T 1037/06 () of 29.4.2009

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2009:T103706.20090429
Datum der Entscheidung: 29 April 2009
Aktenzeichen: T 1037/06
Anmeldenummer: 02006856.5
IPC-Klasse: E04F 15/20
B32B 21/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 84 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Fußbodenbelag mit Trittschalldämpfung und Verfahren für seine Herstellung
Name des Anmelders: Kronospan Technical Co. Ltd.
Name des Einsprechenden: Hamberger Industriewerke GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit Hauptantrag: nein
Erfinderische Tätigkeit Hilfsantrag: nein
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0312/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) hat mit Schreiben vom 21. Juni 2006 gegen die Entscheidung vom 11. Mai 2006, in welcher die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und das Patent Nr. 1247923 (auf der Basis der Teilanmeldung EP 02006856.5 der Patentanmeldung PCT/EP99/08510 mit Internationaler bzw. Europäischer Veröffentlichungsnummer WO-A-01/09461 und EP-B-1200692) im erteilten Umfang aufrechterhalten hat, Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet.

Die Beschwerdebegründung wurde von der Beschwerdeführerin am 21. September 2006 nachgereicht.

II. Während der mündlichen Verhandlung am 29. April 2009 haben die Parteien folgende Anträge gestellt:

a) Beschwerdeführerin (Einsprechende):

Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widerruf des Patents wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 100b) EPÜ), unzulässiger Erweiterung im Sinne von Artikel 123(2) EPÜ sowie wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands (Artikel 100a), 54 und 56 EPÜ).

b) Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin):

- Hauptantrag: Zurückweisung der Beschwerde;

- Hilfsantrag: Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 6.

III. Wortlaut der relevanten Ansprüche

a) Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 lautet wie folgt (Merkmalsgliederung von der Kammer eingeführt):

Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (wie erteilt):

a) "Fußbodenbelag

b) mit aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehenden starren Laminat- oder Parkettpaneelen und

c) einer Schicht, die mit der Unterseite der Paneele fest verbunden ist,

dadurch gekennzeichnet,

d) dass die Schicht aus thermoplastischem Material besteht, welches ein ausgeprägtes physikalisches Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur zeigt."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag:

a) "Fußbodenbelag

b) mit aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehenden starren Laminat- oder Parkettpaneelen und

c) einer Schicht, die mit der Unterseite der Paneele fest verbunden ist,

dadurch gekennzeichnet,

d) dass die Schicht aus thermoplastischem Material besteht, welches ein ausgeprägtes physikalisches Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur zeigt,

e) und wobei das thermoplastische Material messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum im tandelta zeigt."

b) Anspruch 6 des Haupt- und Hilfsantrags:

"Verfahren zur Herstellung eines Fußbodenbelages nach einem der vorhergehenden Ansprüche, bei dem thermoplastisches Material erwärmt und im fließfähigen Zustand auf die Unterseite der Laminat- oder Parkettpaneele aufgestrichenen oder aufgewalzt wird."

IV. Im Beschwerdeverfahren berücksichtigte und für diese Entscheidung relevante Beweismittel:

DO: Fachbuch Chemie, Physik und Technologie der Kunststoffe, Band 6, Kunststoffe - Struktur, physikalisches Verhalten und Prüfung, K.A. Wolf, Springer Verlag, 1962, Seiten 341, 363-365, 426;

D5: EP-A-0 864 712.

Der Inhalt der in der Beschwerdebegründung lediglich mit aufgelisteten D5 wurde von der Beschwerdeführerin erstmals während der mündlichen Verhandlung am 29. April 2009 herangezogen.

V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen.

Artikel 100b) EPÜ

Die Bedeutung des die thermoplastische Schicht definierenden Konzepts eines "ausgeprägten physikalischen Relaxationsvermögens bei Raumtemperatur" sei für den Durchschnittsfachmann nicht ohne weiteres zu erschließen. Beim Versuch, dieses Merkmal auszulegen, stöße der Fachmann auf folgende schwer zu beantwortenden Fragen bzw. zum Teil unlösbare Schwierigkeiten:

a) das Konzept "Relaxationsvermögen" gehe über die Fachkenntnisse des für die Herstellung von Fußböden zuständigen Fachmanns hinaus;

b) der das Relaxationsvermögen qualitativ weiter definierende Begriff "physikalisch" enthalte keine Entsprechung in der Fachwelt;

c) das Patent lasse offen, welcher von den in D0 erwähnten unterschiedlichen Größen bzw. Typen (z.B. Temperaturrelaxation oder Strukturrelaxation), die unter dem Begriff "Relaxationsvermögen" fallen können, gemeint sei;

d) dem Wort "ausgeprägt" könne im Zusammenhang mit dem Konzept Relaxationsvermögen keine klare Bedeutung anerkannt werden;

e) falls das Wort "ausgeprägt" anhand der Beschreibung des Patents, Absatz [0020], ausgelegt werde, nämlich indem das Verlustmodul tandelta im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum zeige, so sei dieser Größe nicht ausreichend definiert, da:

i) es diesbezüglich zwei Maxima (Haupt- und Nebenmaxima) gebe, wobei je nach Material das Nebenmaximum im Bereich der üblichen Raumtemperaturwerte, aber dafür das Hauptmaximum deutlich außerhalb, liegen könne und das Patent offen lasse, welches Maximum gemeint sein solle;

ii) die Bedeutung des Begriffs "Verlustmodul tandelta" nicht eindeutig sei, da zwei unterschiedliche Module damit gemeint werden könnten (vgl. D0), nämlich das mechanische und das dielektrische, welche sich durch die Lage der respektiven Maxima unterscheiden würden;

f) das Relaxationsvermögen sei stark temperatur- und frequenzabhängig, so dass der Verweis im Anspruch 1 des Patents auf eine "Raumtemperatur" für eine eindeutige Definition nicht ausreichend sei, zumal das Patent keine Angabe enthalte, weder über die Werte der Temperatur noch über die zu dämmenden Frequenzen (Tritt- oder Schallfrequenzen);

g) zudem weisen die im Absatz [0020] angegebene Beispiele eines Materials mit ausgeprägtem physikalischen Relaxationsvermögen bei Raumtemperatur gemäß der Erfindung, nämlich Polyvinylacetat oder Polyvinylpropionat, ein Hauptmaximum im tandelta für eine Temperatur auf, die deutlich höher als die übliche Raumtemperatur liege, was den Begriff "ausgeprägt" wiederum undefiniert mache.

Es ergebe sich daraus eindeutig, dass der Fachmann eine enorme Anzahl von hoch speziellen, langen und relativ komplexen Versuchen durchführen müsse, um die tandelta Kurve für jedes in Frage kommende thermoplastische Material zu ermitteln, was letztendlich als einen unzumutbaren Aufwand im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (siehe beispielsweise T0312/88) für den Fachmann bedeute.

Spätes Vorbringen

Das während der mündlichen Verhandlung herangezogene Dokument D5 sei sehr relevant und sollte deshalb in das Verfahren aufgenommen werden.

Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin neu eingereichter Ansprüche als Hilfsantrag sei verspätet und sollte nicht zugelassen werden.

Hauptantrag - Artikel 54 EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch die D5 neuheitsschädlich vorweggenommen. Insbesondere sei auch das kennzeichnende Merkmal d), nämlich dass die aus thermoplastischem Material bestehende Schicht ein ausgeprägtes physikalisches Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur zeigt, implizit in D5 enthalten.

Die Schalldämmmatte 1 des Bodenbelags der D5 sei aus einem EVA-Kunststoff (Seite 2, Zeile 47), welcher auch für die Erfindung des Streitpatents als konkretes Beispiel eines geeigneten Materials angesehen werde (siehe Absatz [0028]), so dass davon auszugehen sei, dass der EVA-Kunststoff in D5 gleichermaßen ein ausgeprägtes Relaxationsverhalten aufweise.

Hilfsantrag - Artikel 54 EPÜ

Es sei davon auszugehen, dass die bereits ein ausgeprägtes Relaxationsverhalten aufweisenden Kunststoffe der D5 auch die implizite Lehre beinhalten, das Relaxationsverhalten derart ausgeprägt zu gestalten bzw. zu optimieren, dass die Kurve tandelta das Hauptmaximum bei Raumtemperatur zeige.

Hilfsantrag - Artikel 56 EPÜ

Sollte das Merkmal e) des Anspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik D5 als neu angesehen werden, so würde es keine erfinderische Tätigkeit definieren.

Der Fachmann würde, um die schalldämmende Kunststoffschicht zu optimieren, eine thermoplastische Materialkomposition bestimmen oder auswählen, die bei Raumtemperatur und bei Fußböden entsprechenden Schallfrequenzen ein tandelta mit einem hohen absoluten Wert aber auch mit dem Hauptmaximum zeige.

VI. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen.

Artikel 100b) EPÜ

Die Erfindung sei ausreichend definiert und ausführbar nach Artikel 100b)/83 EPÜ.

Das Patent beinhalte eine ausreichende Lehre zum Handeln, auch wenn der Fachmann möglicher Weise relativ umfangreiche Versuche durchführen müsste, um aus der Liste (siehe Absätze [0022] und [0023]) von geeigneten Materialen die sehr guten Thermoplastkompositionen, also mit einem besonders guten Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur, zu ermitteln. Es sei aber keineswegs derart umfangreich, dass der Fachmann vor einer unzumutbaren Anzahl von Versuchen stehen würde.

Zum anderen sei aus der Beschreibung, Absatz [0020] klar, dass das Konzept eines "ausgeprägten physikalischen Relaxationsvermögens bei Raumtemperatur" so auszulegen sei, dass das thermoplastische Material messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich das Hauptmaximum im (mechanischen) tandelta zeige. Das Hauptmaximum des tandelta bei Raumtemperatur entspreche eines besonders ausgewogenem Material, nämlich einem Material, welches einen optimierten Ausgleich zwischen den plastischen und elastischen Eigenschaften bei Raumtemperatur gewährleiste; dabei könnten die Schallfrequenzen besonders gut gedämmt werden.

Im Übrigen seien das Konzept des Relaxationsvermögens und die Darstellung der tandelta-Kurve dem Fachmann wohlbekannt und in Fachbüchern, z.B. in D0, definiert bzw. ersichtlich.

Spätes Vorbringen

Der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag sei eine Reaktion auf eine neue Auslegung des beanspruchten Gegenstands, beinhalte nur kleine Änderungen und sollte deshalb zugelassen werden.

Anders sei die D5 als verspätet nicht zuzulassen.

Hauptantrag - Artikel 54 EPÜ

Durch den erfindungsgemäßen Fußbodenbelag könne der Gehschall (Absatz [0003] des Patents) erfolgreich gedämmt werden; das sei dadurch erreichbar, dass für die elastische unterste Schicht ein thermoplastisches Material gewählt werde, welches außer einem ausgeprägten physikalische Relaxationsverhalten auch messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum im tandelta zeige.

Die D5 offenbare keine Thermoplaste mit derartigen Eigenschaften.

Das in Seite 2, Zeilen 47 bis 50 dargestellte Beispiel eines thermoplastischen Schichtmaterials weise zwar eine Zusammensetzung auf, die relativ ähnlich zu derjenigen des Beispiels EVA im Patent liege, dennoch unterscheide sie sich durch andere Gewichtsprozente und vor allem durch das Beimischen eines hohen Anteils an Füllstoffen (Seite 2, Zeilen 47 bis 50). Daraus lasse sich herleiten, dass das EVA-material in D5 kein ausgeprägtes Relaxationsverhalten aufweise.

Dieser Unterschied werde noch dadurch betont, dass die Schallpegelreduzierung in D5 bei 3dB für eine Schichtdicke von 2mm (Seite 2, Absatz [0028], Zeilen 43 bis 45) liege, wogegen die Erfindung ein wesentlich besseres Ergebnis (11 dB, Spalte 3, Absatz [0029]) mit einer deutlich dünneren Schicht (0,7mm, vgl. Spalte 4, Zeile 42) erreiche.

Somit unterscheide sich der Gegenstand gemäß Hauptantrag gegenüber D5 mindestens durch das kennzeichnende Merkmal d) des Anspruchs 1.

Hilfsantrag - Artikel 54 EPÜ

Der beanspruchte Gegenstand des Hilfsantrags sei gegenüber der D5, zusätzlich zum Merkmal d), noch durch das hinzugefügte Merkmal e) neu.

In D5 fehle jeder Hinweis auf eine messtechnische Darstellung des Relaxationsvermögens eines geeigneten Kunststoffes durch seine tandelta-Kurven bei entsprechenden Frequenz- und Temperaturwerten, geschweige denn die Erfindungslehre, dass tandelta das Hauptmaximum bei Raumtemperatur zeigen müsse.

Hilfsantrag - Artikel 56 EPÜ

Es fehle in D5 einen Hinweis, die elastische thermoplastische Schicht derart zu optimieren, dass das Material messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum im tandelta zeigen würde. Die Textstelle ab Zeile 38 der Seite 2 der D5, wo ein sogenanntes "viskoelastisches Verhalten" des Kunststoffes definiert werde, stelle weder einen Hinweis noch eine Anregung für den Fachmann dar, ein thermoplastisches Schichtmaterial mit optimierten plastischen und elastischen Verformungseigenschaften bzw. mit einem Maximum im tandelta Wert zu bestimmen bzw. auszuwählen.

Die D0 könne dem Fachmann auch nicht die Anregung geben, das Material für die elastische unterste Schicht des Fußbodenbelags gemäß D5 derart anzupassen bzw. zusammenzustellen, dass es die kennzeichnenden Merkmale aufweisen müsse.

Das Fachbuch D0 umfasse in etwa 900 Seiten, wobei sich nur ein kleiner Teil (insbesondere auch Seite 426) mit der Dämpfung von Biegeschwingungen dröhnender Blechkonstruktionen befasse. Es fehle jedoch jeder Hinweis, wie derartige Entdröhnungsmaßnahmen auf andere Konstruktionen, wie Fußbodenbeläge, unmittelbar übertragbar seien.

VII. Die Beschwerdekammer hat am Ende der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2009 ihre Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Spätes Vorbringen

Der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag wurde von der Kammer zugelassen, weil die darin vorgenommenen Änderungen die zur Diskussion stehende Sache nicht verlagern, sondern lediglich eine weitere Einschränkung des Erfindungsgegenstands gegenüber dem berücksichtigten Stand der Technik definieren.

Das von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Dokument D5, welches lediglich in der Beschwerdebegründung mitaufgelistet war, erwies sich als besonders relevant und wurde deshalb von der Kammer in das Verfahren auch zugelassen bzw. eingeführt.

3. Ausführbarkeit (Artikel 100b) EPÜ)

3.1 In Betracht des beanspruchten Gegenstands und des Grundgedanken der Erfindung ist der Fachmann entweder der im Gebiet der Fußbodenbeläge beschäftigte Fachmann, vorausgesetzt er besitzt selbst die nötigen Fachkenntnisse über die physikalischen Eigenschaften von Thermoplasten, oder ein Team bestehend aus dem Fachmann für Fußbodenbeläge und einem in der Werkstoffkunde bewanderten Fachmann.

Zur Frage der Ausführbarkeit ist im vorliegenden Fall zu klären, ob die Anweisung an den Fachmann ausreichend ist,

um ein thermoplastisches Material für die elastische Schicht zu bestimmen, welches:

- ein ausgeprägtes physikalisches Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur zeigt (Hauptantrag);

- gegebenenfalls noch zusätzlich, messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum im tandelta zeigt (Hilfsantrag).

3.2 Das Patent beschreibt in den Absätzen [0020] (siehe Spalte 3, Zeilen 19 bis 27), [0022] und [0023] geeignete Thermoplastkompositionen, die ein sehr gutes, also ein besonders gutes Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur zeigen. In diesem Rahmen erklärt das Patent, dass Werkstoffe mit einem besonders guten Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur (Spalte 3, Zeilen 44 und 45) "eine gute Dämpfung" ermöglichen, weil sie besonders gut kinetische Energie in Wärme umwandeln können (siehe Spalte 3, Paragraph [0021]).

Daraus ergibt sich, dass geeignete Werkstoffe, d.h. Werkstoffe mit einem ausgeprägten physikalischen Relaxationsverhalten bei Raumtemperatur, thermoplastische Materialien aus den Familien gemäß Paragraphen [0020] und [0023] sind, welche bei Raumtemperatur die kinetische Energie in Wärme besonders gut umwandeln und damit Geh- und Trittschall gut dämpfen können.

Diese Lehre erscheint damit ausreichend zu sein, um die Erfindung gemäß Hauptantrag auszuführen.

3.3 Für die Bedeutung des im Hilfsantrag zusätzlichen Merkmals bezüglich eines ausgeprägten Maximums im tandelta

verweist das Patent (Zeilen 33 bis 38 der Spalte 3)auf das Lehrbuch D0.

Es kann zwar der Beschwerdeführerin zugestimmt werden, dass rein theoretisch ein Material verschiedene maximale Werte von tandelta zeige (z.B. Haupt- und Nebenmaxima jeweils für das mechanische und das dielektrische tandelta); da aber das Material gute Dämmungseigenschaften bei Fußbodenbelägen aufweisen soll, betrifft das "ausgeprägte Maximum" von tandelta logischerweise das Hauptmaximum des mechanischen tandelta bei Raumtemperatur und bei Tritt- bzw. Gehschall. In D0 (z.B. Seite 367, Fußnote 2) wird tandelta als Verlustfaktor bezeichnet und als Relativmaß für die Energieverluste im Vergleich zur wiedergewinnbaren Energie definiert. Das Hauptmaximum des tandelta bei einer Temperatur im Bereich der Raumtemperatur entspricht also einem besonders ausgewogenen Material, nämlich einem Material, welches einen optimierten Ausgleich zwischen der plastischen Verformbarkeit (Energieverluste) einerseits und der elastischen Eigenschaft (durch Torsionsmodul oder Elastizitätsmodul bestimmte wiedergewinnbare Energie) andererseits für eine im Bereich der Raumtemperatur liegende Temperatur gewährleistet.

Durch diese Materialbestimmung für die unterste elastische Schicht werden die für Fußbodenbeläge zu berücksichtigenden Schallfrequenzen besonders gut gedämmt.

Somit kann hinsichtlich der Bedeutung bzw. Auslegung des betroffenen Merkmals keine wesentliche Schwierigkeit verbleiben.

Zudem schränkt dieses Merkmal die in Betracht kommenden Thermoplaste weiter ein, indem ein geeignetes Material, wie neu definiert, nicht nur ein gutes, also mit einem relativ hohen tandelta-Wert, sondern ein optimales Relaxationsverhalten (tandelta Hauptmaximum) bei Raumtemperatur aufweisen muss.

3.4 Die Beschwerdeführerin hat letztlich noch vorgetragen, dass der Fachmann zum Ermitteln von geeigneten Materialien bzw. Werkstoffkompositionen eine nicht mehr zumutbare Anzahl von hoch speziellen, langen und relativ komplexen Versuchen durchführen müsse, um die tandelta Kurve für jedes in Frage kommende thermoplastische Material zu ermitteln, wobei die hohe Anzahl und erhöhte Schwierigkeit der Versuche einem unzumutbaren Aufwand im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (siehe beispielsweise T0312/88) entsprächen.

Dieses Argument trifft aus folgender Betrachtung im vorliegenden Fall nicht zu:

- das Patent schränkt die für die Versuche in Frage kommenden Materialgruppen bereits ein ([0020] und [0023]),

- der zu bestimmende tandelta Wert kann ohne weiteres ermittelt werden (siehe D0),

- auch wenn der Umfang der Versuche relativ breit ausfallen könnte, um sämtliche geeignete Materialien bestimmen zu können, so sind sie keineswegs derart umfangreich, dass der Fachmann vor einer unzumutbaren Anzahl von Versuchen oder vor hoch komplexen Versuchen stehen würde.

3.5 Die Erfindung wie in den Haupt- und Hilfsanträgen definiert ist somit ausreichend nach Artikel 100b)/83 EPÜ definiert und vom Fachmann ausführbar.

4. Hauptantrag - Neuheit

Aus D5 (siehe Figur 1) ist ein Fußbodenbelag 2 mit aus Holz oder Holzwerkstoffen bestehenden starren Laminat- oder Parkettpaneelen 2A bekannt (Seite 2, Zeilen 29 und 30). Die unterste Seite des Belags 2 besteht aus einer elastischen, mit der Unterseite der Paneele 2A fest verbundenen Schicht 1 aus thermoplastischem Material (Seite 2, Zeilen 30, 31 und 38).

Die in D5 als Schalldämmmatte bezeichnete thermoplastische Schicht 1 hat die Funktion die Gehgeräusche zu dämmen (Seite 2, Zeilen 3, 4 und 7 bis 9) und ist demnach auch entsprechend auszulegen (Seite 2, Zeilen 17 und 18). Allgemeine Eigenschaften des flexiblen thermoplastischen Kunststoffes der Dämmmatte werden in Zeilen 38 bis 41 der Seite 2 beschrieben, wo auf ein viskoelastisches Verhalten verwiesen wird, was als Deformationsverhalten zu verstehen ist. Das Deformationsverhalten wird in D5 weiter als Verhalten umschrieben, bei dem sowohl eine zähplastische wie auch eine elastische Verformung beteiligt ist. Durch dieses Verhalten des Materials kann der Schallpegel reduziert werden (Seite 2, Zeile 44).

Das in D5 beschriebene Verhalten bei Raumtemperatur der thermoplastischen untersten Schicht 1 entspricht also dem im Patent definierten Relaxationsverhalten. Da die Schicht als Dämmmatte gekennzeichnet wird, muss der Fachmann davon ausgehen, dass das Material der Matte ein gutes, wenn nicht sehr gutes, also ein ausgeprägtes Relaxationsverhalten zeigt.

Auch das konkrete Beispiel der D5 (Seite 2, Zeilen 47 bis 49) entspricht der Grundkomposition des Dämmmaterials (EVA-Kunststoff) des im Absatz [0028] des Patents beschriebenen Kunststoffbeispiels.

Somit fehlt dem im Anspruch 1 gemäß Hauptantrag die Neuheit im Sinne von Artikel 54(1) EPÜ.

Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass das beanspruchte Produkt durch D5 nicht neuheitsschädlich getroffen werde, weil die Schicht gemäß D5 deutlich dicker (10mm statt 0,7mm) und für eine sogar geringe Schallpegelreduzierung (3dB statt 11dB) als im Patent sei, ist nicht überzeugend. Es kommt lediglich darauf an, ob der D5 entnommen werden kann, dass das thermoplastische Material ein (sehr) gutes Relaxationsverhalten zeigt, und dass ist zweifellos im Stand der Technik gemäß D5 der Fall.

5. Hilfsantrag

5.1 Änderungen

Der geänderte Anspruch 1 beruht auf der Kombination der Merkmale des erteilten Anspruchs 1 (gemäß Hauptantrag) und des hinzugefügten Merkmals e):

"und wobei das thermoplastische Material messtechnisch bei der Darstellung des Torsionsmoduls in Abhängigkeit von der Temperatur im Raumtemperaturbereich ein ausgeprägtes Maximum im tandelta zeigt."

Das Merkmal e) findet seine ursprüngliche Offenbarung im Absatz [0020] des Patents bzw. in Spalte 3, Zeilen 10 bis 15 der EP-A Veröffentlichung der Anmeldung.

Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass das Merkmal e) die Vorschriften von Artikel 123(2) EPÜ verletze, weil sein Wortlaut nicht identisch mit der Textstelle der Beschreibung sei. Laut geändertem Anspruch 1 zeige der Torsionsmodul ein Maximum, welches in der Beschreibung durch den Verlustmodul tandelta gezeigt werde.

Die Kammer kann hier keinen sachlichen Unterschied sehen. Das Merkmal e) hat im wesentlichen den gleichen Wortlaut wie die zitierte Textstelle der Beschreibung und die Aussagen haben denselben technischen Inhalt. Der Begriff "Verlustmodul" bezüglich tandelta, wie in der Beschreibung vorhanden, wurde im geänderten Anspruch nicht aufgenommen, wobei aber dieses Weglassen lediglich dadurch bedingt ist bzw. seine Rechtfertigung darin findet, dass das Wort "Verlustmodul" anscheinend nicht der fachübliche Begriff für tandelta darstellt (siehe D0, Seite 367, Fußnote 2, wo tandelta als "Verlustfaktor" definiert wird).

Somit erfüllt der geänderte Anspruch 1 des Hilfsantrags die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

5.2 Erfinderische Tätigkeit

5.2.1 Der Fußbodenbelag gemäß D5 offenbart zwar, wie oben nachgewiesen wurde, eine unterste Schicht aus einem thermoplastischen Material, welches ein ausgeprägtes

Relaxationsverhalten, also in anderen Worten einen relativ hohen absoluten Wert des tandelta bei Raumtemperatur zeigt.

Ob der absolute Wert des tandelta dem Hauptmaximum bei Raumtemperatur entspricht, kann der D5 nicht entnommen werden.

5.2.2 Somit unterscheidet sich der im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag definierte Gegenstand von der D5 durch das hinzugefügte Merkmal e). Zusätzlich zu der Aussage des Merkmals d), welches einen relativ hohen Absolutwert des tandelta fordert, beinhaltet das Merkmal e) noch die Angabe, dass dieser tandelta-Wert auch noch dem Hauptmaximum entsprechen soll, was auf eine Optimierung hindeutet.

5.2.3 Der Fachmann, der zur Beantwortung der Frage, ob die Erfindung naheliegend sei oder nicht, gefragt ist, entspricht natürlich demjenigen, der sich bereits mit der Angelegenheit der Ausführbarkeit im Sinne von Artikel 83 EPÜ befasst hat, siehe obigen Absatz 3.

Demnach verfügt der Fachmann über Fachkenntnisse im Gebiet der thermoplastischen Materialien und deren Eigenschaften und deren Anwendung bei Fußbodenbelägen.

5.2.4 Aus der D5 ist es bekannt, dass die Schalldämmung bei dieser Art von Fußbodenbelägen hauptsächlich von dem viskoelastischen Verhalten des Kunststoffes der Dämmungsschicht abhängt (Seite 2, Zeilen 38 bis 41). Es gehört zum normalen Bestreben eines Fachmannes, eine Lösung so weit wie möglich zu optimieren; das würde sich im vorliegenden Fall dahingehend auswirken, dass er ein Material suchen würde, welches ein möglichst maximales viskoelastisches Verhalten aufweist. Diese naheliegende Überlegung würde ihn zwangsläufig dazu führen, ein thermoplastisches Material zu bestimmen, bei welchem die elastische und plastische Verformungseigenschaften bei Raumtemperatur und für die entsprechenden Schallfrequenzen ausgeglichen sind, d.h. ein Material mit dem besten Kompromiss zwischen noch elastisch aber schon deutlich plastisch verformbar zu sein.

Es ist dem bereits oben definierten Fachmann aufgrund seiner Kenntnis der in D0, Seite 367, erster Absatz und Fußnote 2 dargelegten Zusammenhänge zwischen dem Verlustfaktor und der Schwingungsdämpfung bekannt, dass thermoplastische Materialien, die dieses Kriterium erfüllen, messtechnisch ein Hauptmaximum im tandelta zeigen.

Durch diesen naheliegenden Optimierungsschritt gelangt der Fachmann ohne erfinderisch sein zu müssen zum beanspruchten Gegenstand.

5.3 Der Gegenstand des Hilfsantrags ergibt sich also für den Fachmann in naheliegender Weise aus der D5 und beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

Quick Navigation