T 0524/12 () of 16.10.2014

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2014:T052412.20141016
Datum der Entscheidung: 16 October 2014
Aktenzeichen: T 0524/12
Anmeldenummer: 06117927.1
IPC-Klasse: B62D 5/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zum Betreiben einer elektrischen Hilfskraftlenkung
Name des Anmelders: ZF-Lenksysteme GmbH
Name des Einsprechenden: ThyssenKrupp Presta AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 113(2)
European Patent Convention R 111(2)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Grundlage der Entscheidung -vom Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung (nein)
Angefochtene Entscheidung - ausreichend begründet (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr -wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1063/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1241/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1772349 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 28. Dezember 2011.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass Anspruch 1 des Hauptantrags alle Anforderungen des EPÜ erfüllt, dass aber die in den unabhängigen Ansprüchen 2 und 3 des Hauptantrags definierte Erfindung nicht ausführbar sei.

Da die Hilfsanträge 1 bis 3 mindestens einen Anspruch aufweisen, der wortgleich mit einem der Ansprüche 2 oder 3 des Hauptantrags ist, wurden die Hilfsanträge 1 bis 3 zurückgewiesen.

Die Einspruchsabteilung hat das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage des Hilfsantrags 4 aufrechterhalten, der als einzigen unabhängigen Anspruch den Anspruch 1 des Hauptantrags beinhaltet.

III. Mit Schreiben vom 14. Juli 2014 legte die Beschwerdeführerin/Einsprechende zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens die folgenden Dokumente vor:

Automobiltechnische Zeitung ATZ, Jahresverzeichnis 2003, Seite 58 (ATZ)

Pfeffer, Peter et al. (Hrsg.); Lenkungshandbuch - Lenksysteme, Lenkgefühl und Fahrdynamik von Kraftfahrzeugen, Vieweg und Teubner, 2011, Seite 143 (Lenkungshandbuch)

IV. In einem Bescheid gemäß Regel 100 (2) EPÜ hat die Kammer die Parteien darauf hingewiesen, dass die Entscheidung gegen Artikel 113 EPÜ verstößt, da sich die Einspruchsabteilung nicht an die von der Patentinhaberin gebilligte Fassung des Hilfsantrags 4 gehalten hat. Insbesondere hat die Einspruchsabteilung das Patent mit den erteilten abhängigen Ansprüchen 2 und 3 aufrechterhalten, wohingegen die Patentinhaberin für den Hilfsantrag 4 nur einen einzigen Anspruch vorgesehen hat. Des Weiteren hat die Kammer ausgeführt, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit diskutiert, ohne die von der Einsprechenden vorgebrachten Argumente erkennbar zu berücksichtigen. Dies ist insofern relevant, als dieser Anspruch dem einzigen Anspruch des Hilfsantrags 4 entspricht und die Entscheidung der Einspruchsabteilung - was den Hilfsantrag 4 betrifft - lediglich auf die Ausführungen zum Hauptantrag verweist. Die Kammer hat vorgeschlagen, zunächst den Aspekt der Ausführbarkeit der Erfindungen gemäß den unabhängigen Ansprüchen 2 und 3 abschließend zu behandeln um dann die Angelegenheit an die erste Instanz zur Fortführung des Verfahrens zurückzuverweisen. Die Parteien wurden um Stellungnahme gebeten.

V. Am 16. Oktober 2014 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin I (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 14 vom 14. Oktober 2011.

VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

Verfahren zum Betreiben einer elektrischen Hilfskraftlenkung bei einem Kraftfahrzeug, wobei ein über eine Lenkhandhabe eingeleitetes manuelles Lenkmoment über ein Lenkgetriebe zum Auslenken von Rädern des Kraftfahrzeugs auf dieselben übertragen wird, und wobei das manuelle Lenkmoment durch einen Elektromotor unterstützt wird und bei Überschreiten eines bestimmten auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Lenkmoments in einem Zustand reduziert wird, in dem ein gelenktes Rad (6a,6b) an einem festen Hindernis (13) anschlägt und ein Fahrer ein hohes Lenkmoment auf eine Lenkhandhabe (3) aufbringt, wobei die Lenkunterstützung durch den Elektromotor (11) mit einer zeitlichen Verzögerung reduziert wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Verfahren nur im stehenden Zustand des Kraftfahrzeugs (1) und nur wenn die Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert ist, durchgeführt wird.

VII. Anspruch 2 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

Verfahren zum Betreiben einer elektrischen Hilfskraftlenkung bei einem Kraftfahrzeug, wobei ein über eine Lenkhandhabe eingeleitetes manuelles Lenkmoment über ein Lenkgetriebe zum Auslenken von Rädern des Kraftfahrzeugs auf dieselben übertragen wird, wobei das manuelle Lenkmoment durch einen Elektromotor unterstützt wird und bei Überschreiten eines bestimmten auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Lenkmoments in einem Zustand reduziert wird, in dem ein gelenktes Rad (6a,6b) an einem festen Hindernis (13) anschlägt und ein Fahrer ein hohes Lenkmoment auf eine Lenkhandhabe (3) aufbringt, wobei die Lenkunterstützung durch den Elektromotor (11) mit einer zeitlichen Verzögerung reduziert wird, wobei das Verfahren nur im stehenden Zustand des Kraftfahrzeugs (1) und/oder nur wenn die Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert ist, durchgeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Lenkunterstützung durch den Elektromotor (11) stets auf einen derart geringen Wert begrenzt wird, dass die Summe aus der auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Kraft kleiner oder gleich einer zuvor festgelegten zum Einparken benötigten Zahnstangenkraft ist.

VIII. Anspruch 3 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

Verfahren zum Betreiben einer elektrischen Hilfskraftlenkung bei einem Kraftfahrzeug, wobei ein über eine Lenkhandhabe eingeleitetes manuelles Lenkmoment über ein Lenkgetriebe zum Auslenken von Rädern des Kraftfahrzeugs auf dieselben übertragen wird, und wobei das manuelle Lenkmoment durch einen Elektromotor unterstützt wird und bei Überschreiten eines bestimmten auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Lenkmoments in einem Zustand reduziert wird, in dem ein gelenktes Rad (6a,6b) an einem festen Hindernis (13) anschlägt und ein Fahrer ein hohes Lenkmoment auf eine Lenkhandhabe (3) aufbringt, wobei die Lenkunterstützung durch den Elektromotor (11) mit einer zeitlichen Verzögerung reduziert wird, wobei das Verfahren nur im stehenden Zustand des Kraftfahrzeugs (1) und/oder nur wenn die Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert ist, durchgeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass der quasistatische Verlauf der Lenkunterstützung durch den Elektromotor (11) stets auf einen derart geringen Wert begrenzt wird, dass höchstens die beim jeweiligen Lenkwinkel zuvor festgelegte, zum Einparken benötigte Zahnstangenkraft zur Verfügung steht.

IX. Die Argumente der Beschwerde­führerin/Einsprechenden lauten wie folgt:

Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit sei kein im Beschwerdeverfahren neu vorgebrachter Einspruchsgrund, da sich der Einspruchsschriftsatz bereits mit der mangelnden Ausführbarkeit der von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 und 3 auseinandergesetzt habe. Dies seien hinsichtlich des angegriffenen Patents lediglich neue Argumente, und die müssten aufgrund der hohen Relevanz in das Verfahren zugelassen werden.

Die in den Ansprüchen 1, 2 und 3 des Hauptantrags definierte Erfindung sei nicht ausführbar. Eine Erfindung sei nämlich dann nicht ausführbar, wenn sie so unklar sei, dass nicht verstanden werden könne, was zu tun sei und diese Unklarheit auch nicht durch die Beschreibung oder das allgemeine Fachwissen aufgelöst werden könne. Dazu dürfe aber gemäß der T 1063/06 kein unzumutbarer Aufwand nötig sein.

zu Anspruch 1

So sei die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung deshalb nicht ausführbar, da sie nicht ausreichend beschrieben sei, es sei unklar, wie und was gemäß Anspruch 1 "bei Überschreiten eines bestimmten auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Lenkmoments in einem Zustand reduziert wird, in dem ein gelenktes Rad an einem festen Hindernis anschlägt und ein Fahrer ein hohes Lenkmoment auf die Lenkhandhabe aufbringt" re­duziert werde. Aus dieser Formulierung werde zunächst nicht deutlich, welches Moment reduziert werde. Dies könne dem Wortlaut nach auch das manuell aufgebrachte Lenkmoment sein. Dann sei aber weder klar, noch im Streitpatent offenbart, wie ein manuell aufgebrachtes Moment reduziert werden könne; auch sei dies nicht offenbart. Ferner lasse das Merkmal "einstellbaren Wert" den Fachmann im Unklaren. Dieser gehe davon aus, dass dieser Wert in einem vorangehenden Verfahrens­schritt eingestellt werde, dies sei aber nicht der Fall. Daher wisse er nicht, auf was sich der "eingestellte Wert" beziehe oder wie dieser einzustellen sei.

zu Anspruch 2

Die Erfindung gemäß Anspruch 2 sei ebenfalls nicht ausführbar, da die Lenkunterstützung durch den Motor nicht derart auf einen geringen Wert begrenzt werden könne, dass die Summe aus der manuell aufgebrachten Kraft am Lenkrad und der Kraft der Lenkunterstützung immer kleiner oder gleich einer zuvor festgelegten, zum Einparken benötigten, Zahnstangenkraft ist.

Dies liege zum einen daran, dass nicht sicherzustellen sei, dass durch eine Reduktion der Lenkunterstützung immer ein bestimmter Wert nicht überschritten werde, da die möglicherweise am Lenkrad aufgebrachte Kraft einen derart hohen Wert erreichen könne, so dass selbst die völlig Abschaltung der Lenkunterstützung nicht sicherstellen könne, dass der Grenzwert nicht überschritten werde. Dieser Fall trete immer dann auf, wenn die Kraft auf die Lenkhandhabe größer sei, als die zum Einparken benötigte Kraft. Dann würde der Motor seine Unterstützung auf null reduzieren und noch immer wäre die aufgebrachte Kraft größer und eben nicht, wie gefordert, "kleiner oder gleich". Dass die Kraft der Lenkhandhabe größer sein könne, als die der elektrischen Unterstützung, sei dem Fachmann allgemein bekannt, vgl. ATZ. Dort zeige das Diagramm auf der linken Seite, dass das Handmoment im Stand größer sei, als das der Lenkunterstützung. Dieses Merkmal der Erfindung sei somit nicht ausführbar.

Zum anderen wisse der Fachmann nicht, wie die zum Einparken benötigte Zahnstangenkraft zu bestimmen sei, da diese von einer Vielzahl von Faktoren abhänge, z.B. dem Reibbeiwert, der Achskinematik, der Last auf der Achse usw. Die zum Einparken benötigte Zahnstangenkraft sei situations­abhängig und ändere sich somit ständig (vgl. Lenkungshandbuch); damit sei unklar, wie diese "zuvor festgelegt" werden könne. Auch hier sei, wie schon in Anspruch 1, unklar, wie das Merkmal "Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert" vom Fachmann umzusetzen sei.

zu Anspruch 3

Auch die in Anspruch 3 definierte Erfindung sei nicht ausführbar. Zunächst gelten hierbei dieselben Einwände wie für die Ansprüche 1 bzw. 2. Ferner wisse der Fachmann nicht, was unter einem quasistatischen Verlauf verstanden werden müsse; die Begriffe "quasistatisch" und "Verlauf" stünden im Widerspruch.

Weiterhin sei die Entscheidung der Einspruchsabteilung fehlerhaft, da sie sich nicht mit den Gründen auseinander setze, warum der Gegenstand des Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, bzw. gemäß Hilfsantrag 4, in dessen Umfang das Patent in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dabei seien insbesondere nicht die Argumente diskutiert worden, die die Einsprechende im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgetragen habe. Somit sei der Fall in die erste Instanz zur weiteren Bearbeitung zurückzuverweisen.

X. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin entgegnete diesen Argumenten wie folgt:

Das Vorbringen der mangelnden Ausführbarkeit gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags werde erstmals im Einspruchs-/Beschwerdeverfahren mit der Beschwerde­erwiderung der Einsprechenden vorgebracht. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung seien lediglich Anspruch 2 und Anspruch 3 angegriffen worden, so dass hier nun ein neuer Einspruchsgrund vorliege.

Dieser aber könne nur mit der Zustimmung der Patentinhaberin geprüft werden, diese Zustimmung werde versagt.

Auch dürfte dieses Vorbringen gemäß Artikel 12 (4) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen werden. Es sei verspätet und nicht relevant.

Ferner sei die Erfindung, wie sie in den Ansprüchen 1 bis 3 definiert sei, ausführbar. Eventuell vorliegende Klarheitsmängel könnten nicht dazu führen, dass die Erfindung als Gesamtes nicht ausführbar sei. Schließlich wisse der Fachmann, der sich mit der Beschreibung und den Ansprüchen des Streitpatents auseinandersetze, was gemeint sei und wie die Erfindung umzusetzen sei.

Zu Anspruch 1

So sei bezogen auf Anspruch 1 dem Fachmann klar verständlich, dass die Kraft des Elektromotors reduziert werden müsse, um die Lenkunterstützung zu reduzieren. Damit werde erreicht, dass die Kraft, die sich aus der manuell aufgebrachten Kraft und der Kraft der Lenkunterstützung zusammensetzt, dann, wenn ein gelenktes Rad an einem Hindernis anschlägt, einen Grenzwert nicht überschreiten könne; damit würden Beschädigungen verhindert. Dies sei explizit in den Paragraphen [0013] und [0029] ausgeführt. Ebenfalls stelle das Merkmal "wobei die Lenk­unterstützung durch den Elektromotor (11) mit einer zeitlichen Verzögerung reduziert wird" im Anspruch 1 klar, dass mit der weiter oben angesprochenen Reduktion die der Lenkunterstützung gemeint sein müsse.

Der "einstellbare Wert" gemäß dem letzten Merkmal von Anspruch 1 sei ein Wert, der vorab festgelegt werde, siehe dazu beispielsweise Spalte 6, Zeilen 2 bis 8. Diese Festlegung müsse aber nicht zwangsläufig in einem früheren Verfahrensschritt des Anspruchs geschehen; dieser Wert könne auch konstruktiv festgelegt, und damit eingestellt, werden.

zu Anspruch 2

Auch sei die Ausführbarkeit der in Anspruch 2 definierten Erfindung gegeben. Hinsichtlich des "einstellbaren Wertes" werde auf die Argumentation zu Anspruch 1 verwiesen.

Des Weiteren sei auch hier klar, dass das erfindungsgemäße Verfahren die elektrische Lenkunterstützung reduziere, damit die Lenkmechanik nicht beschädigt werde. Der von der Einsprechenden beschriebene Fall, nämlich dass die auf die Lenkhandhabe aufgebrachte Kraft größer sein könne, als die der Lenkunterstützung, trete in der Praxis nicht auf, wie sich anschaulich zeige, wenn man versuche, die Lenkung eines Fahrzeuges im Stand bei ausgeschaltetem Motor - und damit ohne Lenkunterstützung - zu drehen: dies sei nämlich fast nicht möglich. Das Diagramm in Dokument ATZ könne nicht zum Vergleich der Kräfte herangezogen werden, da das Übersetzungsverhältnis für die Momente dort nicht angegeben sei. Somit sei die Kraft der Lenkunterstützung immer größer als die der manuellen Betätigung, so dass das erfindungsgemäße Verfahren die genannte Bedingung stets erfüllen könne.

Auch sei klar, dass die zum Einparken nötige Zahnstangenkraft nicht zwangsläufig situationsabhängig gestaltet werden müsse. Aus dem von der Einsprechenden vorgelegten Dokument Lenkungshandbuch gehe hervor, dass die "Zahnstangenkräfte beim Parkieren eines Fahrzeugs - für die Dimensionierung eines Lenksystems bestimmend" seien. Die im Anspruch definierte "zum Einparken nötige Zahnstangenkraft" entspreche exakt dieser im Lenkungshandbuch genannten Dimensionierung. Dabei berücksichtige der Fachmann die genannten Kriterien, wie Achslast, Reifengrößen, Reibungen, gebe einen Sicherheits­zuschlag dazu und erlange auf diesem Weg diese Zahnstangenkraft, die beim Einparken maximal auftreten könne. Von einer Zahnstangenkraft, die sich situationsabhängig ändere, sei im Streitpatent nicht die Rede.

Zu Anspruch 3

Der Begriff des "quasistatischen Verlaufs" sei dem Fachmann bekannt. Dies bedeute, dass "schnelle" - dynamische - Vorgänge - welche im Gegensatz zu einem sehr langsam ablaufenden Lenkvorgang - weitere Kräfte, etwa durch Massenträgheiten, bewirkten, keine Berücksichtigung fänden. Für die weiteren Merkmale, die ebenfalls in Anspruch 3 eine Nichtausführbarkeit begründeten, sei auf die Argumente zu den Ansprüchen 1 und 2 verwiesen.

Ebenfalls sei gegen eine Zurückverweisung in die erste Instanz nichts einzuwenden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin/Einsprechenden, auch die in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierte Erfindung sei nicht ausführbar stellt keinen neuen Einspruchsgrund gemäß G 10/91 dar und darf somit von der Kammer geprüft werden.

2.1 In der Entscheidung G 10/91 stellte die Große Beschwerdekammer klar, dass ein Einspruch nur in dem Umfang zu prüfen ist, in dem in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wurde. Dabei hat die Große Beschwerdekammer den Ermittlungbefugnissen, die den Beschwerdekammern gemäß Artikel 114 (1) EPÜ zustehen, aufgrund ihres gerichtlichen Charakters Grenzen gesetzt. Demnach dürfen neue Einspruchsgründe von der Beschwerdekammer nur mit Zustimmung des Patentinhabers geprüft werden, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, IV.D.5.2.2 und 5.3.

2.2 Mit dem Einspruchsschriftsatz hat die Einsprechende moniert, dass die in den abhängigen Ansprüchen 2 und 3 beschriebene Erfindung nicht so ausreichend offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Beide erteilten Ansprüche 2 und 3 sind auf den erteilten unabhängigen Anspruch 1 rückbezogen.

Die unabhängigen Ansprüche 2 und 3 des vorliegenden Hauptantrags entsprechen im Wesentlichen der Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2 bzw. 1 und 3; der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags ist gegenüber dem erteilten Anspruch 1 eingeschränkt, derart, dass die "und/oder"-Kombination im kennzeichnenden Teil in ein "und" geändert wurde.

Die Kammer folgt herbei der Auffassung der Einsprechenden/Beschwerdeführerin, dass schon im Einspruchsverfahren durch den auf die abhängigen Ansprüche 2 und 3 gerichteten Einspruchsgrund auch die Merkmale, die dem Anspruch 1 zugrunde liegen, und auf den die angegriffenen Ansprüche 2 und 3 rückbezogen sind, Gegenstand der Prüfung sein musste, da zu prüfen war, ob die sich aus der im Gesamten durch die Merkmalskombinationen der erteilten Ansprüche 1 und 2 (bzw. Ansprüche 1 und 3) ergebenden Erfindungen so offenbart sind, dass sie für den Fachmann ausführbar sind.

2.3 Es wird somit dem Vorbringen der Beschwerde­führerin/Patentinhaberin nicht gefolgt, dass nun erstmals im Beschwerdeverfahren die ausreichende Offenbarung der in Anspruch 1 definierten Merkmalskombination geprüft würde. Die Kammer hält damit den Einwand der Beschwerdeführerin/Einsprechenden, Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag sei nicht derart offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne, nicht für einen neuen Einspruchsgrund.

3. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin/Einsprechenden, dass die in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag definierte Erfindung nicht ausführbar sei, ist nach Artikel 12(2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) Gegenstand des Verfahrens.

3.1 Unabhängig von der oben unter 2. geführten Diskussion steht es gemäß Artikel 12(4) VOBK im Ermessen der Kammer, Tatsachen, Anträge oder Beweismittel nicht zuzulassen, die im erstinstanzlich Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind.

Wie oben unter Punkt 2 ff. ausgeführt stellt der Vortrag der Beschwerdeführerin/Einsprechenden eine Ergänzung zu dem Vortrag dar, den sie vor der Einspruchsabteilung vorgebracht hat. Im Wesentlichen werden ähnliche Merkmale diskutiert; die vorgebrachten Argumentations­linien entsprechen ebenfalls im Wesentlichen denen, die bereits diskutiert wurden. Damit aber bringt die Beschwerdeführerin/Einsprechende keinen grundsätzlich neuen Fall vor, sondern stützt lediglich den Vortrag vor der Einspruchsabteilung zu dem Einwand teilweise auf neue Argumente. Eine Nichtzulassung bloßer Argumente ist jedoch in Artikel 12(4) VOBK nicht vorgesehen..

4. Die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung ist deutlich und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).

4.1 Dabei ist, im Gegensatz zur Darstellung der Beschwerde­führerin/Einsprechenden klar, wie das Merkmal "bei Überschreiten eines bestimmten auf die Lenkhandhabe (3) aufgebrachten Lenkmoments in einem Zustand reduziert wird, in dem ein gelenktes Rad an einem festen Hindernis anschlägt und ein Fahrer ein hohes Lenkmoment auf die Lenkhandhabe aufbringt" zu verstehen ist und wie das aufgebrachte Lenkmoment reduziert wird. Die Kammer stimmt hierbei der Beschwerdeführerin/Ein­sprechenden insofern zu, als das Merkmal - isoliert betrachtet und rein sprachlich - auch bedeuten könnte, dass das erfindungsgemäße Verfahren das Lenkmoment der manuellen Lenkhandhabe reduziert. Dies stünde aber im Widerspruch zum letzten Merkmal des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1, in dem eine zeitliche Verzögerung dieser Reduktion definiert wird. Dort wird eindeutig und unmissverständlich auf die "Lenkunterstützung durch den Elektromotor" Bezug genommen. Die Auslegung des Merkmals im Kontext des Patentanspruchs als Ganzes ergibt daher, dass es sich auf eine Reduzierung der elektromechanischen Lenkunterstützung bezieht. Diese Auslegung wird auch durch die Beschreibung gestützt, die in den Paragraphen [0013] und [0029] erläutert, dass die elektromotorische Unterstützung im Fall eines Bordsteinkontakts des Rades zur Vermeidung von Beschädigungen der Lenkvorrichtung reduziert wird.

4.2 Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beanstandet weiterhin, dass das Merkmal "Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert" nicht klar sei und daher der Fachmann nicht wisse, wie er dieses Merkmal umsetzen solle. Die Formulierung dieses Merkmals lege nahe, dass diese Festlegung über einen vorangegangenen erfindungs­gemäßen Verfahrensschritt geschehen müsse.

Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Ein derartiger Verfahrensschritt ist zwar nicht im Anspruch definiert, doch der Fachmann kann beispielsweise der Beschreibung eindeutig und unmissverständlich entnehmen, vgl. beispielsweise Paragraph [0031], indem ausgeführt wird, dass der einstellbare Wert der Lenkwinkelgeschwindigkeit beispielsweise in einem Bereich von 100 Grad/sec liegen kann. Des Weiteren stellt es für den Fachmann keinen unverhältnismäßigen Aufwand dar, diesen Grenzwert für die Lenkwinkel­geschwindigkeit, die den Bereich begrenzen soll, in dem das erfindungsgemäße Verfahren angewandt wird, einstellbar zu gestalten, etwa in Abhängigkeit weiterer hier nicht genannter Kriterien oder Parameter.

5. Die in Anspruch 2 des Hauptantrags definierte Erfindung ist deutlich und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).

5.1 Die Beschwerdeführerin/Einsprechende trägt im Wesentlichen vor, dass das erfindungsgemäße Verfahren nicht sicherstellen könne, dass die Summe aus manueller Betätigungskraft und elektromotorischer Unterstützungs­kraft immer kleiner oder gleich einer Maximalkraft sei, die die zum Einparken nötige Zahnstangenkraft darstelle. Schließlich lasse sich in dieser Summe nur die elektrische Lenkunterstützung beeinflussen, auf die manuelle Betätigungskraft habe das Verfahren keinen Zugriff. Die Kammer folgt hierbei dem Vortrag der Beschwerde­führerin/Patent­inhaberin, dass die manuelle Betätigungs­kraft immer viel kleiner sei, als die der elektrischen Unterstützung. Die Dimensionierung hinsichtlich der Maximalbelastung der Zahnstange sei auf eine Parkiersituation ausgelegt (vgl. Lenkungshand­buch). Damit aber lässt sich durch eine Reduzierung der Unterstützungskraft des Elektromotors die Summe aus beiden Größen immer kleiner oder gleich dieser Maximalkraft einstellen.

Die Beschwerdeführerin/Einsprechende entgegnet diesem Argument, dass das Dokument ATZ nachweise, dass beide Kräfte in derselben Größenordnung lägen. Es sei sogar so, dass der Wert des manuellen Moments im Stand größer sei als das der elektrischen Unterstützung. Somit sie die Bedingung, die Summe sei kleiner als der Maximalwert, nicht erfüllt.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Achsbeschriftungen im Dokument ATZ nicht eindeutig sind. Die Bildunterschrift bezeichnet das Diagramm "Unterstützendes Motormoment als Funktion des Handmoments und der Fahrgeschwindigkeit". Ein "Handmoment" ist aber dem Diagramm nicht zu entnehmen, lediglich ein Lenkmoment. Es ist somit fraglich, ob das Diagramm das wiedergibt, was in der Bildunterschrift steht.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass unter "Handmoment" (Bildunterschrift) und "Lenkmoment" (Achsenbeschriftung) dasselbe gemeint ist, sind im linken Diagramm in ATZ keine Kräfte, sondern Momente darstellt. Da die weiteren Parameter der dem Diagramm der ATZ zugrundeliegenden Lenkgeometrie nicht bekannt sind, kann hier zuverlässig nicht auf die auftretenden Kräfte geschlossen werden.

5.2 Des Weiteren wird auf die Diskussion zur Offenbarung der Erfindung gemäß Anspruch 1 verwiesen.

6. Die in Anspruch 3 des Hauptantrags definierte Erfindung ist deutlich und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).

6.1 Der von der beschwerdeführenden Einsprechenden beanstandete Begriff "quasistatischer Verlauf" ist ein terminus technicus, der besagt, dass ein Verlauf so ausgeführt wird, dass er als eine Abfolge von stabilen Zuständen angesehen werden kann. Der Fachmann versteht vorliegend darunter, dass bei einem betrachteten Verlauf, dynamische Aspekte unberücksichtigt bleiben sollen, die sich durch die Änderung selbst ergeben, wie zum Beispiel Massenträgheiten. So folgt die Kammer in diesem Punkt nicht der Beschwerdeführerin/Einsprechenden, die argumentiert, ein "quasistatischer Verlauf" sei ein Widerspruch in sich und der Fachmann wisse nicht, wie dieses Merkmal auszuführen sei.

7. Die angegriffene Entscheidung verstößt gegen das Rechtserfordernis des Artikels 113(2) EPÜ.

7.1 Nach Artikel 113 (2) EPÜ hat sich das Europäische Patentamt bei Entscheidungen über das europäische Patent an die vom Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten.

7.2 Die Einspruchsabteilung hat das Patent in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 4 aufrechterhalten und zwar mit dem Anspruch 1, wie eingereicht am 14. Oktober 2011 und den Ansprüchen 2 und 3 wie erteilt, vgl. Entscheidung, EPA Form 2339 (Blatt 1).

7.3 Hingegen hat die beschwerdeführende Patentinhaberin für den Hilfsantrag 4 stets nur einen einzigen Anspruch vorgesehen, der dem Anspruch 1 des Hauptantrags ent­spricht (vgl. dazu die Schreiben vom 14. Oktober 2011, Seite; weiterhin das Protokoll der mündlichen Ver­handlung vor der Einspruchsabteilung, Seite 3, Punkt 4). Dies wurde auch von den Parteien während des Beschwerde­verfahrens bestätigt.

Ein anders lautender Antrag ist der Akte nicht zu entnehmen.

7.4 Insbesondere aber trägt die geänderte Seite 5 der Patentschrift, aus der hervorgeht, dass auch die abhängigen Ansprüche 2 und 3 im Rahmen des Hilfsantrags 4 aufrechterhalten werden, nicht die Unterschrift der Patentinhaberin.

Somit geht die Kammer davon aus, dass die Patent­inhaberin/Beschwerdeführerin den Hilfsantrags 4 seinerzeit ledig­lich mit einem einzigen Anspruch "1" gebilligt hat.

8. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung erfüllt ebenfalls nicht die Anforderung an Regel 111 (2) EPÜ i.V.m. Artikel 113 (1) EPÜ, wonach Entscheidungen, die mit der Beschwerde angefochten werden können, zu begründen sind.

8.1 Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist es Voraussetzung für die Gewährung des rechtlichen Gehörs in Sinne von Artikel 113 (1) EPÜ, dass den Beteiligten nicht nur die Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen und Überlegungen zu äußern, sondern dass diese Äußerungen auch berücksichtigt, d.h. im Hinblick auf ihre Relevanz für die Entscheidung in der Sache überprüft werden. Die entscheidende Instanz muss dazu das Vorbringen nachweislich berücksichtigen. Grundsätzlich garantiert Artikel 113 (1) EPÜ das Recht eines Beteiligten darauf, dass die relevanten Gründe in der schriftlichen Entscheidung vollständig berück­sichtigt werden, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, B.III.1.1.1, 7. Auflage.

8.2 Weiterhin besteht die Aufgabe von Beschwerdeverfahren darin, ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer davon strikt zu trennenden früheren Entscheidung der erstinstanzlichen Stelle zu fällen. Eine begründete, den Erfordernissen der Regel 111 (2) EPÜ entsprechende Entscheidung einer erst­instanzlichen Stelle ist demnach die Voraussetzung für die Prüfung der Beschwerde.

Die Begründung soll es dem Beschwerdeführer und der Kammer ermöglichen, zu verstehen, ob die Entscheidung gerechtfertigt ist oder nicht. Die Entscheidung sollte auf die Tatsachen, Beweismittel und Argumente eingehen, die für die Entscheidung im Einzelnen maßgeblich waren. Sie muss die logische Kette enthalten, die zur Bildung des Urteils geführt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss eine "begründete" Entscheidung alle zentralen Streitfragen behandeln (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, III.K.4.2.1, 7. Auflage).

8.3 Die Einspruchsabteilung hat zum Anspruch 1 des Hauptantrags ausgeführt und festgestellt, dass Anspruch 1 des Hauptantrags alle Anforderungen des EPÜ erfüllt (vgl. Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 4, VI.1). Der Hauptantrag wurde von der Einspruchsabteilung zurückgewiesen, da die in den unabhängigen Ansprüchen 2 und 3 definierten Erfindungen für den Fachmann nicht ausführbar seien.

Zum Hilfsantrag 4, der die Grundlage für die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang darstellt, führt die Einspruchsabteilung wie folgt aus (vgl. Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 6):

"Hilfsantrag 4 umfasst nur einen Anspruch 1, der wortgleich mit Anspruch 1 des Hauptantrags ist.

Das beim Hauptantrag für Anspruch 1 Festgestellte trifft daher ebenfalls auf diesen Hilfsantrag zu: Anspruch 1 erfüllt alle Anforderungen des EPÜ."

8.4 Im Einzelnen stellt die Einspruchsabteilung zu Anspruch 1 fest, dass dieser gegenüber D1 abgegrenzt sei (vgl. Entscheidung Seite 4, zweiter Absatz). Weiterhin sei das Kennzeichen "gegenüber dem erteilten Anspruch 1 dadurch eingeschränkt, dass nun beide Bedingungen erfüllt sein müssen, d.h. die Lenkgeschwindigkeit geringer als ein einstellbarer Wert ist und das Verfahren nur im stehenden Zustand durchgeführt wird" (Hervorhebungen in der Entscheidung der Einspruchsabteilung). Die Entscheidung fährt mit dem Hinweis fort, dass die Lenkmomente im Stillstand wesentlich höher sind, als bereits bei sehr geringer Fahrgeschwindigkeit. Weiter stellt sie fest (vgl. Entscheidung, Seite 4, vierter bis sechster Absatz):

"Ein derartiges Verfahren wird weder vom im Verfahren befindlichen Stand der Technik offenbart, noch durch ihn nahe gelegt, weil keines der Dokumente ein Verfahren offenbart, das ausschließlich im Stillstand des Fahrzeugs ausgeführt wird. Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt somit alle Anforderungen des EPÜ."

Diese Ausführungen sind folglich die Begründung dafür, warum der Gegenstand des Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

8.5 Die Einsprechende hat mit Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 in Frage gestellt (siehe dazu das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Seite 1, Punkt 2.1). Sie führt aus, dass der Fachmann ???mit den???in der D1 angesprochenen zwei unterschiedlichen Lösungsvarianten (zeitliche Verzögerung , Lenkwinkel) vorteilhafte Merkmale aus beiden Lösungen nutzen würde, und weiter dass in D3, Spalte 2, Zeilen 10 bis 22 und 33 bis 36 identische Merkmale angeführt seien, die die Aufgabenstellung des Streitpatents lösten. Daher werde im Streitpatent überhaupt keine Aufgabe mehr gelöst und ein Regelungstechniker finde in D1, D2 und D3 alle Merkmale des Anspruchs 1, weshalb dessen Gegenstand nicht erfinderisch sei.

8.6 Auf diese Argumente der Einsprechenden ist in der Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht erkennbar eingegangen worden. So wird beispielsweise nicht - der geforderten logischen Kette folgend - diskutiert, warum der Fachmann die Ausführungsbeispiele der D1 nicht kombinieren würde, und warum die Offen­barung der D3 den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahelegt. Vor allem aber definiert die Entscheidung der Einspruchs­abteilung keine Aufgabe im Sinne eines Problem-Lösungsansatzes, was vorliegend das Argument der Einsprechenden unbe­rücksichtigt lässt, dass das Streitpatent überhaupt keine Aufgabe löse.

Die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass ein derartiges Verfahren im Stand der Technik weder offenbart noch durch ihn nahegelegt sei, weil keines der Dokumente ein Verfahren offenbare, welches ausschließlich im Stillstand des Fahrzeuges ausgeführt werde, berücksichtigt demnach nicht in nachvollziehbarer Form das Vorbringen der Einsprechenden.

9. Aufgrund dieser schweren Verfahrensfehler wird die Angelegenheit in die erste Instanz zurückverwiesen, um das Einspruchsverfahren fortzusetzen. Dabei ist die Entscheidung der Kammer, dass die Erfindungen gemäß der Ansprüche 1, 2 und 3 für eine fachmännische Ausführung ausreichend offenbart sind, für das weitere Verfahren bindend, Artikel 111 (2) EPÜ.

Da offensichtlich die Notwendigkeit, Beschwerde einzulegen, eine Folge der schweren Verfahrensfehler der ersten Instanz darstellt, entspricht es der Billigkeit, die Beschwerdegebühr an beide Parteien zurückzuzahlen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur weiteren Behandlung auf der Grundlage des Hauptantrags an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlungen der Beschwerdegebühren wird angeordnet.

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