T 0312/88 () of 29.1.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T031288.19910129
Datum der Entscheidung: 29 Januar 1991
Aktenzeichen: T 0312/88
Anmeldenummer: 80104929.7
IPC-Klasse: C11D 1/66
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Flüssiges, phosphatarmes und umweltfreundliches Waschmittel
Name des Anmelders: Van Baerle & Co. KG
Name des Einsprechenden: Henkel Kommanditgesell.
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Deletion of essential feature in granted claim (not
allowable)
Amendment of claim by addition of reference quantity
to the specification of a relative amount
Insufficient disclosure of invention
Experiments to find the solution of the problem
Streichung eines wesentlichen Merkmals im erteilen
Anspruch /unzulässig)
Anspruchsänderung durch Ergänzung der Bezugsgröße
einer relativen Mengenangabe (abgelehnt)
Mangelhafte Offenbarung der Erfindung
Versuche zum Auffinden der Lösung der Aufgabe
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0014/83
T 0068/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1037/06
T 0658/07
T 1133/08
T 0377/17
T 1838/17
T 0452/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des EPA vom 4. Mai 1988, mit der das europäische Patent 25 147 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, das auf die am 20. August 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung 80 104 929.7 am 18. Januar 1984 aufgrund von 6 Patentansprüchen erteilt worden war.

II. Der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Wäßrig-flüssiges, phosphatarmes und unweltfreundliches Waschmittel, enthaltend waschaktive Sulfonate, nichtionische Tenside, anorganische Silikate und Sequestriermittel mit einem Wassergehalt von weniger als 50 %, gekennzeichnet durch einen Gehalt von 2-40 Gew.-% an Alkansulfonaten, von 5-98 Gew.-% an nichtionischen Tensiden, jeweils bezogen auf die Tensidkombination, sowie an phosphathaltigen Sequestriermitteln."

III. In der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, der Wegfall der im Oberbegriff des erteilten Anspruchs 1 enthaltenen Komponente "Salze von Fettsäuren" stelle keine Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ dar, da die Beispiele klar zeigen, daß diese Komponente nur fakultativ anwesend sei.

Es ergebe sich ferner aus der normalen Betrachtung durch den Fachmann sowie aus Beispiel 1 der Patentschrift, daß die im erteilten Anspruch 1 nicht eindeutig angegebene Bezugsgröße für den Gehalt an Alkansulfonaten nur die Tensidkombination sein könne. Zwar zeige bei dieser Interpretation das Beispiel 2 nicht die anspruchsgemäße Zusammensetzung; die Beseitigung dieser Diskrepanz führe jedoch zu noch bedeutsameren Widersprüchen im Anspruchswortlaut. Die geänderte Anspruchsfassung sei daher im Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ.

Das beanspruchte Waschmittel sei auch anhand der Angaben in der Beschreibung, insbesondere in Beispiel 1, ohne weiteres herstellbar. Auch wenn dabei für einzelne Komponenten die Bezeichnungen nicht glücklich gewählt worden sein sollten, sei für den Fachmann ihre Bedeutung klar. Der Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ läge daher nicht vor. Der geänderte Anspruch 1 enthalte im übrigen keine Unklarheiten und erfülle somit auch die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.

Es folgen nähere Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

IV. Die Beschwerde wurde am 7. Juli 1988 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr eingelegt. Am 20. August 1988 ist eine Beschwerdebegründung eingegangen.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat vorgetragen, der nunmehr beanspruchte Gegenstand sei den ursprünglichen Unterlagen nicht eindeutig zu entnehmen, da in diesen keine klare Bezugsgröße für die Alkansulfonat- Konzentration enthalten sei. Das Streitpatent enthalte somit keine ausführbare technische Lehre. Der geänderte Anspruch verstoße auch gegen die Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ, da damit nunmehr ein Gegenstand unter Schutz gestellt werde, der vom erteilten Patentanspruch 1 nicht umfaßt worden sei. Insbesondere könne Beispiel 1 nicht zur Stützung der Offenbarung des Gegenstands des geltenden Anspruchs 1 herangezogen werden, da es widersprüchliche Angaben enthalte und nicht nacharbeitbar sei. Es erlaube daher keinerlei Rückschlüsse auf die genauen Mengenverhältnisse der einzelnen Bestandteile.

V. Am 29. Januar 1991 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, bei der die Beschwerdeführerin - wie vorher schriftlich angekündigt - nicht vertreten war.

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Kammer angedeutet, daß voraussichtlich die Streichung des Merkmals "Salze von Fettsäuren" aus dem erteilten Anspruch 1 als Verstoß gegen die Vorschrift des Artikels 123 (3) EPÜ zu werten sei, da allein der Umstand, daß die Beispiele dieses Merkmal nicht aufweisen, im Gegensatz zur Feststellung in der angefochtenen Entscheidung nicht ausreiche, um den erteilten Anspruch erweiternd zu interpretieren.

Die Beschwerdegegnerin räumte daraufhin ein, daß die Streichung rückgängig gemacht werden müsse und daß somit beide Beispiele nicht den beanspruchten Gegenstand erläutern und als Offenbarungsquelle ausscheiden.

Sie machte jedoch geltend, die Angabe "2-40 Gew.-% Alkansulfonat" könne sich schon deshalb nur auf die Tensidkombination beziehen, weil sie zusammen mit den nachfolgend genannten nichtionischen Tensiden die einzigen im Kennzeichen erwähnten Bestandteile seien und außerdem erkennbar zusammen die "Tensidkombination" bildeten. Zwar ergebe sich aus dem Umstand, daß die Tensidkombination nach dieser Lesart des Anspruchs 1 bei höchstens 40 Gew.-% Alkansulfonat (AS) nur mindestens 5 Gew.-% nichtionische Tenside (NI-Tenside) enthalte, daß bis zu 55 Gew.-% andere Tenside anwesend sein könnten, die im Kennzeichen nicht erwähnt seien. Zu diesen sonstigen Tensiden seien im weitesten Sinne auch die im Oberbegriff genannten Salze von Fettsäuren zu rechnen. Andererseits folge aber aus der Tatsache, daß die Summe des Mindestgehalts an AS und des Höchstgehalts an NI-Tensiden 100 % ergebe, daß diese Salze nicht zur hier gemeinten Tensidkombination zählen sollten. Die Einfügung des Wortes "jeweils" in dem erteilten Anspruch 1 nach "Tensiden," stelle deshalb lediglich eine Klarstellung und keine unzulässige Änderung dar.

Selbst wenn man diese Klarstellung des Anspruchs 1 rückgängig mache, sei der Patentgegenstand auch ohne Zuhilfenahme von Beispielen für den Fachmann ausführbar. Wenn dieser Zweifel daran habe, ob der AS-Gehalt auf die Gesamtmenge an Waschmittel oder auf die Tensidkombination zu beziehen sei, so hätten diese durch einfache Versuche ausgeräumt werden können. Man brauche nur festzustellen, bei welchen Mengenverhältnissen der in der Beschreibung angegebene Effekt eintrete. Ein Offenbarungsmangel im Sinne von Artikel 83 EPÜ sei hierin nicht zu sehen.

VII. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdeschrift den weiterhin geltenden Antrag gestellt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar entweder (Hauptantrag) auf der Grundlage eines Patentanspruchs 1 in der in Teil II wiedergegebenen Fassung, jedoch unter Einfügung von "Salze von Fettsäuren" nach "waschaktive Sulfonate," oder (Hilfsantrag) in der Fassung gemäß Hauptantrag, jedoch unter Streichung von "jeweils" nach "Tensiden" im Kennzeichen.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Widerrufsentscheidung der Kammer verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Aufgrund des in Teil I und IV dargestellten Sachverhalts ist die Beschwerde zulässig.

2. Hauptantrag:

2.1. Patentanspruch 1 gemäß diesem Antrag enthält gegenüber der erteilten Fassung zwei Änderungen, nämlich die Streichung der phosphatfreien Sequestriermittel und den Bezug des Gehalts an AS auf die Tensidkombination. Die erste Änderung betrifft die Streichung einer ursprünglich differenziert beanspruchten Alternative. Es handelt sich also um eine Beschränkung im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung, gegen die im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ keine Bedenken bestehen.

2.2. Anders verhält es sich mit der zweiten Änderung. Es ist unbestritten, daß die ursprünglichen und die erteilten Unterlagen keinerlei explizite Angaben darüber enthalten, auf welche Bezugsgröße die Angabe "20 bis 40 Gew.-% AS" in Anspruch 1 zu beziehen ist. Wenn die Beschwerdegegnerin meint, die verbale Unsicherheit hinsichtlich der Bezugsgröße für die AS lasse sich aus dem bloßen Anspruchswortlaut, nämlich durch Beachtung der Zäsur zwischen Oberbegriff und Kennzeichen in ihrem Sinne klären, so übersieht sie, daß eine rein linguistische Interpretation eines Patentanspruchs dessen sachgerechte Auslegung nicht ersetzen kann. Die Kammer teilt auch nicht die Auffassung der Beschwerdegegnerin, wonach sich allein aus dem Umstand, daß AS ebenfalls Tenside sind, folge, daß sich die Angabe "bezogen auf die Tensidkombination" sowohl auf die AS-Konzentration als auch auf die NI- Tensidkonzentration beziehe. Diese Interpretation mag zwar nach der im Einspruchsverfahren vorgenommenen, jedoch unzulässigen Streichung des Bestandteils "Salze von Fettsäuren" aus dem Patentanspruch zunächst einleuchten; sie ist aber im Hinblick darauf, daß die Salze von Fettsäuren (Seifen) ebenfalls Tenside sind, nicht haltbar. Vielmehr sind sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Einspruchsabteilung zunächst davon ausgegangen, daß im allgemeinen bei Gehaltsangaben ohne Bezugsgröße selbstverständlich ist, daß sie sich auf die Gesamtmenge der angegebenen Mischung beziehen. Dies zeigt bereits, daß der Fachmann bei der Interpretation des Anspruchs erheblichen Schwierigkeiten begegnet. Hierbei ist auch nicht zu übersehen, daß bei der von der Beschwerdegegnerin verteidigten Interpretation zwischen der Summe der Mindestgehalte an AS und NI-Tensiden und der Gesamtmenge der "Tensidkombination" eine "Lücke" von 55 Gew.-% entsteht, ohne daß erkennbar wäre, wodurch diese gefüllt werden soll.

Auch die von der Einspruchsabteilung zunächst zugrundegelegten Interpretation muß der fachkundige Leser dieses Anspruchs jedoch bei näherer Betrachtung als unzutreffend erkennen, denn ein Waschmittel, das 98 Gew.-% NI-Tenside (bezogen auf die Tensidkombination) enthalten soll, kann nicht gleichzeitig 2 Gew.-% AS (bezogen auf das gesamte Waschmittel) enthalten. Denn wenn die AS zur Tensidkombination zu rechnen sind, muß ihr Anteil am gesamten Waschmittel wegen der obligatorischen Anwesenheit weiterer Bestandteile zwangsläufig geringer sein.

Diese Schwierigkeit wird aber nicht dadurch behoben, daß man der Auffassung der Beschwerdegegnerin folgt und als Bezugsgröße für den AS-Gehalt die Tensidkombination wählt, denn diese enthält gemäß dem erteilten Patent zwingend auch noch Salze von Fettsäuren, also weitere Tenside, für die bei einem Gehalt von 2 Gew.-% AS und 98 Gew.-% NI- Tensiden kein Raum bliebe. Die Beispiele, die keine Waschmittel mit einem Gehalt an solchen Salzen von Fettsäuren betreffen und somit den Gegenstand des erteilten Anspruchs nicht erläutern, wie auch die Beschwerdegegnerin eingeräumt hat, können dem Fachmann keinen Anhaltspunkt über die korrekten Mengenangaben in einem Waschmittel gemäß Patentanspruch geben, da Angaben fehlen und nur spekuliert werden kann, wie die Mengenverhältnisse unter Berücksichtigung dieses fehlenden Bestandteils ausgesehen hätten. Weiterführende Angaben sind auch der übrigen Beschreibung nicht zu entnehmen. Dies hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt. Unter diesen Umständen vermag die Kammer in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Stütze für die vorgenommene Änderung zu erkennen. Diese Änderung kann daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zugelassen werden, so daß der Hauptantrag bereits hieran scheitert.

3. Hilfsantrag:

3.1. Anspruch 1 gemäß diesem Antrag enthält gegenüber der erteilten Fassung nur noch die gemäß Punkt 2.1 zulässige Änderung und weist daher den Mangel der unzulässigen Änderung nicht mehr auf.

3.2. Wie in Punkt 2.2 bereits dargelegt, ist eine sachgerechte Interpretation des Patentanspruchs bezüglich des Mengenbereichs einer wesentlichen Komponente des unter Schutz gestellten Waschmittels auch unter Zuhilfenahme der Beschreibung nicht möglich. Dies hindert den Fachmann daran, die Lehre des Streitpatents zu erkennen und zu reproduzieren.

Das Waschmittel gemäß Streitpatent enthält unstrittig nur übliche Komponenten, so daß für die unter Schutz gestellte Lehre die einzuhaltenden Mengenbereiche der obligatorischen Bestandteile wesentlich sind. Dies hat zur Folge, daß bei fehlender Festlegung dieser Mengenbereiche ein Mangel an deutlicher Offenbarung des Patentgegenstandes gemäß Artikel 83 EPÜ bzw. 100 b) EPÜ und nicht nur eine Unklarheit des Anspruchs im Sinne von Artikel 84 EPÜ vorliegt.

3.3. Demgegenüber kann auch das Argument der Beschwerdegegnerin nicht zum Erfolg führen, die eigentliche Lehre des Streitpatents sei die Kombination der im Anspruch genannten essentiellen Bestandteile, gegen die ein Vorurteil bestanden habe, so daß die Angaben im Patentanspruch ausreichen, selbst wenn bezüglich der einzuhaltenden AS-Konzentration Unklarheiten bestehen sollten; denn der Fachmann könne ja durch wenige Routineversuche Gewißheit darüber erlangen, mit welchen Zusammensetzungen der geltend gemachte Effekt eintrete. Damit verkennt die Beschwerdegegnerin nämlich den Normzweck des Artikels 83 EPÜ. Diese Bestimmung soll sicherstellen, daß der Fachmann die Erfindung ohne eigene Ermittlungen oder unzumutbare Versuche wiederholen kann. Das Ausmaß zumutbarer Versuche ist jedenfalls dann überschritten, wenn damit - wie hier -die Lösung der bestehenden Aufgabe erst aufgefunden werden muß. Es geht hier nämlich nicht nur um die Ermittlung der zahlenmäßigen Grenzen eines funktionell definierten Bereichs, wie z. B. in dem der Entscheidung "synergistische Herbizide" zugrundeliegenden Fall (T 68/85, ABl. EPA 1987, 228) oder um das Vermeiden gelegentlicher Fehlschläge (siehe "Vinylchloridharze", T 14/83, ABl. EPA 1984, 105), sondern um die Ermittlung dessen, was die technische Lehre des Streitpatents eigentlich ausmacht. Hierzu gehören zur eindeutigen Festlegung der Zusammensetzung des unter Schutz gestellten Waschmittels gerade die Grenzen für die erforderlichen Mengen an AS und NI-Tensiden. Außerdem hat die mündliche Verhandlung ergeben, daß hierzu keineswegs nur wenige Versuche durchzuführen sind, sondern daß ganze Versuchsreihe erforderlich wären, um diesen wesentlichen Bestandteil der technischen Lehre praktisch erst zu erarbeiten, wobei als Anhaltspunkt nicht mehr zur Verfügung steht, als der im Streitpatent geltend gemachte Effekt. Der Fachmann kann somit nicht die Erfindung nach wenigen klärenden Versuchen zielsicher ausführen, sondern muß diese praktisch noch einmal machen.

3.4. Somit ist nach Überzeugung der Kammer im Streitpatent die unter Schutz gestellte Erfindung nicht im Sinne von Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ so deutlich und vollständig offenbart, daß der Fachmann sie ausführen kann.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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