European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1991:G000291.19911129 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 29 November 1991 | ||||||||
Aktenzeichen: | G 0002/91 | ||||||||
Vorlageentscheidung: | T 0604/89 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81201316.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01F 1/58 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Krohne AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Coors, Morgan Matroc, Danfoss, Rosemount | ||||||||
Kammer: | EBA | ||||||||
Leitsatz: | 1. Ein Beschwerdeberechtigter, der keine Beschwerde einlegt, sondern sich auf eine Beteiligung am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ beschränkt, hat kein selbständiges Recht, das Verfahren fortzusetzen, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde zurückzieht. 2. Haben mehrere Beteiligte an einem Verfahren vor dem EPA gegen dieselbe Entscheidung wirksam Beschwerde eingelegt, so können nicht deshalb Beschwerdegebühren zurückgezahlt werden. |
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Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Rückzahlung der Beschwerdegebühren, wenn mehrere Beteiligte Beschwerde eingelegt haben | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Zusammenfassung des Verfahrens
I. In der Beschwerdesache T 604/89 legten vier Einsprechende Beschwerde ein und jeder der Beschwerdeführer entrichtete die nach der Gebührenordnung des EPA vorgeschriebene Beschwerdegebühr.
II. Die für diese Beschwerden zuständige Beschwerdekammer 3.4.2 stellte fest, daß nach der bisherigen Praxis der Beschwerdekammern die Bezahlung aller vier Gebühren als rechtlich begründet anzusehen sei. Allerdings hatte im Gegensatz hierzu die Beschwerdekammer 3.3.1 in der Sache T 73/88 kürzlich entschieden, daß alle Beschwerdegebühren außer der als erste entrichteten Gebühr zurückgezahlt werden sollten, was damit begründet wurde, daß die später entrichteten Gebühren umsonst bezahlt worden seien, weil gemäß Artikel 107 EPÜ alle Parteien des Verfahrens vor der ersten Instanz zwangsläufig Beteiligte am Beschwerdeverfahren seien, sobald eine (d. h. die erste) Beschwerde eingelegt worden sei.
III. Die Beschwerdekammer 3.4.2 äußerte Zweifel, ob das EPÜ eine Basis dafür biete, anders als gemäß der bisherigen Praxis der Beschwerdekammern vorzugehen und stellte fest, daß es innerhalb der Beschwerdekammern zwei widersprüchliche Rechtsprechungen gebe. Die Beschwerdekammer 3.4.2 hielt deshalb eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung für erforderlich und legte gemäß Artikel 112 (1) (a) EPÜ der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfrage vor:
"Wenn mehrere Beteiligte an einem Verfahren vor dem EPA Beschwerde eingelegt und die entsprechenden Beschwerdegebühren entrichtet haben, hat dann das EPA die Verpflichtung, die Beschwerdegebühren an alle Beschwerdeführer, außer an den ersten, zurückzubezahlen, auch wenn die Voraussetzungen der Regel 67 EPÜ nicht erfüllt sind?"
IV. Der Präsident des EPA hat sich gemäß Artikel 11a der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer zur Sache geäußert und sowohl unter Bezugnahme auf die allgemein anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts als auch mit Hinweis auf die haushaltsmäßigen Auswirkungen der Entscheidung der Beschwerdekammer 3.3.1 in der Sache T 73/88 seine Bedenken gegen die Konsequenzen dieser Entscheidung vorgebracht.
V. Allen an dem Verfahren in der Beschwerdesache T 604/89 beteiligten Parteien ist Gelegenheit gegeben worden, sich vor der Großen Beschwerdekammer zu äußern. Keine von ihnen hat aber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
1. Zuerst ist festzustellen, daß sowohl in der Beschwerdesache T 604/89 wie auch in der Sache T 73/88 alle Beschwerdeführer vor der ersten Instanz als Einsprechende beteiligt waren. Die von der Beschwerdekammer 3.4.2 vorgelegte Rechtsfrage hat sich aber dahin ausgeweitet, daß sie nicht nur den Fall mehrerer Einsprechender umfaßt, sondern prinzipiell auch den Fall der gegenseitigen Beschwerde des Einsprechenden und des Patentinhabers, was im Fall der Aufrechterhaltung eines Patents im geänderten Umfang gemäß einem Hilfsantrag des Patentinhabers möglich ist, wie es in der Entscheidung in der Sache T 234/86 (ABl. EPA 1989, 79) festgelegt worden ist. Diese Ausdehnung der Fragestellung erscheint, wie auch der Präsident des EPA in seiner Äußerung bemerkt hat, folgerichtig, da die Argumentation in der Entscheidung in der Beschwerdesache T 73/88 sich ohne weiteres auf diese letztgenannte Situation anwenden läßt.
2. Die Argumentation der Beschwerdekammer 3.3.1 in ihrer von der bisherigen Praxis abweichenden Entscheidung in der Sache T 73/88 wurde hauptsächlich auf eine Auslegung des Artikels 107 EPÜ gestützt. Nach Satz 1 dieser Vorschrift steht die Beschwerde denjenigen zu, die an dem Verfahren beteiligt waren, das zu der Entscheidung geführt hat, soweit sie durch die Entscheidung beschwert sind; nach Satz 2 sind die übrigen an diesem Verfahren Beteiligten am Beschwerdeverfahren beteiligt ("parties to the appeal proceedings as of right", "de droit parties à la procédure de recours"). Satz 2 des Artikels 107 EPÜ beziehe sich offensichtlich in erster Linie auf die Partei (bzw. die Parteien), die an dem Verfahren vor der ersten Instanz Gegner des Beschwerdeführers war und somit durch die Entscheidung dieser Instanz nicht beschwert sondern begünstigt sei, z. B. der Patentinhaber im Fall der Zurückweisung eines Einspruchs oder - umgekehrt - der Einsprechende im Fall des Widerrufs des Patents. Die unter Nummer 1 oben erwähnte Situation, wo ein Patent gemäß einem Hilfsantrag des Patentinhabers durch die Entscheidung der ersten Instanz im geänderten Umfang aufrechterhalten worden ist, stelle insofern einen Spezialfall dar, als sowohl der Patentinhaber wie auch der Einsprechende (vorausgesetzt daß er den Widerruf des Patents beantragt hat) durch diese Entscheidung beschwert sei und somit als Beschwerdeberechtigter nach Artikel 107, Satz 1 EPÜ anzusehen sei. Wenn nur einer der beiden Beschwerde einlege, sei der andere an dem Verfahren vor der Beschwerdekammer als beteiligt im Sinne des Artikels 107, Satz 2 EPÜ anzusehen.
3. Die Anwendung der Vorschriften des Artikels 107 EPÜ gibt weder im Hinblick auf die Beschwerdegebühren noch im übrigen Anlaß zu verfahrensrechtlichen Komplikationen, die in diesem Zusammenhang von Interesse sind, solange es nur eine beschwerdeeinlegende Partei gibt. Sind aber mehrere Personen auf einer Parteiseite vorhanden, was in der Praxis vor allem im Fall der Zurückweisung der Einsprüche von mehreren Einsprechenden oder im obengenannten Fall der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß einem Hilfsantrag des Patentinhabers (entweder nach einem oder mehreren Einsprüchen) vorkommt, ist die Rechtslage komplizierter. Vor allem stellt sich die Frage, ob einer Partei, die nicht selbst Beschwerde eingelegt hat, auf Grund von Artikel 107, Satz 2 EPÜ kraft Gesetzes eine selbständige Stellung im Beschwerdeverfahren zukommt. Die Beantwortung dieser Frage ist insbesondere für eine etwaige Berechtigung der Beteiligten gemäß Artikel 107 Satz 2 EPÜ von Bedeutung, das Beschwerdeverfahren im Fall einer Zurücknahme der Beschwerde (des Beschwerdeführers) aus eigenem Recht fortsetzen zu können. Weder die kurzen Erläuterungen über den Zweck des Artikels 107, Satz 2 EPÜ auf der Münchner Diplomatischen Konferenz (siehe MDK, M/PR/I, S. 52, Nr. 432-446), die sich überwiegend mit der Kostenverteilung im zweiseitigen Verfahren befassen, noch die übrigen vorbereitenden Arbeiten bringen ausreichende Auskunft, wie Artikel 107, Satz 2 EPÜ in der obengenannten Hinsicht ausgelegt werden soll.
4. Die unter Nr. 2 oben erwähnte Auslegung des Artikels 107 EPÜ, auf die die Entscheidung der Beschwerdekammer 3.3.1 in der Sache T 73/88 gestützt worden ist, geht davon aus, daß unmittelbar nach der Einlegung der Beschwerde durch einen Beteiligten am Verfahren der ersten Instanz, sämtliche anderen an diesem Verfahren Beteiligten automatisch ("by operation of law") am Beschwerdeverfahren beteiligt sind (Art. 107, Satz 2 EPÜ), und zwar mit einer selbständigen und vom Beschwerdeführer unabhängigen Verfahrensstellung ("equal rights and status") mit dem Recht, das Beschwerdeverfahren auch dann fortzusetzen, wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückziehe. Diese Ansicht ist Grundlage für die Auffassung der Beschwerdekammer 3.3.1, daß die Zahlung von Beschwerdegebühren nach der Einlegung der ersten Beschwerde rechtlich als gegenstandslos anzusehen sei. Auch wenn es in der Entscheidung der Beschwerdekammer 3.3.1 nicht ausdrücklich gesagt ist, wäre wohl bei diesem Ausgangspunkt die logische Konsequenz, daß nach der Einlegung der zeitlich ersten Beschwerde, weitere Beschwerden überhaupt gegenstandslos seien.
5. Im Hinblick auf den begrenzten Umfang der von der Beschwerdekammer 3.4.2 vorgelegten Rechtsfrage (siehe Nr. III oben), hält die Große Kammer es nicht für erforderlich, sich in dieser Entscheidung mit allen Aspekten des Artikels 107 EPÜ zu befassen. Es reicht für die Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage aus, festzustellen, ob es, wie die Beschwerdekammer 3.3.1 angenommen hat, zutrifft, daß eine Beteiligung am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ einer Partei, die auch beschwerdeberechtigt ist, aber keine eigene Beschwerde eingelegt hat, in jeder Hinsicht dieselbe verfahrensrechtliche Stellung wie einem Beschwerdeführer gibt. Nur dann gibt es einen Anlaß, sich überhaupt mit der Frage der Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu befassen.
6.1 Die Auslegung des Artikels 107 EPÜ durch die Beschwerdekammer 3.3.1 geht nach der Ansicht der Großen Kammer zuerst in einer wesentlichen Hinsicht zu weit, und zwar hinsichtlich der Feststellung, daß ein Verfahrensbeteiligter gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ berechtigt ist, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen, auch wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückgezogen hat. Aus allgemein anerkannten Grundsätzen des Verfahrensrechts folgt, daß ein Beschwerdeführer über die Anhängigkeit der von ihm eingelegten Beschwerde allein verfügen kann. Verfahrensbeteiligte gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ haben kein eigenes selbständiges Recht, ein Beschwerdeverfahren fortzusetzen, wenn der Beschwerdeführer seine Beschwerde zurückgenommen hat. Artikel 107, Satz 2 EPÜ verleiht den Beteiligten der ersten Instanz, die keine Beschwerde eingelegt haben, keine von der Beschwerde unabhängige Rechtsstellung, sondern garantiert lediglich, daß sie an einem anhängigen Beschwerdeverfahren beteiligt sind. Ein Beschwerdeberechtigter, der keine Beschwerde einlegt (unter Zahlung der Beschwerdegebühr), sondern sich auf eine Beteiligung am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ beschränkt, riskiert daher, daß die Durchführung des Beschwerdeverfahrens von der Entscheidung des Beschwerdeführers, die Beschwerde aufrechtzuerhalten, abhängt. Unabhängig hiervon ist die Frage, ob nach einer Zurücknahme der Beschwerde etwa die Möglichkeit einer Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens von Amts wegen besteht (vgl. Regel 60 (2) EPÜ). Jedenfalls hat ein Verfahrensbeteiligter gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ kein selbständiges Recht, das Verfahren fortzusetzen.
6.2 Auch im Hinblick auf die Möglichkeit, im Beschwerdeverfahren eigene Anträge zu stellen, stellt sich die Frage, ob es für einen Verfahrensbeteiligten gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ gewisse Grenzen gibt. Dies gilt vor allem im Hinblick auf ein etwaiges selbständiges Recht, sich mit eigenen Anträgen in Widerspruch zu den Anträgen des Beschwerdeführers zu setzen, so z. B. bei einer Beschwerde des Patentinhabers, den Widerruf des Patents zu beantragen, wenn das Patent durch die Entscheidung der ersten Instanz im erteilten oder in geändertem Umfang aufrechterhalten worden war. Im Hinblick auf die hiermit zusammenhängenden Fragen in anderen Verfahren vor der Großen Kammer, die sich generell mit dem Problem der Prüfungsbefugnis im Einspruchs- Beschwerdeverfahren befassen, hält die Kammer es allerdings für angebracht von einer Stellungnahme hierzu abzusehen.
7. Abschließend soll noch bemerkt werden, daß die Anwendung der von der Beschwerdekammer 3.3.1 befürworteten Auslegung des Artikels 107 EPÜ wohl zu besonderen Schwierigkeiten führen könnte, wenn die zeitlich erste Beschwerde wegen fehlender oder verspäteter Einreichung der Beschwerdebegründung als unzulässig zurückgewiesen wird.
Für einen Beschwerdeberechtigten, der sich auf diese "erste" Beschwerde verlassen und deswegen auf eine eigene Beschwerde verzichtet hat, wäre dann jede Möglichkeit, ein eigenes Beschwerdeverfahren durchzuführen, ausgeschlossen, weil die im Artikel 108 EPÜ vorgeschriebene Beschwerdefrist schon abgelaufen wäre.
8. Es muß daher festgestellt werden, daß die Einlegung einer eigenen Beschwerde keineswegs sinnlos oder gegenstandslos ist, auch wenn eine andere Beschwerde schon früher eingelegt worden ist. Deswegen gibt es auch keinen Grund für eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr für zeitlich nach der ersten Beschwerde eingelegte Beschwerden, sofern nicht die Voraussetzungen der Regel 67 EPÜ gegeben sind. Das Recht, eine Beschwerde mit eigenem Beschwerdeantrag und eigener Begründung einzureichen und damit den weiteren Lauf des Verfahrens zu bestimmen, steht jedem zu, der in der ersten Instanz am Verfahren beteiligt war und durch die Entscheidung beschwert ist. Dieses Beschwerderecht kann dem Berechtigten nicht dadurch genommen werden, daß ein anderer vor ihm eine Beschwerde bereits eingereicht hat.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die der Großen Kammer vorgelegte Rechtsfrage wird wie folgt beantwortet:
1. Ein Beschwerdeberechtigter, der keine Beschwerde einlegt, sondern sich auf eine Beteiligung am Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ beschränkt, hat kein selbständiges Recht, das Verfahren fortzusetzen, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde zurückzieht.
2. Haben mehrere Beteiligte an einem Verfahren vor dem EPA gegen dieselbe Entscheidung wirksam Beschwerde eingelegt, so können nicht deshalb Beschwerdegebühren zurückgezahlt werden.