T 1838/17 () of 5.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T183817.20210505
Datum der Entscheidung: 05 Mai 2021
Aktenzeichen: T 1838/17
Anmeldenummer: 04022049.3
IPC-Klasse: E04C 2/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Grossformatige OSB-Platte mit verbesserten Eigenschaften, insbesondere für den Baubereich
Name des Anmelders: Fritz Egger GmbH & Co. OG
Name des Einsprechenden: Flooring Technologies Ltd.
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (nein)
Ausreichende Offenbarung - Nacharbeitbarkeit (nein)
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (ja)
Beweismittel - Beweislastumkehr
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0219/85
T 0312/88
T 0648/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das Patent betrifft eine mehrlagige OSB-Platte ("oriented strand board") mit einem Druckelastizitätsmodul in Plattenebene in Längsrichtung (im Folgenden "Druck-E-Modul") von mindestens 6000 N/mm**(2) sowie dessen Verwendung.

II. Die Einspruchsabteilung hat den auf Artikel 100 b) EPÜ 1973 und 100 a) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973 basierten Einspruch gegen das Europäische Patent mit der Nummer 1 486 627 (im Folgenden: das Patent) mit der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

III. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Einsprechende (Beschwerdeführerin) mit der Beschwerde.

IV. Am 5. Mai 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer ohne Einwände seitens der Verfahrensbeteiligten in Form einer Videokonferenz statt. Die Schlussanträge lauteten wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Die folgenden für die Entscheidung relevanten Dokumente waren bereits Bestandteil des Einspruchsverfahrens:

E1: Konstruktive Holzwerkstoffe, Informationsdienst

Holz (September 2001)

E2: Taschenbuch der Spanplattentechnik von Deppe/Ernst,

4.überarbeitete Auflage DRW-Verlag Weinbrenner GmbH

& Co.,Leinfelden Echterdingen, 2000, Seiten 97-125,

289-304,354-392, 427-460 und 499-529

E3: Wood-Handbook, Forest Products Laboratory, US Dept.

of Agriculture, Forest Sence, 1999, Chapter 10

E4: US 5 736 218 A

E5: US 5 470 631 A

E7: DE 19 503 343 A1

Die folgenden für die Entscheidung relevanten Beweismittel wurden von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung erstmalig vorgebracht:

E14: Prüfbericht, HFB Engineering GmbH, Auftrags-Nr.

311002540/2/2017, 19.09.2017

E15: Definition der Parameter in den Ansprüchen von

EP 1 486 627 B1

Die folgenden für die Entscheidung relevanten Beweismittel wurden von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung erstmalig vorgebracht:

E16: Prüfbericht Nr. 026107, Versuchsanstalt für Stahl,

Holz und Steine, 12.09.2002

E17: Gutachterliche Stellungnahme EUROSTRAND OSB 8000,

Prof. Dr.-Ing H.J.Blaß, 18.09.2003

E18: Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung EUROSTRAND

OSB 8000, Deutsches Institut für Bautechnik,

21.03.2009

VI. Anspruchssätze

Der für die Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet (die Merkmalsgliederung wurde gemäß der angefochtenen Entscheidung in "[]" hinzugefügt):

"1. [1.1] Großformatige OSB-Platte

[1.2] mit einer Länge von mindestens 7,0 m, dadurch gekennzeichnet,

[1.3] - dass die Platte erhöhte mechanisch-technologische Eigenschaften aufweist,

[1.4] - dass die Platte eine Breite von mindestens 2,60 m aufweist und

[1.5] -dass der Druckelastizitätsmodul in Plattenebene in Längsrichtung >= 6000 N/mm**(2)beträgt,

[1.6] wobei die OSB-Platte aus einer ungeraden Anzahl von Lagen besteht,

[1.7] wobei die Stärke der Platte zwischen 28 und 42 mm beträgt,

[1.8] wobei der Anteil an Bindemittel 6 bis 18 % berechnet als Feststoff Bindemittel bezogen auf die Trockenmasse Holz beträgt

[1.9] und wobei Paraffin und/oder Wachs zur Verringerung der Quelleigenschaften so zugegeben wurde, dass der Anteil in der Platte zwischen 0,5 und 1 %, berechnet als Feststoff bezogen auf die Trockenmasse Holz, beträgt."

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung E14 und E15

Die Beschwerdeführerin begründet das erstmalige Vorbringen der Beweismittel E14 und E15 mit der Beschwerdebegründung damit, dass die Einspruchsabteilung mit der Entscheidungsbegründung (Punkt 8.5) "erstmals im gesamten Verfahren" festgestellt habe, die Beschwerdeführerin habe nicht zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Platten, hergestellt gemäß Beispiel 1, das Merkmal 1.5 nicht offenbarten, und dass somit die Beweislast bezüglich der Ausführbarkeit bei der Beschwerdeführerin liege.

b) Zulassung E16 bis E18

Die Beschwerdeführerin beurteilt die Beweismittel E16-E18 als "irrelevant mit Bezug auf das Streitpatent". Sie zeigten weder Platten mit einer anspruchsgemäßen Dicke, noch gäben sie Aufschluss über die verwendeten Herstellungsparameter wie Bindemittelanteil und Schichtaufbau. Auch sei keine Wachs- oder Paraffinzugabe erwähnt.

c) Validität der Nacharbeitung gemäß E14/E15

Die Nacharbeitung sei auf einer Anlage im Produktionsmaßstab unter Aufsicht einer unabhängigen Firma erfolgt. Dabei habe man sich der gemäß Patent bevorzugten Herstellungsparameter bedient, selbst wenn diese nicht Teil des Anspruchs seien. Dies könne auch seitens der Zeugen Frau Bremer und Herrn Müller bestätigt werden.

Der für das isocyanatbasierte Bindemittel und das Wachs eingestellte Anteil bewege sich innerhalb der sehr eng gefassten Bereichsgrenzen des Patents. Auch die eingesetzte Strandgeometrie seien patentgemäß und weiche nur in Einzelfällen leicht bezüglich der Dicke ab. Hiermit könne jedoch keine 20 %ige Abweichung des Druck-E-Moduls erklärt werden. Der von der Beschwerdegegnerin als wesentlich dargestellte Parameter Feingutanteil sei unbeachtet geblieben, da dieser auch im Patent lediglich optional und ohne konkrete Werteangabe als Prozessparameter genannt werde. Im Übrigen liege der erzielte Druck-E-Modul zwar deutlich unterhalb des beanspruchten Bereichs, jedoch oberhalb der Werte, die im Stand der Technik erzielt worden seien. Dies sei ein Indiz für eine ernsthafte Nacharbeitung.

d) Ausführbarkeit

Das Patent verfüge weder über ein valides Ausführungsbeispiel noch über eine nachvollziehbareLehre in der Beschreibung, die beim Nacharbeiten die Erzielung des anspruchsgemäßen Druck-E-Moduls ermögliche. Allgemeines Fachwissen, das die Fachperson hierbei anleite, sei nicht belegt worden. Die Vielzahl der im Patent dargelegten Herstellungsparameter, ihre gegenseitige Abhängigkeit und die teilweise undefinierten Herstellungsbedingungen (Prozessparameter, Härteranteil) ließen den Fachmann mit einem Forschungsprogramm ungebührlichen Aufwandes zurück. Zudem sei mit der Nacharbeitung gemäß E14/E15 gezeigt, dass auch unter Verwendung der Angaben im Patent keine erfindungsgemäße Platte zu erzielen sei. Dabei sei der Druck-E-Modul mit etwa 20 % deutlich verfehlt worden. Dies wecke erhebliche Zweifel an der Ausführbarkeit und verlagere die Beweislast auf die Beschwerdegegnerin. Diese sei ihrer Beweispflicht jedoch nicht nachgekommen.

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung E14 und E15

E14 und E15 seien auf Grund verspäteten Vorbringens und mangelnder Relevanz im Verfahren unberücksichtigt zu lassen. Die mangelnde Relevanz ergebe sich aus der Tatsache, dass nicht das Beispiel 1 oder die OSB-Platte Kronoply 4 aus E1 nachgearbeitet worden sei. Statt dessen sei eine von der Beschwerdeführerin unsachgemäß gewählte Kombination von Parametern verwendet worden.

b) Validität der Nacharbeitung gemäß E14/E15

Bezüglich der Nacharbeitung gemäß E14 und E15 werde nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Vorgaben gemäß Anlage 2 in der Produktion der Versuchsstücke wirklich Anwendung gefunden hätten. Auch sei die Herstellung auf einer Maschine in der alleinigen Verfügungsmacht der Beschwerdeführerin erfolgt. Verwendete Parameter wie Bindemittel- und Wachsanteile seien seitens der Prüfverantwortlichen, der Zeugin Frau Bremer, nicht nochmals unabhängig überprüft worden.

Die Parameter gemäß der Nacharbeitung E14 seien zudem unsachgemäß ausgewählt worden. Ein maximaler Wachsanteil sei mit einem minimalem Bindemittelanteil kombiniert worden. Auch liege der Wachsanteil nicht innerhalb des beanspruchten Bereichs. Gleiches gelte für die Stranddicke. Es seien trotz geringen Bindemittelanteils zudem keine Maßnahmen zur Verminderung des Feingutanteils offenbart. Dies lasse kein Bemühen erkennen, die Versuche mit der Absicht durchzuführen, bestmögliche Festigkeitswerte zu erzielen, und es gebe keinen hinreichenden Anlass für erhebliche Zweifel an der Ausführbarkeit.

c) Zulassung E16 bis E18

Die Beweismittel seien als direkte Reaktion auf die Vergleichsversuche E14 und E15 eingereicht worden, die die Beschwerdeführerin erst mit der Beschwerde vorgebracht habe. E16 bis E18 belegten, dass ein anspruchsgemäßer Druck-E-Modul erzielbar sei. Dabei zeige insbesondere E18, dass dies auch für Platten anspruchsgemäßer Dicke gelte.

d) Ausführbarkeit

Das Patent offenbare den Gegenstand von Anspruch 1 hinreichend, so dass eine Fachperson diese herstellen könne. Es seien für alle wesentlichen Herstellungsparameter hinreichend genaue Angaben vorhanden, die die Fachperson in die Lage versetzten, eine anspruchsgemäße OSB-Platte herzustellen. Auch eine Nacharbeitung des Beispiels 1 unter Verwendung von Wachsen oder Paraffinen führe hierzu. Die fehlenden Angaben zu den Pressparametern und zum Gehalt an Härter könne die Fachperson aus ihrem Fachwissen heraus einstellen. Zusätzlich belegten auch die Dokumente E16 bis E18, dass eine OSB-Platte mit erfindungsgemäßem Druck-E-Modul herstellbar sei.

Entscheidungsgründe

1. Anwendbares Recht

1.1 Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung vor dem 1. Januar 2020 und die Erwiderung darauf fristgerecht eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4) bis(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründung als auch auf die Erwiderung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).

1.2 Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, ist am 1. Juni 2002 eingereicht worden, d.h. vor dem Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens (EPÜ 2000) am 13. Dezember 2007. Deshalb sind im vorliegenden Fall in Anwendung des Artikels 1 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 139) unter anderem die Artikel 56, 83, 84, 100 sowie die Artikel 52, 54 und 123 EPÜ (2000) anzuwenden.

2. Zulassung der Beweismittel E14-E18

2.1 Die Beweismittel E14 bis E18 wurden erstmalig mit der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung vorgebracht. Bezüglich der Zulassung der Beweismittel E14 bis E18 findet somit Artikel 12 (4) VOBK 2007 Anwendung.

2.2 Zulassung E14 und E15

Die Kammer lässt die Beweismittel E14 und E15 unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 in das Verfahren zu.

Die Beweismittel E14 und E15 wurden seitens der Beschwerdeführerin zur Stützung des Einspruchsgrundes unter Artikel 100 (b) EPÜ 1973 vorgebracht.

Bereits in der Einspruchsbegründung (Punkt 4.2) sowie in der mündlichen Verhandlung (Punkt 2.2 des Protokolls, 5. Absatz) hat die Beschwerdeführerin Ausführungen dazu gemacht, dass die Beispiele 1 und 2 ihrer Auffassung nach nicht erfindungsgemäß seien und dass demzufolge im Patent kein Weg zur Herstellung einer Platte nach Anspruch 1 aufgezeigt worden sei.

Weder in der Ladung zur mündlichen Verhandlung noch in der Entscheidungsbegründung ist die Einspruchsabteilung jedoch auf die Validität der Beispiele 1 und 2 als Ausführungsbeispiele der Erfindung eingegangen. Bezüglich der Ausführbarkeit wurde lediglich allgemein festgestellt, dass aus allgemeinem Fachwissen bekannt sei, welche Parameter die Größe des Druck-E-Moduls beeinflussten (Punkt 8.4 der Entscheidung), und dass die Fachperson "anhand der Angaben in der Anmeldung unter Einsatz seines Fachwissens, insbesondere nach Beispiel 1, in Zusammenhang mit Merkmal 1.9" zur erfindungsgemäßen OSB-Platte gelange (Punkt 8.6). Somit ist nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin die Notwendigkeit für Vergleichsversuche erst auf Grund der Entscheidungsbegründung erkannt hat.

2.3 Zulassung E16 bis E18

Die Kammer lässt auch die Beweismittel E16 bis E18 unter Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 in das Verfahren zu.

Mit Hilfe des Vorbringens möchte die Beschwerdegegnerin glaubhaft machen, dass es sich bei dem im Anspruch 1 für den Druck-E-Modul angegebenen Wert (Merkmal 1.5) nicht "um einen bei einer dreilagigen OSB-Platte nicht ausführbaren Wert handele".

Damit reagiert die Beschwerdegegnerin zum erstmöglichen Zeitpunkt auf die von der Beschwerdeführerin auf Basis der Beweismittel E14 und E15 gelten gemachten Zweifel an der Ausführbarkeit.

3. Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ 1973

3.1 Damit die beanspruchte Erfindung im Patent so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, ist darin wenigstens ein Weg zur Ausführung der offenbarten Erfindung gemäß R. 42 (1) e) EPÜ aufzuzeigen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, II.C.5.3). Dies kann mit Hilfe von konkreten Ausführungsbeispielen oder der gesamten Offenbarung unter Darstellung von Einzelheiten des Herstellungsverfahrens in der Beschreibung erfolgen. Kann auf dieser Basis die Erfindung nicht ohne Weiteres nachgearbeitet werden, und kann die Fachperson dieses Informationsdefizit nicht durch ihren allgemeinen Wissensstand ausgleichen, gilt die Erfindung als nicht ausreichend offenbart (T 0219/85, ABl. 1986, 376).

3.2 Anspruch 1 ist gerichtet auf eine großformatige OSB-Platte und erfordert, dass dessen Druck-E-Modul in Plattenebene in Längsrichtung >= 6000 N/mm**(2)beträgt. Dieser von der Beschwerdeführerin zurecht als "abgeleitet" bezeichnete Kennwert geht inhärent aus den Parametern des Herstellungsprozesses hervor. Es ist unstreitig, dass der beanspruchte Bereich deutlich oberhalb der im Stand der Technik offenbarten Werte des Druck-E-Moduls für OSB-Bauplatten liegt (vergleiche z.B. E1: Kronoply 4: bis 3900 N/mm**(2); E2, S.526: OSB-Platte Agepan Triply: 4200 N/mm**(2)).

3.3 Die Kammer sieht die vorliegende Erfindung aus den folgenden Gründen nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass sie sich von einer Fachperson unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens ausführen lässt:

- das Patent zeigt nicht mindestens einen Weg zur Ausführung der Erfindung auf;

- die gesamte Offenbarung ermöglicht es der Fachperson unter Berücksichtigung allgemeinem Fachwissens nicht, die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand nachzuarbeiten;

- die von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Beweismittel E14 und E15 wecken erhebliche Zweifel an der Ausführbarkeit;

- diese Zweifel können mittels den von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Beweismitteln E16 bis E18 nicht ausgeräumt werden.

3.4 Aufzeigen mindestens eines Weges zum Ausführen der Erfindung

Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend festgestellt, ist keines der Beispiele 1 bis 3 des Patents ein Ausführungsbeispiel der Erfindung gemäß Anspruch 1. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob sie den in den Beispielen nicht dokumentierten Druck-E-Modul (Merkmal 1.5) zumindest implizit realisieren. Für die Herstellung der Platte gemäß der Beispiele wird unstreitig kein Paraffin oder Wachs gemäß Merkmal 1.9 verwendet, die gemäß Beispiel 2 hergestellte Platte fällt mit 24,8 mm nicht in den beanspruchten Dickebereich (Merkmal 1.7), und Beispiel 3 weist explizit aus, "keinen Teil der Erfindung" darzustellen.

3.5 Ausführbarkeit im Hinblick auf die gesamte Offenbarung

3.5.1 Es ist der Normzweck von Artikel 83 EPÜ sicherzustellen, dass der Fachmann die Erfindung ohne eigene Ermittlungen oder unzumutbare Versuche wiederholen kann (vergleiche T 0312/88, Punkt 3.3). Dieses Kriterium ist für die Offenbarung des Patents nicht erfüllt.

3.5.2 Bezüglich der Erzielung des beanspruchten Druck-E-Moduls findet sich im Patent keine spezifische Lehre. Zwar wird in Absatz 5 das Ziel von "hohen mechanischen Eigenschaften" genannt, und zwar für eine Reihe von Kenngrößen für Biegung, Zug und Druck, die entsprechend in den Absätzen [0007] und [0008] aufgelistet sind. Im Weiteren wird der Druck-E-Modul jedoch nicht mehr erwähnt und in den Beispielen auch nicht bestimmt.

3.5.3 In Absatz [0006] und im Weiteren in den Absätzen [0010] bis [0024] werden allgemein eine Vielzahl von Einflussgrößen zur Erzielung der hohen mechanischen Eigenschaften aufgelistet. Hierzu gehören Strandgeometrie (Länge, Breite und Dicke), Dichte der Platte, Anzahl der Schichten, Ausrichtung der Strandlagen in den Schichten, Verhältnis der Schichtdicken zueinander, Type und Menge der verwendeten Bindemittel je Schicht, Anteil an Härtern, Wachs-und Paraffinanteil, Feingutanteil sowie Dichteprofil und die "gezielte Steuerung" der (im Patent nicht weiter spezifizierten) Prozessparameter, also insbesondere der Pressbedingungen.

3.5.4 Die Einspruchsabteilung stellte in ihrer Entscheidung fest, es sei aus allgemeinem Fachwissen bekannt, welche Einflussgrößen die Größe des Druck-E-Moduls der OSB-Platte beeinflussten (Punkt 8.4 der Entscheidung). In der Entscheidung wird jedoch nicht aufgezeigt, welche dieser Einflussgrößen die Fachperson als besonders sensitiv zur Erzielung des beanspruchten E-Moduls erkennt und in welcher Kombination diese anzuwenden sind. Auch werden Belege für das allgemeine Fachwissen nicht aufgezeigt. Ob lediglich das Beispiel 1 unter zusätzlicher Verwendung von Wachs oder Paraffin durchgeführt werden muss, ist unbewiesen und wird durch die Angaben im Patent auch nicht gelehrt.

3.5.5 Neben der Tatsache, dass es sich um eine Vielzahl von zu variierenden Einflussgrößen handelt und beispielsweise Herstellungsparameter wie die Pressbedingungen gar nicht offenbart sind, verweist die Beschwerdegegnerin selbst auch auf die wechselseitigen Abhängigkeiten der Parameter, die ebenfalls im Patent nicht diskutiert werden. So erforderten ein höherer Wachsanteil oder Feingutanteil oder dickere Strands einen höheren Bindemittelanteil.

3.5.6 Die Abwesenheit einer gezielten Lehre für die Einstellung des Druck-E-Modul bzw. eines konkreten Ausführungsbeispiels und die Kombination einer Vielzahl von Parametern mit wechselseitigen Abhängigkeiten stellt die Fachperson vor einen unzumutbaren Aufwand zur Ermittlung der Herstellungsparameter für die beanspruchte OSB-Platte. Die durch diese Beobachtungen geweckten Zweifel an der Ausführbarkeit werden nun durch den von der Beschwerdeführerin veranlassten Versuch der Nacharbeitung wie in E14 und E15 dokumentiert bestätigt.

3.6 Nacharbeitung gemäß E14/E15

3.6.1 Die Kammer sieht keine Gründe, die Glaubhaftigkeit der von der Beschwerdeführerin gemachten Angaben bezüglich der in E14 und E15 dokumentierten Nacharbeitung in Zweifel zu ziehen. Die Beschwerdeführerin macht überzeugend geltend, dass eine Produktionsanlage im Industriemaßstab bei unabhängigen Prüflaboren nicht ohne weiteres verfügbar sei und man daher die Versuche auf einer eigenen Anlage hätte durchführen müssen. Zudem wurde die Dokumentation und Auswertung der Versuche von dem Unternehmen HFB Engineering GmbH, also einer unabhängigen dritten Person, deren Integrität nicht angegriffen wurde, übernommen.

Die Beschwerdegegnerin bringt keine weiteren Tatsachen vor, die Zweifel an der Glaubhaftigkeitder Dokumentation der Nacharbeitung wecken. Die Kammer sieht somit die Glaubhaftigkeit der mit E14/E15 vorgelegten Dokumentation gegeben. Daher hat sie auch keinen Anlass für eine Einvernahme der von der Beschwerdeführerin angebotenen Zeugen Frau Bremer und Herrn Müller lediglich zum Zwecke der Bestätigung der dokumentierten Daten gesehen.

3.6.2 Auch eine unsachgemäße Kombination der ausgewählten Herstellungsparameter lässt sich bezüglich der Nacharbeitung in E14 nicht erkennen. Neben den Angaben, die sich im Prüfbericht selbst (Seite 1) und in dessen Anhang 2 sowie auf den Fotos aus dem Leitsystem (Anlage 3) finden, listet die Beschwerdeführerin auf Seite 3 der Beschwerdebegründung die in der Herstellung verwendeten Parameter auf, die die Beschwerdegegnerin als solche nicht bestritten hat. Die Parameter halten sich dabei in dem von den Ansprüchen beziehungsweise der Beschreibung des Patents jeweils gesteckten Rahmen (vergleiche auch E15).

3.6.3 Die Beschwerdeführerin hat hierbei gezeigt, dass sie die Platte in einer Anlage im Produktionsmaßstab hergestellt hat (E14, Punkt 2: Versuchszeitplan). Dabei hat sie sich bezüglich der Parameter Plattendicke und -abmessung, Wachs- und Bindemittelanteil sowie Anzahl der Schichten an die Vorgaben von Anspruch 1 und bezüglich der Parameter Anteil der Schichten, Feuchte, Dimensionen und Orientierung der Strands an die Vorgaben der Beschreibung des Patents gehalten (E14, Anlage 2 und 3). Die Beschwerdeführerin verweist zurecht darauf, dass das Patent keine Angaben zu den Pressbedingungen mache, dass jedoch trotzdem die erzielte Dichte der nachgearbeiteten OSB-Platte mit 640 kg/m**(3) im bevorzugten Bereich des Streitpatents liege. Die Ermittlung des Druck-E-Moduls erfolgte mit 36 entnommenen Prüfkörpern unstreitig fachgemäß (E14, Anlagen 4 bis 6) und aussagekräftig.

3.6.4 Die Stranddicke liegt im Mittel mit 0,95 mm innerhalb der Vorgaben des Patents. Die Tatsache, dass einzelne Strands leicht außerhalb des im Patent als bevorzugt angegeben Bereichs liegen, rechtfertigt allein jedoch keine Unterschreitung des beanspruchten Zielwertes um gemittelt fast 20 %.

3.6.5 Bezüglich des Wachsanteils erfolgte auch keine Abweichung von den Vorgaben des Anspruchs 1. Zwar lässt die Formulierung des Bereichs gemäß Merkmal 1.9 "zwischen 0,5 und 1 %" zunächst offen, ob die Endpunkte umfasst sind. Es gibt jedoch keinerlei Hinweise oder inhärente technische Gründe, warum diese spezifisch auszuschließen wären. Daher legt die Kammer den Bereich so aus, dass die Endpunkte umfasst sind (vergleiche auch T 0648/19, Punkt 1.2.4/1.2.5, in der der Begriff "zwischen" ebenfalls im Kontext der Offenbarung interpretiert wird). Der Bereich des Wachsanteils ist in Anspruch 1 bereits sehr eng definiert, so dass die Wahl der oberen Bereichsgrenze auch in Kombination mit einem geringen Bindemittelanteil keine unsachgemäße Auswahl darstellt. Dass die Fachperson auch noch höhere Anteile in OSB-Platten berücksichtigen würde, ist zudem beispielsweise in E4 gezeigt (Spalte 6, Zeilen 40 bis 56 und Tabelle 2).

3.6.6 Für das in der Nacharbeitung als Bindemittel verwendete Isocyanat PDMI wird in Absatz [0019] des Patents vorgegeben, dass lediglich ein Anteil in einem engen Bereich von 6 bis 10 % erforderlich ist. In Beispiel 2 und 3 des Patents werden ebenfalls niedrige PDMI-Anteile zwischen 5.5 und 7 % eingesetzt. Zurecht verweist die Beschwerdeführerin in dem Zusammenhang auch auf das Fachbuch E2, Seite 376. Demzufolge können schon für OSB-Platten mit Isocyanatanteilen ("MDI") von 3-4 % "hohe Festigkeitswerte" erreicht werden, während Steigerungen von 7 auf 10% MDI "keine wesentliche Steigerung" bewirkt. Insofern liegt auch für den Bindemittelanteil keine unsachgerechte Auswahl vor.

3.6.7 Die Tatsache, dass kein Feingutanteil in E14 dokumentiert ist, stellt keinen Mangel der Nacharbeitung dar. Die Beschwerdeführerin macht geltend, eine größere Feingutmenge erfordere einen höhere Bindemittelanteil. Zu diesem Zusammenhang werden jedoch im Patent keine Ausführungen gemacht. Auch wird kein oberer Feingutgrenzwert angegeben, und im Patent wird darauf verwiesen, dass der Feingutanteil lediglich vermindert, nicht aber eliminiert werden kann.

3.6.8 Zudem spricht auch die Tatsache, dass die erzielten Werte für den Elastizitätsmodul in Längsrichtung im Mittel oberhalb der in E1 oder E2 dokumentierten Werte liegen, gegen eine unsachgemäße Parameterauswahl.

Erzielt wurden im Mittel 4900 N/mm**(2) (mehr als 18 % niedriger als beansprucht), wobei kein Prüfkörper den in Merkmal 1.5 definierten Mindestwert von 6000 N/mm**(2) erreichte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist es nicht die Aufgabe der Beschwerdeführerin, im Versuchszeitraum die Prozessbedingungen so lange zu variieren, bis festgestellt wird, welche Parameterkombination zur erfindungsgemäßen Festigkeit führt. Im Hinblick auf das oben ausgeführte Fehlen eines validen Ausführungsbeispiels und der unzureichenden Offenbarung in der Beschreibung ist die vorgelegte Nacharbeitung gemäß E14 bereits ausreichend, um beträchtliche Zweifel an der Ausführbarkeit zu begründen. Damit kann sich die Beschwerdeführerin nach ständiger Rechtsprechung ihrer diesbezüglichen Beweislast entledigen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., III.G.5.2.1).

3.6.9 Diese geht damit an die Beschwerdegegnerin über, die nun ihrerseits nachzuweisen hätte, dass das Scheitern der Nacharbeitung seitens der Beschwerdegegnerin lediglich auf eine unsachgemäße Kombination von Herstellungsparametern zurückzuführen ist.

Dieser Beweispflicht ist sie, wie im Folgenden gezeigt wird, nicht hinreichend nachgekommen.

3.7 Ausführbarkeit im Hinblick auf Beweismittel E16 bis E18

3.7.1 Die Beweismittel E16, E17 und E18 sind nicht geeignet, die mittels der Beweismittel E14 und E15 begründeten erheblichen Zweifel an der Ausführbarkeit auszuräumen. Zwar weisen die hier beschriebenen dreilagigen OSB-Platten einen Elastizitätsmodul gemäß Merkmal 1.5 auf, es wird jedoch weder hinreichend gezeigt, wie diese Werte erzielt werden, noch handelt es sich überhaupt um OSB-Platten gemäß Anspruch 1.

3.7.2 In dem Prüfbericht E16 (Kapitel 4.2) werden Druckversuche bezüglich einer Platte "Eurostrand OSB 8000" in geschliffener und ungeschliffener Form beschrieben. Die Dicke der Prüfkörper wird mit 24,9 mm (geschliffen) und 25,2 mm (ungeschliffen), also außerhalb des beanspruchten Bereichs, angegeben (Seite 7). In Anhang 31 und 34 findet sich jeweils ein tabellarischer Überblick über die Druckversuche, in denen der Druck-E-Modul in der Regel im Bereich nach Merkmal 1.6 liegt. Die Beschwerdegegnerin bemerkt zusätzlich noch, dass PDMI als Bindemittel verwendet wurde, ohne jedoch die konkret in den Schichten verwendeten Anteile anzugeben. Zu wesentlichen Details der Platte (Bindemittel-/ Wachsanteil, Schichtaufbau) selbst werden in E16 keine Angaben gemacht.

3.7.3 Der gutachterlichen Stellungnahme E17 lässt sich entnehmen, dass eine Platte "Eurostand OSB 8000" dreischichtig aufgebaut ist, 25 mm Dicke aufweist und mit PDMI-Bindemittel verklebt ist. Auch hier sind Druckversuche mit Werten für den Druck-E-Modul längs über 6000 N/mm**(2)dokumentiert (Tabelle 3 und 6). Angaben zu Bindemittelkonzentration oder Wachsanteil im Sinne der Merkmale 1.8 und 1.9 finden sich nicht.

3.7.4 Somit sind die Versuchsergebnisse aus E16 und E17 generell nicht als Nachweis der Ausführbarkeit geeignet. Da sich auch zu weiteren Parametern der Herstellung keine Hinweise finden, lässt sich nicht überprüfen, ob hier im Sinne der Lehre des Patents gearbeitet wurde.

3.7.5 Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung E18 erwähnt zwar einen Gültigkeitsbereich für eine Dicke der OSB-Platten von 20 bis 30 mm sowie auf Seite 6 auch einen Elastizitätsmodul in Längsrichtung von 6200 N/mm**(2). Jedoch handelt es sich hierbei nicht um Versuchsergebnisse, die zum Nachweis der Ausführbarkeit geeignet sind. Es finden sich zudem auch hier keine Angaben zu Bindemittel- oder Wachsanteil.

3.8 Weitere Beweismittel, insbesondere eine von der Beschwerdegegnerin als ausführbar betrachtete Nacharbeitung des Beispiels 1 unter zusätzlicher Verwendung von Wachs oder Paraffin, wurden nicht vorgebracht.

3.9 Folglich steht der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973 der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.

4. Damit ist die Beschwerde begründet.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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