T 0311/96 (Netze/DEGUSSA) of 12.10.1999

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1999:T031196.19991012
Datum der Entscheidung: 12 October 1999
Aktenzeichen: T 0311/96
Anmeldenummer: 92104159.6
IPC-Klasse: B01J 35/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von gasdurchlässigen Netzen aus Edelmetallen für katalytische Prozesse
Name des Anmelders: Degussa-Hüls Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: NORSK HYDRO TECHNOLOGY B.V.
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 112(1)
Schlagwörter: Ausführbarkeit der Erfindung (ja, nach Einreichung zusätzlicher Beweismittel)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer abgelehnt (gestellte Frage nicht entscheidungserhebliche Tatfrage)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/98
T 0201/83
T 0226/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 0 504 723, für das die Priorität zweier Voranmeldungen vom 16. März 1991 und 28. Februar 1992 beansprucht wurde, wurde auf die Patentanmeldung 92 104 159.6 mit einem einzigen Anspruch erteilt. Der erteilte Anspruch hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung von gasdurchlässigen Netzen aus Edelmetallen für katalytische Prozesse, insbesondere zur katalytischen Oxidation von Ammoniak, oder zur Rückgewinnung der bei der katalytischen Ammoniakverbrennung sich verflüchtigenden Platinmetalle durch Stricken von Drähten aus Platin- oder Palladiumlegierungen auf Strickmaschinen, dadurch gekennzeichnet, daß Drähte aus Platin-Rhodium-Legierungen mit 4 bis 12 Gew.% Rhodium oder Drähte aus Platin-Palladium-Rhodiumlegierungen mit 4. bis 12 Gew.% Palladium und Rhodium oder Drähte aus Palladium-Nickel-Legierungen mit 2 bis 15 Gew.% Nickel oder Drähte aus Palladium-Nickel-Kupferlegierungen mit 2 bis 15 Gew.% Nickel und Kupfer eingesetzt werden, die einen Durchmesser von 50 bis 120 m aufweisen, eine Zugfestigkeit von 900 bis 1050 N/mm2 und eine Dehnungsgrenze von 0,5 bis 3 % besitzen müssen, und daß Flachstrickmaschinen verwendet werden deren Teilung zwischen 3,63 mm und 1,81 mm und deren Maschenlänge zwischen 2 und 6 mm liegt."

II. Gegen die Patenterteilung hat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) wegen mangelnder Neuheit sowie mangelnder erfinderischer Tätigkeit Einspruch eingelegt. Im Laufe des Einspruchsverfahrens hat sie außerdem einen Einwand bezüglich der Ausführbarkeit der Erfindung erhoben. Zur Stützung ihrer Vorbringen haben die Parteien u. a. auf folgende Druckschriften verwiesen:

D1: WO 92/02301

D2: EP-A-0 364 153

D8: Werkstoffbegriffe, H. Christen, 1964, Seite 223

D10: "Die Edelmetalle und ihre Legierungen", E. Rauh, 1940, Seiten 224 - 255

D11: Platinum Metals Rev., 1987, 31(2), Seiten 74 - 89.

III. Die Einspruchsabteilung hat das Patent wegen mangelnder Offenbarung widerrufen. In der Entscheidung wird ausgeführt, daß die Angaben in der Patentschrift nicht vollständig genug seien, um die Herstellung von Drähten mit den beanspruchten Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerten zu ermöglichen. Es sei fraglich, inwiefern die in D8 angegebenen Festigkeitswerte für Weichstahl direkt auf die gemäß Streitpatent zu verwendenden Edelmetallegierungen übertragbar seien. Aus D8 die Erreichbarkeit außergewöhnlich hoher Werte für spezielle Edelmetallegierungen abzuleiten, scheine nicht im Rahmen des üblichen Fachwissens zu liegen. Die Information, daß bei einem Verformungsgrad von über 80 % Zugfestigkeiten von 900 bis 1050 N/mm2 erreichbar seien, sei aus dem allgemeinen Fachwissen, wie es vom Patentinhaber aufgezeigt wurde, nicht herleitbar.

IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben und in der Beschwerdebegründung die zusätzliche Druckschrift DODUCO-Datenbuch, 1974, Seiten 64 - 69, (D12), genannt. Sie hat außerdem zwei Gutachten eines Professors an der Technischen Hochschule Darmstadt eingereicht. Am 12. Oktober 1999 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden.

V. Im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin u. a. folgende Argumente vorgetragen:

Es liege auf der Hand, zur Herstellung von Drähten höchster Festigkeit das Verfahren der Kaltverfestigung einzusetzen. Es gehöre zum Wissenstand eines jeden Metallkundlers, daß bei der linearen Verformung eines verformbaren Metalldrahtes die Zugfestigkeit mit dem Grad der Verformung stetig zunehme und die Dehnungsgrenze gleichzeitig abnehme. Ein Fachmann, der besonders hohe Werte der Zugfestigkeit erreichen wolle, werde daher Verformungsgrade von bis zu 98 - 99 % anstreben. Aufgrund des allgemeinen Wissensstands und der in D12 veröffentlichten Diagramme und Zugfestigkeitswerte für Pt- und Pd-Legierungen sei der Fachmann zum Anmeldezeitpunkt durchaus in der Lage gewesen, Drähte aus Pt- und Pd-Legierungen mit den geforderten Zugfestigkeitswerten durch Kaltziehen bis zur Verformung nahe der Bruchdehnung herzustellen. Die zwei Gutachten der Technischen Hochschule Darmstadt belegten, daß Drähte mit den geforderten Eigenschaften ohne weiteres mit Hilfe von zumutbaren Routineversuchen hergestellt werden könnten. Es sei für den Metallurgen und Drahthersteller eine Selbstverständlichkeit, zwischen den einzelnen Drahtziehvorgängen routinemäßig thermische Zwischenbehandlungen ("Weichglühen") vorzusehen, um die erforderliche Duktilität wieder herzustellen.

Kern der Erfindung sei die Erkenntnis, daß Drähte mit den angegebenen Merkmalen bezüglich Zusammensetzung und Durchmesser zusätzlich die beanspruchten Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerte erfüllen müßten, um hilfsmittelfrei auf Flachstrickmaschinen mit der angegebenen Teilung gestrickt werden zu können. Das Merkmal bezüglich Zugfestigkeit und Dehnungsgrenze werde aus den Dokumenten zum Stand der Technik nicht nahegelegt.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat ihrerseits folgendes geltend gemacht:

D12 belege nicht, daß alle beanspruchten Legierungen die im Anspruch 1 angegebenen Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerte aufweisen könnten. D10 und D11 seien ebenfalls zu berücksichtigen. Der Fachmann erhalte keine klare Anleitung darüber, wie die Drähte hergestellt werden, und die fragwürdige Interpolation der Diagramme aus D12 stelle keine ausreichende Offenbarung für die Herstellung der patentgemäßen Drähte dar. Das Streitpatent offenbare weder, wie die Zugfestigkeit gemessen worden sei, noch daß die Drähte kaltgezogen und einem Verformungsgrad von über 80 % unterworfen werden müßten, um die beanspruchten Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerte zu erreichen. Die in der Entscheidung T 226/85 erwähnten Bedingungen seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. D11 offenbare Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerte, die sich erheblich von den beanspruchten Werten unterschieden. Unter diesen Umständen seien genaue Angaben über das Herstellungsverfahren und die Meßmethode erforderlich. Die Beschwerdeführerin habe nicht gezeigt, daß vor dem Prioritätsdatum Drähte mit den beanspruchten Festigkeits- und Dehnungsgrenzewerten vom Fachmann durch Kaltziehen und Zwischenglühen ohne unzumutbaren Aufwand hergestellt werden könnten. Außerdem sei dem Fachmann bekannt, daß eine so harte Behandlung wie ein Verformungsgrad von mindestens 95 % zu einer Änderung der Drahteigenschaften führe. Die so erhaltenen Drähte würden bei den hohen Temperaturen wie die der Ammoniakoxidation wahrscheinlich schadhaft und brüchig. Daher würde der Fachmann dieses Herstellungsverfahren nicht unbedingt auswählen, um einen sehr harten Draht zu erreichen.

Sollte es, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, für den Fachmann naheliegend sein, die beanspruchten Zugfestigkeits- und Dehnungsgrenzewerte zu erzielen, dann könne keine erfinderische Tätigkeit in der naheliegenden Behandlung der Drähte gesehen werden.

Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin außerdem vorgetragen, daß das im Versuchsbericht des zweiten Gutachtens vom 25. August 1999 erwähnte Zwischenglühen nicht als zum allgemeinen Fachwissen gehörend gezeigt worden sei. Nach Klarstellung anhand von D8 (Seiten 220 und 224), daß ein Glühen zwischen einzelnen Kaltverformungsvorgängen zum allgemeinen Fachwissen gehörte, wurde dieser Einwand nicht aufrechterhalten. Die Beschwerdegegnerin hat ferner die folgende Frage an die Große Beschwerdekammer formuliert:

"Wenn ein Patent aufgrund mangelnder Offenbarung angegriffen wird, kann dieser Einwand dann durch eine einfache Aussage der Patentinhaberin ohne Beweisführung ausgeräumt werden?"

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes in unveränderter Form sowie die Zurückweisung des Antrags auf eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, der Großen Beschwerdekammer die im Punkt VI dargestellte Frage vorzulegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, daß die im Anspruch 1 in % ausgedrückten Dehnungsgrenzewerte die Bruchdehnungswerte sind. Entsprechend wird in den nachfolgenden Ausführungen der Begriff Bruchdehnung verwendet.

Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, ist im Streitpatent weder die Meßmethode für die Zugfestigkeits- und Bruchdehnungswerte angegeben, noch enthält das Streitpatent Angaben darüber, wie Drähte mit den besagten Werten hergestellt werden können. Ferner ist aus dem Streitpatent nicht zu entnehmen, daß derartige Drähte vor dem Prioritätsdatum bekannt oder im Handel erhältlich waren. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin ist das patentgemäße Verfahren im Streitpatent nicht so vollständig offenbart, daß ein Fachmann es ausführen kann.

2.1. Bezüglich der Meßmethoden ist jedoch unbestritten, daß vor dem Prioritätsdatum Meßmethoden für die Bestimmung sowohl der Zugsfestigkeit als auch der Bruchdehnung allgemein bekannt waren. Daher war der Fachmann in der Lage, die Zugsfestigkeit und Bruchdehnung durch Verwendung der allgemein bekannten Methoden zu bestimmen. Aus der bloßen Tatsache, daß die verwendete Meßmethode für die Bestimmung dieser üblichen Parameter im Streitpatent nicht erwähnt ist, kann unter diesen Umständen nicht geschlossen werden, daß die Offenbarung der Erfindung nicht ausreichend ist.

2.2. Bezüglich der für die Herstellung der Netze verwendeten Ausgangsdrähte ist von der Beschwerdeführerin nicht gezeigt worden, daß Drähte aus den im Anspruch 1 angegebenen Platin- oder Palladiumlegierungen mit einer Zugfestigkeit von 900 - 1050 N/mm2 und einer Bruchdehnung von 0,5 - 3 % am Prioritätsdatum im Handel erhältlich waren oder bekannt waren. Die Zugfestigkeitswerte in der Tabelle IV von D11 (siehe Seite 86) für Legierungen mit einer in den beanspruchten Bereich fallenden Zusammensetzung sind niedriger als 500 N/mm2 und in D10 ist eine Zugfestigkeit von 706 N/mm2 (72 kg/mm2) für eine Pt-Rh-Legierung mit 10 % Rh erwähnt. Der Wert von 1059 N/mm2 (108 kg/mm2) betrifft eine Pt-Rh-Legierung mit 20. % Rh, d. h. eine Legierung deren Rh-Gehalt außerhalb des beanspruchten Bereiches liegt (siehe D10, Seite 233, Zeilen 7 - 8).

Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer kann der Fachmann die im Patent enthaltenen Informationen durch sein allgemeines Fachwissen vervollständigen. Entscheidend ist im vorliegenden Falle, ob der Fachmann trotz fehlender Anweisungen im Streitpatent über die Herstellung der Ausgangsdrähte anhand des allgemeinen Fachwissens vor dem Prioritätsdatum in der Lage war, die besagten Drähte ohne unzumutbaren Aufwand bzw. ohne unzumutbares Herumexperimentieren herzustellen (siehe z. B. T 206/83, ABl. EPA 1987, 5; T 226/85, ABl. EPA 1988, 336, beide von der Beschwerdegegnerin zitiert). Es ist daher zu untersuchen, was der allgemeine Wissenstand am Prioritätsdatum im Gebiet der Drahtherstellung war. Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen und durch D8 und D12 bestätigt, war das Phänomen der Kaltverfestigung während der Kaltverformung allgemein bekannt. Es gehörte zum Wissenstand des Metallkundlers, daß mit der Kaltverformung metallischer Werkstoffe eine erhebliche Kaltverfestigung verbunden ist, die sich durch einen Anstieg der Härte und Zugfestigkeit bei entsprechender Abnahme der Bruchdehnung und Brucheinschnürung bemerkbar macht. Es war ebenfalls unter Drahtherstellern allgemein bekannt, daß das Ziehen das Standardverfahren zur Herstellung von Drähten mit sehr kleinen Durchmessern darstellt und daß die Kaltverfestigung durch Zwischenglühen wieder abgebaut werden muß, damit eine weitere Kaltverformung möglich ist. Außerdem geht aus den Diagrammen in D12 hervor, daß im Falle von Pt- oder Pd-Legierungen Zugfestigkeitswerte von ca. 900 N/mm2 oder mehr durch Kaltverformung bei hohen Verformungsgraden (90 % oder mehr) erreichbar sind. Unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Fachwissens vor dem Prioritätsdatum ist die Kammer der Auffassung, daß es für den Fachmann am Prioritätstag selbstverständlich war, zur Herstellung von Drähten mit den in Anspruch 1 angegebenen Durchmesser-, Zugfestigkeits- und Bruchdehnungswerten das Verfahren der Kaltverfestigung bzw. das Kaltziehen bis zur Verformung nahe der Bruchdehnung einzusetzen. Daß zwischen den einzelnen Drahtziehvorgängen eine Zwischenglühung durchgeführt werden muß, wenn von starken Ausgangsdrahtrohlingen ausgegangen wird, ist für den Fachmann ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin im Laufe der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten.

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin stellt die Herstellung der als Ausgangsmaterial für das beanspruchte Verfahren benötigten Drähte mit den angegebenen Eigenschaften und Durchmessern durch Kaltziehen bis zu hohen Verformungsgraden und Zwischenglühen deshalb für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand dar, weil Angaben hierzu im Streitpatent fehlen. Dieser Auffassung wurde von der Beschwerdeführerin widersprochen. Die Beschwerdegegnerin, die die Beweislast für ihre Behauptung trägt, hat nicht nachgewiesen, daß der Fachmann bei der Herstellung der Drähte durch Kaltziehen und Zwischenglühen am Prioritätstag erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden gehabt hätte, oder daß die Anzahl von Routineversuchen oder Fehlschlägen so hoch gewesen wäre, daß die besagte Herstellung für den Drahthersteller einen unzumutbaren Aufwand dargestellt hätte. Sie hat nicht einmal erklärt, aus welchen Gründen der Aufwand unzumutbar gewesen sein solle. Hingegen wurde in dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Gutachten mit Versuchsbericht vom 25. August 1999 gezeigt (siehe Punkt 2 des Gutachtens), daß die Herstellung eines 60 m starken Drahtes aus Pt/Rh10 ausgehend von 6 mm gewalzten Drahtrohlingen nach konventionellen Verfahren erfolgt, nämlich z. B. Kaltziehen in einer Grobzuganlage auf 1,4 mm, dann Glühen des erhaltenen Drahtes, weiter Kaltziehen bis auf 0,20 mm in einer Mittelzuganlage, wieder Glühen unter den gleichen Bedingungen und Kaltziehen im Feinzug auf die Endstärke. Obwohl die Bedingungen für die verschiedenen Ziehvorgänge und das Zwischenglühen mit Hilfe von Routineversuchen ermittelt werden müssen, kann die Kammer daraus nicht entnehmen, daß der Drahthersteller anhand seines allgemeinen Fachwissens eine unzumutbare Anzahl von Routineversuchen hätte durchführen müssen, um die fehlenden Bedingungen herauszufinden. Diesbezüglich ist anzumerken, daß die Erholungstemperatur nach der Kaltbearbeitung und Temperaturen für das Weichglühen von Pt/Rh10 vor dem Prioritätsdatum nicht unbekannt waren (siehe z. B. D10, Seite 233). Unter diesen Umständen kommt die Kammer zu dem Schluß, daß der Fachmann aufgrund des allgemeinen Fachwissens im Gebiet der Metallurgie und Drahtherstellung und der in D12 offenbarten Informationen am Prioritätstag in der Lage war, Drähte aus Pt- und Pd-Legierungen mit den geforderten Durchmessern und Eigenschaften ohne unzumutbaren Aufwand herzustellen. Daher sind die Anforderungen bezüglich der Ausführbarkeit der Erfindung erfüllt.

3. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 ist neu gegenüber dem zitierten Stand der Technik. Da die Neuheit im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdegegnerin nicht mehr bestritten wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.

4. Für die Varianten des Anspruchs 1, in denen Drähte aus

(a) Pt-Pd-Rh-Legierungen mit 4 bis 12 Gew.-% Pd und Rh,

(b) Pd-Ni-Legierungen mit über 6 bis 15 Gew.-% Ni,

(c) Pd-Cu-Legierungen mit 2 bis 15 Gew.-% Cu, und

(d) Pd-Ni-Cu-Legierungen mit 2 bis 15 Gew.-% Ni und Cu

eingesetzt werden, hat die Beschwerdegegnerin vorgetragen, daß als Prioritätsdatum nur der Anmeldetag der zweiten Voranmeldung, d. h. der 28. Februar 1992, in Betracht komme. Die Beschwerdeführerin hat sich hierzu nicht geäußert. Die Kammer bemerkt hierzu im Hinblick auf die der Großen Beschwerdekammer unter dem Aktenzeichen G 2/98 vorliegende Rechtsfrage (siehe ABl. EPA 1998, 509 - 510) zur Auslegung des Begriffs "derselben Erfindung" in Artikel 87 EPÜ, daß dies bezüglich der Variante (b) für die der unteren Grenze benachbarten Werte zweifelhaft sein könnte. Da die Frage der wirksamen Prioritätsbeanspruchung aus den im folgenden unter 5. genannten Gründen jedoch für die hier zu treffende Entscheidung nicht entscheidungserheblich ist, kann die Kammer zugunsten der Beschwerdegegnerin unterstellen, daß ihre Auffassung zutrifft, und die Druckschrift D1 bezüglich aller dieser Varianten als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ berücksichtigen. Für die restlichen im Anspruch 1 enthaltenen Varianten ist der Prioritätsanspruch vom 16. März 1991 gültig, so daß bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dieser Varianten die nachveröffentlichte Druckschrift D1 nicht in Betracht gezogen werden kann.

5. Bezüglich Anspruch 1 in den Varianten (a), (b), (c) und (d) beschreibt D1 den nächstliegenden Stand der Technik. D1 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von gasdurchlässigen Netzen aus Edelmetallen für katalytische Prozesse, insbesondere zur katalytischen Oxidation von Ammoniak, oder zur Rückgewinnung der bei der katalytischen Ammoniakverbrennung sich verflüchtigenden Platinmetalle durch Stricken von Drähten aus Pt- oder Pd-Legierungen auf Strickmaschinen. Die verwendeten Drähte weisen einen Durchmesser von 50 bis 100 m auf. Drähte aus Pt-Rh-Pd-Legierungen z. B. mit 5 % Rh und 5 % Pd können eingesetzt werden. Konventionelle Strickmaschinen, z. B. Flachstrick- und Rundstrickmaschinen, können für das Stricken der besagten Netze angepaßt werden. Mit dem Verfahren gemäß D1 können Netze mit Flächengewichten von mehr als 300 g/m2 erreicht werden, z. B. 418 g/m2 mit der im Beispiel 4 verwendeten Rundstrickmaschine. Mit einer Kettenwirkmaschine wird gemäß Beispiel 1 ein Kettengewirk mit einem Flächengewicht von 583 g/m2 erhalten (siehe Seite 1, Zeilen 1 - 6; Seite 4, Zeilen 26 - 32; Seite 12, Zeile 20 bis Seite 13, Zeile 16; Seite 14, Zeilen 21 - 24; Beispiele 1 und 4).

D1 offenbart, daß Drähte mit einer Stärke von 50 bis 100 m mit Erfolg, d. h. ohne wiederholte Brüche des Drahtes und Blockierprobleme beim Strickvorgang, verstrickt werden können, wenn entweder ein Hilfsfaden mitverwendet wird oder die besagten Drähte mit einem Schmiermittel wie z. B. Sprühstärke oder Sprühwachs versehen werden (siehe Seite 16, Zeilen 7 - 25; Beispiele 1 und 4).

5.1. Demgegenüber kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, ein anderes Verfahren bereitzustellen, bei dem die Verwendung eines Hilfsmittels nicht erforderlich ist und das trotzdem die Herstellung von Netzen mit hohen Flächengewichten ermöglicht.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird das Verfahren gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen. Das beanspruchte Verfahren in der Variante (a) unterscheidet sich von demjenigen aus D1 insbesondere dadurch, daß die als Ausgangsmaterial eingesetzten Drähte mit dem angegebenen Durchmesser eine Zugfestigkeit von 900 bis 1050 N/mm2 und eine Bruchdehnung von 0,5 bis 3 % besitzen. Außerdem sind die im Anspruch 1 erwähnten Zahlenbereiche für Teilung und Maschenlänge in D1 nicht offenbart. Die Varianten (b), (c) and (d) unterscheiden sich zusätzlich vom Verfahren gemäß D1 durch die Legierung, da D1 keine Pd-Ni, Pd-Cu and Pd-Ni-Cu-Legierungen offenbart. Im Hinblick auf die Beispiele und Hinweise im Streitpatent und in Abwesenheit gegenteiliger Beweise hierzu hält die Kammer für plausibel, daß die bestehende Aufgabe durch das beanspruchte Verfahren tatsächlich gelöst worden ist. Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, daß die Drähte bei deren Verwendung in der Ammoniakoxidation schadhaft und brüchig werden, wurde nicht bewiesen. Diese Behauptung wurde von der Beschwerdeführerin bestritten und steht im Widerspruch zu ihrer unbestrittenen Aussage, daß die entsprechend dem Streitpatent hergestellten gestrickten Katalysatornetze seit Jahren erfolgreich und zufriedenstellend, auch bei der Beschwerdegegnerin, im Einsatz sind, und daß hiervon etwa 2,5 Tonnen jährlich produziert werden.

5.2. D1 befaßt sich mit den Schwierigkeiten, mit denen der Fachmann beim Stricken von Edelmetallegierungdrähten auf Strickmaschinen konfrontiert ist. Aus D1 erfährt der Fachmann, daß diese Schwierigkeiten durch die Verwendung von Schmiermitteln oder Hilfsfäden überwunden werden können (siehe Seite 16). Jedoch enthält D1 keine Angaben darüber, wie das Verfahren geändert werden müßte, um das Stricken von Netzen mit relativ hohen Flächengewichten ohne die Verwendung von Schmiermitteln oder Hilfsfäden zu ermöglichen.

5.3. D2 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von Netzen aus Edelmetallegierungen durch Stricken auf Rund- oder Flachstrickmaschinen. Gemäß D2 können Drähte aus Pt-Legierungen oder aus Metallen mit äquivalenten mechanischen Eigenschaften nicht mit Erfolg zu Netzen mit Flächengewichten entsprechend denjenigen der konventionellen gewebten Katalysatornetze verstrickt werden, da die Drähte beim Strickvorgang brechen oder die Strickmaschine durch Klemmungen blockiert wird. Nach D2 sollen die zu diesen Schwierigkeiten beitragenden wichtigen Faktoren die Zugfestigkeit, der Drahtdurchmesser, die Duktilität und der Oberflächenreibungsfaktor sein. Um diese Probleme zu lösen, werden gemäß D2 die Edelmetallegierungen mit einem Hilfsfaden aus natürlichen Fasern oder einem Kunstoff auf einer Strickmaschine verstrickt (siehe Seite 2, Zeilen 33 - 52; Seite 3, Zeilen 3 - 11, 28 - 31 und 48 - 49). D2 offenbart zwar, daß Rh-Pt Drähte zu verhältnismäßig niedrigen Flächengewichten ohne Verwendung eines Hilfsfadens gestrickt werden können (siehe Seite 3, Zeilen 12 - 16), lehrt jedoch darüber hinaus, daß bei höheren Flächengewichten die Verwendung des Hilfsfadens notwendig ist. Im Beispiel 2 wurde aus einem 10 % Rh/Pt Draht auf einer Rundstrickmaschine ein Netz mit einem Flächengewicht von nur 147 g/m2 gestrickt. Das nach Beispiel 1 erhaltene Netz hat ein höheres Flächengewicht, nämlich 260 g/m2, jedoch wurde ein Polyesterhilfsfaden mitverstrickt. Aus D2 entnimmt der Fachmann ferner, daß durch zukünftige Verbesserungen bei der Stricktechnik eventuell auf die Verwendung eines Hilfsfadens verzichtet werden könnte, oder daß Alternativen zur Verwendung eines Hilfsfadens entwickelt werden könnten, z. B. das Beschichten oder Bedecken des Edelmetalldrahtes mit einem zum Hilfsfaden äquivalenten Material. Diese zusätzlichen Lösungsvorschläge gehen jedoch in eine andere Richtung als die beanspruchte Lösung. D2 enthält nichts, woraus der Fachmann hätte entnehmen können, daß die Verwendung von Drähten aus Edelmetallegierungen mit Zugfestigkeits- und Bruchdehnungswerten von jeweils 900 - 1050 N/mm2 und 0,5 - 3 % das Stricken von Netzen mit hohen Flächengewichten ohne Verwendung von Hilfsmitteln (Schmiermitteln, Hilfsfäden oder äquivalenten Mitteln) ermöglichen würde. Daher konnte die Lehre aus D1 und D2 nicht zur beanspruchten Lösung der bestehenden Aufgabe anregen. Ferner ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß die Tatsache, daß die Herstellung von Drähten mit den besagten Festigkeits- und Bruchdehnungswerten für den Fachmann naheliegend ist, in keiner Weise das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens, bei dem diese Drähte verwendet werden, begründen kann. Der nicht weiter substantiierte diesbezügliche Vortrag der Beschwerdegegnerin beruht vielmehr auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.

5.4. Die anderen im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren zitierten Druckschriften enthalten ebenfalls keine Hinweise, die den Fachmann dazu hätten anregen können, Drähte mit den beanspruchten Zugfestigkeits- und Bruchdehnungswerten zu benutzen, um die bestehende Aufgabe zu lösen.

6. Bezüglich der restlichen Varianten des Anspruchs 1, d. h. (e) Drähte aus Pt-Rh-Legierungen mit 4 - 12 Gew.-% Rh und (f) Drähte aus Pd-Ni-Legierungen mit 2 - 6 Gew.-% Ni, gehört D1 nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ. Für diese Varianten stellt D2 den nächstliegenden Stand der Technik dar. Gegenüber D2 ist die diesen Varianten zugrundeliegende Aufgabe, ein Verfahren bereitzustellen, das die Herstellung von Netzen mit hohen Flächengewichten ohne Verwendung eines Hilfsmittels ermöglicht. Die im Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung unterscheidet sich vom Verfahren gemäß D2 u. a. durch die Verwendung von Drähten aus Edelmetallegierungen, die Zugfestigkeits- und Bruchdehnungswerte von jeweils 900 - 1050 N/mm2 und 0,5 - 3 % aufweisen. Die in den vorstehenden Punkten 5.3 und 5.4 angegebenen Gründe gelten daher ebenfalls für die Varianten (e) und (f) des Anspruchs 1.

7. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 die Voraussetzungen für seine Patentfähigkeit gemäß Artikeln 52 (1), 54 und 56 EPÜ erfüllt.

8. Nach Artikel 112 (1) EPÜ befaßt eine Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, die Große Beschwerdekammer, wenn sie hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält. Der Antrag der Beschwerdegegnerin, die im Punkt VI angegebene Frage an die Große Beschwerdekammer vorzulegen, wird aus folgenden Gründen abgelehnt:

Wie sich aus den Ausführungen in Punkt 2.2 ergibt, hat im vorliegenden Falle die Patentinhaberin nicht nur eine "einfache Aussage" bezüglich der Ausführbarkeit der Erfindung gemacht, sondern vielmehr im Beschwerdeverfahren Beweismittel (D12 und zwei Gutachten eines Professors der Technischen Hochschule Darmstadt) eingereicht, um die Behauptung der Beschwerdegegnerin zu widerlegen, daß die Erfindung ohne Angaben über die Herstellung der Ausgangsprodukte nicht ausführbar sei. Der von der Beschwerdegegnerin in der von ihr vorgelegten Frage vorausgesetzte Sachverhalt liegt daher hier nicht vor. Die gestellte Frage ist daher für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht relevant. Darüber hinaus hängt die Antwort auf die Frage, ob ein aufgrund mangelnder Offenbarung erhobener Einwand durch eine einfache Aussage der Patentinhaberin ohne Beweisführung ausgeräumt werden kann, von den jeweiligen tatsächlichen Umständen des Falles ab. Es kommt z. B. darauf an, was im konkreten Falle im Patent offenbart ist, welche Angaben fehlen, nicht korrekt oder nicht reproduzierbar sind, ob die fehlenden Angaben zum allgemeinen Wissenstand gehören, auf welcher Basis der Einwand erhoben wurde, ob er selbst durch Beweismittel gestützt wurde. Dies sind Tatfragen des jeweils betrachteten Einzelfalles und somit keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Artikel 112 (1) EPÜ. Was die möglicherweise hinter der von der Beschwerdegegnerin formulierten Frage stehende Frage nach den anzuwendenden Grundsätzen über die Beweislast und Beweislastverteilung in Fällen der vorliegenden Art angeht, so vermag die Kammer hinsichtlich der insoweit maßgebenden Rechtsgrundsätze keine ungeklärten Rechtsfragen und auch keine Divergenz in der Rechtsprechung der Kammern zu erkennen, die eine Vorlage der gestellten Frage für die Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung rechtfertigen könnte, und dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht vorgetragen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.

3. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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