T 0133/85 (Änderungen) of 25.8.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:T013385.19870825
Datum der Entscheidung: 25 August 1987
Aktenzeichen: T 0133/85
Anmeldenummer: 80302390.2
IPC-Klasse: B65H 29/12
G03G 21/00
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Xerox
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: 1. Ein Anspruch, der ein in der Anmeldung (bei richtiger Auslegung der Beschreibung) als für die Erfindung wesentlich beschriebenes Merkmal nicht enthält und deshalb mit der Beschreibung nicht übereinstimmt, ist nicht von der Beschreibung gestützt im Sinne des Artikels 84 EPÜ.
2. War dieses Merkmal in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung als für die Erfindung wesentlich beschrieben, so ist eine Änderung der Beschreibung zur Stützung dieses Anspruchs (s. Nr.1) nach Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig, weil die geänderte Beschreibung mit der Angabe, dass dieses Merkmal für die Erfindung nicht wesentlich sei, einen Gegenstand enthielte, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausginge.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 84
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Anspruch nicht von der Beschreibung gestützt
Wesentliches Merkmal fehlt im Anspruch
Erweiterung - Streichung eines wesentlichen Merkmals i.d. Beschreibung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0248/88
T 0748/89
T 0496/90
T 0603/90
T 0770/90
T 0441/92
T 0939/92
T 0012/93
T 0169/93
T 0322/93
T 0556/93
T 0583/93
T 0659/93
T 0189/94
T 0034/95
T 0128/95
T 0482/95
T 0616/95
T 0740/97
T 0895/97
T 0687/98
T 0973/98
T 1151/98
T 0101/99
T 0677/00
T 0732/00
T 0143/04
T 0273/04
T 1211/05
T 2049/10
T 1727/12
T 2001/12
T 1461/14
T 2613/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 16. Juli 1980 eingereichte und am 21. Januar 1981 unter der Nummer 0 022 680 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 302 390.2 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 4. Januar 1985 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die am 18. Juni 1984 eingereichten Ansprüche 1 - 10 zugrunde; es wurde darin die Auffassung vertreten, daß die geänderten unabhängigen Verfahrensansprüche 1 und 3 durch die Auslassung von Merkmalen, die ursprünglich als wesentliche Bestandteile der Erfindung offenbart worden seien, so erweitert worden seien, daß sie über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgingen und deshalb gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen.

II. Bei der Prüfung der Anmeldung, die ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Transport von Schriftstücken in einem Kopiergerät zum Gegenstand hat, beanstandete die Prüfungsabteilung in ihrem ersten Bescheid vom 8. Juli 1982 die Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Fassung, insbesondere den unabhängigen Verfahrensanspruch 10, mit der Begründung, daß die beanspruchte Erfindung nicht von der Beschreibung gestützt sei. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Satz mit den Verfahrensansprüchen 1 - 6 ein, unter denen sich die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 befanden; kleinere Änderungen zu diesen Ansprüchen wurden am 18. Juni 1984 nachgereicht. Diese Ansprüche 1 und 3 (im folgenden "Ansprüche A" genannt) wurden von der Prüfungsabteilung mit Entscheidung vom 4. Januar 1985 zurückgewiesen, weil sie ihres Erachtens gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen.

Die Hauptbegründung für die Zurückweisung findet sich in Absatz 1 der Entscheidung. Die Prüfungsabteilung vertrat, kurz gesagt, die Auffassung, daß die erfindungsgemäße Aufgabe sowohl der ursprünglichen Beschreibung als auch den ursprünglichen Ansprüchen zufolge in einem Kopiergerät bestehe, das den Kopiervorgang in einer bestimmten Reihenfolge ausführe, d. h. daß beim ersten und letzten Kopierdurchlauf nur jedes zweite Schriftstück, bei allen anderen Durchläufen hingegen alle Schriftstücke kopiert würden. In den Ansprüchen 1 und 3 sei die Kopierreihenfolge jedoch offengelassen; diese Ansprüche enthielten daher einen Gegenstand, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.

III. Am 11. Februar 1985 legte die Beschwerdeführerin unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. In der am 4. Mai 1985 nachgereichten Beschwerdebegründung und einer weiteren, am 25. November 1985 eingegangenen Mitteilung brachte sie folgendes vor:

i) Wenn Artikel 123 (3) EPÜ die Erweiterung von Ansprüchen eines erteilten europäischen Patents im Einspruchsverfahren verbiete, so werde damit impliziert, daß die Erweiterung der Ansprüche einer noch anhängigen Anmeldung vorbehaltlich bestimmter Kriterien zulässig sei.

ii) Es sei nicht Aufgabe der Ansprüche, "Gegenstände zu enthalten"; dies sei Aufgabe der Beschreibung. Die Ansprüche dienten ausschließlich dazu, eine patentierbare Erfindung zu definieren. Eine Änderung des Schutzbereichs der Ansprüche ohne gleichzeitige Änderung der Beschreibung habe keine Auswirkung auf den Gegenstand der Anmeldung.

iii) Die Beschwerdeführerin beziehe sich auf Kapitel VI, 5.4 der "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt", insbesondere auf die Erklärung, daß "die Prüfung auf unzulässige Änderungen ... daher der in IV, 7.2 angegebenen Neuheitsprüfung" entspreche. Sie beziehe sich ferner auf zwei frühere Entscheidungen der Technischen Beschwerdekammern, nämlich T 52/82 und T 190/83.

iv) Daß die Prüfungsabteilung in Abschnitt II, Absatz 2 der angefochtenen Entscheidung erklärt habe, "es wird nicht bestritten, daß die vorliegenden Ansprüche zulässig gewesen wären, wenn sie ursprünglich eingereicht worden wären, denn eine fehlende Stützung durch die Beschreibung hätte auf dieser Grundlage nachgeholt werden können", sei ein stillschweigendes Eingeständnis, daß der vorliegende Anspruch 1 von den ursprünglichen Unterlagen gestützt sei. Die Beschwerdeführerin reichte unter anderem einen Hilfsantrag B mit einem neuen unabhängigen Anspruch 1 ein, der im wesentlichen dem ursprünglichen Anspruch 10 mit den von der Prüfungsabteilung mit Bescheid vom 8. Juli 1982 vorgeschlagenen Änderungen entsprach.

Der Anspruch lautet wie folgt:

(...)

IV. In der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung am 25. August 1987 reichte diese einen neuen unabhängigen Anspruch C als Hauptantrag ein. Er lautet wie folgt:

"Verfahren zum Umlaufkopieren eines Satzes einseitig beschriebener Originalblätter in einem Kopierer (10) auf die Vorder- und Rückseite des Kopierpapiers zur Herstellung mehrerer richtig sortierter, beidseitig bedruckter Kopien, bei dem die zu kopierenden Originale in umgekehrter (absteigender) Reihenfolge der Blätter (N bis 1), d. h. beginnend mit dem letzten Blatt (n) und endend mit dem ersten Blatt des Originalsatzes, das Gerät mehrmals durchlaufen und das folgende Verfahrensschritte umfaßt: bei Wahl des beidseitigen Kopiervorgangs automatisches Zählen der Blätter des Originalsatzes in einem ersten Nichtkopierdurchlauf, um festzustellen, ob die Zahl der Originalblätter gerade oder ungerade ist;

im ersten Kopierdurchlauf Kopieren des letzten (n) und aller weiteren alternierenden Originalblätter oder des vorletzten (N - 1) und aller weiteren alternierenden Originalblätter in der Reihenfolge N bis 1, je nachdem, ob beim Zählvorgang eine gerade oder eine ungerade Zahl ermittelt wurde; in allen Zwischendurchläufen Kopieren aller Originalblätter in der Reihenfolge N bis 1 zur Herstellung zweiseitig bedruckter Kopien und im letzten Kopierdurchlauf Kopieren der beim ersten Durchlauf nicht kopierten Originalblätter auf die leeren Seiten der im unmittelbar vorhergehenden Kopierdurchlauf hergestellten einseitigen Kopien"

Die Kammer hat den Einwand erhoben, daß der Anspruch insofern über die Offenbarung der Beschreibung hinausgehe, als er nicht hinreichend deutlich mache, daß bei einer geraden Zahl von Originalblättern das letzte und alle weiteren alternierenden Blätter und bei einer ungeraden Zahl das vorletzte und alle weiteren alternierenden Blätter der einseitig bedruckten Originalvorlage kopiert werden (d. h. daß immer die geradzahligen Originalblätter kopiert und gespeichert werden). Die Beschwerdeführerin machte geltend, daß sie ihres Erachtens in dem Anspruch beide Fälle erfassen dürfe, nämlich das Kopieren und Speichern sowohl der gerad- als auch der ungeradzahligen Blätter.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Artikel 84 EPÜ schreibt unter anderem vor, daß die Ansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen. Aufgrund dieses Artikels kann ein Einwand erhoben werden, wenn ein Anspruch so weit gefaßt ist, daß er von der Beschreibung der Erfindung nicht gestützt wird. Dieser Einwand kann dann entweder durch Einschränkung des Schutzumfangs des Anspruchs oder - vorbehaltlich Artikel 123 (2) EPÜ - durch Änderung der Beschreibung ausgeräumt werden. Ein solcher Einwand aufgrund des Artikels 84 wurde auch im vorliegenden Fall gegen die ursprünglichen Ansprüche 1 und 10 erhoben.

In der ursprünglich eingereichten Fassung der Beschreibung ist die Erfindung in einem relativ engen Rahmen beschrieben. Nach einer allgemeinen Einführung, in der verschiedene bekannte Vervielfältigungssysteme erläutert und definiert werden, wird insbesondere auf ein US-Patent (Adamek) hingewiesen, das ein System zum beidseitigen Kopieren zum Gegenstand hat, das gleichzeitig eine Vorsortierung vornimmt. Auf Seite 3 oben wird dann ausdrücklich erklärt, daß die vorliegende Erfindung gegenüber dem Adamek-Patent folgende Verbesserung bringt:

"Die vorliegende Erfindung ist insofern eine Verbesserung gegenüber dem genannten Adamek-Patent Nr. 4 116 558, als die geradzahligen einseitig bedruckten Originale automatisch kopiert und die Kopien im Speicherkorb gestapelt werden, um beim doppelseitigen Kopieren einer ungeraden Zahl von einseitig bedruckten Originalen - wie in dem Patent als wünschenswert angegeben - zu vermeiden, daß die Kopien zum Teil falsch herum ausgegeben werden oder eine Leerseite kopiert wird, wobei diese Aufgabe mit einer andersgearteten Transportvorrichtung unter der zusätzlichen Erschwernis gelöst wird, daß die Originale in umgekehrter (absteigender) Reihenfolge der Seitenzahlen kopiert werden."

Mit anderen Worten, es wird bereits am Anfang der Beschreibung angegeben, daß die Erfindung als wesentliches Merkmal eine Vorrichtung enthält, bei der unabhängig davon, ob die Zahl der beidseitig zu kopierenden Originalblätter gerade oder ungerade ist, immer die geradzahligen Blätter kopiert und in einem Speicher zwischengelagert werden. Dadurch werde beim Kopieren einer ungeraden Zahl von Originalblättern das Wenden und Kopieren einer Leerseite vermieden.

Nach einigen Seiten, auf denen das erfindungsgemäße Verfahren und die erfindungsgemäße Vorrichtung näher beschrieben sind, folgt dann ab Seite 11 eine erneute, eingegrenzte Beschreibung der Art der Erfindung.

So beziehen sich insbesondere Textstellen auf den Seiten 12, 13, 16 und 17 allesamt darauf, daß mit dem "vorliegenden System" ein zusätzliches Wenden und Kopieren von Leerblättern vermieden wird. Damit wird bei Durchsicht der ursprünglichen Beschreibung (bei richtiger Auslegung) deutlich, daß ein wesentliches Merkmal der Erfindung darin besteht, daß bei diesem System nur die geradzahligen Blätter in den Speicher eingelegt werden. Der ursprüngliche Verfahrensanspruch 10 (und auch der urspüngliche Vorrichtungsanspruch 1) ist jedoch so formuliert, daß er auch Verfahren umfaßt, bei denen nach der Feststellung, daß der Vorlagensatz eine ungerade Zahl von Blättern enthält, das letzte (n) und alle weiteren alternierenden einseitig bedruckten Blätter kopiert werden. Dies hätte jedoch zur Folge, daß die ungeradzahligen Seiten kopiert und in dem Speicher zwischengelagert werden. Bei allen Zwischendurchläufen des Originalsatzes würde dann auch die leere Rückseite dieses letzten Blattes (n) kopiert, und alle Blätter müßten nochmals gewendet werden, damit man richtig sortierte beidseitig bedruckte Kopiersätze erhält.

Da der Anspruch 10 nicht darauf beschränkt ist, daß nur geradzahlige Seiten in den Speicher kommen, entspricht er eindeutig nicht der ursprünglichen Beschreibung und wird auch nicht von ihr gestützt; er gab deshalb Anlaß zu einem Einwand nach Artikel 84 EPÜ. Dies wurde von der Prüfungsabteilung in Absatz 4 a ihres ersten Bescheids vom 8. Juli 1982 klar festgestellt. Obwohl der Bescheid keine ausdrückliche Bezugnahme auf Artikel 84 EPÜ enthielt, wurde dies klar zum Ausdruck gebracht; nach Ansicht der Kammer war Artikel 84 EPÜ eindeutig die Grundlage für den Einwand der Prüfungsabteilung. Um diesen Einwand auszuräumen, mußte der Umfang des Anspruchs 10 (und auch des Anspruchs 1) eingeschränkt werden. In der ursprünglichen Beschreibung der Erfindung ist nirgends ein System erwähnt, bei dem ungeradzahlige Originalvorlagen kopiert und gespeichert werden: Vielmehr wurden das Kopieren und Speichern der geradzahligen Originalblätter als für die Erzielung des angegebenen Vorteils der Erfindung wesentlich beschrieben. Somit kam die andere Möglichkeit, nämlich die Beschreibung so zu ändern, daß sie diesen weiten Anspruch stützt, nicht in Frage, weil ihr Gegenstand dann zwangsläufig über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgegangen wäre. Eine solche Änderung der Beschreibung hätte die Aufnahme von Ausführungsarten erforderlich gemacht, bei denen ungeradzahlige Blätter in den Speicher eingelegt werden. Diese Ausführungsarten waren aber in der ursprünglichen Anmeldung als Ganzem eindeutig nicht offenbart; ihre Aufnahme hätte demnach gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen.

3. Wie unter Nummer II erwähnt, reichte die Beschwerdeführerin auf den Einwand der Prüfungsabteilung in deren erstem Bescheid hin einen neuen Anspruchssatz mit den unabhängigen Ansprüchen 1 und 3 ein, welche (mit nachträglichen kleineren Änderungen) als Ansprüche A in der Entscheidung vom 4. Januar 1985 mit der unter Nummer II angegebenen Begründung zurückgewiesen wurden. Die Kammer stellt jedoch fest, daß in einem der Entscheidung vorangegangenen Bescheid vom 29. April 1983 der Einwand gegen die Ansprüche 1 und 3 anders als in der Entscheidung selbst formuliert war. Der erste Satz des Bescheides lautete wie folgt:

"Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 ... entsprechen Artikel 123 (2) EPÜ insofern nicht, als ihr Schutzumfang weiter als der der ursprünglichen Hauptansprüche ist." Auch wenn dieser Satz im folgenden etwas näher erläutert wurde, so scheint er doch bei der Beschwerdeführerin den Eindruck erweckt zu haben, daß die Ansprüche A in erster Linie deshalb zurückgewiesen wurden, weil die Prüfungsabteilung eine Erweiterung des Anspruchs aufgrund von Artikel 123 (2) EPÜ für unzulässig hielt. Deshalb brachte die Beschwerdeführerin sowohl in ihrer Beschwerdebegründung (s. Nr. III) als auch in ihrem ursprünglichen mündlichen Vorbringen als erstes Argument vor, daß Artikel 123 (2) EPÜ die Erweiterung von Ansprüchen im Prüfungsverfahren nicht unbedingt verbiete.

4. Die Kammer hat bereits in der mündlichen Verhandlung festgestellt, daß der Wortlaut des Artikels 123 (2) EPÜ ihres Erachtens die Erweiterung eines Anspruchs und damit des Schutzbereichs im Prüfungsverfahren nicht unbedingt untersagt (im Gegensatz zu Artikel 123 (3) EPÜ, der ganz klar verbietet, daß Patentansprüche so geändert werden, daß der Schutzbereich erweitert wird; dies gilt jedoch nur für das Einspruchsverfahren). Somit ist es außerhalb des Einspruchsverfahrens und insbesondere in der Prüfungsphase der Anmeldung ohne Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ möglich, einen Anspruch (d. h. seinen Schutzbereich) zu erweitern, vorausgesetzt, daß der Gegenstand, der nach der Änderung erstmals in den Ansprüchen erscheint, bereits in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart war. Siehe hierzu Nummer 5.

Die geänderten Ansprüche A, die mit der Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurden, haben allerdings im vorliegenden Fall nicht nur den Schutzbereich erweitert, sondern auch (und dies war der Grund für ihre Zurückweisung) dazu geführt, daß die Anmeldung einen Gegenstand enthielt, der über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausging (s. Nr. II).

Auf die von der Kammer zu Beginn der mündlichen Verhandlung abgegebene Stellungnahme hin legte die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruch C als Hauptantrag vor und bestand nicht mehr auf den mit Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Ansprüchen. Hauptantrag

5. Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte, als C bezeichnete Anspruch hat den unter Nummer IV wiedergegebenen Wortlaut. Bei der Prüfung der Zulässigkeit dieses geänderten Anspruchs muß zwischen einem möglichen Einwand nach Artikel 84 EPÜ und einem nach Artikel 123 (2) EPÜ unterschieden werden. Artikel 84 EPÜ schreibt - soweit er hier zutrifft - vor, daß die Patentansprüche einer europäischen Patentanmeldung von der Beschreibung gestützt sein müssen. Dieses Erfordernis muß die Beschreibung einer jeden Patentanmeldung eindeutig erfüllen, damit ein Patent erteilt werden kann, und zwar auch dann, wenn während der Bearbeitung der Anmeldung Änderungen zur Beschreibung oder zu den Ansprüchen eingereicht worden sind. Zwischen dieser Anforderung des Artikels 84 EPÜ an die Patentansprüche einer Anmeldung und der Bestimmung in

Artikel 123 (2) EPÜ muß klar unterschieden werden. In Artikel 123 (2) EPÜ geht es im Gegensatz zu Artikel 84 EPÜ nur um die Klärung der Zulässigkeit von während der Bearbeitung der Anmeldung (oder im Einspruchsverfahren) vorgeschlagenen Änderungen; er kommt nicht zur Anwendung, wenn keine Änderungen vorgeschlagen worden sind.

Ist jedoch eine Änderung zur Anmeldung (sei es zur Beschreibung oder zu den Ansprüchen) vorgeschlagen worden, so muß die Anmeldung daraufhin geprüft werden, ob die Erfordernisse sowohl des Artikels 123 (2) EPÜ als auch des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind. Das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ unterscheidet sich nicht nur von der Formulierung, sondern auch vom Inhalt her klar von dem des Artikels 84 EPÜ.

Zur Erläuterung des Artikels 84 EPÜ sei darauf hingewiesen, daß die Beschreibung und die Ansprüche einer Patentanmeldung unterschiedliche Funktionen haben. Die Beschreibung soll in erster Linie den Fachmann in die Lage versetzen, die Erfindung auszuführen. Die Ansprüche sollen vor allem den Gegenstand des Schutzbegehrens durch Angabe der technischen Merkmale der Erfindung angeben (s. R. 29 EPÜ); danach wird der tatsächliche Schutz (d. h. das Monopol), den ein erteiltes Patent in allen benannten Staaten verleiht, gemäß Artikel 69 EPÜ durch die Patentansprüche und letztlich durch die Gerichte dieser Staaten bestimmt.

Das Erfordernis in Artikel 84 EPÜ, daß die Ansprüche von der Beschreibung gestützt sein müssen, soll sicherstellen, daß das mit einem erteilten Patent verliehene Monopol insgesamt der in der Anmeldung beschriebenen Erfindung entspricht und daß die Ansprüche nicht so weit gefaßt sind, daß sie auch Tätigkeiten umfassen, die nicht von der anmeldungsgemäßen Erfindung abhängen. Andererseits sieht Artikel 84 EPÜ (durch die Formulierung "gestützt") eindeutig vor, daß der "Gegenstand des Schutzbegehrens" im Vergleich zur spezifischen Beschreibung der Erfindung allgemein definiert werden kann. Inwieweit die Ansprüche im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ gegenüber der Beschreibung verallgemeinert werden dürfen, ist eine Frage des Ausmaßes und muß unter besonderer Berücksichtigung der Art der beschriebenen Erfindung im Einzelfall entschieden werden. Artikel 123 (2) EPÜ braucht hingegen nur herangezogen zu werden, wenn eine Änderung entweder der Ansprüche oder der Beschreibung vorgeschlagen wird. Eine Änderung ist nur dann zulässig, wenn der Gegenstand der Anmeldung nach der Änderung nicht "über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht." Mit dieser Bestimmung soll offensichtlich verhindert werden, daß der Gegenstand der Patentanmeldung nach dem Anmeldetag erweitert wird. Eine Neuformulierung des in der ursprünglich eingereichten Anmeldung bereits vorhandenen Gegenstands wäre hingegen nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig. Außerhalb des Einspruchsverfahrens (für das Artikel 123 (3) EPÜ gilt) könnte eine solche reine Umformulierung auch eine Erweiterung des ursprünglich formulierten Schutzumfangs der Ansprüche einschließen. In diesem besonderen Zusammenhang ist auch die (von der Beschwerdeführerin angezogene) Feststellung in der Entscheidung T 190/83 vom 24. Juli 1984 zutreffend, daß die ursprüngliche Anmeldung gewissermaßen ein Reservoir darstellt, aus dem der Anmelder bei der Änderung der Anmeldung schöpfen kann. Gemäß Artikel 123 (2) EPÜ hingegen ist die ursprüngliche Anmeldung als ein Reservoir zu sehen, das nach dem Anmeldetag nicht erweitert werden darf.

Im Zusammenhang mit der Aufgabe des Artikels 123 (2) EPÜ, eine Erweiterung nach dem Anmeldetag zu verhindern, heißt es in früheren Entscheidungen der Beschwerdekammern, daß die Prüfung auf Einhaltung des Artikels 123 (2) EPÜ "im Grunde eine Neuheitsprüfung" ist - siehe insbesondere die Entscheidung T 201/83 "Bleilegierungen/SHELL", Nummer 3 (ABl. EPA 1984, 481). Auch wenn die Kammer der Auffassung zustimmt, daß im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zu jedem Änderungsvorschlag im Grunde ähnliche Überlegungen wie zur Frage der Neuheit eines Patentanspruchs anzustellen sind, so ist doch ihres Erachtens Sorgfalt geboten, wenn die für die Neuheit geltenden Rechtsvorschriften auf Fragen angewandt werden, die sich im Zusammenhang mit der Prüfung nach Artikel 123 (2) EPÜ stellen, nämlich daß es nicht zulässig ist, eine Anmeldung und ein Patent so zu ändern, "daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht." Diese Aussage muß im Einzelfall letztlich immer berücksichtigt werden. Die Beschwerdeführerin stützte sich in diesem Zusammenhang auf die in der Entscheidung T 52/82 "Aufwindvorrichtung/RIETER" (ABl. EPA 1983, 416) unter der Nummer 2 getroffene Feststellung, daß die Kammer nur noch zu prüfen brauche, ob der Anspruch "durch die ursprünglichen Unterlagen gestützt wird." Wie bereits erwähnt, geht es in Artikel 123 (2) EPÜ eigentlich nicht darum. Nach Auffassung der Kammer ist der Ausdruck "gestützt" im Zusammenhang mit dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ und in Analogie dazu nicht immer zutreffend. Dieser Analogieschluß könnte in bestimmten Fällen zu einem falschen Ergebnis führen, weil das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nach Auffassung der Kammer der Anforderung an die Neuheit sicherlich nähersteht als dem Erfordernis des Artikels 84 EPÜ, daß die Ansprüche von der Beschreibung "gestützt" sein müssen. Es ist nämlich auch möglich, etwas Breites auf eine schmalere Grundlage zu "stützen". Der Unterschied zwischen dem Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ und der in Artikel 84 EPÜ geforderten "Stützung" läßt sich am besten anhand eines Beispiels aus der Chemie erläutern. Wenn in einer Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung die Herstellung einer neuen chemischen Verbindung mit bestimmten Eigenschaften beschrieben ist, so kann ein Anspruch in der eingereichten Fassung, der diese Verbindung zusammen mit bestimmten höheren Homologen definiert, in der Regel durchaus als von dieser Beschreibung gestützt angesehen werden und somit Artikel 84 EPÜ erfüllen, wenn für den Fachmann kein Grund besteht, die Stichhaltigkeit dieser Verallgemeinerung anzuzweifeln. Sind jedoch sowohl die Beschreibung als auch die Ansprüche der Anmeldung in der eingereichten Fassung auf die Herstellung einer bestimmten Verbindung mit bestimmten Eigenschaften beschränkt, dann verstieße der Änderungsvorschlag, in die Ansprüche oder die Beschreibung oder in beide höhere Homologe aufzunehmen, gegen Artikel 123 (2) EPÜ, weil der Gegenstand der geänderten (die höheren Homologe enthaltenden) Anmeldung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung (die auf die Verbindung beschränkt war) hinausginge. Würde hingegen die Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung die Herstellung sowohl der Verbindung als auch bestimmter höherer Homologe offenbaren und wäre der Anspruch in der ursprünglich eingereichten Fassung auf diese eine Verbindung beschränkt, so wäre eine Erweiterung des Anspruchs auf die höheren Homologe nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig, weil der Gegenstand der geänderten Anmeldung nicht über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausginge. (Im Einspruchsverfahren wäre eine solche anspruchserweiternde Änderung wegen Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig.)

6. In Anbetracht dessen muß im vorliegenden Fall die Zulässigkeit der Anmeldung auf der Grundlage des geänderten Anspruchs C - des Hauptantrags der Beschwerdeführerin - sowohl im Hinblick auf Artikel 123 (2) als auch auf Artikel 84 EPÜ geprüft werden. Da Anspruch C eine besondere Schrittfolge des Kopiervorgangs beansprucht, die mit der ursprünglichen Beschreibung übereinstimmt, würde ein Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ, wie er in der Entscheidung vom 4. Januar 1985 gegen die Ansprüche A erhoben wurde, bei diesem Anspruch nicht greifen. Anspruch C ist jedoch nicht auf ein System beschränkt, bei dem nur geradzahlige Vorlagen kopiert und in einem Speicher zwischengelagert werden. Das Fehlen einer solchen Beschränkung in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen hat aber gerade zu dem ursprünglichen Einwand der Prüfungsabteilung nach Artikel 84 EPÜ geführt (s. Nr. 2). Nach Auffassung der Kammer hat die Prüfungsabteilung die ursprünglich eingereichten Ansprüche zu Recht beanstandet, und auch Anspruch C ist aus demselben Grund, nämlich weil er gegen Artikel 84 EPÜ verstößt, nicht zulässig. Außerdem liegt es nach Auffassung der Kammer auf der Hand, daß jede Änderung der Beschreibung zur Stützung des Anspruchs C nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig wäre, weil sie zwangsläufig eine Erweiterung des Inhalts der ursprünglich eingereichten Anmeldung bedeuten würde, mit der Systeme in den Schutzumfang der Erfindung aufgenommen würden, bei denen ungeradzahlige Blätter kopiert und gespeichert würden. Diese Angaben wären nicht vereinbar mit der Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung, in der ausdrücklich angegeben war, daß nur die geradzahligen Blätter kopiert und gespeichert werden - siehe Nummer 2.

In Anbetracht dessen wird der Hauptantrag zurückgewiesen. Hilfsantrag

7. Zu Anspruch 1 des Hilfsantrags B ist zu bemerken, daß er im wesentlichen dem ursprünglich eingereichten Anspruch 10 mit den vom Prüfer vorgeschlagenen Änderungen entspricht und deshalb möglicherweise zur Erteilung eines Patents führen kann. Da jedoch die Prüfungsabteilung diesen Anspruch nicht im einzelnen geprüft hat, hält es die Kammer mit Rücksicht auf die Rechte des Anmelders für geboten, daß die Patentierbarkeit des Anspruchs von der ersten Instanz geprüft wird. Unter diesen Umständen erscheint es der Kammer nicht angebracht, hierüber selbst zu entscheiden; sie macht daher von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 4. Januar 1985 wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, die Prüfung der Anmeldung auf der Grundlage des Anspruchs 1 des Hilfsantrags B fortzusetzen.

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