliedrigen Ring bilden können, der 0 bis 2 N-, O- oder S-Atome enthalten kann;

R1 Wasserstoff oder Niederalkyl ist, sofern von R, R', R" und R"' mindestens eines nicht Wasserstoff ist

8. Stoffgemisch als Mittel zur Linderung von Menstruationsbeschwerden beim Menschen in fester Form, wobei die Einheitsdosis ca. 5 bis 10 mg eines Amidinoharnstoffs der allgemeinen Formel I oder eines seiner Salze gemäß Anspruch 1 sowie ein Vehikel, ein Verdünnungsmittel oder eine Trägersubstanz enthält"

II. Die Anmeldung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Linderung von Menstruationsbeschwerden beim Menschen nach Anspruch 1 als Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers angesehen werden müsse und somit aufgrund des Artikels 52 (4) EPÜ nicht patentierbar sei und daß der Gegenstand des Anspruchs 8, der auf ein Stoffgemisch gerichtet sei, im Hinblick auf Artikel 54 (5) EPÜ nicht neu sei, da dieses Stoffgemisch bereits für seine therapeutische Verwendbarkeit bekannt sei. Die Verfahrensansprüche seien nach Artikel 57 EPÜ auch nicht gewährbar, da sie nicht gewerblich anwendbar und im wesentlichen biologisch seien.

III. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte gegen die Entscheidung am 5. Januar 1984 per Fernschreiben (das am 14. Januar 1984 bestätigt wurde) Beschwerde ein und entrichtete am 9. Januar 1984 die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 6. März 1984 zusammen mit weiteren Ansprüchen nachgereicht. In einem Bescheid vom 12. Juni 1984 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, daß die Prüfung ihrer Beschwerde so lange ausgesetzt werde, bis die der Großen Beschwerdekammer vorgelegte grundsätzliche Frage nach der Patentierbarkeit therapeutischer Behandlungen des menschlichen Körpers entschieden sei.

IV. In ihrer Entscheidung Gr 01/83 vom 5. Dezember 1984 ("zweite medizinische Indikation", ABl. EPA 1985, 60) hat die Große Beschwerdekammer entschieden, daß ein europäisches Patent zwar nicht mit Verfahrens- oder Verwendungsansprüchen der oben genannten Art, aber mit Ansprüchen, "die auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung gerichtet sind", gewährt werden kann.

V. Die Beschwerdeführerin reichte im Anschluß daran einen weiteren, neuen Anspruch für diese Verwendung ein. Die Kammer verwarf entsprechend der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer alle Verfahrens- und Stoffansprüche mit Ausnahme des neu eingereichten Anspruchs als grundsätzlich nicht gewährbar. Auf ihre Aufforderung hin wurden alle übrigen Anspruchskategorien gestrichen; der neue Verwendungsanspruch, der auf die Herstellung des Arzneimittels gerichtet und durch Unteransprüche mit engerem Schutzbereich ergänzt war, wurde mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom 29. Januar 1987 zur Prüfung vorgelegt. Anspruch 1 lautet wie folgt:

"Verwendung eines Amidinoharnstoffs der allgemeinen Formel: (i) ... (s. den vorstehenden ursprünglichen Verfahrensanspruch) ... zur Herstellung eines Arzneimittels gegen Menstruationsbeschwerden beim Menschen oder zur Behandlung damit verbundener Störungen wie der Endometriose"

VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung ist nicht mehr relevant, da sie auf alle Anspruchskategorien verzichtet hat, die der Zurückweisungsentscheidung zugrunde lagen. Ihre Beweisführung stützt sich nur noch auf die von der Großen Beschwerdekammer eingeführte Art von Ansprüchen, die auf die Herstellung von Arzneimitteln zur therapeutischen Anwendung gerichtet sind; damit ist auch das Vorbringen zum behaupteten nichttherapeutischen Charakter der Behandlung von Menstruationsbeschwerden hinfällig.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, daß die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufgehoben und die Sache an sie zur Sachprüfung auf der Grundlage der vorliegenden Ansprüche 1 bis 7 zurückverwiesen wird.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Gegen den vorliegenden Hauptanspruch bestehen keine grundlegenden formalen Einwände, da er insgesamt durch den früheren Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung sowie durch andere Angaben über Dysmenorrhoe und Endometriose in der Beschreibung gestützt wird. Die genaue Formulierung dieses Anspruchs und der Unteransprüche kann natürlich auch noch von anderen Überlegungen abhängen, die sich in der bevorstehenden Sachprüfung ergeben können. Nachdem mit der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer die Rechtslage geklärt und ein neuer Anspruchstyp für Erfindungen dieser Art geschaffen worden ist, dürfen die Beschreibung und die Ansprüche entsprechend Artikel 123 (2) und Regel 86 (3) EPÜ im Verfahren neu formuliert werden.

3. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Behandlung von Menstruationsbeschwerden, die sich zum Beispiel in starken Kopfschmerzen oder anderen Schmerzsymptomen äußern, unter den Begriff der "therapeutischen Behandlung" fällt. Nach Ansicht der Kammer darf der Begriff "Therapie" nicht zu eng ausgelegt werden. Es gibt viele chemische Mittel, die von den Ärzten zur Linderung von Schmerzen und Beschwerden und zur Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden. Auch wenn zumindest einige dieser oder ähnlicher Befindlichkeitsstörungen natürliche Ursachen haben (z. B. Menstruation, Schwangerschaft und Alter) oder Reaktionen auf die Umweltbedingungen sind (z. B. die atmosphärischen Bedingungen, die Müdigkeit, Kopfschmerzen usw. hervorrufen), so decken sie sich doch mit Krankheits- oder Verletzungssymptomen und sind oft kaum davon zu unterscheiden. Die biochemischen Wirkungen und Mechanismen, die die Arzneimittel in Gang setzen, um den Körper wieder in den normalen, leistungsfähigen, schmerzfreien Zustand zu versetzen, sind hier wie dort - unabhängig von den jeweiligen Ursachen - häufig sehr ähnlich oder gar identisch.

4. Es ist nicht möglich und auch nicht zweckmäßig, zwischen einer ursächlichen und einer symptomatischen Therapie zu unterscheiden, d. h. zwischen Heilung und bloßer Linderung. Die Verwendung eines Medikaments kann immer dann angezeigt sein, wenn der menschliche Körper unter Krankheiten, Schmerzen, Beschwerden oder einer Minderung der Leistungsfähigkeit leidet und die Verabreichung des Arzneimittels eine vollständige oder teilweise Heilung oder Linderung oder aber Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit bewirkt oder dazu beiträgt. Dies gehört neben den in Artikel 52 (4) EPÜ ebenfalls genannten chirurgischen und diagnostischen Verfahren zur alltäglichen therapeutischen Praxis eines Arztes. Im Gegensatz zu anderen Fällen, wo die Grenzen zur nichtmedizinischen Behandlung des menschlichen Körpers keineswegs so klar abgesteckt sind, weil dort verschiedene Fachleute (z. B. auch Kosmetiker) zusammenwirken, bleibt die Schmerzbehandlung in der Regel ausschließlich dem Arzt vorbehalten.

5. Aus diesen Gründen ist die Kammer der Auffassung, daß die Linderung von Schmerzen oder Beschwerden und die Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Verabreichung eines geeigneten Mittels unabhängig von den Ursachen der Befindlichkeitsstörung als "therapeutische Behandlung" oder "therapeutische Anwendung" im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ gelten; in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zu Ansprüchen zu berücksichtigen, die "auf die Verwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue und erfinderische therapeutische Anwendung gerichtet sind."

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage der mit Schreiben vom 4. April 1986 eingereichten Ansprüche 1 bis 7 an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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