T 1026/98 (Beitritt/KALLE) of 13.6.2003

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2003:T102698.20030613
Datum der Entscheidung: 13 Juni 2003
Aktenzeichen: T 1026/98
Anmeldenummer: 91108077.8
IPC-Klasse: B32B 27/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 32 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Kalle Nalo GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: Kureha Kagaku Kogyo Kabushiki Kaisha
Beitretende 1: Carsten Nicolaisen GmbH & Co. Kg
Beitretende 2: ALFANOVA Deutschland GmbH
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
I. Kann nach Rücknahme der einzigen Beschwerde das Verfahren mit einem während des Beschwerdeverfahrens Beigetretenen fortgesetzt werden?
II. Wenn die Frage zu 1 bejaht wird:
Ist Voraussetzung für die Möglichkeit, das Verfahren fortzusetzen, daß der Beitretende formelle Erfordernisse erfüllt hat, die über die in Artikel 105 EPÜ ausdrücklich geregelten Zulässigkeitserfordernisse des Beitritts hinausgehen, insbesondere, ist die Entrichtung der Beschwerdegebühr notwendig?
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 105
European Patent Convention 1973 Art 107
European Patent Convention 1973 Art 112(1)(a)
European Patent Convention 1973 R 57(4)
European Patent Convention 1973 R 60(2)
Schlagwörter: Beitritt im Beschwerdeverfahren
Fortführung des Verfahrens nach Zurücknahme der einzigen Beschwerde
Befassung der Großen Beschwerdekammer
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0002/91
G 0004/91
G 0008/91
G 0010/91
G 0009/92
G 0008/93
G 0001/94
G 0001/97
T 0027/92
T 0684/92
T 1011/92
T 0195/93
T 0467/93
T 0471/93
T 0590/94
T 0144/95
T 0886/96
T 0989/96
T 0517/97
T 1001/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0003/04
T 1007/01
T 1108/02

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die Anmeldung Nr. 91 108 077.8 ist mit Wirkung vom 9. August 1995 das europäische Patent Nr. 0 467 039 erteilt worden.

II. Gegen das Patent sind zwei Einsprüche eingelegt worden, beide mit dem Antrag, das Patent in seinem gesamten Umfang zu widerrufen. Die Einsprechende 1 hat den Einspruch im Verfahren vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit Entscheidung vom 25. August 1998 festgestellt, daß das Patent in beschränkter Fassung aufrechterhalten werden könne.

IV. Hiergegen legte die Einsprechende 2 (Beschwerdeführerin) am 23. Oktober 1998 Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die vorgeschriebene Gebühr. Sie begründete die Beschwerde am 18. Dezember 1998.

V. Im Lauf des Beschwerdeverfahrens gingen zwei Beitritte ein. Die Beitretende 1 nahm ihren Beitritt wieder zurück. Die Beitretende 2 erklärte und begründete am Montag, den 22. April 2002 ihren Beitritt. Gleichzeitig zahlte sie Einspruchs- und Beschwerdegebühr. Sie belegte, daß sie mit der am 21. Januar 2002 zugestellten Klage von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) wegen Verletzung des Streitpatents verklagt worden sei. Gegen die Zulässigkeit ihres Beitritts sind Einwände weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.

VI. Die Parteien wurden mit Ladung vom 29. Januar 2003 zur mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2003 geladen.

VII. Die Beschwerdeführerin und die Beitretende 2 beantragten, das Patent zu widerrufen, die Beschwerdegegnerin beantragte zuletzt, das Patent auf der Grundlage des mit Schreiben vom 16. April 2003 überreichten Anspruchssatzes aufrecht zu erhalten.

VIII. Am 14. Mai 2003 nahm die Beschwerdeführerin die Beschwerde zurück. Mit Fax vom 15. Mai 2003 unterrichtete die Kammer die verbliebenen Parteien davon, daß Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung zunächst die Frage sei, ob im vorliegenden Verfahren noch eine Sachentscheidung getroffen werden könne. Sie wies auf die einschlägige Rechtsprechung der Beschwerdekammern hin, in der die Frage, ob ein während des Beschwerdeverfahrens Beitretender nach Rücknahme der einzigen Beschwerde das Verfahren fortsetzen könne, unterschiedlich beurteilt worden sei.

IX. In der mündlichen Verhandlung wurden ausschließlich die Folgerungen erörtert, die sich aus der Rücknahme der Beschwerde auf das Verfahren ergeben. Dabei vertrat die Beitretende 02 die Auffassung, das Verfahren sei fortzuführen. Hilfsweise beantragte sie, der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfragen vorzulegen:

"1. Ist die dem anhängigen Einspruchsbeschwerdeverfahren Beitretende, die die Verfahrensvoraussetzungen des Artikel 105 EPÜ erfüllt hat und die Einspruchs- und Beschwerdegebühr entrichtet hat, berechtigt, nach Rücknahme der einzigen Beschwerde, das Verfahren selbständig als Beschwerdeführerin fortzusetzen?

2. Wenn Frage 1 bejaht wird, ist die Zahlung der Beschwerdegebühr unabdingbare Voraussetzung für die Stellung der Beitretenden als selbständige Beschwerdeführerin?"

X. Demgegenüber war die Beschwerdegegnerin der Meinung, das Beschwerdeverfahren sei mit Rücknahme der Beschwerde beendet. Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer hielt sie nicht für erforderlich, da sich die Antworten auf die Fragen mit hinreichender Deutlichkeit aus der bisherigen Rechtsprechung, insbesondere auch der Großen Beschwerdekammer ergäben.

Entscheidungsgründe

1. Die Rücknahme der einzigen Beschwerde beendet im Normalfall das Beschwerdeverfahren, so daß über die gestellten Sachanträge nicht mehr zu entscheiden ist (G 8/91, ABl. EPA 1993, 346). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob etwas anderes gilt, weil während des Beschwerdeverfahrens ein wirksamer Beitritt erfolgt ist.

2. Diese Frage wurde in der bisherigen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

2.1 Ausgangspunkt der jüngeren Rechtsprechung ist die Entscheidung G 4/91 (ABl. EPA 1993, 707). In diesem Fall hatte keiner der Beteiligten des erstinstanzlichen Verfahrens die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Patents angefochten. Die Große Beschwerdekammer entschied, daß ein Dritter - auch wenn die sonstigen Voraussetzungen eines Beitritts vorliegen - innerhalb der Beschwerdefrist nach Artikel 108 EPÜ weder dem Verfahren beitreten, noch Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung einlegen kann. Sie begründete dies im wesentlichen mit der Erwägung, Voraussetzung für den Beitritt nach Artikel 105 EPÜ sei definitionsgemäß ein anhängiges Verfahren. Zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung sei mangels einer Beschwerde eines der Beteiligten kein Verfahren mehr anhängig gewesen.

In der folgenden Entscheidung G 1/94 (ABl. EPA 1994, 787) hielt die Große Beschwerdekammer einen Beitritt im Lauf eines Beschwerdeverfahrens für zulässig. Sie fand weder im Wortlaut noch im Zweck des Artikel 105 EPÜ eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob das Einspruchsverfahren im Sinne der Vorschrift auch ein nachfolgendes Beschwerdeverfahren einschließe. Unter Rückgriff auf die Materialien zum EPÜ ließ sie schließlich den Beitritt während des Beschwerdeverfahrens zu, da dies dem Willen des Gesetzgebers entspreche (a. a. O., Gründe Nr. 8 bis 10). Ferner entschied sie, der Beitretende könne sich auf neue Einspruchsgründe berufen. Wenn sich der Beitretende nicht mit allen verfügbaren Gründen gegen den Angriff des Patentinhabers verteidigen könne, werde der Zweck des Beitritts verfehlt (a. a. O., Gründe Nr. 13). Weitere im Vorlageverfahren aufgeworfene Fragen zur Ausgestaltung des Beitrittsverfahrens beantwortete die Große Beschwerdekammer nicht, weil diese in konkreten Fällen auf der Grundlage der Argumente der Beteiligten entschieden werden sollten. Dazu gehörte insbesondere die Frage, ob der Beitretende eine Beschwerdegebühr zu entrichten habe (a. a. O., Gründe Nr. 11).

2.2 Hierzu ergingen kurz darauf zwei voneinander abweichende Entscheidungen.

Zunächst wurde in dem Verfahren, das zu dem ohne Entscheidung erledigten Vorlageverfahren G 6/93 geführt hatte, nach Beantwortung der Vorlagefrage in G 1/94 die Beschwerdegebühr erstattet, weil diese für die Wirksamkeit des Beitritts nicht erforderlich sei (T 27/92 vom 25. Juli 1994, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Aufl. 2001, VII.D.5.4.2). Aus Gründen der Rechtssicherheit könnten für den Beitritt keine anderen als die in Artikel 105 EPÜ vorgeschriebenen Erfordernisse verlangt werden. Es könne dahinstehen, ob der Beitretende durch Zahlung der Beschwerdegebühr seine Rechtsstellung in dem Sinne beeinflussen könne, daß er die Stellung eines unabhängigen Beschwerdeführers erhalte (Gründe Nr. 6).

Ausdrücklich abweichend hiervon wurde in T 1011/92 vom 16. September 1994 (zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O.) entschieden, der während des Beschwerdeverfahrens Beitretende habe sowohl die Einspruchs- wie auch die Beschwerdegebühr zu entrichten. In der vorliegenden Situation sei der Einspruch in entsprechender Anwendung von Artikel 105 (2) letzter Satz EPÜ als Beschwerde zu behandeln. Der Beitretende habe die Befugnisse eines Beschwerdeführers und müsse auch dessen Pflichten übernehmen. Er könne das Beschwerdeverfahren nach Rücknahme der einzigen Beschwerde selbständig fortsetzen (Gründe Nr. 3.4 f).

2.3 In der Folge kam die Mehrzahl der Entscheidungen, abweichend von T 1011/92 (a. a. O.) zu dem Ergebnis, für die Zulässigkeit des Beitritts während des Beschwerdeverfahrens sei die Entrichtung der Beschwerdegebühr nicht erforderlich (T 195/93 vom 4. Mai 1995, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., vgl. Sachverhalt Nr. II f; T 467/93 vom 13. Juni 1995, nicht im ABl. EPA, Gründe Nr. 2; T 684/92 vom 25. Juli 1995, nicht im ABl. EPA, Gründe Nr. 2; T 471/93 vom 5. Dezember 1995, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Gründe Nr. 2.5 f; T 590/94, vom 3. Mai 1996, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Gründe Nr. 2.5; T 144/95 vom 26. Februar 1999, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Gründe Nr. 2.8; T 1001/97 vom 25. Januar 2000, nicht im ABl. EPA, Gründe Nr. 6; T 989/96 vom 5. Juli 2001 und T 886/96 vom 6. Juli 2001, beide zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA im Jahr 2001, Sonderausgabe zum ABl. EPA 2002, S. 76).

Abweichend hiervon folgt T 517/97 (ABl. EPA 2000, 515, Sachverhalt Nr. IV, Gründe Nr. 2 und 9) der Entscheidung T 1011/92, nach der die Beschwerdegebühr zu zahlen ist.

2.4 Weniger deutlich ist die Entwicklung der Rechtsprechung, was die Möglichkeit des Beitretenden angeht, durch sozusagen freiwillige Zahlung der Beschwerdegebühr eine selbständige Stellung als Beschwerdeführer zu erlangen. Einige Entscheidungen, die diese Frage ansprechen, lassen sie dahingestellt, weil sie nicht entscheidungserheblich war (T 27/92, a. a. O; T 471/93, a. a. O.; T 590/94, a. a. O.; T 1001/97, a. a. O.).

Dagegen lehnt die Entscheidung T 144/95 (a. a. O.) diese Möglichkeit ausdrücklich ab. Dies wird mit dem Fehlen der Voraussetzungen von Artikel 107 Satz 1 EPÜ in der Person des Beitretenden und mit dem Fristerfordernis für die Beschwerdegebühr in Artikel 108 EPÜ begründet. Dem folgen im Ergebnis die Entscheidungen T 989/96 und T 886/96 (a. a. O., unter Hinweis auf T 144/95).

3. Die Beitretende hat sich für ihren Standpunkt in erster Linie auf die Entscheidungen G 1/94 und T 1011/92 (a. a. O.) berufen. Ihrer Auffassung nach macht die Beitrittsmöglichkeit im Beschwerdeverfahren keinen Sinn, wenn der Beitretende keine vom beschwerdeführenden Einsprechenden unabhängige Rechtsstellung erlangen kann. Der Zweck des Beitritts sei gerade, daß der Verletzungsbeklagte bestehende Widerrufsgründe im zentralen europäischen Einspruchsverfahren geltend machen könne und nicht auf das nationale Nichtigkeitsverfahren verwiesen werde. Daher müsse das Einspruchsbeschwerdeverfahren als Teil des Einspruchsverfahrens im Sinne von Artikel 105 (1) EPÜ angesehen werden.

Artikel 105 (2) EPÜ lasse den Beitritt im Beschwerdeverfahren ungeregelt. Diese Regelungslücke sei dahin zu schließen, daß in analoger Anwendung von Artikel 105 (2) Satz 3 EPÜ der Beitritt im Einspruchsbeschwerdeverfahren als Beschwerde anzusehen sei. Die Erfüllung von Formerfordernissen der Beschwerde, die der Beitretende zum Zeitpunkt des Beitritts nicht mehr erfüllen könne, dürfe von ihm auch nicht verlangt werden. In dieser Hinsicht sei Artikel 105 (2) EPÜ in analoger Anwendung als Sondervorschrift gegenüber Artikel 107 Satz 1 EPÜ anzusehen, für dessen Tragweite ohnehin aus den Fassungen in den drei Amtssprachen unterschiedliche Folgerungen hergeleitet werden könnten. Auch der Grundsatz, daß nur der Beschwerdeführer über die Anhängigkeit der von ihm eingelegten Beschwerde verfügen könne, finde hier keine Anwendung, weil er im Widerspruch zur selbständigen Verfahrensstellung des Beitretenden stehe. Mit der Zahlung der Beschwerdegebühr und durch ihre Erklärungen in der Begründung des Beitritts habe die Beitretende auch klar zum Ausdruck gebracht, daß sie die selbständige Stellung als Beschwerdeführerin erlangen wolle.

Die entgegenstehende jüngste Entscheidung T 886/96 (a. a. O.) könne demgegenüber nicht überzeugen. Sie sei überdies auch nicht einschlägig, weil es sich dort um eine Beschwerde des Patentinhabers nach Widerruf des Patents gehandelt habe und demgemäß mit Rücknahme der Beschwerde das Verfahren zugunsten des Beitretenden beendet sei.

4. Die Beschwerdegegnerin trug vor, beim Einspruchsbeschwerdeverfahren handle es sich um ein gerichtliches Verfahren. Dies werde nach allgemeinen Grundsätzen vom Beschwerdeführer in Gang gesetzt und könne auch von diesem durch Rücknahme der Beschwerde beendet werden. Die Entscheidung G 1/94 habe zwar eine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz zur Folge, da dem Beitretenden erlaubt werde, sich auf neue Gründe zu berufen, die der beschwerdeführende Einsprechende ohne Zustimmung des Patentinhabers nicht mehr in das Verfahren einbringen könne. Dies bedeute aber nicht, daß auch der Verfügungsgrundsatz eingeschränkt werde, nach dem ein Verfahren derjenige beenden könne, der es eingeleitet habe. Die Bejahung einer selbständigen Verfahrensstellung für den Beitretenden hätte in diesem Zusammenhang eine Beschneidung der Rechtsposition des Beschwerdeführers zur Folge. Für diesen bedeute die Möglichkeit, das Verfahren beenden zu können, ein Mittel, das er in Verhandlungen mit dem Patentinhaber benutzen könne, um den Rechtsstreit einvernehmlich zu beenden. Eine Befugnis des Beitretenden, das Verfahren fortzusetzen, würde die Einigungsmöglichkeiten zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner und damit ggf. zwischen Patentinhaber und potentiellem Patentverletzer einschränken.

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin sollte in G 1/94 (a. a. O.) der Beitretenden im Interesse der Verfahrensökonomie nur die Gelegenheit gegeben werden, ein ohnehin anhängiges Beschwerdeverfahren zu benutzen, um sich gegen das Patent zu verteidigen. Dieser Gedanke rechtfertige es aber nicht, dem Beitretenden die Möglichkeit zu eröffnen, ein wegen Rücknahme der Beschwerde nicht mehr anhängiges Verfahren gegen den Willen der Verfahrensbeteiligten weiter zu betreiben. Vielmehr mache G 1/94 deutlich, daß es ohne die Beschwerde des Beschwerdeführenden keine Beteiligung des Beitretenden geben könne.

Daher könne auch nicht von einer Regelungslücke in Artikel 105 (2) EPÜ gesprochen werden. Absatz 2 Satz 3 der Bestimmung sei vielmehr eine Ausnahmevorschrift, da sie eine Beteiligung ohne eigenen Einspruch und eigene Beschwerde ermögliche. Als Ausnahmevorschrift sei sie aber eng auszulegen. Die vorliegende Situation müsse analog zur Rücknahme des Einspruchs gesehen werden. Erfolge diese in erster Instanz, könne das Einspruchsverfahren nach Regel 60 (2) EPÜ von Amts wegen weiter betrieben werden. Geschehe dasselbe im Beschwerdeverfahren, so beende die Rücknahme des Einspruchs durch den einzigen Beschwerdeführer unmittelbar das Beschwerdeverfahren (G 8/93, ABl. EPA 1994, 887). Die Auffassung der Beitretenden werfe zudem die weitere Frage auf, ob bei einer Verselbständigung der Verfahrensstellung des Beitretenden sogar ursprünglich nicht angegriffene Teile eines Patents durch den Beitritt angegriffen werden könnten.

Die Zahlung der Beschwerdegebühr sei auch kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Schaffung einer Stellung als selbständiger Beteiligter. Die Beschwerdegebühr sei nur ein Element einer zulässigen Beschwerde und könne nicht aus diesem Zusammenhang gelöst werden. Ihre wirksame Zahlung sei auch nur innerhalb der gesetzlich geregelten Frist vorgesehen (T 144/95, a. a. O.).

5. Die Kammer kann aus der bisherigen Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer keine eindeutige Antwort auf die hier relevanten Fragen ableiten.

5.1 Keine der Parteien kann sich für ihre Auffassung auf die Entscheidung G 1/94 (a. a. O.) berufen. Dies ergibt sich schon daraus, daß diese Entscheidung ausdrücklich nur über die Frage der Zulässigkeit des Beitritts während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens und die zulässigen Beitrittsgründe entschieden hat und die weitere Ausgestaltung bewußt der zukünftigen Rechtsprechung überlassen wollte (s. o. 2.1). Die Große Beschwerdekammer hat auch den hier bestehenden Interessenkonflikt gesehen: Auf der einen Seite steht das Interesse des von einem Verletzungsverfahren Bedrohten, dem eine effektive Verteidigung schon im zentralen europäischen Einspruchsverfahren ermöglicht werden soll. In die gleiche Richtung geht das Interesse an der Vermeidung unnötiger Doppelarbeit vor den nationalen Gerichten und an einheitlicher Entscheidung über den Bestand des Patents. Demgegenüber steht das Interesse des Patentinhabers, der verfahrensrechtliche Komplikationen und Verzögerungen, die der Beitritt mit sich bringen kann, vermeiden will (a. a. O., Gründe Nr. 7 und 13). Diesem Interesse des Patentinhabers wollte der Gesetzgeber jedenfalls teilweise Rechnung tragen. Er hat demgemäß zwar vorgesehen, daß der Beitritt wie ein Einspruch behandelt wird, aber zugleich Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen (Artikel 105 (2) letzter Halbsatz in Verbindung mit Regel 57 (4) EPÜ; vgl. Regierungskonferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens, Bericht über die zweite Sitzung des Koordinierungsausschusses, Dok. BR/209/72 vom 6. Juni 1972, Rdn. 73). Angesichts der dargestellten Interessenlage hat die Große Beschwerdekammer keine über die Beantwortung der Vorlagefragen hinausgehenden rechtlichen Folgerungen gezogen, und selbst die zugunsten des Beitretenden in der Beantwortung der Vorlagefragen gezogenen Schlüsse sind angesichts der unklaren Gesetzeslage im wesentlichen auf den Willen des Gesetzgebers gestützt.

5.2 Im übrigen erscheint die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer in folgender Hinsicht einschlägig:

5.2.1 Die Entscheidung G 2/91 (ABl. EPA 1992, 206) statuiert den in der mündlichen Verhandlung vor dieser Kammer erörterten allgemeinen Grundsatz des Verfahrensrechts, daß allein der Beschwerdeführer über die Anhängigkeit der von ihm eingelegten Beschwerde verfügen und mit Rücknahme der Beschwerde das Verfahren beenden kann (bestätigt in G 8/91 und G 8/93, a. a. O.). Damit beseitigt er die Entscheidungskompetenz der Kammer und ihre Befugnis, "einen Sachverhalt zu ermitteln" (G 9/92, ABl. EPA, 1994, 875, Gründe Nr. 3). Dies galt im Fall der Entscheidung G 2/91 zu Lasten des Beschwerdegegners, der das Verfahren nach Rücknahme der einzigen Beschwerde nicht fortführen kann. Hier fragt sich, ob dies auch zu Lasten des Beitretenden gilt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß es die Große Beschwerdekammer in G 4/91 (a. a. O) dem Verletzungsbeklagten verwehrt hat, ein Beschwerdeverfahren selbst einzuleiten, weil sie die Möglichkeit des Beitritts nur bei einem anhängigen Beschwerdeverfahren als gegeben ansah. Die Frage, ob auch im vorliegenden Zusammenhang die Befugnis, über die Beendigung des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden, allein aus der Einleitung des Verfahrens folgt, läuft auf eine andere Frage hinaus: Will man den Verletzungsbeklagten darauf beschränken, sich an einem ohnehin anhängigen Verfahren über den Rechtsbestand des Patents zu beteiligen, oder sieht man die Tatsache, daß ein solches Verfahren anhängig geworden ist, als ausreichend an, um dieses Verfahren im Interesse des Verletzungsbeklagten zu dessen eigenem Verfahren zu machen?

5.2.2 Bei dieser Abwägung kann nicht außer Acht gelassen werden, daß die Große Beschwerdekammer in G 1/94 (a. a. O.) schon die Einbringung neuer Einspruchsgründe durch den Beitretenden in Konflikt mit dem in ihrer früheren Rechtsprechung entwickelten Grundverständnis des Einspruchsbeschwerdeverfahrens sah. In G 10/91 (ABl. EPA 1993, 420, Gründe Nr. 18) wurde der Hauptzweck des mehrseitigen Beschwerdeverfahrens darin gesehen, der unterlegenen Partei eine Möglichkeit zur Überprüfung der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu geben. Die Prüfung neuer Einspruchsgründe entspricht nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer nicht dieser Zweckbestimmung. Sie hat aber diesen Widerspruch für den Fall des Beitritts im Beschwerdeverfahren in Kauf genommen, damit der Zweck des Beitritts nicht verfehlt wird (G 1/94, a. a. O., Gründe Nr. 13). Es fragt sich, ob eine solche Ausweitung der Zwecke des Beschwerdeverfahrens nur im Zusammenhang mit dem zu berücksichtigenden Sachverhalt und damit dem Beibringungsgrundsatz oder darüber hinaus auch im Rahmen der Entscheidungskompetenz der Beschwerdekammer und damit des Verfügungsgrundsatzes möglich erscheint.

5.2.3 Was schließlich die von den Parteien kontrovers beurteilte Möglichkeit angeht, die Begründung einer selbständigen Verfahrensbeteiligung an die Zahlung der Beschwerdegebühr anzuknüpfen, ist das in der Entscheidung G 1/97 (ABl. 2000, 322) erörterte Spannungsverhältnis zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung zu beachten. Danach kann in einem kodifizierten System nicht der Richter nach Bedarf an die Stelle des Gesetzgebers treten. Zwar kann er sich veranlaßt sehen, Lücken auszufüllen, wenn sich zeigt, daß der Gesetzgeber es versäumt hat, bestimmte Fälle zu regeln (a. a. O, Gründe Nr. 3b). In dieser Hinsicht hat die Beitretende im Anschluß an T 1011/92 (a. a. O.) eine Analogie zu Artikel 105 (2) Satz 3 EPÜ vorgeschlagen. Dem ist die Beschwerdegegnerin mit dem Argument entgegengetreten, die Beschwerdegebühr dürfe nicht aus dem Zusammenhang der sonstigen Voraussetzungen einer zulässigen Beschwerde gelöst werden, zu denen auch das Fristerfordernis gehört. Dazu weist die Entscheidung G 1/97 auf die formelle Natur des Verfahrensrechts hin, das es den Rechtssuchenden ermöglichen müsse, sich umfassend über die Modalitäten des einzuhaltenden Verfahrens zu unterrichten. Dieses Ziel sei auf legislativem Weg zweifellos besser zu erreichen als durch Richterrecht.

6. Zu den seit der Entscheidung G 1/94 offenen und seit den Entscheidungen T 27/92 und T 1011/92 verschieden beantworteten Fragen zur Stellung des während des Beschwerdeverfahrens Beitretenden hat sich, wie dargestellt, seither keine einheitliche Rechtsprechung entwickelt. Die Voraussetzungen der Einleitung, Durchführung und Beendigung eines Verfahrens bedürfen im Interesse der Rechtssicherheit einer eindeutigen Regelung, damit für die Rechtssuchenden klar ist, welche Folgen ihre Verfahrenshandlungen nach sich ziehen können. Die Kammer hält daher eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zur Klärung der Rechtslage für angezeigt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Kann nach Rücknahme der einzigen Beschwerde das Verfahren mit einem während des Beschwerdeverfahrens Beigetretenen fortgesetzt werden?

2. Wenn die Frage zu 1 bejaht wird:

Ist Voraussetzung für die Möglichkeit, das Verfahren fortzusetzen, daß der Beitretende formelle Erfordernisse erfüllt hat, die über die in Artikel 105 EPÜ ausdrücklich geregelten Zulässigkeitserfordernisse des Beitritts hinausgehen, insbesondere, ist die Entrichtung der Beschwerdegebühr notwendig?

Quick Navigation