T 0161/82 (Steckkontakt) of 26.6.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:T016182.19840626
Datum der Entscheidung: 26 Juni 1984
Aktenzeichen: T 0161/82
Anmeldenummer: 80301975.1
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: EN
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE | EN | FR
Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: AMP
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: 1.Nach Artikel 113(1) EPÜ ist es nicht erforderlich, dem Anmelder wiederholt Gelegenheit zu geben, sich zu dem Vorbringen der Prüfungsabteilung zu äußern, wenn die entscheidenden Einwände gegen die Erteilung des europäischen Patents bestehen bleiben.
2. Hat eine Vorwegnahme insofern Zufallscharakter, als das in einer Vorveröffentlichung Offenbarte zufällig unter einen zur Neuheitsprüfung anstehenden Anspruch fallen könnte, ohne daß jedoch eine gemeinsame technische Aufgabe vorliegt, so ist besonders sorgfältig gegeneinander abzuwägen, was billigerweise als vom Anspruch erfaßt gelten kann und was tatsächlich aus der Vorveröffentlichung hervorgeht.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(1)
European Patent Convention 1973 Art 54(2)
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
Schlagwörter: Neuheit
Vorwegnahme - zufällige
Rechtliches Gehör
Gelegenheit zur Stellungnahme
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0074/89
T 0228/89
T 0243/89
T 0633/89
T 0079/91
T 0621/91
T 0719/91
T 0734/91
T 0601/92
T 0793/92
T 0063/93
T 0500/95
T 0149/96
T 1090/96
T 1208/97
T 0589/98
T 0961/98
T 1146/98
T 0070/99
T 0958/99
T 0638/00
T 0212/01
T 0449/03
T 0095/04
T 0726/04
T 2377/09
T 1077/10
T 2144/15

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 12. Juni 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 80 301 975.1 (Veröffentlichungsnummer 0 021 730), die eine Priorität vom 29. Juni 1979 (FR) in Anspruch nimmt, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 27. August 1982 zurückgewiesen. Der Entscheidung lag der am 17. Mai 1982 eingereichte einzige Anspruch zugrunde.

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des Anspruchs im Hinblick auf die Druckschrift DE-A-1 465 461 nicht neu sei.

III. Die Anmelderin legte gegen diese Entscheidung am 21. September 1982 Beschwerde ein. Die Begründung war in der Beschwerdeschrift enthalten. Die Beschwerdegebühr war bereits am 14. September 1982 entrichtet worden.

IV. Die Anmelderin macht im wesentlichen geltend, daß der aus der DE-Druckschrift bekannte Steckkontakt zum Einstecken eines Steckers in jeweils einen von zwei im rechten Winkel zueinander stehenden Schlitzen nicht geeignet sei. Insbesondere würde der betreffende Steckkontakt (wie bereits in der Beschwerdeschrift erwähnt) keine brauchbare elektrische Verbindung ergeben, da aus der Entgegenhaltung eindeutig hervorgehe, daß der zweite Schlitz parallel angeordnet sei. Außerdem lege keine der genannten Entgegenhaltungen eine Änderung nahe, um diesen Schlitz für die Aufnahme eines Steckers geeignet zu machen.

V. Die Anmelderin reichte zusammen mit der Beschwerdeschrift und der Begründung "im Hinblick auf das der Zurückweisungsentscheidung zugrunde liegende Argument" einen geänderten Anspruch ein. Sie beantragte die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage dieses Anspruchs, der wie folgt lautet:

"Elektrischer Steckkontakt mit einem Steckabschnitt (2) mit zwei Paaren sich gegenüberliegender Kontaktarme (22), die sich alle in dieselbe Richtung erstrecken, wobei jeder Arm (22) jedes Paares einen vorspringenden Kontaktpunkt (23) aufweist, der einem ähnlichen Punkt (23) auf dem gegenüberliegenden Arm (22) zugewandt ist und die beiden sich gegenüberliegenden Armpaare (22) einen Einsteckschlitz für einen Stecker bilden, dadurch gekennzeichnet, daß jeder Arm (22) jedes Paares einen zweiten Kontaktvorsprung (24) aufweist, der einem ähnlichen Vorsprung (24) auf dem benachbarten Arm (22) des anderen Paares zugewandt ist, wobei die beiden Paare der zweiten Kontaktvorsprünge (24) einen zweiten Einsteckschlitz für Stecker bilden, der im rechten Winkel zu dem ersten Einsteckschlitz angeordnet ist."

VI. Die Anmelderin behauptet, daß die Prüfungsabteilung von "technischen Gegebenheiten" ausgegangen sei, die keine seien, und daß ihr vorher keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich hierzu zu äußern. Sie machte geltend, daß Artikel 113 (1) EPÜ nicht erfüllt worden sei, und beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Die Prüfungsabteilung hat ihre Entscheidung auf die Lehre der Druckschrift DE-A-1 465 461 gestützt. Die Abbildungen 1 bis 3 dieser Druckschrift zeigen einen elektrischen Steckkontakt, der mit dem elektrischen Kontakt nach dem am 17. Mai 1982 eingereichten einzigen Anspruch der vorliegenden Anmeldung Ähnlichkeit aufweist und einen im rechten Winkel zu dem ersten Einsteckschlitz angeordneten zweiten Schlitz enthält. Der erste Schlitz ist eindeutig zur Aufnahme eines Steckers gedacht; es gilt nun die entscheidende Frage zu klären, ob auch der zweite Schlitz ein "Einsteckschlitz für Stecker" ist, d. h. ob es für den Fachmann offensichtlich gewesen wäre, daß dieser Schlitz diesem Zweck dienen könne.

3. Bei der Beurteilung dieser Frage ist zu beachten, daß es bei der DE-Druckschrift um die Lösung einer ganz anderen technischen Aufgabe geht als bei der vorliegenden Anmeldung, nämlich darum, einen Steckkontakt bereitzustellen, in den sowohl ein Stiftstecker als auch eine Kontaktplatte eingesteckt werden können.

4. Hat eine Vorwegnahme insofern Zufallscharakter, als das in einer Vorveröffentlichung Offenbarte zufällig unter einen zur Neuheitsprüfung anstehenden Anspruch fallen könnte, ohne daß jedoch eine gemeinsame technische Aufgabe vorliegt, so ist besonders sorgfältig gegeneinander abzuwägen, was billigerweise als vom Anspruch erfaßt gelten kann und was tatsächlich aus der Vorveröffentlichung hervorgeht.

5. Dieser Vergleich zeigt im vorliegenden Fall, daß der Steckkontakt nach DE-A-1 465 461 keine sich nach außen erweiternde oder sonstwie geformte Führung am zweiten Schlitz aufweist und daß die "Kontaktflächen" in ihrer gesamten Länge genau parallel zueinander verlaufen. Dies schließt praktisch aus, daß der zweite Schlitz als "Einsteckschlitz" betrachtet werden kann. Dementsprechend ist die Kammer der Auffassung, daß der Steckkontakt nach dem der Prüfungsabteilung vorgelegten Anspruch gegenüber der entgegengehaltenen DE-Schrift als neu anzusehen ist.

6. Dies gilt erst recht für den Steckkontakt nach dem geänderten Anspruch, der zusammen mit der Beschwerdeschrift und der Begründung eingereicht wurde; in diesem Anspruch heißt es nunmehr, daß "Kontaktvorsprünge" vorhanden sind, die bei dem Steckkontakt nach der DE-Druckschrift eindeutig nicht vorkommen.

7. Obwohl der Steckkontakt nach dem geänderten Anspruch neu ist, bleibt zu prüfen, ob der Anspruch die übrigen Erfordernisse des EPÜ erfüllt und ob er insbesondere eine erfinderische Tätigkeit aufweist. Im Verfahren vor der Prüfungsabteilung ist dieser Aspekt im Zusammenhang mit dem Gegenstand des damals gültigen Anspruchs überhaupt noch nicht geprüft worden. Um der Anmelderin nicht das Recht auf eine Prüfung durch zwei Instanzen zu nehmen, hält es die Kammer für angebracht, die Anmeldung zur Weiterbearbeitung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.

8. Die Anmelderin behauptet auf Seite 3, Absatz 4 der Beschwerdeschrift, daß Artikel 113 (1) EPÜ nicht eingehalten worden sei und somit ein wesentlicher Verfahrensfehler der Prüfungsabteilung vorliege (R. 67 EPÜ). Die Kammer ist der Ansicht, daß unterschieden werden muß zwischen den Gründen, auf die eine Entscheidung gestützt ist (d. h. die Erfordernisse des EPÜ, die von der Anmeldung oder der Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, nicht erfüllt werden), und der Begründung, in der ausführlich dargelegt wird, warum die Prüfungsabteilung vom Vorliegen solcher Gründe überzeugt ist (vgl. R. 51 (3) EPÜ).

9. Als Grund für die Zurückweisung wurde im vorliegenden Fall mangelnde Neuheit des Anspruchsgegenstands angegeben; dieser Einwand wurde in dem ersten Bescheid des beauftragten Prüfers vom 19. Februar 1982 erhoben und ausführlich begründet. Die Anmelderin äußerte sich hierzu in einem Schreiben vom 17. Mai 1982 und legte einen geänderten einzigen Anspruch vor, der sich von dem früheren Anspruch 1 dadurch unterschied, daß sie zwei weitere Merkmale hinzugefügt hatte, mit denen sie die Erfindung besser vom Stand der Technik abgrenzen wollte. In ihren Ausführungen bemerkte die Anmelderin lediglich, daß die vom Prüfer für möglich gehaltene Verwendung des Steckkontakts nach DE-A-1 465 461 auf einer im nachhinein gewonnenen Erkenntnis beruhe und vom Fachmann nicht in Betracht gezogen worden wäre, da der Steckkontakt nach Abbildung 4 und 5 eindeutig nicht in dieser Weise verwendet werden könne.

10. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, daß die beiden zusätzlichen Merkmale dem Fachmann bereits durch die DE-Entgegenhaltung implizit offenbart worden seien. Da die Prüfungsabteilung die Argumente der Anmelderin nicht überzeugend fand und zu der Feststellung gelangte, daß gegen den geänderten Anspruch noch immer derselbe Einwand bestand, traf sie die angefochtene Entscheidung. Die Entscheidung enthielt natürlich einige zusätzliche Argumente zu den dem Anspruch hinzugefügten Merkmalen.

11. Die Beschwerdekammer vertritt den Standpunkt, daß Artikel 113 (1) nicht vorschreibt, daß dem Anmelder wiederholt Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu dem Vorbringen der Prüfungsabteilung zu äußern, wenn die entscheidenden Einwände gegen die Erteilung des europäischen Patents bestehenbleiben.

12. Unter den gegebenen Umständen ist die Kammer daher der Auffassung, daß kein Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ vorliegt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur Weiterbearbeitung auf der Grundlage der Beschreibung und des geänderten Anspruchs zurückverwiesen, der am 21. September 1982 zusammen mit der Beschwerdeschrift und -begründung eingereicht worden ist.

3. Der Antrag der Anmelderin auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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