T 0689/90 (Ereignisdetektor) of 21.1.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T068990.19920121
Datum der Entscheidung: 21 Januar 1992
Aktenzeichen: T 0689/90
Anmeldenummer: 85302557.5
IPC-Klasse: G01R 31/08
Verfahrenssprache: EN
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
PDF nicht verfügbar
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Raychem
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: 1. Für die Zwecke des Artikels 123 (2) EPU gehören Merkmale, die nicht in der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart, sondern nur in einem in dieser Beschreibung in Bezug genommenen Dokument beschrieben sind, prima facie nicht zum "Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung". Nur unter bestimmten Umständen können solche Merkmale im Wege einer Änderung in die Ansprüche einer Anmeldung aufgenommen werden.
2. Eine solche Änderung bedeutet keinen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPU, wenn aus der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung für den Fachmann zweifelsfrei erkennbar ist,
a) daß für diese Merkmale Schutz begehrt wird oder werden kann;
b) daß diese Merkmale zum technischen Ziel der Erfindung und somit zur Lösung der der anmeldungsgemäßen Erfindung zugrunde liegenden technischen Aufgabe beitragen;
c) daß diese Merkmale eindeutig implizit zur Beschreibung der in der eingereichten Anmeldung enthaltenen Erfindung (Art. 78 (1) b) EPU) und damit zum Offenbarungsgehalt dieser Anmeldung (Art. 123 (2) EPU) gehören;
d) daß diese Merkmale in dem gesamten technischen Informationsgehalt des Bezugsdokuments genau definiert und identifizierbar sind.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 78(1)(b)
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Auf ein in der Beschreibung in Bezug genommenes Dokument zurückgehende Änderungen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0016/13
T 0196/92
T 0952/93
T 0287/94
T 0144/96
T 0374/96
T 0927/96
T 0497/97
T 0546/97
T 1187/97
T 0762/98
T 0945/98
T 0569/99
T 0292/01
T 0750/02
T 0558/03
T 0960/03
T 0236/04
T 0150/05
T 1497/06
T 0417/07
T 1415/07
T 0191/08
T 1378/08
T 1427/10
T 0664/11
T 0857/11
T 1436/12
T 1451/12
T 2477/12
T 2498/12
T 1321/13
T 0926/16
T 1125/17
T 1084/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 85 302 557.5 (Veröffentlichungsnr. 0 160 440) wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. ...

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Ansprüche 1 und 9 des Hauptantrags jeweils eine Änderung enthielten, die gegen Artikel 123 (2) EPU verstoße, daß der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 8, 10 und 11 des ersten Hilfsantrags keine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPU aufweise und daß Anspruch 9 des ersten Hilfsantrags sowie Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags jeweils eine Änderung enthielten, die gegen Artikel 123 (2) EPU verstoße.

III. Zu der Feststellung, daß Anspruch 9 des Hauptantrags und Anspruch 9 des zweiten Hilfsantrags je eine Änderung enthielten, die gegen Artikel 123 (2) EPU verstoße, sei ausgeführt, daß die geänderten Ansprüche jeweils das Merkmal enthielten, daß "mindestens entweder das Ortungsteil (11) oder das Rückführteil (12) einen Metallkern und eine längliche Hülse aufweist, die den Kern elektrisch leitend umgibt und aus einem leitfähigen Polymer besteht". Die Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung enthielt insbesondere folgenden Satz, der nach Aussage der Anmelderin eine tragfähige Grundlage für das o. g. Merkmal abgeben sollte: "Nähere Angaben zu geeigneten Ortungs-, Versorgungs- und Rückführteilen sind der Anmeldung mit der US- Nr. 509 897 zu entnehmen" (s. S. 11, Zeilen 1 bis 3 der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung).

Die o. g. Feststellung wurde von der Prüfungsabteilung damit begründet, daß das beantragte Merkmal in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung weder explizit noch implizit enthalten sei, weil die in Bezug genommene US-Anmeldung (im folgenden "US-509 897" genannt) am Prioritätstag der streitigen Anmeldung noch nicht veröffentlicht gewesen sei. Somit sei der Inhalt der US-509 897 nicht als Teil der Beschreibung in der eingereichten Fassung zu betrachten.

Die Prüfungsabteilung vertrat ferner die Auffassung, daß das beanspruchte Merkmal - auch wenn es unmittelbar aus der US- 509 897 hergeleitet werden könne - in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht eindeutig als wesentliches Merkmal der Vorrichtung bezeichnet worden sei, für die Schutz begehrt werde. Sie erklärte in diesem Zusammenhang, daß "eine Anmeldung hinsichtlich der erfindungserheblichen Merkmale im Interesse einer klaren und ausreichenden Offenbarung der Erfindung aus sich selbst heraus verständlich sein müsse".

Die Prüfungsabteilung wich damit von der seitens der Anmelderin angezogenen Entscheidung T 6/84 ab, und zwar insbesondere deshalb, weil in der Entscheidung T 6/84 der dem Anspruch hinzuzufügende Gegenstand in einem veröffentlichten Patent enthalten und damit eindeutig und zweifelsfrei einen wesentlichen Bestandteil der Erfindung bildete.

IV. Die Anmelderin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte zusammen mit der Beschwerdebegründung einen neuen Haupt- und einen neuen Hilfsantrag ein. Im Zusammenhang mit dem aufgrund von Artikel 123 (2) EPU erhobenen Einwand wurde in der Beschwerdebegründung auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA, insbesondere auf C-II, 4.18, verwiesen.

Die Beschwerdekammer erließ zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung einen Bescheid mit der vorläufigen Stellungnahme, daß Anspruch 1 des Hauptantrags Artikel 56 EPU nicht zu entsprechen scheine und daß Anspruch 7 des Hauptantrags sowie Anspruch 1 des Hilfsantrags Änderungen zu enthalten schienen, die im Hinblick auf die unter Nummer III dargelegte Sachlage gegen Artikel 123 (2) EPU verstoßen dürften. So scheine insbesondere die genaue Bezeichnung der US-509 897 und der korrespondierenden Anmeldung unklar zu sein, was ihre Auffindung erschwere; außerdem gehe aus der Bezugnahme auf die US-509 897 nicht klar hervor, daß die sog. "näheren Angaben" eindeutig - wie in der Entscheidung T 6/84 gefordert - zu der Erfindung gehörten, für die Schutz begehrt werde.

V. Vor der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 1992 gab die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ab, in der es hieß, daß sie unbeschadet ihrer Rechte beschlossen habe, die Patentierbarkeit des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht zu erörtern. Sie reichte deshalb einen neuen Hauptantrag ein, in dem die Gegenstände der früheren Ansprüche 1 und 7 miteinander kombiniert waren. Sie gab ferner an, daß ihre kommerziellen Interessen in erster Linie auf die Verwendung ihrer Technologie der leitfähigen Polymere gerichtet seien und daß der neue Anspruch des Hauptantrags die kommerziell verwertbaren technischen Merkmale enthalte.

Die Stellungnahme der Beschwerdeführerin enthielt auch eine Information darüber, wie die US-509 897 (und damit auch die korrespondierende europäische Anmeldung) ermittelt werden könne.

VI. ...

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 21. Januar 1992 vor der Kammer statt; am Schluß der Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents auf der Grundlage ...

VIII. Zu der sowohl den Haupt- als auch den Hilfsantrag betreffenden Kernfrage, ob die Aufnahme des Merkmals H in den Anspruch 1 des Hauptantrags und eines identisch lautenden Merkmals in den Anspruch 1 des Hilfsantrags die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPU erfüllt, brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:

a) Aus dem Wortlaut auf Seite 11, Zeilen 1 bis 3 der Beschreibung der vorliegenden Anmeldung gehe klar hervor, daß der Fachmann "nähere Angaben" zum Ortungs-, zum Rückführ- und zum Versorgungsteil dem Bezugsdokument entnehmen müsse, das als US-509 897 bezeichnet sei und den Fachmann ohne weiteres zu der korrespondierenden europäischen Patentanmeldung, nämlich

D1: EP-A-0 133 748,

führe.

Ein Fachmann erkenne die Bedeutung dieses Dokuments, das in der Anmeldung siebenmal erwähnt werde. Außerdem betreffe die vorliegende Anmeldung das spiegelbildliche Gegenstück zu der im Bezugsdokument D1 beschriebenen Vorrichtung und könne deshalb als weitere Anmeldung einer nahverwandten Erfindung angesehen werden. Die Worte "nähere Angaben" seien als Kurzformulierung einer Bezugnahme gewählt worden, um dem etwaigen Einwand des EPA, der gesamte Inhalt des Dokuments D1 sei in der vorliegenden Anmeldung enthalten, zu begegnen.

b) Anhand des Wortlauts auf Seite 11, Zeilen 1 bis 3 der vorliegenden Anmeldung könne der Fachmann feststellen, daß auf Seite 23, Zeilen 9 bis 19 und auf den Seiten 25 bis 27 des Bezugsdokuments D1 Material und Struktur des Ortungs-, des Rückführ- und des Versorgungsteils als eigenständige technische Gebilde beschrieben seien. Es bedürfe keiner komplizierten Wahl oder Auswahl, um aus dem Dokument D1 die Lehre abzuleiten, daß das Ortungs- und das Rückführteil einen Metallkern und eine längliche Hülse aufwiesen, die den Kern elektrisch leitend umgebe und aus einem leitfähigen Polymer bestehe.

c) Entsprechend der Entscheidung T 6/84 sei es zulässig, Gegenstände aus einem in einer Anmeldung in Bezug genommenen Dokument in einen unabhängigen Anspruch dieser Anmeldung aufzunehmen, um diesem Anspruch einen erfinderischen technischen Gehalt zu verleihen und diese Gegenstände damit zu einem Teil der Erfindung zu machen. Obwohl es in T 6/84 heiße, daß alle offenbarten zusammengehörigen wesentlichen Strukturmerkmale in den Anspruch übernommen werden müßten, müsse es auch zulässig sein, nur eines davon in den Anspruch aufzunehmen und die übrigen wegzulassen.

d) Die anmeldungsgemäße Erfindung sei in dem ursprünglich eingereichten Anspruch 1 definiert, dessen Gegenstand u. a. ein Ortungs- und ein Rückführteil aufweise. Es liege also auf der Hand, daß die "näheren Angaben" zu diesen Teilen im Sinne der Entscheidung T 6/84 zur Erfindung gehörten. Ein weiterer technischer Zusammenhang, der zeige, daß ein mit einem leitfähigen Polymer überzogener Metallkern des Ortungs- und des Rückführteils zur Erfindung gehöre, ergebe sich aus der Angabe (s. Beschreibung, Seite 7, Absatz 2), daß die Impedanz der Verbindung von Bedeutung sei und bekannt sein müsse, sowie daraus, daß mit einem solchen mit einem leitfähigem Polymer umgebenen Metallkern eine Vielzahl von Ereignissen aufgespürt werden könne.

e) Auch in der Entscheidung T 784/89 (ABl. EPA 1992, 438) gehe es um einen Fall, in dem ein Gerät, das in einer in der ursprünglichen Anmeldung in Bezug genommenen Vorveröffentlichung zur Verwendung in einem bestimmten Verfahren offenbart war, als in der Anmeldung in der eingereichten Fassung implizit offenbart betrachtet worden sei. Analog zu dieser Entscheidung sei demnach auch der technische Informationsgehalt des Dokuments D1 als in der vorliegenden Anmeldung implizit offenbart anzusehen. Außerdem sei mit der Entscheidung T 784/89 ein unabhängiger Geräteanspruch zugelassen worden, obwohl die Gerätemerkmale ausschließlich in der angeführten Vorveröffentlichung offenbart gewesen seien. In Anlehnung an diese Entscheidung könnten daher Struktur und Material des Ortungs- und des Rückführteils - auch wenn sie nur in dem Bezugsdokument D1 offenbart seien - in den unabhängigen Anspruch 1 der vorliegenden Anmeldung aufgenommen werden.

IX. ...

Entscheidungsgründe

1. Artikel 123 (2) EPU - Anspruch 1 des Haupt- und des Hilfsantrags

1.1 Wie unter Nummer V dargelegt, umfaßt die Erfindung, die Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl des Haupt- als auch des Hilfsantrags ist, das in Absatz H des Anspruchs 1 des Hauptantrags dargelegte Merkmal, das erst nach Einreichung der Anmeldung im Wege eines Änderungsvorschlags in die Ansprüche aufgenommen worden war. Dem Anmelder ist bekannt, daß sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag zurückgewiesen werden müssen, falls die vorgeschlagene Aufnahme dieses Merkmals in die Ansprüche gegen Artikel 123 (2) EPU verstoßen sollte; da der Kammer keine anderen Anträge vorliegen, müßte dann auch die Beschwerde und damit die Anmeldung zurückgewiesen werden. Der Prüfung nach Artikel 123 (2) EPU kommt deshalb bei dieser Beschwerde zentrale Bedeutung zu.

1.2 In der Beschwerde geht es um die generelle Frage, unter welchen Umständen eine Bezugnahme auf ein anderes Dokument in eine europäische Patentanmeldung aufgenommen werden darf und welche Wirkung eine solche Bezugnahme insbesondere dann hat, wenn ein Teil des Inhalts des in Bezug genommenen Dokuments im Wege einer Änderung in den Hauptanspruch der Anmeldung aufgenommen werden soll.

Eine der Grundanforderungen an eine europäische Patentanmeldung ist in Artikel 78 (1) b) EPU genannt, nämlich, daß sie "eine Beschreibung der Erfindung" enthalten muß. Prima facie müssen daher alle wesentlichen Merkmale der Erfindung, für die Schutz begehrt wird oder begehrt werden kann, in die Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung aufgenommen werden. Diese Auffassung wird auch in den Richtlinien für die Prüfung beim EPA, C-II, 4.18 vertreten, wo es heißt, daß "die Patentschrift hinsichtlich der wesentlichen Merkmale der Erfindung aus sich heraus, d. h. ohne Verweisung auf andere Dokumente, verständlich sein muß". Diese Aussage gilt jedoch besonders im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 83 EPU, also die Offenbarung der Erfindung.

In dem o. g. Abschnitt der Richtlininen ist im weiteren angegeben, unter welchen Bedingungen ein in Bezug genommenes Dokument, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Einreichung der Anmeldung nicht zugänglich war, berücksichtigt werden darf, nämlich dann, wenn spätestens am Anmeldetag eine Kopie des Dokuments beim Amt eingereicht und wenn das Dokument spätestens am Tag der Veröffentlichung der Anmeldung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Zwar steht in den Richtlinien, daß unter diesen Bedingungen ein in Bezug genommenes Dokument für die Zwecke des Artikels 83 EPU "in Betracht gezogen werden" kann, doch sagen sie nichts darüber aus, ob dies auch im Zusammenhang mit Artikel 123 (2) EPU zulässig ist.

1.3 Die von der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 15 Januar 1992 gemachten Angaben haben die Kammer davon überzeugt, daß das Dokument D1 aufgrund der ursprünglich offenbarten bibliographischen Daten ab dem Veröffentlichungstag der Anmeldung zweifelsfrei identifiziert werden konnte und daß damit die in der o. g. Textstelle der Richtlinien aufgeführten Voraussetzungen für eine Berücksichtigung erfüllt waren. Dies wurde der Beschwerdeführerin zu Beginn der mündlichen Verhandlung auch zu verstehen gegeben.

1.4 Es bleibt jedoch die Frage zu klären, ob Merkmale, die nur in dem in Bezug genommenen Dokument D1 offenbart waren, nach Einreichung der Anmeldung in deren Hauptanspruch aufgenommen werden können.

In diesem Zusammenhang ist gemäß Artikel 123 (2) EPU zu prüfen, ob der Gegenstand der geänderten Anmeldung "über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht". Zur Prüfung dieser Frage ist es wichtig, daß nach Artikel 93 EPU "die Beschreibung, die Patentansprüche und ggf. die Zeichnungen jeweils in der ursprünglich eingereichten Fassung" einer europäischen Patentanmeldung möglichst frühzeitig nach Einreichung der Anmeldung veröffentlicht werden. So ist der Fachmann nach der Veröffentlichung in der Lage, beim Durchlesen der veröffentlichten Anmeldung zu erkennen, was "zum Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung" gehört, für welche Gegenstände also Schutz begehrt wird oder begehrt werden kann.

Nach Auffassung der Kammer kann der Leser einer veröffentlichten europäischen Patentanmeldung im Normalfall erwarten, daß die "Beschreibung der Erfindung", die sie gemäß Artikel 78 (1) b) EPU enthalten muß, bereits alle Merkmale der beschriebenen Erfindung angibt, für die Schutz begehrt wird oder begehrt werden kann. Nur unter bestimmten Umständen können Merkmale, die in der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht enthalten, sondern nur in einem in der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung genannten anderen Dokument beschrieben sind, im nachhinein im Wege einer Änderung als wesentliche Merkmale der Erfindung, die Gegenstand des Schutzbegehrens ist, in die Ansprüche der Anmeldung aufgenommen werden. Prima facie gehören diese Merkmale nicht zum "Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung", der für die Zwecke des Artikels 123 (2) EPU aus der Beschreibung der Erfindung, den Ansprüchen und ggf. den Zeichnungen besteht (s. Art. 78 (1) EPU).

Wäre dem nicht so, so würde der Inhalt einer Anmeldung, die in ihrer Beschreibung zahlreiche Bezugnahmen auf andere Dokumente, z. B. andere Patentschriften oder Handbücher, enthält, fast ins Uferlose gehen, insbesondere dann, wenn diese Dokumente selbst wiederum Bezugnahmen auf andere Dokumente enthalten usw.

2.1 Die einzige der Kammer bekannte frühere Entscheidung einer Beschwerdekammer, wonach Merkmale, die nicht in der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung, sondern in einem anderen, in der Beschreibung in Bezug genommenen Dokument enthalten waren, nachträglich in den Hauptanspruch der Anmeldung aufgenommen werden durften, ist die Entscheidung T 6/84, auf die sich die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall beruft (s. Nr. III). In jenem Fall lautete der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 wie folgt:

"1. Verfahren zur katalytischen Entfernung von Wachs aus einem Kohlenwasserstofföl, bei dem dieses Öl unter entsprechenden Bedingungen mit einem Katalysator in Berührung gebracht wird, dadurch gekennzeichnet, daß der Katalysator synthetisches Offretit ... ist".

Die Textstelle in der ursprünglichen Beschreibung (EP-A-0 016 530, S. 8, Abs. 3 und 4), in der die durch Bezugnahme offenbarten Merkmale angegeben sind, lautete wie folgt:

"Synthetisches Offretit ist ein genau definiertes Zeolit mit einem bekannten Röntgenpulverbeugungsdiagramm und einer vorgeschlagenen Kristallstruktur ...

Das in der vorliegenden Erfindung verwendete synthetische Offretit und sein Herstellungsverfahren sind in dem kanadischen Patent Nr. 934 130 offenbart ...".

Somit steht fest, daß der Katalysator "synthetisches Offretit", auf den im kennzeichnenden Teil des Hauptanspruchs in der ursprünglich eingereichten Fassung Bezug genommen wird, ein genau definierter Stoff war; weitere kennzeichnende Parameter dieses Stoffes sowie sein Herstellungsverfahren waren gemäß der Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung der in Bezug genommenen kanadischen Patentschrift zu entnehmen.

Diese weiteren kennzeichnenden Parameter des synthetischen Offretits, die aus der kanadischen Patentschrift in den Hauptanspruch übernommen wurden, waren das Molverhältnis der im synthetischen Offretit enthaltenen Oxide und das Röntgenpulverbeugungsdiagramm, das die Braggschen Winkel und Intensitäten definierte. Diese Parameter waren in dem Hauptanspruch bereits implizit vorhanden und dienten lediglich dazu, das synthetische Offretit, das bereits ein wesentliches Merkmal der in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung beschriebenen und beanspruchten Erfindung darstellte, näher zu definieren.

Im Hinblick auf den Sachverhalt, der der Entscheidung T 6/84 zugrunde lag, steht fest, daß die weiteren kennzeichnenden Parameter des synthetischen Offretits (nämlich die Molverhältnisse der Oxide und das Röntgenpulverbeugungsdiagramm), die im Wege einer Änderung in den Hauptanspruch aufgenommen wurden, als Merkmale eindeutig zu der Erfindung gehörten, für die bereits Schutz begehrt worden war. Die Verwendung von synthetischem Offretit als Katalysator war ja bereits das einzige kennzeichnende Merkmal in dem ursprünglich eingereichten Anspruch gewesen, und die diesem Anspruch hinzugefügten Merkmale dienten lediglich zur besseren Definition des synthetischen Offretits.

Somit unterscheidet sich der der Entscheidung T 6/84 zugrunde liegende Fall deutlich von dem hier gegebenen Sachverhalt. Außerdem können nach Auffassung der Kammer die im Leitsatz zu jener Entscheidung genannten Grundsätze auf den vorliegenden Fall eigentlich weder zur Unterstützung der Beschwerdeführerin noch überhaupt angewandt werden.

2.2 Nach Auffassung der Kammer muß jedoch - unter teilweiser Berücksichtigung des Leitsatzes zur Entscheidung T 6/84 - bei der Feststellung, ob Merkmale, die nicht in der Beschreibung der Erfindung, sondern nur in einem in Bezug genommenen Dokument erwähnt sind, in einen Anspruch einer europäischen Patentanmeldung aufgenommen werden dürfen, geprüft werden, ob anhand der Beschreibung der Erfindung in der eingereichten Fassung für den Fachmann zweifelsfrei erkennbar ist,

a) daß für Merkmale, die nur im Bezugsdokument offenbart sind, Schutz begehrt wird oder werden kann;

b) daß die Merkmale, die nur im Bezugsdokument offenbart sind, zum technischen Ziel der Erfindung und somit zur Lösung der technischen Aufgabe beitragen, die der anmeldungsgemäßen Erfindung zugrunde liegt;

c) daß die Merkmale, die nur im Bezugsdokument offenbart sind, eindeutig implizit zur Beschreibung der in der Anmeldung enthaltenen Erfindung (Art. 78 (1) b) EPU) und damit zum Offenbarungsgehalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Art. 123 (2) EPU) gehören und

d) daß diese Merkmale in dem gesamten technischen Informationsgehalt des Bezugsdokuments genau definiert und identifizierbar sind.

Sind diese bestimmten Bedingungen erfüllt, so ist es nach Auffassung der Kammer zulässig, Merkmale, die nur im Bezugsdokument offenbart sind, in die Ansprüche der Anmeldung aufzunehmen, ohne daß dies gegen Artikel 123 (2) EPU verstößt, weil diese Merkmale dann zu Recht als "Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung" gelten.

3.1 Deshalb soll in den folgenden Absätzen a bis d geprüft werden, ob der hier vorliegende Sachverhalt diese Bedingungen erfüllt.

Dokument D1 offenbart ein System, das dem in der vorliegenden Anmeldung offenbarten ziemlich nahe kommt und aus einem Ortungs-, einem Versorgungs- und einem Rückführteil besteht, wobei diese Teile in erster Linie anhand ihrer elektrischen Eigenschaften beschrieben sind (s. S. 7 bis 10). Später werden dann auf den Seiten 20 bis 27 bevorzugte Merkmale dieser Teile dargelegt; dazu gehört auch die Textstelle auf Seite 23, die die Beschwerdeführerin als Beschreibung von Merkmalen herangezogen hat, die den vorgeschlagenenen Änderungen der Ansprüche der vorliegenden Anmeldung entsprechen. Eine konkrete Beschreibung zu den Zeichnungen dieser Teile wird auf den Seiten 42 bis 47 gegeben.

3.2 a) Im ursprünglichen Anspruch 1 der vorliegenden Anmeldung waren die Eigenschaften des beanspruchten "Ortungsteils" und des "Rückführteils" ausschließlich durch den Wortlaut der Merkmale A bzw. B definiert, der wiederum identisch ist mit der derzeitigen Fassung des Anspruchs 1 des Haupt- und des Hilfsantrags (s. Nr. VI). Somit kann der Fachmann der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung entnehmen, daß das Ortungs- und das Rückführteil - im Sinne der Erfindung, für die Schutz begehrt wird - "längliche elektrisch leitfähige" Mittel darstellen, die eine bestimmte Impedanz aufweisen. In den Ausführungsbeispielen zu diesen beanspruchten länglichen elektrisch leitfähigen Mitteln in der ursprünglichen Beschreibung sind die Länge, der spezifische Widerstand und der Temperaturkoeffizient des Widerstands angegeben, während sich die sachliche Offenbarung darauf beschränkt, daß das Ortungs-, das Versorgungs- und das Rückführteil baulich zu einem einzigen flexiblen Kabel vereinigt sind. In den ursprünglich offenbarten Ausführungsarten wird jedoch über das zur Herstellung des Ortungs- und des Rückführteils verwendete Material überhaupt nichts ausgesagt.

Auch die Zeichnungen der vorliegenden Anmeldung offenbaren ein Ortungs- und ein Rückführteil, die ihrer Art nach ausschließlich Leitungen sind, deren wesentliche inhärente Eigenschaft der Widerstand ist, und enthalten weder zur dreidimensionalen Form der Teile noch zum Material, aus dem sie bestehen, konkrete Informationen. Folglich ergibt sich nach Auffassung der Kammer für den Fachmann bei Auslegung der ursprünglichen Offenbarung der vorliegenden Anmeldung insgesamt, daß das Ortungs- und das Rückführteil der vorliegenden Erfindung Leitungen sind, die nur durch ihre elektrische Leitfähigkeit definiert sind.

3.2 b) Ziel der vorliegenden Anmeldung ist die Uberwachung eines Ereignisses und die Bestimmung des Orts, an dem dieses Ereignis stattfindet; siehe ursprüngliche Offenbarung, Seite 1, Zeile 28 bis Seite 2, Zeile 15. Dieser Zweck wird durch Messen des Stromabfalls entlang des Ortungsteils zwischen dem Ort des Ereignisses und einem Bezugspunkt erreicht. Es liegt für den Fachmann auf der Hand, daß infolge dieses Grundprinzips die genaue Kenntnis der Impedanz der durch das Ereignis hergestellten elektrisch leitenden Verbindung zwischen dem Ortungs- und dem Rückführteil für die Genauigkeit der Ortsmessung ausschlaggebend ist; siehe auch ursprüngliche Beschreibung, Seite 7, Absatz 2. Entgegen dem Argument der Beschwerdeführerin (s. Nr. VIII d)) wird die Impedanz der durch das Ereignis hergestellten Verbindung nicht durch die mit einem leitfähigen Polymer ummantelten Metallkerne der Teile bestimmt, sondern entweder durch den spezifischen Widerstand der elektrisch leitenden Verbindung zwischen den Teilen (s. D1, Bezugszahlen 20, 21 in den Abbildungen 33 und 34 und die dazugehörige Beschreibung auf den Seiten 42 und 43) oder durch Messung des Stromflusses in der Verbindung (s. Beschreibung der vorliegenden Anmeldung, S. 7, Zeilen 13 und 14).

Daß ein (von einem leitfähigen Polymer ummantelter) Metallkern eines Ortungs- und eines Rückführteils viele verschiedene Ereignisse aufspüren kann, läßt sich aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht herleiten und ist somit für das Argument der Beschwerdeführerin (s. Nr. VIII d)) nicht relevant.

Folglich enthält die Anmeldung in der eingereichten Fassung keine echte Offenbarung einer technischen Verbindung, der der Fachmann entnehmen könnte, daß alle im Bezugsdokument offenbarten Merkmale für den technischen Zweck und die Lösung der in der eingereichten Fassung der Anmeldung offenbarten technischen Aufgabe möglicherweise wesentlich oder vorteilhaft sind.

3.2 c) Die Beschreibung der Erfindung in der ursprünglich eingereichten Fassung legt in keiner Weise nahe, daß die "näheren Angaben" über geeignete Ortungs- und Rückführteile, die in Dokument D1 (und nunmehr im Merkmal H des Anspruchs 1 des Hauptantrags sowie in Anspruch 1 des Hilfsantrags) zu finden sind, die Merkmale der Erfindung kennzeichnen sollen, für die Schutz begehrt werden kann, oder daß diese Merkmale eindeutig implizit zur Beschreibung der Erfindung gehören.

3.2 d) Die Offenbarung in der vorliegenden Anmeldung (Seite 11, Zeilen 1 bis 3), daß "nähere Angaben" über "geeignete" Teile im Bezugsdokument beschrieben seien, stellt nach Auffassung der Kammer keine präzise, eindeutige Definition der besonderen technischen Information im Bezugsdokument dar, die offensichtlich implizit als zum Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung gehörig betrachtet werden soll. Das Bezugsdokument D1 bezieht sich nämlich auf zahlreiche mögliche Ausführungsarten des Ortungs-, des Versorgungs- und des Rückführteils und erwähnt in diesem Zusammenhang auch andere Patente, Patentanmeldungen und sonstige Dokumente, so daß der Inhalt der vorliegenden Anmeldung nahezu ins Uferlose gehen würde, wenn die Offenbarung des Dokuments D1 über diese "näheren Angaben" darin aufgenommen würde. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die Merkmale, die nunmehr in die Ansprüche der vorliegenden Anmeldung aufgenommen werden sollen, in Dokument D1 nicht einmal als wesentliche Merkmale des darin beschriebenen Ortungs- und des Rückführteils bezeichnet werden, sondern lediglich als fakultative Merkmale "in vielen Anwendungsbereichen der Erfindung, insbesondere, wenn das Ereignis in Anwesenheit eines Elektrolyten stattfindet, (wodurch) eine ausgezeichnete Kombination der gewünschten Eigenschaften erzielt werden kann" (s. S. 23, Zeilen 9 bis 19).

Nach Auffassung der Kammer bietet die Offenbarung des Dokuments D1 außerdem keine Grundlage dafür, den mit leitfähigem Polymer ummantelten Metallkern 111, 112 des Ortungsteils aus den Merkmalen herauszunehmen, die zusammen die in den Abbildungen 33 und 34 des Dokuments D1 dargestellten Ausführungsarten bilden. Auch offenbart das Dokument D1 entgegen den von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Anspruchsänderungen beim Rückführteil keine Ummantelung aus leitfähigem Polymer. Die Rückführteile 16 der Ausführungsarten in Dokument D1 haben entweder eine Isolierhülse 161 oder eine polymerische Isolierschicht 22, die den Metallkern umgibt; siehe Dokument D1, Abbildungen 33 bis 37 und die dazugehörige Beschreibung auf den Seiten 42 bis 45. Daher kann die Kammer die in Nummer VIII a), b) und c) dargelegten Argumente der Beschwerdeführerin nicht gelten lassen.

4. Aus diesen Gründen verstößt die Aufnahme der Merkmale aus dem Dokument D1 in Anspruch 1 des derzeitigen Haupt- und des Hilfsantrags nach Auffassung der Kammer gegen Artikel 123 (2) EPU; diese Ansprüche sind deshalb nicht gewährbar.

5. Die Beschwerdeführerin stützte ihr Vorbringen auch auf die Entscheidung T 784/89 (s. Nr. VIII e)). In dieser Entscheidung wurde die nachträgliche Aufnahme von Geräteansprüchen (Ansprüche 14 bis 26 in EP-B1-0 144 026) in die Anmeldung zugelassen, in denen die Worte "Mittel zum (zur)" vor jede der Maßnahmen gesetzt wurden, die in den ursprünglich allein offenbarten Verfahrensansprüchen 1 bis 13 beansprucht worden waren (s. insbes. Verfahrensmerkmale a - h des Anspruchs 1); damit wurden die bereits beanspruchten funktionellen und strukturellen Merkmale entsprechend beibehalten. Im Fall der Entscheidung T 784/89 wurde keine technische Information aus der angeführten Vorveröffentlichung (US-A-4 297 637) in die neu hinzugefügten Geräteansprüche aufgenommen. Nachdem die Maßnahmen und die Mittel zu ihrer Ausführung technisch nicht voneinander zu trennen sind, sind diese Mittel inhärent Teil einer Verfahrenserfindung. Außerdem ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ausdrücklich offenbart, daß "ein weiterer Zweck der Erfindung darin besteht, Mittel ... bereitzustellen"; siehe EP-A-0 144 026, Seite 5, Zeile 14. Diese Angabe spricht eindeutig dafür, daß bereits in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung auch für ein Gerät Schutz begehrt werden sollte.

Wie oben dargelegt, war der der Entscheidung T 784/89 zugrunde liegende Fall ganz anders gelagert als der hier gegebene, so daß diese Entscheidung im vorliegenden Fall nicht zur Stützung der Gewährbarkeit der Änderungen herangezogen werden kann. ...

6. ...

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. ...

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation