G 0003/91 (Wiedereinsetzung) of 7.9.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:G000391.19920907
Datum der Entscheidung: 07 September 1992
Aktenzeichen: G 0003/91
Vorlageentscheidung: J 0016/90
Anmeldenummer: 89111906.7
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Fabritius
Name des Einsprechenden: -
Kammer: EBA
Leitsatz: Artikel 122(5) EPÜ ist sowohl auf die Fristen nach den Artikeln 78(2) und 79(2) EPÜ als auch auf diejenigen nach Regel 104b(1)b) und c) EPÜ in Verbindung mit den Artikel 157(2)b) und 158(2) EPÜ anzuwenden.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 78(2)
European Patent Convention 1973 Art 79(2)
European Patent Convention 1973 Art 122(5)
European Patent Convention 1973 Art 157(2)(b)
European Patent Convention 1973 Art 158(2)
European Patent Convention 1973 R 104b(1)(b)
European Patent Convention 1973 R 104b(1)(c)
Schlagwörter: Wiedereinsetzung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0015/90
J 0008/91
J 0009/92
J 0020/92
J 0047/92
J 0009/93
J 0003/94
J 0004/94
J 0008/94
J 0012/94
J 0025/94
J 0014/95
J 0015/95
J 0016/95
J 0017/95
J 0024/95
J 0025/95
J 0009/96
J 0025/96
J 0005/98
J 0006/98
J 0017/98
J 0021/00
J 0006/01
J 0025/01
J 0009/02
J 0014/02
J 0015/02
J 0001/03
J 0007/03
J 0013/03
J 0026/03
J 0005/04
J 0008/04
J 0010/05
J 0001/08
J 0013/16
J 0004/23
T 0977/95
T 0493/08

Zusammenfassung des Verfahrens

I. In der der Juristischen Beschwerdekammer vorliegenden Sache J 16/90 (ABl. EPA 1992, 260) hat der Beschwerdeführer, der die Anmelde- und Recherchengebühr sowie die Benennungsgebühren für die von ihm eingereichte europäische Patentanmeldung weder innerhalb der Frist nach den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPU noch in der Nachfrist nach Regel 85a EPU entrichtet hatte, die Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPU beantragt.

II. Zur Stützung seines Antrags berief sich der Beschwerdeführer auf die Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer, wonach internationale Anmelder, die nach Artikel 45 (2) PCT ein europäisches Patent beantragt (nachstehend Euro-PCT-Anmelder genannt) und die entsprechenden Gebühren nicht entrichtet hatten, in ihre Rechte wiedereingesetzt worden seien. Der Grundsatz der Billigkeit verlange, daß Anmelder, die eine europäische Patentanmeldung direkt einreichten (nachstehend europäische Direktanmelder genannt), nicht schlechter gestellt würden als Euro-PCT-Anmelder.

III. Die Juristische Beschwerdekammer räumte ein, daß ihre bisherige Rechtsprechung möglicherweise nicht immer richtig gewesen sei; da es sich ihres Erachtens bei dem ihr vorliegenden Fall um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle, legte sie der Großen Beschwerdekammer folgende Fragen vor:

"1. Zur Wiedereinsetzbarkeit von Fristen für Zahlungen, die zu Beginn des Verfahrens vor dem EPA zu zahlen sind: a) Ist Artikel 122 EPU bei europäischen Anmeldungen anzuwenden auf die Fristen der Artikel 78 Absatz 2 und 79 Absatz 2 EPU?

b) Ist Artikel 122 EPU bei internationalen Anmeldungen anzuwenden auf die Frist zur Zahlung der in Artikel 158 Absatz 2 Satz 2 EPU genannten "nationalen Gebühr"?

2. Zur Wiedereinsetzbarkeit von Fristen zur Stellung des Prüfungsantrags:

a) Ist Artikel 122 EPU bei europäischen Anmeldungen anzuwenden auf die Frist des Artikels 94 Absatz 2 EPU?

b) Ist Artikel 122 EPU bei internationalen Anmeldungen anzuwenden auf die in Artikel 150 Absatz 2 Satz 4 EPU genannte Frist?

IV. Der Präsident des EPA hat in seiner gemäß Artikel 11a der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer vorgelegten Stellungnahme darauf hingewiesen, daß in der Rechtsprechung der Juristischen Beschwerdekammer europäische Direktanmelder und Euro-PCT-Anmelder insofern unterschiedlich behandelt worden seien, als letzteren eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der "nationalen Gebühr", der Recherchengebühr und der Prüfungsgebühr zugestanden worden sei.

Die rechtliche Grundlage für eine Wiedereinsetzung von Euro-PCT- Anmeldern sei Artikel 48 (2) a) PCT, wonach die Vertragsstaaten eine Fristüberschreitung durch einen PCT-Anmelder als entschuldigt anzusehen haben, wenn dies nach ihrem nationalen Recht unter vergleichbaren Umständen vorgesehen ist. Dieser Artikel verpflichte jedoch die Vertragsstaaten nicht dazu, Euro- PCT-Anmelder besser zu behandeln als Anmelder nationaler oder regionaler (europäischer) Direktanmeldungen. Da die Gebühren, die für die Euro-PCT-Anmeldung zu entrichten sind, den üblichen europäischen Gebühren auch von der Höhe her im wesentlichen entsprechen, liege kein Grund vor, die Wiedereinsetzung bei Euro- PCT-Anmeldungen, nicht aber bei europäischen Direktanmeldungen zuzulassen.

V. Der Beschwerdeführer hat der Großen Beschwerdekammer keine Stellungnahme vorgelegt.

Entscheidungsgründe

1. Recht auf Wiedereinsetzung bei Versäumung der Fristen nach den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPU sowie nach der Regel 104b (1) b) und c) EPU

1.1 In der Entscheidung, mit der die Große Beschwerdekammer befaßt wurde, wies die Juristische Beschwerdekammer auf ihre eigene Rechtsprechung hin, nach der dem Euro-PCT-Anmelder die Wiedereinsetzbarkeit in die Fristen zur Zahlung der nationalen Gebühr sowie der Recherchen-, Bestimmungs- und Prüfungsgebühr (s. z. B. die Entscheidung J 6/79, ABl. EPA 1980, 225, Nr. 6 der Entscheidungsgründe) oder in die Nachfrist nach Regel 85a EPU (Entscheidung J 32/86 vom 16. Februar 1987, unveröffentlicht; Entscheidung J 22/88, ABl. EPA 1990, 244) mit der Begründung zugebilligt wird, daß Artikel 122 (5) EPU, in dem die Ausnahmen vom allgemeinen Wiedereinsetzungsgrundsatz aufgeführt sind, restriktiv ausgelegt werden müsse. Da in Artikel 122 (5) EPU weder die Frist nach Artikel 150 (2) EPU noch diejenigen Fristen ausdrücklich genannt seien, die in Regel 104b (1) EPU in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPU vorgesehen seien, dürfe der Euro-PCT-Anmelder von der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in diese Fristen oder die entsprechenden Nachfristen Gebrauch machen.

1.2 Da diese Rechtsprechung einen neuen Sachverhalt geschaffen hat, der eine Ungleichbehandlung von europäischen Direktanmeldern und Euro-PCT-Anmeldern zur Folge hat, hat die Juristische Beschwerdekammer die Frage nach der Anwendbarkeit des Artikels 122 (5) EPU auf europäische Direktanmelder gestellt.

1.3 Zunächst muß geprüft werden, ob in der bisherigen Rechtsprechung die Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens richtig ausgelegt worden sind.

1.4 Artikel 48 (2) a) PCT lautet: "Jeder Vertragsstaat sieht, soweit er betroffen ist, eine Fristüberschreitung als entschuldigt an, wenn Gründe vorliegen, die nach seinem nationalen Recht zugelassen sind".

Infolgedessen kann der Euro-PCT-Anmelder, der eine bestimmte Verfahrenshandlung nicht innerhalb der im PCT vorgeschriebenen Frist vorgenommen hat, die einschlägigen Bestimmungen des EPU über die Wiedereinsetzung (Art. 122 EPU) in allen Fällen in Anspruch nehmen, in denen auch der europäische Direktanmelder bei Versäumung der entsprechenden Frist hiervon Gebrauch machen kann.

1.5 Uberdies sieht Artikel 48 (2) b) PCT folgendes vor: "Jeder Vertragsstaat kann, soweit er betroffen ist, eine Fristüberschreitung auch aus anderen Gründen als den in Buchstabe a genannten als entschuldigt ansehen". In Artikel 150 (2) EPU heißt es außerdem: "Internationale Anmeldungen nach dem Zusammenarbeitsvertrag können Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Patentamt sein. In diesen Verfahren sind der Zusammenarbeitsvertrag und ergänzend dieses Ubereinkommen anzuwenden." Aufgrund dieser Bestimmungen des PCT und des EPU ist Artikel 122 EPU auf Euro-PCT-Anmelder anzuwenden, d. h. diese können in alle Fristen wiedereingesetzt werden, die nicht nach Artikel 122 (5) EPU von der Wiedereinsetzung ausgeschlossen sind.

1.6 Artikel 122 (5) EPU erwähnt weder die Regel 104b (1) b) und c) EPU noch die Artikel 157 (2) b) und 158 (2) EPU ausdrücklich.

1.7 Gemäß Artikel 11 (4) PCT steht jedoch eine internationale Anmeldung, die die Erfordernisse der Ziffern i bis iii des Absatzes 1 dieses Artikels erfüllt, "einer vorschriftsmäßigen nationalen Anmeldung ... gleich". Entsprechendes ist nach Artikel 150 (3) EPU vorgesehen.

1.8 Unter diesen Umständen gilt jede internationale Anmeldung, die die vom PCT vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt und in der ein europäisches Patent beantragt wird, als vorschriftsmäßige europäische Patentanmeldung. Die Ubermittlung der internationalen Anmeldung an das EPA und die Zahlung der in Artikel 158 (2) EPU in Verbindung mit den Artikeln 22 (1) und 39 (1) PCT vorgeschriebenen nationalen Gebühr sind somit Verfahrenshandlungen, die der Einreichung einer europäischen Direktanmeldung und der Zahlung der diesbezüglichen Gebühren entsprechen. Der Begriff "nationale Gebühr" in Artikel 22 PCT steht hiermit im Einklang. Die in Regel 104b (1) b) und c) EPU festgesetzte Frist zur Zahlung der nationalen Gebühr bzw. der Recherchengebühr ist somit der Frist zur Zahlung der Anmelde- und Recherchengebühr sowie der europäischen Benennungsgebühren nach den Artikeln 78 (2) bzw. 79 (2) EPU durchaus vergleichbar, von der sie sich nur durch ihre Dauer unterscheidet. Die unterschiedliche Dauer der beiden Fristen ändert jedoch nichts an ihrer Rechtsnatur, da beide Fristen ihrem Wesen nach identisch sind. Dies ergibt sich allein schon aus dem Wortlaut der Regel 104b (1) b) EPU; danach ist die nationale Gebühr, die die Euro- PCT-Anmelder zu entrichten haben, nichts anderes als die Summe aus der in Artikel 78 (2) EPU vorgesehenen Anmeldegebühr, den Benennungsgebühren nach Artikel 79 (2) EPU und gegebenenfalls den Anspruchsgebühren nach Regel 31 EPU. Es ist daher rechtens, wenn die Fristen, die die Euro-PCT-Anmelder und die europäischen Direktanmelder zu beachten haben, gleich behandelt werden. Somit ergibt sich, daß sowohl die Fristen nach den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPU als auch die Fristen nach Regel 104b (1) b) und c) EPU in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPU von der Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPU ausgeschlossen sind.

2. Die Juristische Beschwerdekammer hat sich unter Nummer 6.1 ihrer Entscheidung die der Großen Beschwerdekammer allerdings nicht vorgelegte Frage gestellt, ob die Nachfrist nach Regel 85a EPU ebenso wie die entsprechenden Grundfristen als von der Wiedereinsetzung ausgeschlossen zu gelten habe.

Die Große Beschwerdekammer stellt hierzu fest, daß die Regel 85a EPU in die Ausführungsordnung aufgenommen worden ist, um die schwerwiegenden Folgen, die die Versäumung bestimmter nach Artikel 122 (5) EPU von der Wiedereinsetzung ausgeschlossener Fristen nach sich zieht, insoweit zu mildern, als den europäischen Patentanmeldern, die diese Fristen nicht eingehalten haben, eine letzte Möglichkeit geboten wird, ihr Versäumnis innerhalb einer Nachfrist und gegen Entrichtung einer Zuschlagsgebühr wiedergutzumachen. Die Nachfrist nach Regel 85a EPU ist also eng an die Grundfristen nach den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPU bzw. nach der Regel 104b (1) b) und c) EPU gebunden und ist daher ebenso wie diese nach Artikel 122 (5) EPU von der Wiedereinsetzung ausgeschlossen.

3. Die Große Beschwerdekammer braucht sich zu den übrigen in der Entscheidung gestellten Fragen nicht zu äußern, da sie sich nicht in Zusammenhang mit der Sache J 16/90 stellen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Artikel 122 (5) EPU ist sowohl auf die Fristen nach den Artikeln 78 (2) und 79 (2) EPU als auch auf diejenigen nach Regel 104b (1) b) und c) EPU in Verbindung mit den Artikeln 157 (2) b) und 158 (2) EPU anzuwenden.

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