T 0254/86 (Gelbe Farbstoffe) of 5.11.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:T025486.19871105
Datum der Entscheidung: 05 November 1987
Aktenzeichen: T 0254/86
Anmeldenummer: 80103005.7
IPC-Klasse: C09B 62/085
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Sumitomo
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: Eine Erfindung, die auf einer wesentlichen, überraschenden Verbesserung einer bestimmten Eigenschaft beruht, braucht nicht auch bei anderen Verwendungseigenschaften eine Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik aufzuweisen; allerdings dürfen sich diese Eigenschaften nicht so weit verschlechtern, daß die Verbesserung durch unzumutbare Nachteile in anderer Hinsicht völlig aufgehoben wird oder der Offenbarung der Erfindung grundsätzlich zuwiderläuft (im Anschluß an die noch nicht veröffentlichten Entscheidungen T 57/84 "Tolylfluanid" vom 12.8.1986 und T 155/85 "Katalysator-Passivierung" vom 28.7.1987).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 R 27(1)(d)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Technische Aufgabe - Kombination von Wirkungen
Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik
Verbesserung - keine Verbesserung in jeder Hinsicht erforderlich
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0405/86
T 0138/87
T 0302/87
T 0630/88
T 0282/90
T 0470/90
T 0656/90
T 0373/94
T 0070/95
T 0366/97
T 0107/99
T 1060/99
T 0287/02
T 0454/02
T 0574/04
T 0452/05
T 1387/06
T 0940/07
T 1406/07
T 1065/08
T 0365/09
T 1000/10
T 1742/12
T 1939/12
T 1985/12
T 2759/17
T 1888/21

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 21 105 wurde am 23. März 1983 mit zehn Ansprüchen auf die am 29. Mai 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 103 005.7 erteilt.

Am 19. Dezember 1983 wurde gegen die Erteilung des Patents Einspruch erhoben, das sich auf eine Gruppe von Reaktivfarbstoffen bezieht, die einen Chlortriazinyl- und einen Vinylsulfon-Substituenten sowie eine chromophore Monoazogruppe aufweisen, die Naphthalinsulfon- und Phenyl- oder Naphthalinreste enthält. Es wurde beantragt, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit u. a. aufgrund folgender Dokumente zu widerrufen:

(4) US-A-3 223 470

(5) DE-A-2 615 550

(10) "KAGAKU TO KOGYO" (Wissenschaft und Industrie), Band 42, Nr. 11 (1986), Seiten 23 - 35

(13) "Lehrbuch der organischen Chemie", Band III (1958), Seiten 33 und 36 (von F. Klages - herausgegeben von W. De Gruyter und Co.)

(14) "The Chemistry of Synthetic Dyes", Band I (1952), Seiten 339 und 343 (K. Venkataraman - Academic Press)

(15) "The Chemistry of Synthetic Dyes", Band VI (1972), Seite 229, vorletzte Zeile bis Seite 231

II. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent in einer mündlichen Verhandlung am 4. März 1986. In der Entscheidung, die am 28. Mai 1986 zugestellt wurde, hieß es, daß Reaktivfarbstoffe mit den genannten Reaktivgruppen bekannt seien (z. B. Entgegenhaltungen 4, 5 und 10). Die gelben Farbstoffe "C" und "D" der Entgegenhaltung 10 stellten den nächstliegenden Stand der Technik dar.

Der einzige Unterschied zwischen den patentgemäßen Verbindungen und "C" oder "D" liege in bestimmten Substituenten der ansonsten identischen chromophoren Gruppe. Die technische Aufgabe auf diesem besonderen Gebiet bestehe in der Verbesserung nicht nur des Ausziehvermögens, sondern auch der Echtheitseigenschaften dieser Farbstoffe. Einige Farbstoffe mit nur einer der Reaktivgruppen wiesen bekanntlich bereits die vorgeschlagenen charakteristischen Substituenten, z. B. eine Me- oder eine Acylamino-Gruppe, in ihrem chromophoren Anteil auf.

III. In der Entscheidung wurde ferner darauf hingewiesen, daß in der Entgegenhaltung 10 die Überlegenheit von Verbindungen mit nur zwei anstatt drei Reaktivgruppen offenbart sei; es liege auf der Hand, daß auch die anderen bekannten chromophoren Substituenten diese Eigenschaften ohne Farbverlust bewirkten.

Außerdem sei in der Entgegenhaltung 14 erwähnt, daß die Affinität durch die Aufnahme von -CO-NH-Gruppen erhöht werden könne; in der Entgegenhaltung 15 wiederum sei beschrieben, daß die Gegenwart von Me, -Acylamino- oder -Ureido-Gruppen im Phenylanteil der gelben Farbstoffe die Farbstärke erhöhten. Eine Verbesserung der Farbwerte und des Aufziehvermögens sei bei den jetzt beanspruchten Verbindungen teils auch infolge der bei ähnlichen Gruppen (13) festgestellten Mesomerie zu erwarten. Auch wenn kleine Verbesserungen bei der Schweißechtheit als bedeutsam anzusehen seien, so seien diese doch nur die Folgeerscheinung einer naheliegenden Lösung der Aufgabe.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte am 6. August 1986 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte am 6. Oktober 1986 eine Beschwerdebegründung nach. Gleichzeitig beschränkte sie den Umfang des Hauptanspruches auf die vier Verbindungen, die ursprünglich mit 13, 18, 19 und 23 numeriert gewesen waren. Auch die Beschreibung wurde entsprechend geändert. Der neue Hauptanspruch lautete wie folgt:

"Verbindung der folgenden Formel in Form einer freien Säure

(FORMEL)

wobei

R3 Methyl und

R4 Methoxy ist und der -SO2CH2CH2OSO3H-Rest in der

m-Position an den Benzolring gebunden ist oder

R3 Acetylamino und

R4 Wasserstoff ist und der -SO2CH2CH2OSO3H-Rest in der m-Position an den Benzolring gebunden ist oder

R3 Ureido und

R4 Wasserstoff ist und der -SO2CH2CH2OSO3H-Rest in der m-oder p-Position an den Benzolring gebunden ist.

V. Am 5. November 1987 fand eine mündliche Verhandlung statt. Im Verfahren und in der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:

a) Die Folge der Strukturänderungen, die zu den beanspruchten Farbstoffen führten, sei unvorhersehbar gewesen. Dies gelte insbesondere für die nunmehr beanspruchten bevorzugten Verbindungen. Obwohl den nächstliegenden Stand der Technik handelsübliche Verbindungen mit nur einer der Reaktivgruppen bildeten, weise die Erfindung auch gegenüber den Verbindungen nach der Entgegenhaltung 10 deutliche Vorteile auf.

b) Die Entgegenhaltungen 14 und 15 seien hier ohne Belang. Erstere beziehe sich auf andere Chromophore, und letztere gebe keine genaue Farbstärke an. Bestenfalls erziele die Entgegenhaltung 10 in etwa denselben Echtheitsgrad wie die monoreaktiven Varianten; nur die Fixierung sei dort auf immerhin 90 % gesteigert worden. Es gebe keinen Grund zu der Annahme, daß sich durch Änderungen bei den chromophoren Gruppen weitere Verbesserungen erzielen ließen. Dennoch sei der Farbwert bei dem angefochtenen Patent bei im wesentlichen gleichen oder teils sogar verbesserten Echtheitseigenschaften fast doppelt so hoch.

VI. Die Beschwerdegegnerin, d. h. die Einsprechende, brachte dagegen vor, daß das vorgelegte Beweismaterial keine Verbesserung erkennen lasse. Die aus der Entgegenhaltung 10 bekannten Farbstoffe seien sogar in mancher Hinsicht überlegen. Dies zeige sich bei der Hypochlorit- Bleichechtheit besonders deutlich. Wenn die Fixierung auch tatsächlich erheblich verbessert worden sei, so bestehe doch ein erhöhtes Instabilitätsrisiko, wenn das gefärbte Gewebe chlorhaltigen Bleichmitteln ausgesetzt würde. Während bei einer schwachen Einwirkung von Chlor Werte erzielt worden seien, die mit den in den Beispielen genannten im wesentlichen identisch seien, seien die Ergebnisse unter härteren Bedingungen im Vergleich zu der bekannten Verbindung "C" sehr enttäuschend ausgefallen. Insgesamt also brächten die beanspruchten Verbindungen überhaupt keinen echten Vorteil, und die Ergebnisse bestätigten nur die Erwartungen. Die Nachteile höben den Wert eines höheren Fixierungsgrades in jedem Falle auf.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der am 6. Oktober 1986 eingereichten Ansprüche 1 bis 8 und der gleichzeitig geänderten Beschreibung. Hilfsweise wird die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieser Ansprüche unter Ausklammerung der ursprünglich mit 23 numerierten Verbindung beantragt. Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Gegen die weiteren Änderungen der Ansprüche ist formal nichts einzuwenden. Der Hauptanspruch ist nunmehr auf die bevorzugten Verbindungen 1 bis 4 beschränkt, die ursprünglich mit 13, 18, 19 und 23 numeriert waren und im Patent alle ausdrücklich offenbart worden sind. Auch die übrigen Ansprüche sind entsprechend beschränkt worden und werden durch die ursprüngliche Offenbarung gestützt, so daß sowohl die Ansprüche als auch der geänderte Text Artikel 123 (2) und (3) EPÜ entsprechen.

3. Der Gegenstand des Patents bezieht sich auf vier Verbindungen, bei denen es sich um gelbe Farbstoffe handelt. Verbindungen ähnlicher Struktur und Farbe sind auch im nächstliegenden Stand der Technik, der Entgegenhaltung 10, offenbart. Nach Auffassung der Kammer bestand die technische Aufgabe hinsichtlich dieser Offenbarung darin, eine wesentliche Verbesserung des Farbwertes bei im wesentlichen gleich guten bzw. - in einigen Fällen - nur geringfügig schlechteren Echtheitseigenschaften zu erzielen. Die Lösung dieser Aufgabe umfaßt die beanspruchten vier Farbstoffe, die einige Änderungen am chromophoren Anteil aufweisen. So wurden insbesondere die Substituenten in der nächstliegenden Verbindung "C" durch eine weitere Sulfo-Gruppe am Naphthalinradikal ergänzt, während eine der ursprünglichen Sulfo-Gruppen auf eine benachbarte Position verlagert wurde. Außerdem wurde der Methyl-Substituent bei der Phenylgruppe durch eine Acylamino- oder Ureido-Gruppe ersetzt oder durch eine Methoxy-Gruppe in der gegenüberliegenden Ringposition ergänzt.

4. In der Beschreibung heißt es, daß die vorliegenden Verbindungen in etwa dieselbe Hypochlorit-Bleichechtheit (d. h. 3 - 4) wie die bekannte Verbindung "C" (vgl. auch das ursprüngliche Beispiel 1, in dem diese Verbindung "C" mit Versuchsergebnissen offenbart ist) und eine geringfügig verbesserte Schweiß- und Sonnenechtheit, insbesondere bei höheren Konzentrationen (3 %), aufweisen. Dies ging aus der Beschreibung und aus den im Namen der Patentinhaberin vorgelegten Beweismitteln (31.1.86) hervor. Es hieß darin ferner, daß die Farbwerte, d. h. das Färbevermögen, bei den erfindungsgemäßen Verbindungen etwa doppelt so hoch seien wie bei der Verbindung "C".

5. Die Beschwerdegegnerin hat diese Ergebnisse bestritten und Beweismittel dafür vorgelegt, daß die Hypochlorit- Bleichechtheit insbesondere unter den härteren Bedingungen einer längeren Einwirkung erheblich schlechter ist. Dasselbe gilt für die Lichtechtheit (Tabelle II, eingegangen am 12.5.1987). Selbst wenn die Versuche der Beschwerdegegnerin und die von ihr daraus gezogenen Schlußfolgerungen zweifelsfrei schlüssig wären, könnte das Ergebnis der Patentinhaberin nicht als Fehlschlag bei der Lösung der gestellten technischen Aufgabe ausgelegt werden. Etwaige Verluste bei den Echtheitseigenschaften sind gering und fallen insbesondere bei der Schweiß- und Sonnenechtheit nicht ins Gewicht. Die wesentliche Verbesserung des Farbwertes wird dadurch nicht aufgehoben oder zunichte gemacht. Bei der Beurteilung des Gesamtwertes der Verbesserung müssen alle diese Eigenschaften zusammengenommen berücksichtigt werden. Außerdem kann der eine oder andere Aspekt je nach der Art der Verwendung mehr oder weniger relevant sein.

6. Die Kammer vertritt deshalb die Auffassung, daß eine Erfindung, die auf einer wesentlichen, überraschenden Verbesserung einer bestimmten Eigenschaft beruht, nicht auch bei anderen Verwendungseigenschaften eine Verbesserung aufzuweisen braucht; allerdings dürfen sich diese Eigenschaften nicht so weit verschlechtern, daß die Verbesserung durch unzumutbare Nachteile in anderer Hinsicht völlig aufgehoben wird oder der Offenbarung der Erfindung grundsätzlich zuwiderläuft (im Anschluß an die noch nicht veröffentlichten Entscheidungen T 57/84 "Tolylfluanid" vom 12.8.1986 und T 155/85 "Katalysator-Passivierung" vom 28.7.1987).

7. Im vorliegenden Fall könnten die längere Einwirkung von Licht oder die Hypochlorit-Bleiche unter härteren Bedingungen durchaus in Versuchsreihen aufgenommen werden, anhand deren die Materialeigenschaften bei Bedarf unter genormten Bedingungen ausgewertet und verglichen werden können. Dies heißt jedoch nicht, daß mit allen gefärbten Materialien nur bestimmte oder nur die besten Ergebnisse erzielt werden dürfen oder daß diese Ergebnisse wirtschaftlich optimal sind. Das Gesamtergebnis kann in bestimmten Fällen, in denen ein häufiges Waschen mit hypochlorithaltigen Mitteln unwahrscheinlich ist, z. B. bei feinen Vorhangstoffen oder Krawatten, immer noch sehr vorteilhaft sein. Mit anderen Worten, bei bestimmten Warenarten, die nur unter besonderen Umständen verwendet werden, können andere Eigenschaften als der vorteilhafte Farbwert in den Hintergrund treten. Die Erfindung braucht also nicht in allen Fällen für alle Benutzer alle gewünschten Eigenschaften gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik aufzuweisen.

Da die in dem angefochtenen Patent beanspruchten Farbstoffe besonders unter weniger harten Bedingungen immer noch sehr gute Echtheitseigenschaften bei einer wesentlichen Verbesserung des Farbwertes aufweisen, ist die angegebene Aufgabe durch die Bereitstellung der beanspruchten Verbindungen gelöst worden. Da keine der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen diese Verbindungen offenbart, sind sie zudem neu. Dies wird von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.

8. Was die erfinderische Tätigkeit anbelangt, so sind die Strukturunterschiede zwischen den beanspruchten Verbindungen und dem nächstliegenden Stand der Technik, d. h. den Verbindungen "C" und "D" der Entgegenhaltung 10, offensichtlich gering. Es wäre also zu erwarten gewesen, daß mit einer Änderung dieser Art bestenfalls das gleiche Qualitätsniveau wie bereits in der Entgegenhaltung 10 erzielt würde, es sei denn, triftige Gründe sprächen dagegen. Das relativ gute Ergebnis, das laut dieser Entgegenhaltung 10 mit den doppelt reaktiven Varianten durch Einführung der zweiten Reaktivgruppe (Vinylsulfonyl) erzielt wird, war jedoch dort auf den "Fixierungsgrad" beschränkt (S. 584). Bei der Lichtechtheit war keine derartige Verbesserung festzustellen (S. 584 und 586, Tabelle 2). Die Fixierung hatte bereits 90 % erreicht, was kaum zu übertreffen ist; daß neben der Reaktivität auch andere Faktoren, die den Farbwert beeinflussen, z. B. die Affinität und die Diffusionsgeschwindigkeit, eine erhebliche Änderung des Fixierungsgrads bewirken könnten oder würden, wurde nicht ins Auge gefaßt. Man hätte eher erwarten können, daß die durch die zusätzliche Sulfo-Gruppe erhöhte Löslichkeit die reaktive Affinität des Farbstoffes zum Färbegut herabsetzen und daß die bessere Substantivität möglicherweise das Diffusionsvermögen (14) verringern würde.

9. Ganz abgesehen von der Komplexität der verschiedenen Mechanismen, die alle zur Verbesserung des Farbwerts beitragen, hängt dieser doch ganz entscheidend von der Konzentration des Farbbades ab. Dies geht nicht nur aus dem Beweismaterial der Patentinhaberin, sondern auch aus dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin hervor, die zur Erzielung derselben Farbstärke eine zum Teil sogar erheblich geringere Farbstoffkonzentration in der Lösung verwendet, als dies bei der bekannten Verbindung der Fall ist (vgl. Vorbringen vom 7.5.87). Natürlich wurde bei der Erfindung weniger Färbegut extremen Bedingungen ausgesetzt als im Vergleichsfall, doch war die spezifische Echtheit dann besser, als unter diesen Umständen zu erwarten gewesen wäre.

10. Die Änderung der Substitution bedeutete an sich noch nicht, daß eine Verbesserung des Farbwertes zu erwarten gewesen wäre. Zwar werden Carboxamidgruppen gemäß der Entgegenhaltung 14 mit einer Verbesserung der Substantivität, d. h. der Faseraffinität, in Verbindung gebracht; dies wurde jedoch bisher mehr im Zusammenhang mit dem Problem der Farbe und der Verschiebung zu längeren Wellenlängen hin (vgl. S. 343) gesehen. Das Bezugsdokument stützt sich jedenfalls auf Jodsäurecarboxamid, das im vorliegenden Fall nicht relevant ist, weil hier derselbe Substituent allenfalls an ein Stickstoff- und nicht an ein Kohlenstoffatom gebunden ist.

11. Die Bezugnahme auf die Entgegenhaltung 15, mit der die Eigenschaften der vorliegenden Verbindungen als vorhersehbar hingestellt werden sollen, ist ebenfalls nicht überzeugend. In dieser Entgegenhaltung werden die chromophoren Gruppen sowohl der Entgegenhaltung 10 als auch des vorliegenden Patents einschließlich der Acetylamino- und Ureido-Substituenten nebeneinander aufgeführt, aber keinerlei Reaktivgruppen erwähnt. In dem Dokument heißt es, daß "das Hauptaugenmerk der Farbstärke und bestimmten Echtheitseigenschaften gilt". Es enthält jeoch keinerlei Aussagen über die relative Qualität dieser Eigenschaften oder darüber, ob Verbesserungen in der einen oder anderen Weise zu erwarten wären, wenn von einer der beiden Chromophorarten auf die andere übergegangen wird.

12. Hätte der Fachmann bei dem Versuch, den nächstliegenden Stand der Technik (10) zu ändern, diese Beschreibung der alternativen Chromophoren herangezogen, so hätte er auch erkannt, daß er auf dem Weg zu den erfindungsgemäßen Verbindungen über die Verbindung hätte gehen müssen, die in der in der vorliegenden Beschreibung genannten japanischen Patentveröffentlichung Nr. 2634/1964 (S. 4, Zeilen 45-50) beschrieben ist und denselben Chromophor mit der Ureido-Substitution sowie die erste Reaktiv- und die ganze Anilin-Gruppe aufweist, die die zweite Reaktivgruppe nach der Entgegenhaltung 10 aufnehmen kann. Die vielen enttäuschenden Eigenschaften dieser "kurz vor dem Ziel liegenden" Zwischenstruktur sind im vorliegenden Patent (S. 5, Zeilen 18 - 21) aufgeführt und im Einspruchsverfahren nie angefochten worden. Zu den angeführten Nachteilen gehören hohe Färbetemperaturen, mangelndes Ausziehvermögen, Nichterzielung der gewünschten Farbdichte und geringe Stabilität. Diese Warnsignale hätten den Fachmann kurz vor dem Ziel davon abgehalten, den Weg nach der Entgegenhaltung 15 zu beschreiten, um die Lehre der Entgegenhaltung 10 zu ändern.

13. Das unter Berufung auf die Entgegenhaltung 13 vorgebrachte weitere Argument, daß der höhere Fixierungsgrad wegen der dort genannten Mesomerie zu erwarten gewesen sei, kann ebenfalls nicht akzeptiert werden. Der Entgegenhaltung zufolge könnte es immer dann zu einer Farbvertiefung kommen, wenn sich die alternativen Strukturen die Waage halten. Es wird auch nicht andeutungsweise erwähnt, daß dies mit der Substantivität zusammenhängen könnte, wie dies der Entgegenhaltung 14 zufolge bei den Carboxamiden der Fall ist. Außerdem wurde der Farbvertiefungseffekt anhand verschiedener, nicht zu den Azofarbstoffen gehörender Chromophore mit verschiedenen Substituenten demonstriert. Jedenfalls war durch den Fixierungsgrad, der ja in der Entgegenhaltung 10 bereits 90 % erreicht hatte, keine echte Verbesserung des Farbwertes zu erwarten.

Es gab in keinem der Dokumente einen Hinweis darauf, daß andere den Farbwert bestimmende Merkmale durch die Änderung der Substituenten, die die beanspruchten Verbindungen aufweisen, günstig beeinflußt würden.

14. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Kombination der die Aufgabe lösenden Wirkungen dem Stand der Technik nicht entnommen werden konnte. Die Strukturelemente, die dies nunmehr bewirken, wurden außerdem mit wenig attraktiven Eigenschaften in Verbindung gebracht, die ihre Verwendung nicht angezeigt erscheinen ließen. Es lag für den Fachmann also keine Einbahnstraßen-Situation vor, die ihn auf jeden Fall zu der Erfindung geführt hätte; dieser muß daher eine unerwartete, problemlösende Wirkung und somit erfinderischer Charakter zuerkannt werden.

15. Das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß der nächstliegende und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevanteste Stand der Technik ein auf dem Markt erfolgreicher Farbstofftyp mit nur einer Reaktivgruppe sei, muß zurückgewiesen werden. Daß der entgegengehaltene nächstliegende Stand der Technik nicht kommerziell verwertet wird, könnte verschiedene, unbekannte und irrelevante Ursachen haben; dies kann jedenfalls seinem Informationsgehalt als dem Fachmann zur Verfügung stehende Offenbarung keinen Abbruch tun, geschweige denn ein Grund dafür sein, ihn außer Betracht zu lassen. Es wäre im Gegenteil irrelevant und würde über den Wert der Erfindung nichts aussagen, wenn die erfinderische Tätigkeit gegenüber einem weniger nahen Stand der Technik für gegeben erklärt würde, ohne am objektiv nächstliegenden Stand der Technik, d. h. dem erfolgversprechendsten Sprungbrett zur Erfindung, das dem Fachmann zur Verfügung stand, gemessen worden zu sein (vgl. T 164/83 "Antihistamine", ABl. EPA 1987, 149).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird auf der Grundlage der am 6. Oktober 1986 eingereichten Ansprüche 1 bis 8 und der gleichzeitig geänderten Beschreibung aufrechterhalten.

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