European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2018:T031414.20180627 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 Juni 2018 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0314/14 | ||||||||
Anmeldenummer: | 05814203.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | F02F 3/00 F16J 9/08 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | KOLBENFENSTER MIT SCUPPERSOLTS UND FREIGUSS | ||||||||
Name des Anmelders: | KS Kolbenschmidt GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Federal-Mogul Nürnberg GmbH MAHLE International GmbH |
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Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung (nein) Änderungen - Vortrag nicht substantiert Ausführbarkeit - Anspruch 1 (ja) Neuheit - Anspruch 1 (ja) Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden richten sich gegen die am 5. Dezember 2013 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 828 586 gemäß Artikel 101(2) zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführerin Einsprechende 1 hatte am 12. Februar 2014 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 14. März 2014 eingegangen. Die Beschwerdeführerin Einsprechende 2 hatte am 7. Februar 2014 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung war am 14. April 2014 eingegangen.
II. Die Einsprüche gegen das Patent waren auf die Gründe Artikel 100 a) i.V.m. 54 und 56, 100 b) und 100 c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keine der genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstünden. Sie hatte dabei unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
E6 = US 2004/0149739 A1
E7 = Auszug aus "Motortechnische Zeitschrift ATZ/MZTZ
Extra", Der neue Skoda Oktavia, Mai 2004
E7a = Vergrößerung des auf Seite 2 der E7 gezeigten
Kolbens
Zur Vorbenutzung der Zeichnung 3010-10045374-015 durch diverse Lieferungen der Mahle GmbH an die Daimler AG im Jahre 2003:
E9b = Zeichnung 3010-10045374-015
III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Eine mündliche Verhandlung fand am 27. Juni 2018 unter Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechenden) beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerden.
V. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Kolben (1) einer Brennkraftmaschine, aufweisend einen Kolbenboden (2) mit einem Ringfeld (4) und einem unterhalb dessen angeordneten Kolbenschaft (3), der Schaftflächen (5) und eine um eine Bolzenbohrung (6) herum angeordnete und gegenüber einem äußere [sic] Durchmesser (13) des Kolbens (1) zurückgesetzte Fensterfläche (7) aufweist, wobei zumindest eine Vertiefung (8) im Bereich einer untersten Ringnut (9) für einen Ölfluß (11) in Richtung der Fensterfläche (7) während der Bewegung des Kolbens (1) vorgesehen ist, und in einem Übergangsbereich von der Vertiefung (8) in Richtung der Fensterfläche (7) eine Verdickung (12) vorgesehen ist, die auch hinter dem äußeren Durchmesser (13) des Kolbens (1) zurückgesetzt ist dadurch gekennzeichnet, dass die zumindest eine Vertiefung (8) außerhalb eines besonders beanspruchten Bereiches (10) oberhalb der Bolzenbohrung (6) angeordnet ist, wobei die zumindest eine Vertiefung (8) in demjenigen Bereich angeordnet ist, bei dem die Fensterfläche (7) in die Schaftfläche (5) übergeht."
VI. Die Beschwerdeführerinnen haben im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Die Lage des "besonders beanspruchten Bereichs" in Anspruch 1 könne nur mit unzumutbarem Aufwand gefunden werden, vgl. T 226/85, T 339/05, T 123/06 und T 409/91 (Einsprechende 1). Die Lage der Vertiefung im Übergang Fensterfläche-Schaltfläche sei nicht genau definiert und habe auch keinen Einfluss auf die Lage des "besonders beanspruchten Bereichs". Selbst wenn die Spannungsverläufe im Kolben berechenbar seien, sei dadurch noch keine eindeutige Grenze des "besonders beanspruchten Bereichs" festgelegt (Einsprechende 2). Daher sei die Anordnung der in Anspruch 1 geforderten zumindest einen Vertiefung nicht ausführbar.
In Anspruch 1 könne die beanspruchte Verdickung entweder gegenüber der Vertiefung (erste Alternative) oder gegenüber der Fensterfläche (zweite Alternative) überstehen (vgl. Patent, Spalte 4, Z.4-8; und Abs. 0013). E7a offenbare durch die in der Fotographie gezeigten Schwarz-Weiß Konturen eine Verstärkung relativ zur Fensterfläche, und somit eine Verdickung gemäß Anspruch 1. E9b offenbare sowohl eine Verdickung relativ zur Vertiefung als auch relativ zur Fensterfläche, siehe insbesondere schräge Vertiefungen im gezeigten Schnitt B-B. Folglich nähmen E7a bzw. E9b die Neuheit des Anspruchs 1 vorweg.
Ausgehend von E7a bzw. E9b sei es für den Fachmann nahe gelegt, die Gefahr von Rissbildungen im Bereich der Vertiefungen zu erkennen und das Material an dieser Stelle zu verstärken, d.h. eine Verdickung nach Anspruch 1 vorzusehen. Darüber hinaus unterscheide sich Anspruch 1 von E6 lediglich durch die Anordnung der Vertiefungen im Bereich der untersten Ringnut anstatt der Ölabfuhrnut. Eine Verdickung sei in den Figuren der E6 offenbart (auseinanderlaufende Linien an den Vertiefungen). Ausgehend von E6 sei es naheliegend, zur Gewichtsersparnis eines kleineren Kolbens die Vertiefung einfach an der untersten Ringnut vorzusehen. Anspruch 1 sei daher im Lichte von E7a, E9b, oder E6 und allgemeinem Fachwissen nicht erfinderisch.
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgende Argumente vorgetragen:
Die Entwicklung bzw. Auslegung eines Kolbens sei kein Forschungsprojekt, sondern in der Fachwelt etabliert. Dies gelte ebenso für die seit Jahrzehnten üblichen Spannungsanalysen (FEM) für einen ganz bestimmten Kolben unter Betriebslast zur Ermittlung eines "besonders beanspruchten Bereichs". Diese Spannungsanalysen seien, wie bekannt, mit einem Sicherheitsfaktor zu versehen. Die Lage des "besonders beanspruchten Bereichs" nach Anspruch 1 sei mit dieser Analyse zu bestimmen und auch bereits aus der Anmeldung selbst zu entnehmen, vgl. Seite 1, Z.24-27. Auch Ausführungsbeispiele der Anmeldung, z.B. Fig.1, Bezugszeichen 10, gäben mögliche Wege zur Umsetzung des Bereichs in die Praxis. Zudem sei die in Anspruch 1 geforderte Vertiefung im Übergangsbereich Fensterfläche-Schaftfläche, also außerhalb des "besonders beanspruchten Bereichs" zu setzen. Anspruch 1 sei daher ausführbar.
Die glatten Übergänge in E7a (gezeigte Schwärzungen) und E9b (Schnitte von Konstruktionszeichnungen) könnten nicht als unmittelbare und eindeutige Offenbarung der in Anspruch 1 geforderten Verdickung im Übergangsbereich Vertiefung-Fensterfläche dienen, umso weniger als auch keine Beschreibung einer Verdickung in diesen Dokumenten vorläge. Anspruch 1 sei daher neu gegenüber E7a und E9b.
Ausgehend von E7a oder E9b würde der Fachmann weder eine weitere Rissgefährdung an den gezeigten Vertiefungen erkennen, noch würde sich in diesem Fall eine Verdickung aufdrängen, denn zur Verhinderung von Rissen wären viele Maßnahmen möglich. E6 läge von Anspruch 1 noch weiter ab, denn neben der fehlenden Anordnung der Vertiefung an der untersten Ringnut sei keine Verdickung aufgrund der in den Figuren der E6 skizzierten Linien unmittelbar und eindeutig offenbart. Anspruch 1 beruhe daher im Lichte der E7a, E9b und E6 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Änderungen
2.1 Die Beschwerdebegründung muss einen vollständigen Sachvortrag enthalten, d.h. es sollen ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel angeführt werden, Artikel 12(2) VOBK.
Der Vortrag der Beschwerdeführerin Einsprechenden 1 in ihrer Beschwerdebegründung vom 14. März 2014 bezüglich der Erfordernisse des Artikels 100 c) EPÜ ist folglich nicht substantiiert, da lediglich auf die "bisherigen Ausführungen" (d.h. aus dem Einspruchsverfahren) verwiesen wird.
2.2 Seitens der Beschwerdeführerin Einsprechenden 2 liegen in ihrer Beschwerdebegründung vom 14. April 2004 keine Einwände zu Artikel 100 c) EPÜ vor.
2.3 Auch in der Verhandlung vor der Kammer erfolgten keine Anmerkungen durch die Beschwerdeführerinnen.
2.4 Über die von der Einsprechenden 1 als Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der angeblich unzulässigen Erweiterung ist für die Kammer daher nicht zu befinden.
3. Ausführbarkeit
3.1 Die Beschwerdeführerinnen bemängeln die Ausführbarkeit der im Kennzeichen des Anspruchs 1 geforderten Anordnung der "zumindest einen Vertiefung". Hierzu sei weder das Merkmal "außerhalb eines besonders beanspruchten Bereiches oberhalb der Bolzenbohrung", noch das Merkmal "in demjenigen Bereich angeordnet ist, bei dem die Fensterfläche in die Schaftfläche übergeht", geeignet.
3.1.1 So ist die Beschwerdeführerin Einsprechende 1 der Auffassung, dass die Lage des in Anspruch 1 beschriebenen "besonders beanspruchten Bereichs" für irgendeinen Kolben nur mit unzumutbarem Aufwand (s. T 226/85) gefunden werden könne. In Anspruch 1 sei nämlich ein Kolben aus beliebigem Material mit beliebigen Abmessungen beansprucht. Daher sei eine Unzahl von Versuchen vonnöten um zu wissen, ob man im Schutzbereich arbeite, weil diese Parameter in großen Grenzen variiert werden könnten (s. T 339/05, T 123/06). Auch die Figuren lieferten dem Fachmann keinen Weg zur Festlegung des "besonders beanspruchten Bereichs", da kein Schnitt in der Kolbenachse gezeigt sei. Zudem reiche die Offenbarung eines einzigen Weges in den Figuren nicht aus, um die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich auszuführen (s. T 409/91).
3.1.2 Die Beschwerdeführerin Einsprechende 2 ist darüber hinaus der Ansicht, dass der Übergangsbereich Fensterfläche-Schaftfläche verschieblich sei, und eigentlich keinen Einfluss auf den "besonders beanspruchten Bereich" des Kolbens habe. Die Lage der Vertiefung im Übergang Fensterfläche-Schaltfläche nach Anspruch 1 sei also nicht genau definiert und gebe zudem keinen Anhaltspunkt bezüglich der Ausdehnung des "besonders beanspruchten Bereichs". Selbst wenn mit FEM-Analysen (und dargestellten Farbcodes) die Spannungsverhältnisse im Kolben berechenbar seien, sei durch die ermittelten Spannungsverläufe noch keine eindeutige Grenze des "besonders beanspruchten Bereichs" nach Anspruch 1 festgelegt. Damit sei der in Anspruch 1 geforderte Sitz einer Vertiefung außerhalb einer solchen Grenze auch in diesem Fall für den Fachmann nicht nachzuarbeiten.
3.2 Die Kammer vermag sich den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen nicht anzuschließen. Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, ist zunächst die Ermittlung von besonders beanspruchten Bereichen eines Kolbens unter Betriebsbelastung kein Forschungsprojekt. Die Entwicklung bzw. Auslegung eines Kolbens ist etabliert und dem Fachmann auf dem Gebiet des Kolbenbaus seit langem bekannt. Dies gilt im übrigen auch für die Kolbenherstellung (die im Patent ebenfalls als bekannt vorausgesetzt wird). Nach der Wahl eines im Kolbenbau üblichen Materials bestimmter Abmessungen des nach Anspruch 1 zu entwickelnden Kolbens erhält der Fachmann aus Anspruch 1 selbst die Lehre, dass ein mit Sicherheit besonders beanspruchter Bereich am Scheitelpunkt der Bolzenbohrung oder in der Nähe des Scheitelpunkts ausgebildet ist. Dieses Verständnis steht im Einklang mit der Beschreibung, vgl. Seite 1 der Anmeldung, Zeilen 24-27 (wie veröffentlicht):
"Dieser besonders beanspruchte Bereich des Kolbens
befindet sich rechts und links neben dem
Scheitelpunkt der Bolzenbohrung, da sich der
Kolben, insbesondere der Kolbenboden, während
seines Betriebes um den in der Bolzenbohrung
angeordneten Bolzen verformt."
3.3 Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert (und von der Einspruchsabteilung befunden), ist für den Fachmann - im Wissen um die Lage des besonders beanspruchten Bereichs - aus Anspruch 1 selbst und zudem aus der oben zitierten Passage der Beschreibung deutlich nachvollziehbar, dass die zumindest eine Vertiefung in Anspruch 1 erstens außerhalb dieses Bereichs und oberhalb der Bolzenbohrung angeordnet sein muss.
Zweitens lehrt Anspruch 1 und die Beschreibung den Fachmann, vgl. Seite 1 der Anmeldung, Zeilen 32-35 (wie veröffentlicht), dass die zumindest eine Vertiefung in demjenigen Bereich angeordnet ist, bei dem die Fensterfläche in die Schaftfläche übergeht - nämlich ("... und somit") so weit nach außen und nach oben zu verlegen ist - dass sie ungefähr ("in etwa") am Rand der Fensterfläche im Übergangsbereich zu der Schaftfläche des Kolbenschaftes angeordnet ist. Daraus ergibt sich (wie ebenfalls von der Einspruchsabteilung befunden), dass sich der Übergangsbereich zwischen der Fensterfläche und der Schaftfläche offenbar außerhalb des besonders beanspruchten Bereichs befindet.
So zeigen auch die Ausführungsbeispiele nach den Figuren 1, 2 und 3 dem Fachmann Möglichkeiten auf, wie der Anspruch 1 technisch sinnvoll zu verstehen ist, falls die Vertiefung links und rechts (und oberhalb) vom Scheitelpunkt der Bolzenbohrung angeordnet ist, vgl. Beschreibung Seite 3, Zeilen 22-36, Seite 4, Zeilen 24-30 und 32-36 (wie veröffentlicht) und die Figuren. Die Lage des besonders beanspruchten Bereichs (Bezugszeichen "10") gegenüber Vertiefungen (Bezugszeichen "8") ist beispielsweise in Figur 1 dargestellt.
Die Kammer stimmt daher mit der Auffassung der Beschwerdegegnerin überein, dass der Fachmann, basierend auf der Lehre der Patentschrift, die zumindest eine Vertiefung vom Scheitelpunkt der Bolzenbohrung derart nach oben und außen verlegen wird, das die Vertiefung in demjenigen Bereich angeordnet ist bei dem die Fensterfläche in die Schaftfläche übergeht. Dadurch wird er, beispielsweise durch den in Figur 1 gezeigten Bereich 10, die Vertiefung ohne weiters auch außerhalb des "besonders beanspruchten Bereichs" setzen können.
3.4 Aber selbst wenn man der Beschwerdeführerin Einsprechenden 2 folgen würde, wonach sich der Übergang zwischen Fensterfläche und Schaftfläche gemäß der Lehre des Patents nicht unbedingt außerhalb des "besonders beanspruchten Bereichs" befinden muss, stellt die Kammer zur Ermittlung der Ausdehnung des beanspruchten Bereichs folgendes fest:
In diesem besonders beanspruchten Bereich soll der Kolben durch die Anordnung einer Vertiefung nicht gefährdet werden, um Risse im Betrieb des Kolbens zu vermeiden, vgl. Seite 1 der Anmeldung, Zeilen 27-30 (wie veröffentlicht). Eine Spannungsanalyse der Belastungen in den jeweiligen Betriebszuständen des zu entwickelnden Kolbens ist daher für diesen in Anspruch 1 und der Beschreibung angegebenen kritischen Bereich bei der Kolbenentwicklung durchzuführen. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdegegnerin überein, dass die hierfür nötigen Parameter dem Fachmann hinlänglich bekannt sind, und eine erste Berechnung zur Auslegung eines ganz bestimmten Kolbens keinen unzumutbaren Aufwand darstellt, beispielsweise mit der seit Jahrzehnten geläufigen Methode der finiten Elemente (FEM). Wie von der Beschwerdegegnerin ausgeführt, ist bei jeder Auslegung eines Kolbens auch ein Sicherheitszuschlag zur Vermeidung von Rissen vonnöten, eine scharfe Abgrenzung, etwa bei dargestellten Spannungsverläufen durch Farbkodes, kann es nicht geben. Auch dies ist allgemein bekannt.
3.5 Abschließend bemerkt die Kammer, dass die von der Beschwerdeführerin Einsprechenden 1 angezogenen Entscheidungen dem vorliegenden Fall ohne substantiierte Ausführungen zugrunde gelegt wurden. So ist für die Kammer insbesondere nicht ersichtlich, wieso diese Fallentscheidungen auf die technische Ausführbarkeit des vorliegenden Anspruchs 1 des Patents zu lesen sind. T 226/85, T 339/05, T 123/06 und T 409/91 zielen offenbar auf (chemische) Substanzen ab, die ohne Versuch und Irrtum basierend auf den offenbarten Parametern ohne unzumutbarem Aufwand nicht in die Praxis umgesetzt werden können.
3.6 Im vorliegenden Fall muss in Anspruch 1 des Patents hingegen eine Vertiefung in einem Kolben gesetzt werden. Selbst wenn die Abgrenzung des "besonders belasteten Bereichs" wegen eines möglichen Sicherheitszuschlags vielleicht zu breit formuliert wurde, würde dies lediglich die Frage der Klarheit aufwerfen, aber dennoch einen für den etablierten Kolbenentwickler unmissverständlichen Bereich darstellen. Somit ist nach Ansicht der Kammer auf Grundlage der gesamten Anmeldung (Ansprüche, Beschreibung, Zeichnungen) zum Anmeldezeitpunkt basierend auf dem allgemeinen Fachwissen zum Anmeldezeitpunkt das Vorsehen zumindest einer Vertiefung gemäß Anspruch 1 ausführbar.
3.7 Aus dem Vorstehenden folgt, dass der erteilte Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ erfüllt.
4. Neuheit
4.1 Die Beschwerdeführerinnen bemängeln die Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber den Dokumenten E7/E7a (Abbildung Kolben), beziehungsweise dem Dokument E9b (vorbenutzte Konstruktionszeichnung der Mahle GmbH). Insbesondere sei in diesen Dokumenten eine Verdickung nach Anspruch 1 offenbart.
4.1.1 Die Beschwerdeführerin Einsprechende 1 argumentiert, dass die Darstellung des gezeigten Kolbens in Dokument E7a nicht virtuell sei, sondern die Vergrößerung einer Fotographie aus Dokument E7, vgl. E7, Seite 2, links oben. Aufgrund der Schwarz-Weiß Konturen sei eine Verdickung im Sinne des Streitpatents aus E7a entnehmbar. Die Beschwerdeführerin Einsprechende 2 ergänzt, dass die in Anspruch 1 geforderte Verdickung nur als relativer Begriff zu verstehen sei. Gemäß Beschreibung Spalte 4, Zeilen 4-8 des Patents sei die Verdickung verstärkt ausgeführt, und zwar so, dass sie gegenüber dem äußeren Durchmesser des Kolbens weniger zurückgesetzt sei als die Vertiefung 8 beziehungsweise, d.h. alternativ, als die Fensterfläche 7. So zeigten die Ausführungsbeispiele gemäß der zweiten Alternative in den Figuren 3 und 4 des Patents, vgl. Absatz 0013, eine Verdickung relativ zur Fensterfläche, jedoch nicht relativ zur Vertiefung. Für beide Alternativen verstehe es sich von selbst, dass die Verdickung gegenüber dem Kolbendurchmesser zurückversetzt sein müsse, ansonsten sei der Kolben nicht funktionsfähig.
4.1.2 In der Fotographie E7a sei somit eine Verdickung nach Anspruch 1 gezeigt, nämlich eine Verstärkung relativ zur Fensterfläche gemäß der zweiten Alternative, und daher für den Fachmann offenbart.
4.1.3 Darüber hinaus sei in Dokument E9b eine Verdickung sowohl gegenüber der Fensterfläche (zweite Alternative), siehe Kolbendarstellung links oben, als auch gegenüber dem tiefsten Punkt der Vertiefung (erste Alternative), siehe Kolbendarstellung links unten, rechter Schnitt B-B. So sei insbesondere im rechten Schnitt B-B die Außenkante der Fensterfläche, siehe bogenförmige Schnittlinie im Grundriss der gezeigten Vertiefungen, ersichtlich. Die Vertiefungen verliefen also schräg nach unten, woraus sich aus den gezeigten Schnitten eine Verdickung nach Anspruch 1 ableiten ließe.
4.2 Die Kammer vertritt demgegenüber die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die Verdickung 12 gemäß Anspruch 1 wie folgt angeordnet sein muss:
"... in einem Übergangsbereich von der Vertiefung 8 in Richtung der Fensterfläche 7 eine Verdickung 12 vorgesehen ist, ...".
Mit anderen Worten, egal ob die Verdickung 12 den Kolben im Querschnitt gegenüber dem tiefsten Punkt der Vertiefung oder der Fensterfläche verstärkt (und dabei gegenüber dem äußeren Kolbendurchmesser zurückgesetzt ist), muss die Verdickung 12 nach Anspruch 1 stets im Übergangsbereich Vertiefung 8 - Fensterfläche 7 vorgesehen werden. Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit der Beschreibung, vgl. Spalte 3, Zeile 54 bis Spalte 4, Zeile 4, und den Figuren 2 und 4.
4.3 Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, ist aber aus E7a nicht ersichtlich, wo im Übergangsbereich Vertiefung - Fensterfläche der geschwärzten senkrechten Vertiefungen gegenüber der Vertiefung oder der Fensterfläche des Kolbens Material in Bezug auf seinen Außendurchmesser weniger zurückgesetzt ist, um dadurch den Kolben zu verstärken. Im Gegenteil, die in E7a in der angeblichen Fotographie gezeigten Vertiefungen scheinen im Übergangsbereich Vertiefung - Fensterfläche das Material geradlinig eben zu durchbohren, ohne jedweden Überstand nach Außen in Form einer Verdickung. Diese Darstellung in E7a, soweit aus den geschwärzten Vertiefungsbohrungen überhaupt erkennbar, steht offenbar im Gegensatz zu den in den Figuren 2 und 4 des Patents gezeigten Querschnitten mit einer Verdickung 12 nach Anspruch 1.
4.4 Und schließlich folgt die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die in der Zeichnung E9b gezeigten Schnitte, insbesondere auch nicht Schnitt B-B durch den untersten Bereich der Ringnut, weder den Übergangsbereich Vertiefung - Fensterfläche, noch eine Verdickung unmittelbar und eindeutig erkennen lassen.
4.5 Zusammenfassend ist weder in der Abbildung E7a noch der Zeichnung E9b eine Verdickung gemäß Anspruch 1 des Patents unmittelbar und eindeutig offenbart. Dies gilt umso mehr, als in Ermangelung jedweder Beschreibung einer Verdickung in den Dokumenten E7a und E9b diese Information lediglich geschwärzten Abbildungen (E7a) oder nicht zweifelsfrei korrekten Konstruktionszeichnungen (E9b) entnommen werden soll.
4.6 Die Neuheit gegenüber dem übrigen bekanntgewordenen Stand der Technik ist unbestritten und auch die Kammer hat keinen Anlass für eine gegenteilige Ansicht.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher neu und erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 100 a) i.V.m 54 EPÜ.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Die Beschwerdeführerinnen argumentieren, dass ausgehend von den Dokumenten E7/E7a, E9b oder E6 der Gegenstand des Anspruchs 1, insbesondere die in Anspruch 1 geforderte Verdickung (siehe oben zur Neuheit), im Lichte des allgemeinen Fachwissens auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe.
5.1.1 Die Beschwerdeführerinnen führen aus, dass der Fachmann erkenne, dass die in E7/E7a, oder E9b offenbarten Vertiefungen für die Ölabfuhr zugleich Schwachstellen wegen der Gefahr von Rissbildungen darstellten. So sei es für ihn naheliegend, das Material an diesen Stellen zu verstärken, also Verdickungen vorzusehen.
5.1.2 Zur E6 sind die Beschwerdeführerinnen der Ansicht, dass die z.B. in den Figuren 2,5 und 6 gezeigten, leicht auseinanderlaufenden Linien am unteren Ende der Vertiefungen eine Verdickung implizierten. Die gezeigten Vertiefungen seien nämlich nicht auf der Fensterfläche, sondern weiter außen, und stellten daher eine Verdickung gegenüber der Fensterfläche im Sinne des Anspruchs 1 des Patents dar (zweite Alternative, siehe oben Punkt 4.1.1 dieser Entscheidung). Somit unterscheide sich Anspruch 1 des Patents von E6 nur dadurch, dass die zumindest eine Vertiefung nach Anspruch 1 im Bereich einer untersten Ringnut vorgesehen sei, wohingegen in E6 die in den Figuren 1,2, 5 und 6 gezeigten Vertiefungen in der Nähe einer Ölabfuhrnut (oil drainage groove 68) anstatt an Ringnuten (series of ring grooves 76) angeordnet seien, vgl. E6, z.B. Absatz 0035. Ausgehend von E6 würde der Fachmann, falls eine Verkleinerung oder eine Gewichtsersparnis des in E6 gezeigten Kolbens erfolgen solle, die Vertiefung und die Verdickung ohne weiters an einer Ringnut anstatt einer Ölabfuhrnut vorsehen.
5.2 Dem Vortrag der Beschwerdeführerinnen vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, offenbart auch E6 keine Verdickung unmittelbar und eindeutig, lediglich basierend auf nicht-maßstäblichen, schematisch skizzierten umlaufenden Konturen im Bereich der und zwischen den gezeichneten Vertiefungen, vgl. E6, Figuren. So wäre es in den gezeigten Figuren der E6 durchaus denkbar, dass dort ein kontinuierlicher Übergang zwischen Vertiefung und Fensterfläche dargestellt ist bzw. dargestellt sein soll, und zwar ohne jede Verdickung im Sinne des Anspruchs 1. Auch der Beschreibung der E6 ist wieder kein Hinweis auf irgendeine Verdickung in diesem Bereich zu entnehmen.
5.3 Ausgehend von E7/E7a, E9b, oder E6 unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von diesen Dokumenten daher jedenfalls durch die Anordnung einer Verdickung, nämlich dadurch, dass
"in einem Übergangsbereich von der Vertiefung in Richtung der Fensterfläche eine Verdickung vorgesehen ist, die auch hinter dem äußeren Durchmesser des Kolbens zurückgesetzt ist".
Unstreitig kann diesen unterscheidenden Merkmalen die Aufgabe zugrunde gelegt werden, die Entstehung der Rissbildung im Bereich der Vertiefung weiterhin wirksam zu verhindern, vgl. Patent, Absatz 0005; Absatz0010, Spalte 3, Zeilen 38-40; und Absatz 0012, Spalte 4, Zeilen 36,37.
5.4 Der Fachmann wird ausgehend von E7/E7a, E9b oder E6 weder durch sein Fachwissen, noch durch den ansonsten genannten Stand der Technik, zur Lösung der vorstehenden Aufgabe angeregt eine Verdickung nach Anspruch 1 vorzusehen. Insbesondere können hierfür nicht irgendwelche angeblichen Schatten oder Schwärzungen in E7/E7a, nicht erkennbare Schnitte in E9b, oder skizzierte Linien in E6 als Hinweis dienen, entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen. Wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, wird die Problematik von Rissbildungen im Bereich der Vertiefungen zur Ölabfuhr auch in keinem der genannten Dokumente adressiert. Aber selbst wenn der Fachmann ein Rissrisiko in diesem Bereich vermuten würde, würde sich ihm keine Verdickung zur Abhilfe aufdrängen, denn es gäbe zur Lösung dieses Problems mehrere bekannte Möglichkeiten, sei es das Kolbendesign, die verwandten Materialien, oder die Art der Kolbenherstellung.
5.5 Zusammenfassend kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt im Lichte der Dokumente E7/E7a, E9b, oder E6 und allgemeinem Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, da zumindest das Vorsehen einer Verdickung nach Anspruch 1 für den Fachmann nicht nahe liegt. Die Kammer hat sich auch davon überzeugt, dass die übrigen im Verfahren genannten Dokumente nicht relevanter sind, als die in der Verhandlung diskutierten.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher erfinderisch und erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 100 a) i.V.m 56 EPÜ.
6. Im Ergebnis bestätigt die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung, wonach keiner der genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstehen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.