European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1989:T030587.19890901 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 September 1989 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0305/87 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81401435.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B23D 27/02 | ||||||||
Verfahrenssprache: | FR | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | GREHAL | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Diener | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | Wird der Inhalt eines älteren Einzeldokuments (hier: eines Scherenkatalogs) für sich betrachtet, um die Neuheit eines Patentanspruchs anzufechten, so darf dieser Inhalt nicht einem Reservoir gleichgesetzt werden, aus dem Merkmale verschiedener spezifischer Ausführungsarten künstlich zu einer bestimmten, neuheitsschädlichen Ausführungsart zusammengesetzt werden können, sofern nicht im Dokument selbst eine solche Verbindung nahegelegt wird (vgl. Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe). | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit Stand der Technik Ausmaß der Übereinstimmung |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 48 665 wurde der Beschwerdegegnerin auf der Grundlage der am 15. September 1981 eingereichten europäischen Patentanmeldung Nr. 81 401 435.3 am 11. April 1984 mit 8 Ansprüchen erteilt.
II. Am 8. Januar 1985 legte die Beschwerdeführerin gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragte seinen Widerruf wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Art. 100 a) EPÜ) und unzulässiger Erweiterung des Gegenstands (Art. 100 c) EPÜ).
Zur Veranschaulichung des Standes der Technik stützte sich die Beschwerdeführerin insbesondere auf folgende Entgegenhaltungen:
(1) Katalog ERDI 101, Seiten 6 und 9, mit vergrößerten Abbildungen (1 bis 8) der Werkzeuge "ERDI-Knabber Nr. 3" und "Rohrschere Nr. 115" des Katalogs sowie
(2) US-A-3 772 782.
III. Mit einer Zwischenentscheidung vom 9. Juli 1987 erhielt die Einspruchsabteilung das Patent mit dem folgenden geänderten Hauptanspruch in geändertem Umfang aufrecht:
"Schere zum Schneiden von Blech, Bandeisen und ähnlichen metallischen oder nichtmetallischen Gegenständen mit einem Körper (1), der an dem einen Ende einen Griff (3) bildet und an dem anderen Ende eine schräge Stützfläche aufweist, und Gegenklingen zu einer Scherklinge (15), die durch das Ende eines Hebels (13) gebildet ist, der am Körper (1) gelenkig angeordnet und über eine Achse (12) mit dem Ende eines mit einem zweiten Griff (31) versehenen Haupthebels (11) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Gegenklingen durch die Seitenkanten eines im Bodenteil eines an der Stützfläche angeordneten Bügels (6) eingearbeiteten Schlitzes (17) gebildet sind und der Schlitz (17) nach vorne durch eine End- oder Bodenfläche abgegrenzt ist, mit welcher die Scherklinge in Berührung kommen kann, wodurch der Schnittvorgang gestoppt und der Span abgetrennt wird."
IV. Am 17. August 1987 legte die Beschwerdeführerin unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 2. November 1987 eingereicht.
In dieser Begründung legte die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf den vorerwähnten Stand der Technik dar, daß der neue Anspruch 1 nicht korrekt abgegrenzt sei und einige der beanspruchten Merkmale für die Lösung des Problems nicht erforderlich seien. Da die Werkzeuge "Knabber Nr. 3" und "Rohrschere Nr. 115" der Entgegenhaltung 1 in ein und demselben Katalog offenbart würden, müßten ferner ihre Merkmale in der Gesamtheit so betrachtet werden, als bildeten sie zusammen einen einzigen Stand der Technik, und dieser wiederum nehme den Gegenstand des Anspruchs 1 im wesentlichen vorweg.
(...)
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
(...)
3. Abgrenzung des Anspruchs 1 (Regel 29 (1))
(...)
4. Stand der Technik
(...)
5. Neuheit
5.1. Von allen im Recherchenbericht, im Patent selbst und im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren genannten älteren Dokumenten enthält lediglich die Entgegenhaltung 2 die Beschreibung eines Blechschneidwerkzeugs, das wie die erfindungsgemäße Schere einen als Schnittmatrize dienenden Bügel aufweist.
Die Schere, die Gegenstand des angefochtenen Patents ist, unterscheidet sich jedoch insofern von dem bekannten Werkzeug, als sie eine echte Scherklinge besitzt, die über eine Achse mit einem einen zweiten Griff bildenden Haupthebel verbunden ist, wogegen das besagte Werkzeug, das nicht zum Schneiden, sondern zum Nibbeln von Blechen dient, nur einen Schneidstempel am Ende eines nicht gelenkig mit dem Haupthebel verbundenen Schenkels aufweist.
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht genau so im Stand der Technik enthalten und muß daher als neu gelten.
5.2. Die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Beschwerdebegründung vor, daß die Merkmale der beiden Scheren "ERDI-Knabber Nr. 3" und "ERDI-Rohrschere Nr. 115" in ihrer Gesamtheit mit einem einzigen Stand der Technik gleichgesetzt werden müßten, weil die Scheren im selben technischen Zusammenhang und in ein und derselben Druckschrift (dem Katalog ERDI 101) beschrieben seien.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin würde die Gesamtheit der bekannten Merkmale als Ganzes betrachtet die Erfindung vorwegnehmen.
Die Kammer kann dieser Auffassung nicht folgen, weil im vorliegenden Fall allein die Tatsache, daß der Bügel nicht zu den im Katalog offenbarten Elementen gehört, die Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 bereits hinreichend begründet.
5.3. Die Kammer möchte jedoch bei dieser Gelegenheit klarstellen, daß es bei der Beurteilung der Neuheit nicht ausreicht, sich pauschal auf den Inhalt eines Einzeldokuments zu beschränken; vielmehr muß stets auch jedes in diesem Dokument beschriebene Gebilde für sich betrachtet werden. So ist es nicht zulässig, verschiedene Bestandteile jeweils spezifischer Ausführungsarten, die in ein und demselben Dokument beschrieben sind, allein deshalb miteinander zu verbinden, weil sie in eben diesem Dokument offenbart werden, sofern nicht im Dokument selbst eine solche Verbindung nahegelegt wird (vgl. Richtlinien für die Prüfung, C-IV, 7.1).
Mit anderen Worten: Wird der Inhalt eines älteren Einzeldokuments (hier: eines Scherenkatalogs) für sich betrachtet, um die Neuheit eines Patentanspruchs anzufechten, so darf dieser Inhalt nicht mit einem Reservoir gleichgesetzt werden, aus dem Merkmale verschiedener spezifischer Ausführungsarten künstlich zu einer bestimmten, neuheitsschädlichen Ausführungsart zusammengesetzt werden können, sofern nicht im Dokument selbst eine solche Verbindung nahegelegt wird.
Abgesehen davon, daß ein Katalog nicht unbedingt mit einem Einzeldokument gleichgesetzt werden kann, sondern eher als eine Zusammenstellung von Schriften anzusehen ist, stellen hier die beiden Scheren "Knabber Nr. 3" und "Rohrschere Nr. 115" zwei völlig verschiedene Artikel des Katalogs ERDI 101 dar, die auf zwei verschiedenen Seiten unter verschiedenen Bestellnummern aufgeführt sind. Es handelt sich dabei also um zwei spezifische Gebilde, die zwei voneinander unabhängige und bei der Beurteilung der Neuheit getrennt zu betrachtende Vergleichsgrundlagen darstellen; es ist nicht zulässig, aus den Merkmalen des einen und/oder des anderen Gebildes - auch wenn beide in ein und demselben Dokument offenbart werden - künstlich einen Stand der Technik von größerer Bedeutung herzustellen.
(...)
8. Erfinderische Tätigkeit
(...)
8.4. Die Kammer ist der Auffassung, daß ein Fachmann bei normaler Anwendung seiner Fachkenntnisse und ohne besonderen Anstoß nicht in der Lage ist, einen solchen gedanklichen Schritt auszuführen, der eher einer Ex-post-facto-Analyse entstammt.
Infolgedessen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 im Sinne des Artikels 56 EPÜ auf erfinderischer Tätigkeit und ist nach Artikel 52 (1) EPÜ patentfähig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
(...)