T 0138/87 () of 18.12.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T013887.19891218
Datum der Entscheidung: 18 Dezember 1989
Aktenzeichen: T 0138/87
Anmeldenummer: 81107079.6
IPC-Klasse: C08L 51/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 743 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schlagfeste thermoplastische Formmasse
Name des Anmelders: BASF AG
Name des Einsprechenden: Dow Chemical
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 114(2)
Schlagwörter: novelty
inventive step - ex post facto approach
non-obvious variant
oral proceedings - evidence - late submittal
Neuheit ja
erfinderische Tätigkeit
nicht naheliegende Variante
rückschauende Betrachtung unzulässig
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0192/82
T 0156/84
T 0254/86
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die am 9. September 1981 eingereichte europäische Patentanmeldung 81 107 079.6 ist am 23. Januar 1985 das europäische Patent 48 389 erteilt worden. Der einzige Patentanspruch hatte folgenden Wortlaut:

"Schlagfeste thermoplastische Formmasse, enthaltend im wesentlichen A) Polystyrol als Matrix und B) zwei darin gleichmäßig verteilte kautschukartige, überwiegend aus 1,3-Dienen aufgebaute (Co)-Polymerisate b1) und b2) in einem Anteil von 3 bis 30 Gew.-%, berechnet als Polydien und bezogen auf die Matrix, wobei die (Co)-Polymerisate als Teilchen unterschiedlicher mittlerer Teilchengröße (d50-Wert der integralen Masseverteilung) enthalten sind, nämlich b1) als Teilchen von 0,2 bis 0,6 "m, in einem Anteil von 60-95 Gew.-%, bezogen auf Polydien, und b2) als Teilchen von 2-8 "m, in einem Anteil von 40-5 Gew.-%, bezogen auf Polydien, sowie gegebenenfalls C) üblichen Zusatzstoffen in wirksamen Mengen, dadurch gekennzeichnet, daß in der fertigen Formmasse das (Co)-Polymerisat b1) eine Kapselteilchenmorphologie und das (Co)-Polymerisat b2) eine Zellen- und/oder Knäuelteilchenmorphologie aufweisen."

II. Gegen die Erteilung des Patents hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit beantragt. Zur Stütze ihres Vorbringens hat sie auf mehrere Druckschriften verwiesen, von denen schließlich nur noch (1) Angewandte Makromolekulare Chemie 58/59 (1977), 175-198 ("Echte") und (2) US-A-4 214 056 ("Lavengood") eine Rolle spielten.

Mit der Entscheidung vom 10. März 1987 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und das Streitpatent unverändert aufrechterhalten.

In ihrer Begründung führt die Einspruchsabteilung im wesentlichen aus, daß aus (2) Formmassen bekannt seien, die Polystyrol als Matrix enthielten, in welche Dien-Polymerisate einer bimodaler Teilchenverteilung eingebettet seien. Über die Morphologie der Teilchen werde nichts ausgesagt. Nach Echte führe die Polymerisation von styrolischem Polybutadien im allgemeinen zu "Zellenstrukturen"; es gäbe aber in Abhängigkeit vom Ausgangsmaterial auch andere Teilchenstrukturen. Um die Schlagzähigkeit von kautschukmodifiziertem Polystyrol ohne Beeinträchtigung des Glanzes zu erhöhen, würden nach (2) außer den üblichen kleinen Kautschukteilchen zusätzlich größere Kautschukteilchen mitverwendet. Die Aussage, daß eine größere Menge von Polystyroleinschlüssen eine höhere Zähigkeit der Formmasse bedinge, sei allgemeiner Art. Die im angegriffenen Patent erfolgte Festlegung der kleinen Teilchen auf die Kapselform werde dadurch nicht nahegelegt.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit dem am 16. April 1987 eingegangenen Schreiben unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde eingelegt und diese rechtzeitig begründet.

In dem folgenden Schriftwechsel haben die Parteien sodann Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Streitgegenstands unterschiedlich bewertet.

In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung vom 21. September 1989 hat die Kammer u. a. darauf hingewiesen, daß ein Angriff auf die Neuheit des Streitgegenstandes nicht erfolgversprechend erscheine. Am Versuchsbericht der Beschwerdegegnerin vom 12. Dezember 1987 wurde bemängelt, daß dieser wegen des Fehlens von Glanzwerten nicht voll aussagekräftig sein dürfte ("BASF-Versuchsbericht").

Am 7. Dezember 1989 hat die Beschwerdeführerin via Telecopierer noch auf die Broschüre "For 50 years the formula for success Polystyrol BASF" vom Oktober 1980, in der u. a. das Produkt "1977 Polystyrol KR 2791" erwähnt ist und auf einen dieses Produkt betreffenden Test Report der Dow vom 2. November 1978 hingewiesen und dies später schriftlich bestätigt ("Broschüre").

IV. Die von der Beschwerdeführerin schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 1989 vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Das Streitpatent enthalte keine Angaben darüber, wie man zu Kapselteilchen von Homopolybutadienen komme; der Streitgegenstand sei diesbezüglich mangelhaft offenbart.

Die Lehre von Lavengood führe zu einem Polystyrol mit stark verbesserten mechanischen Eigenschaften und gutem Glanz. Dazu werde ein schlagfestes Polystyrol mit kleinen Kautschukpartikeln mit einem solchen mit großen Kautschukteilchen vereinigt. Als kleine Teilchen kämen die in (2) offenbarten, aber auch bekannte Kautschukarten dieses Typs in Betracht. An bevorzugter Stelle sei in (2) ein Butadien-Styrol-(B/S)-Blockcopolymerisat genannt, welchem eine Kapselstruktur zugeschrieben werden müsse; ein solches Produkt, sei im Handel erhältlich. Der Fachmann lese diesen Sachverhalt in die Entgegenhaltung "mit hinein", so daß (2) für sich den Streitgegenstand neuheitsschädlich vorwegnehme.

Vom erfinderischen Standpunkt sei zu untersuchen, ob die Lehre von Lavengood auch Kautschukteilchen vom Kapseltyp mit umfasse oder nicht. Direkte Angaben zur Teilchenmorphologie fehlten in (2).

Die Schlagzähigkeit werde durch die Menge des in dem Kautschuk stabilisierten Polystyroleinschlusses beeinflußt; diese sei optimal, wenn der Einschluß von einer dünnen Außenhaut umhüllt sei, d. h. wenn eine Kapsel vorliege.

Von den bei Echte erläuterten Kautschukteilchenstrukturen kämen die in Abbildung 8 dargestellten, als "Kapseln" bezeichneten (mit einen Durchmesser von 0,3 bis 0,4 µm) größenordnungsmäßig dem in (2) für kleine Teilchen festgelegten unteren Grenzwert von 0,5 µm am nächsten. Die anderen dort wiedergegebenen Teilchenstrukturen müßten wegen ihrer abweichenden Größe von einer weiteren Betrachtung ausscheiden. Bei diesen "Kapseln" handle es sich um B/S-Blockpolymere. Kombiniere man Lavengood mit Echte, so komme man zwangsläufig zu den im Streitpatent beanspruchten Kapselteilchen.

Die Versuche der Beschwerdegegnerin, bei deren Durchführung die Vorgaben von Lavengood nicht strikt eingehalten worden seien, hätten nichts Überraschendes gebracht. Bei der Schlagfestigkeit sei das Ausmaß der Erhöhung gegenüber Polystyrol, das nur mit Kapselkautschuk modifiziert sei, gering und liege bei weitem unter dem Niveau, welches mit Lavengood-Produkten erreicht werde (Beispiele 11 - 15, insbesondere 12). Bei einem höheren Anteil an großzelligem Kautschuk übersteige die Schlagfähigkeit der Lavengood-Produkte diejenige der BASF-Produkte ("Dow-Versuchsbericht"). Aufgrund der in vorliegender Beschreibungseinleitung zitierten DE-OS-2 620 579 (6) habe man damit rechnen können, daß die Schlagfestigkeit eines mit kleinen und größeren Kautschukteilchen vermischten Polystyrols höher sei als die nach den erwarteten Werten.

Nach allem liege eine "Einbahnstraßensituation" (T 192/82, ABl. EPA 1984, 415) vor, die zum Widerruf des Streitpatents mangels erfinderischer Tätigkeit führen müsse.

Die Beschwerdegegnerin hat dem entschieden widersprochen. Die Passagen aus (2), auf die sich die Beschwerdeführerin jetzt berufe, stimmten wörtlich mit denen in der früher veröffentlichten US-PS 4 146 589 (4) überein; (4) sei in der vorliegenden Beschreibung bereits berücksichtigt.

Die angebliche Überlappung betreffe den oberen Grenzbereich für Kapselteilchen gemäß Streitpatent einerseits und den unteren Grenzbereich für kleine Teilchen nach Lavengood andererseits, d. h. den Bereich von 0,5 bis 0,6 µm. Kautschuk-Kapselteilchen dieser Größe ließen sich technisch nur schwierig herstellen.

Für den erfinderischen Charakter des Streitpatents spreche, daß bisher niemand auf die Idee gekommen sei, Kapselteilchen im Sinne der Erfindung zu verwenden. Nur bei kleinen Teilchen könnte sich aufgrund der besonderen Oberflächenverhältnisse zahlreiche Morphologien ausbilden, die in der Arbeit von Echte beschrieben seien. Eine solche Vielfalt von Strukturen gebe es bei großen Teilchen nicht.

Die Mikrofotografien der Dow bestätigten, daß es sich bei den Kapseln mit angeblich 0,5 "m Durchmesser in Wirklichkeit um "BASF"-Kapseln mit 0,35 µm Durchmesser im Mittel handle; sie seien kleiner als Lavengood dies lehre und dies bliebe auch so, wenn man von der volumetrischen Skala auf die Masse umrechne.

Die Angaben zur Maximierung der Einschlußmenge in (2) könnten nicht dazu führen, daß man ohne Kenntnis der Erfindung auf Kapselteilchen aufmerksam werde. Um die Schlagzähigkeit zu erhöhen, seien nach Lavengood möglichst große Teilchen erforderlich. Je größer diese aber seien, desto größer sei bei gegebener Membran die Einschlußmenge, d. h. der "amount of occlusion". Dagegen sollten im vorliegenden Fall die kleinen Teilchen möglichst klein sein.

V. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Art. 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ und ist somit zulässig.

2. Von der im vorigen Abschnitt genannten Literatur ist die "Broschüre" kurz vor der mündlichen Verhandlung als Beweismittel in das Beschwerdeverfahren eingebracht worden. In der Firmenschrift ist u. a. ein Produkt mit der Bezeichnung "KR 2791" aufgeführt, bei welchem es sich um ein seit 1977 von der BASF AG vertriebenes transluzentes, schlagfestes Polystyrol handelt, das mit Kautschukteilchen vom Kapseltyp modifiziert ist.

In der mündlichen Verhandlung hat sich die Beschwerdeführerin erstmals auch dahingehend geäußert, daß der Streitgegenstand, was die Verwendung von Kapselteilchen aus Homopolybutadienen anbelangt, nicht ausführbar sei.

Das genannte Beweismittel und der Einwand der Nichtausführbarkeit sind nach Ablauf der Einspruchsfrist und damit verspätet vorgebracht worden. Einen einsichtigen Grund für das verspätete Vorbringen hat die Beschwerdeführerin nicht angeführt. Die Relevanzprüfung durch die Kammer hat ergeben, daß die "Broschüre" keine entscheidungserheblichen Informationen enthält (vgl. Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 13. September 1983, S. 2, Abs. 1).

In der Frage der Ausführbarkeit wird auf den "Dow-Versuchsbericht" verwiesen, der unter Ziffer 4 erörtert wird.

Die Kammer macht daher von dem ihr unter Art. 114 (2) EPÜ eingeräumten Ermessen Gebrauch und läßt die verspäteten Vorbringen, ohne daß dies einer näheren Begründung bedarf, unberücksichtigt (T 156/84, ABl. EPA 1988, 372).

3. Das Streitpatent betrifft thermoplastische, kautschukmodifizierte Polystyrolmassen, die sich zur Herstellung schlagfester Formteile mit hohem Glanz eignen sollen.

Derartige Formmassen sind bereits bekannt. Die in (2) beschriebenen Zubereitungen dürften von ihrem Aufbau her dem Streitgegenstand am nächsten kommen. Sie bestehen aus Polystyrol als Matrix und einer Weichphase aus Kautschukpartikeln einer bimodalen Teilchengrößenverteilung. Der Kautschukanteil liegt bei 2 bis 15 Gew.-%. Von den Teilchen haben 70 bis 95 % eine durchschnittliche Größe von ungefähr 0,5 bis 1,0 µm und 5 bis 30 % eine solche von etwa 2 bis 3 µm (Spalte 1, Abs. 5). In Anspruch 19 sind mehrere für diese Zwecke geeignete Kautschuktypen aufgeführt; von diesen fällt B/S-Blockcopolymerisaten eine besondere Rolle zu. Ein wie vorstehend modifiziertes Polystyrol läßt sich zu Produkten verformen, die nicht nur hochglänzend, sondern auch extrem schlagfest sind.

4. Die dem Streitpatent zugrundeliegende technische Aufgabe besteht demgegenüber darin, mit Kautschuk einer bimodalen Teilchengrößenverteilung (TGV) modifizierte Styrolpolymerisate (HIPS) bereitzustellen, deren Gebrauchseigenschaften, ausgedrückt durch die Schlagzähigkeit und den Glanzwert, noch verbessert sind.

Zur Lösung dieses Problems wird nach dem einzigen Anspruch vorgeschlagen, die Weichphase dahingehend zu modifizieren, daß die sog. kleinen Teilchen eine Kapselstruktur und daß die sog. großen Teilchen, die in untergeordneter Menge zugegen sind, eine Zellen- und/oder Knäuelstruktur aufweisen.

Es erscheint glaubhaft, daß diese Aufgabe mit den im Anspruch vorgesehenen Mittel gelöst werden kann. Anhand von drei Beispielen wird im Streitpatent gezeigt, daß bei Einhaltung der festgelegten Parameter Endprodukte mit hoher Remission und Lochkerbschlagzähigkeit (aKL) erhalten werden. Als kapselteilchenhaltiges Ausgangsmaterial wird u. a das Handelsprodukt "KR 2791" verwendet (vgl. Schriftsatz vom 13. September 1983 der Beschwerdegegnerin mit ergänzenden Angaben zu den Beispielen 1 und 2).

Aufschlußreicher ist der "BASF-Versuchsbericht", dessen Ergebnisse von der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen worden sind. Danach wurden HIPS-Proben, die einerseits mit Kapselteilchen und großen Zellenteilchen, andererseits mit kleinen und großen Zellenteilchen modifiziert waren, dem Schlagzähigkeitstest nach DIN 53753 unterworfen. Die Kapsel- und die kleinen Zellenteilchen waren mit 0,32 bzw. 0,35 µm annähernd gleich groß; ihr Durchmesser liegt im realitätsbezogenen Mittelfeld des beanspruchten Bereichs. Die Größe der großen Zellenteilchen betrug 2,7 µm. Der Vergleich der ermittelten Werte macht deutlich, daß die Schlagzähigkeit von nach dem Streitpatent erhaltenem Polystyrol erheblich über derjenigen der Vergleichsprodukte liegt. (Schlagzähigkeit nach Streitpatent/ Vergleichsprodukt: 12,0 / 8,5; 12,6 / 9,6 aKL (KJ/m2).

Die Glanzwerte der anspruchsgemäßen Produkte bewegen sich im gleichen Rahmen wie die der bekannten aus (2); sie sind nach übereinstimmender Auskunft der Parteien keinesfalls schlechter als diese.

Demgegenüber kommt dem "Dow-Versuchsbericht" nur eine geringe Aussagekraft zu. Wenn man zugunsten der Beschwerdeführerin davon ausgeht, daß Kapselteilchen der behaupteten Größe von 0,5 µm tatsächlich vorlagen, wird durch den Versuch höchstens bestätigt,daß der Streitgegenstand auch in diesem Bereich ausführbar ist. Eine weitergehende vergleichende Betrachtung scheitert daran, daß bei den betreffenden Untersuchungen Kapsel- und kleine Zellenteilchen einer unterschiedlichen Größe verwendet worden sind und somit die gemeinsame Basis fehlt (vgl. T 197/86, ABl. EPA 1989, 371).

5. Was die Neuheit des Streitgegenstandes anbelangt, so besteht Einigkeit darüber, daß PS-Formmassen mit den im Anspruch definierten Teilchenmorphologien in (2) nicht expressis verbis beschrieben sind. Auch implizit ist in (2) nichts offenbart, was dem fachkundigen Leser derartige oder speziell von B/S-Copolymerisaten abgeleitete Ausführungsformen ohne weiteres erschließen würde. Der Streitgegenstand ist demnach neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

6. Es bleibt noch zu untersuchen, ob er auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Art. 56 EPÜ).

6.1. Wie bereits ausgeführt, ist in (2) ein HIPS mit bimodaler TGV beschrieben, das durch Abmischen von konventionellem HIPS mit einem HIPS, welches mit großen Kautschukteilchen modifiziert ist, zustande kommt. Sowohl die kleinen als auch die großen Teilchen leiten sich von Polybutadien ab. Der Übergang von dem "monomodalen" zum "bimodalen" System hat eine nachhaltige Veränderung der physikalischen Eigenschaften des Basismaterials zur Folge: Die Schlagzähigkeit nimmt überdurchschnittlich zu, sie erhöht sich nach erfolgter Beimischung einer verhältnismäßig geringen Menge an großen Teilchen im Vergleich zu der von konventionellem HIPS um 50 % und mehr. Glanz und Fließeigenschaften werden nicht nachteilig beeinflußt.

6.2. Echte befaßt sich in seiner bereits 1976 der Öffentlichkeit zugänglich gemachten wissenschaftlichen Arbeit mit der Teilchenbildung bei der Herstellung von kautschukmodifiziertem Polystyrol. Nach seinen Ausführungen kommt es in Abhängigkeit von den Polymerisationsbedingungen und von der Zusammensetzung des verwendeten Ausgangsmaterials zur Ausbildung von verschiedenen Teilchenmorphologien, die sich, wie in Abbildung 8 dargestellt, durch Form und Größe voneinander unterscheiden. Außer den im allgemeinen erhältlichen "Zellenteilchen", wurden "große Tropfenteilchen", "Knäuelteilchen", "Kapselteilchen", "Fadenteilchen" und "kleine Tropfenteilchen" beobachtet. Von diesen beanspruchen die mit "Kapselteilchen" bezeichneten Gebilde, deren Größe auf 0,3 bis 0,4 µm geschätzt wird, das besondere Interesse.Sie entstehen aus einem B/S-Blockpolymerisat und enthalten 30% oder 40% Polystyrol im Block (Tabelle 1, Proben D und F; S. 186, Abs. 3). Derartige Unterstrukturen sollen die Gebrauchseigenschaften des damit modifizierten Polystyrol und letztlich auch die der daraus hergestellten Fertigteile beeinflussen (S. 176, Abs. 2). Einzelheiten hierüber sind nicht angegeben, auch Empfehlungen für die Praxis werden nicht ausgesprochen.

6.3. Keiner der beiden Entgegenhaltungen vermag der Fachmann eine entscheidende Anregung zu entnehmen, die ihn zum Streitgegenstand hinführt. Vor allem fehlt es an einem Hinweis, der es erfolgversprechend erscheinen läßt, a) das bisherige, auf konventionellem HIPS als Basis beruhende Konzept aufzugeben und mit kleineren Teilchen zu arbeiten; b) Unterstrukturen von Kautschukteilchen d. h. Knäuel- und Kapselstrukturen gezielt in das System der bimodalen TGV mit einzubeziehen.

Schließlich war nicht vorhersehbar, daß sich die Kombination von Kapselteilchen mit großen Zellen- bzw. Knäuelteilchen günstig auswirken würde und daß die Gebrauchswerte der resultierenden Formmassen den hohen, durch (2) gesetzten Standard erreichen und z. T. übertreffen würden (vgl. Ziffer 4, dazu auch T 254/86, ABl. EPA 1989, 115).

6.4. Der Angriff der Beschwerdeführerin konzentriert sich in erster Linie auf den Grenzbereich zwischen 0,5 und 0,6 µm, wo sich die bekannte und die beanspruchte Teilchengröße "überlappen". Die Beschwerdeführerin glaubt, aus Lavengood i. V. m. Echte herleiten zu können, daß der Fachmann B/S-Blockcopolymere mit Kapselmorphologie allein wegen ihrer, an obigen Grenzbereich heranreichenden Teilchengröße als Modifizierungsmittel in Betracht gezogen hätte. Sie sieht sich in ihrer Auffasssung durch die Angaben in der Beschreibung von (2) über die Abhängigkeit von in Kautschuk stabilisierter Einschlußmenge und Schlagfestigkeit bestätigt.

Diese Überlegungen der Beschwerdeführerin beruhen auf einer unzulässig rückschauenden Betrachtungsweise, die die Kenntnis der Lehre des Streitpatents zur Voraussetzung hat. Auf diese Weise wird die erst darin enthaltene Aussage über die Verwendung von kleinen Teilchen mit Kapselform und der anderen Details in die Information der vorveröffentlichten Druckschrift mit hineininterpretiert und deren Offenbarungsgehalt verändert.

6.4.1. Was die Teilchengröße angeht, so stellt Lavengood eindeutig auf große Teilchen ab. Auch bei den Versuchsreihen in (2) ist das Bestreben unverkennbar, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten die Teilchengröße wie auch die Mengenverhältnisse nach größeren Teilchen hin zu verschieben, um Glanz und Schlagzähigkeit weiter zu optimieren (vgl. Beispiele 12, 18, 24; 15, 21, 27). Der untere, von 0,5 bis 0,6 µm reichende Bereich der kleinen Teilchen ist experimentell nicht untersucht worden. Auch bei den im Anspruch 19 aufgezählten Kautschuktypen, einschließlich des schon mehrfach erwähnten B/S-Blockcopolymers, ist dies nicht der Fall. Wie bereits eingangs festgestellt, wird bei Lavengood die Teilchenmorphologie nicht ausdrücklich angesprochen; insbesondere findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die kleinen Teilchen in Kapselform vorliegen, deren Existenzbereich ohnehin bei ca. 0,6 µm enden dürfte. Zudem macht ein Blick in (4) deutlich, daß der Lavengood- Beschreibung ein diesbezüglich individualisierter Text nicht zugrundeliegt (4, Spalte 5, Zeilen 24 - 31; Spalte 4, Zeilen 50 -52 identisch mit 2, Spalte 5, Zeilen 45 - 52, Zeilen 3 - 5).

6.4.2. Bezüglich der Teilchenmorphologie ist zu berücksichtigen, daß in Polystyrol dispergierter Dienkautschuk im allgemeinen in Form von Zellenteilchen vorliegt, welche man als schwammartige Gebilde auffassen kann. Folgt man der Lehre von Lavengood und geht auf größere Teilchen über, so erhöht sich bei vorgegebener Membran die Menge des in dem Kautschuk stabilisierten Polystyrols.

Bei Kapselteilchen, die mit ballonartigen Gebilden vergleichbar sind, liegen die Verhältnisse anders. Verkleinert man gemäß Streitpatent die Teilchengröße, so verschiebt sich das Verhältnis Oberfläche/Volumen zuungunsten des Volumens und die Einschlußmenge wird geringer. Nach dem Vortrag des Sachverständigen der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung und unter Abwägung der sonstigen Umstände ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß die fraglichen Textstellen in (2), denen zufolge eine möglichst hohe Einschlußmenge anzustreben ist, auf Zellenteilchen zu beziehen sind und die Interpretation durch die Beschwerdeführerin nicht zutreffend ist (2, Spalte 5, Zeilen 45 - 52, 3 -5).

6.5. Kapselteilchen sind als eigenständige, durch einen bestimmten Existenzbereich und - formbedingt- durch ein charakteristisches mechanisches Verhalten gekennzeichnete Komponenten anzusehen. Da die Auswirkungen, die ihre Einbindung als (von der Menge her) dominierendes Modifizierungsmittel in das bestehende Mehrkomponentensystem nach sich zieht, nicht abzusehen waren, kann insoweit auch nicht von einem "analogen Ersatz" im Sinne der Entscheidung T 192/82 ABl. EPA 1984, 415 die Rede sein. Aus demselben Grund können auch die an üblichen PS-Abmischungen gewonnenen Erkenntnisse aus der Druckschrift (6) über günstige Schlagzähigkeitsbereiche nicht bedenkenlos auf das vorliegende System übertragen werden.

Die Beschwerdeführerin hat rechnerische Überlegungen angestellt, die beweisen sollen, daß das Ausmaß der Verbesserungen bei Lavengood-Produkten prozentual höher ist als bei Produkten nach dem Streitpatent und daraus gefolgert, daß ein überraschender Effekt bei letzterem nicht erzielt wird. Soweit diesen Berechnungen "monomodale" HIPS zugrundeliegen, sind die ermittelten Prozentzahlen ohne Belang für die patentrechtliche Beurteilung der Streitsache, weil sie sich nicht an dem relevanten Stand der Technik orientieren; soweit Lavengood als Bezugsgrundlage gewählt worden ist, bringen sie nichts grundsätzlich Neues, so daß auf die Ausführungen unter Ziffer 4 verwiesen werden kann.

7. Nach allem ist erwiesen, daß mit der Bereitstellung der anspruchsgemäßen Polystyrole die Palette der Thermoplaste um eine Variante mit verbesserten Gebrauchseigenschaften bereichert worden ist. Damit ist der Vorschrift des Artikels 56 EPÜ Genüge getan.

Der Anspruch ist patentfähig, der Aufrechterhaltung des Streitpatents steht nichts entgegen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation