T 0885/97 (Bogenauslegen/HEIDELBERGER) of 3.12.1998

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1998:T088597.19981203
Datum der Entscheidung: 03 Dezember 1998
Aktenzeichen: T 0885/97
Anmeldenummer: 92916319.4
IPC-Klasse: B65H 43/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Einrichtung zur Regelung und/oder Steuerung einzelner Stellelemente im Auslegerbereich einer Druckmaschine
Name des Anmelders: Heidelberger Druckmaschinen Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: MAN Roland Druckmaschinen AG
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/83
T 0007/86
T 0766/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0218/07

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 18. Juli 1992 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 92 916 319.4 wurde das europäische Patent Nr. 553 321 erteilt.

II. Gegen dieses Patent wurde ein Einspruch eingelegt mit dem Antrag, das Patent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit dessen Gegenstandes (Artikel 100 a) EPÜ) zu widerrufen. Die Einspruchsabteilung wies mit ihrer am 16. Juni 1997 zur Post gegebenen Entscheidung den Einspruch zurück.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 16. August 1997 unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 14. Oktober 1997 begründet.

IV. Die Beschwerdeführerin hat sich auf folgende Druckschriften berufen:

D1: DE-A-3 413 179;

D2: E. IMEK, Bogenbremsung an der Hinterkante in der Bogenauslage von Bogendruckmaschinen, Dissertationsschrift zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktor-Ingenieurs (Tag der Verteidigung: 19. April 1973).

V. Am 3. Dezember 1998 ist mündlich verhandelt worden.

Während der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin einen geänderten Anspruch 1 eingereicht und auf diesem Anspruch ihren Hauptantrag basiert. Dieser Anspruch lautet wie folgt:

"1. Einrichtung zur Regelung und/oder Steuerung einzelner Stellelemente (9, 10, 11) im Bereich des Auslegers (1) einer Bogendruckmaschine, wobei mindestens eine Eingabevorrichtung (12) zur Eingabe von bogen- und druckmaschinenspezifischen Kenndaten und mindestens eine Rechenvorrichtung (13) zur Weiterverwendung der Kenndaten vorgesehen sind und wobei weiterhin eine Steuervorrichtung (14) vorgesehen ist, die bei einzelnen Stellelementen (9, 10, 11) eine formatabhängige Einstellung gemäß den eingegebenen Kenndaten veranlaßt,

dadurch gekennzeichnet

daß die Recheneinrichtung (13) aus den Kenndaten die Energie des in der Auslage ankommenden Bogens (6) berechnet, daß die Rechenvorrichtung (13) weiterhin entsprechend den errechneten Energiewerten die Ansteuergrößen für die Saugwalze (9) und/oder die Greiferöffnungskurve (10) derart bestimmt, daß die durch diese Elemente bewirkte Energieentnahme im wesentlichen der Energie des im Auslegerbereich ankommenden Bogens (6) entspricht und daß die Steuervorrichtung (14) die Saugwalze (9) und/oder die Greiferöffnungskurve (10) entsprechend den errechneten Werten ansteuert."

VI. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen vorgetragen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin - sowohl ausgehend von der Druckschrift D1 und im Hinblick auf die allgemeinen Fachkenntnisse, als auch im Hinblick auf die Verknüpfung der Druckschriften D1 und D2 - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diesen Ausführungen widersprochen.

VII. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Als Hauptantrag hat die Beschwerdegegnerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent aufgrund folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: 1, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2. bis 12, wie erteilt;

Beschreibung: Spalten 1 und 2, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung, 3. bis 8, wie erteilt;

Figuren: 1 und 2, wie erteilt.

Hilfsweise hat die Beschwerdegegnerin beantragt, das Patent aufgrund der mit der Bezeichnung "Hilfsantrag" gekennzeichneten Ansprüche 1 bis 8 aufrechtzuerhalten, die in der mündlichen Verhandlung überreicht wurden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Zum beanspruchten Gegenstand (Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin)

2.1. Merkmalsanalyse des unabhängigen Anspruchs 1

Der Anspruch 1 ist auf eine Einrichtung zur Regelung und/oder Steuerung einzelner Stellelemente (9, 10, 11) im Bereich des Auslegers einer Bogendruckmaschine gerichtet, die mit den folgenden Merkmalen versehen ist:

A) Eine Eingabevorrichtung (12) ist vorgesehen,

A1) die Eingabevorrichtung eignet sich zur Eingabe von bogen- und druckmaschinenspezifischen Kenndaten,

B) eine Rechenvorrichtung (13) ist vorgesehen,

B1) die Rechenvorrichtung eignet sich zur Weiterverwendung der Kenndaten,

C) eine Steuervorrichtung (14) ist vorgesehen,

C1) die Steuervorrichtung veranlaßt bei einzelnen Stellelementen (9, 10, 11) eine formatabhängige Einstellung gemäß den eingegebenen Kenndaten,

B2) die Recheneinrichtung (13) berechnet aus den Kenndaten die Energie des in der Auslage ankommenden Bogens (6),

B3) die Recheneinrichtung (13) bestimmt die Ansteuergrößen für die Saugwalze und/oder die Greiferöffnungskurve (10)

B31) derart, daß die durch diese Elemente bewirkte Energieentnahme im wesentlichen der Energie des im Auslegerbereich ankommenden Bogens (6) entspricht,

B32) und derart, daß die Steuervorrichtung die Saugwalze (9) und/oder die Greiferöffnungskurve (10) entsprechend den errechneten Werten ansteuert.

2.2. Hinsichtlich des Anspruchs 1 ist folgendes festzustellen:

i) Das Merkmal B2, welches sich auf die Energie des in der Auslage ankommenden Bogens bezieht, besagt, daß die Recheneinrichtung die Energie jedes ankommenden Bogens berechnen kann. Unter dem Begriff "Energie" ist die kinetische Energie des Bogens zu verstehen.

ii) Der im ersten kennzeichnenden Merkmal (Merkmal B2) enthaltene Ausdruck "Recheneinrichtung" und der in den Merkmalen B, B1, B3 enthaltene Ausdruck "Rechenvorrichtung" bezeichnen dieselbe technische Entität.

iii) Aufgrund der Ausdruckes "und/oder" läßt das Merkmal B3 drei Möglichkeiten zu. Die Rechenvorrichtung bestimmt die Ansteuergrößen entweder für die Saugwalze, oder für die Greiferöffnungskurve, oder für die Saugwalze und die Greiferöffnungskurve. Das Merkmal B32, welches in Verbindung mit dem Merkmal B3 zu sehen ist, bezieht sich auch auf diese drei möglichen Steuerungsarten.

3. Zur Zulässigkeit der Änderungen (Hauptantrag)

3.1. Der vorliegende Anspruch 1 unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 dadurch, daß

die Ausdrücke "/oder" bzw. "und/oder die Blasdüsen (11) über den Auslagestapel (7)" aus dem Ausdruck "Eingabevorrichtung (12) zur Eingabe von bogen- und/oder druckmaschinenspezifischen Kenndaten" bzw. aus den Merkmalen, nach welchen "die Rechenvorrichtung (13) ... die Ansteuergrössen für die Saugwalze (9) und/oder die Greiferöffnungskurve (10) und/oder die Blasdüsen (11) über den Auslagestapel (7) ... bestimmt" und "die Steuervorrichtung (14) die Saugwalze (9) und/oder die Greiferöffnungskurve (10) und/oder die Blasdüsen (11) über den Auslagestapel (7) ... ansteuert" (siehe die oben genannten Merkmale A1, B3 und B32) gestrichen worden sind.

Durch diese Änderungen werden (alternative) Ausführungsmöglichkeiten ausgeschlossen, die durch den erteilten Anspruch 1 sowie den ursprünglichen Anspruch 1 gedeckt wurden. Daher haben diese Änderungen eine Basis im ursprünglichen Anspruch 1 selbst (Artikel 123 (2) EPÜ) und bewirken eine Beschränkung des Schutzbereiches bezüglich des erteilten Anspruch 1 (Artikel 123 (3) EPÜ).

3.2. Die Änderungen der Beschreibung stellen die Anpassung an den geänderten Anspruch 1 dar.

3.3. Die vorgenommenen Änderungen verletzen weder die Erfordernissen des Artikels 123 EPÜ, noch beeinträchtigen sie die Klarheit des Anspruchs 1.

4. Neuheit (Hauptantrag)

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ. Die Neuheit wurde nicht bestritten.

5. Aufgabe und Lösung

5.1. Die Beteiligten und die Kammer sind sich einig, daß sich der nächstkommende Stand der Technik aus der Druckschrift D1 ergibt. Diese Druckschrift beschreibt eine Einrichtung zur Steuerung einzelner Stellgrößen (z. B. die Stärke des Unterdrucks an den Saugrädern 14 oder die Lage der Greiferöffnungskurve) im Bereich des Auslegers einer Bogendruckmachine, wobei eine Eingabevorrichtung 45, 47, 47a, die sich zur Eingabe von bogen- und druckmaschinenspezifischen Kenndaten (Papiergewicht, Bogenformatlänge bzw. -breite) eignet, eine Rechenvorrichtung 42, die sich zur Weiterverwendung der Kenndaten eignet, und eine Steuervorrichtung, die bei einzelnen Stellelementen eine formatabhängigen Einstellung gemäß den eingegebenen Kenndaten veranlaßt, vorgesehen sind (siehe insbesondere die Figur 10 und die entsprechende Beschreibung).

Es geht aus der Druckschrift D1 auch hervor, daß durch die Einrichtung, nämlich durch die Saugräder eine Bremswirkung auf jeden Bogen derart ausgeübt wird, daß der Bogen "wegen seiner eigenen kinetischen Energie" sanft den Papieranschlag des Bogenstapels erreicht (siehe Seite 9, 2. Absatz, 4. und 5. Satz).

Zur Einstellung der Stärke des Unterdrucks an den Saugrädern 14 bzw. der Lage der Greiferöffnungskurve werden bei dieser Einrichtung Sollwerte, die für jeden Betriebszustand empirisch ermittelt wurden und in Form eines Kennlinienfeldes in einem Speicher gespeichert sind, errechnet und an einen Sollwertgeber abgegeben. Dies ermöglicht, die Stellelemente der Einrichtung optimal einzustellen und entsprechend einem vorgegeben Programm automatisch den sich ändernden Verhältnissen nachzuregeln.

5.1.1. Die Kammer kann dem Argument der Beschwerdeführerin nicht folgen, nach welchem auch die Merkmale B3 bis B32 aus der Druckschrift D1 (Seite 9, 2. Absatz, 5. Satz) bekannt seien.

Bei der Einrichtung nach dieser Druckschrift können die Ansteuergrössen für einige Stellelemente (u. a. die Stärke des Unterdrucks an den Saugrädern bzw. die Lage der Greiferöffnungskurve) entsprechend den Sollwerten angesteuert werden, die aus den Kennlinienfeldern errechnet werden. Obwohl durch diese Ansteuerung eine Energieentnahme bewirkt wird, die im wesentlichen der kinetischen Energie der Bogen entspricht, liefert die Druckschrift D1 keinen Hinweis darauf, daß diese Energie berechnet wird und die Ansteuerung entsprechend den errechneten Werten erfolgt.

5.2. Als Nachteil für die Einrichtung nach dem nächstkommenden Stand der Technik wird die empirische Ermittlung der Sollwerte insofern angesehen, als sie langwierig ist und von einem qualifizierten Fachmann durchgeführt werden muß. Es ist außerdem davon auszugehen, daß die Kennlinienfelder nicht aus kontinuierlichen Kennlinien, sondern aus einer Reihe punktueller Meßwerte bestehen, so daß in vielen Fällen die Berechnung der Sollwerte eine Interpolation erfordert (siehe hierzu die Passagen in der Beschreibung des Patentes, Spalte 1, Zeilen 29 bis 43, die mit entsprechenden Passagen in der Beschreibung, Seite 1, 3. Absatz bis Seite 1, 5. Zeile der ursprünglichen Anmeldung WO-A-93/03990 identisch sind).

Die zu lösende Aufgabe kann daher darin gesehen werden, diese Nachteile zu beseitigen und somit die Arbeitsweise der Einrichtung zu verfeinern.

5.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Einrichtung nach dem nächstkommenden Stand der Technik durch die Merkmale B2, B3, B31 und B32 (siehe die vorstehenden Abschnitte 2.1, 5.1 und 5.1.1).

Durch das Merkmal, nach welchem die Recheneinrichtung aus den Kenndaten die Energie des Bogens errechnet wird (Merkmal B2), wird die zeitaufwendige empirische Ermittlung der Kennlinien vermieden.

Aufgrund der Merkmale B3 bis B3.2 erfolgt die Abbremsung des Bogens entsprechend errechneten Werten, die der berechneten Energie des ankommenden Bogens entsprechen. Dies bewirkt, daß die optimale Einstellwerte für die Ansteuergröße der Saugwalze und/oder für die Greiferöffnungskurve für jeden Betriebszustand der Bodendruckmaschine und für jeden Druckauftrag errechnet werden können.

Es ist daher glaubhaft, daß der beanspruchte Gegenstand die oben erwähnte Aufgabe löst.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1. Die beanspruchte Lösung basiert auf der Idee, die Recheneinrichtung, welche die eingegebenen bogen- und druckmaschinenspezifischen Kenndaten verwendet, derart zu benutzen, daß sie auch die kinetische Energie des ankommenden Bogens berechnet und aus dem errechneten Wert aufgrund eines Algorithmus, welcher die Entnahme der kinetischen Energie des Bogens während dessen Abbremsung berücksichtigt, die Ansteuergröße für die Greiferöffnungskurve und/oder die Saugwalze ermittelt.

In diesem Zusammenhang ist folgendes festzustellen:

Der Druckschrift D1, die 1985 veröffentlicht wurde, kann man entnehmen (siehe Seite 9, 2. Absatz), daß die Abbremsung des Bogens den Abbau der kinetischen Energie des in der Auslage ankommenden Bogens bewirkt. Dennoch bedeutet dies weder eine Berechnung der kinetischen Energie des Bogens noch einen Einsatz des Rechners für diese Berechnung.

Die Dissertationsschrift D2, die 1972 eingereicht und 1973 verteidigt wurde, offenbart eine Berechnungsmethode, mittels welcher der horizontale Abstand (LÖff) zwischen der Achse der Saugräder und der Greiferöffnungskurve als Funktion der Bogenlänge (LBg), des Abstandes von zwei hintereinanderkommenden Greifern (LGr), der Umfangsgeschwindigkeit der Saugwalze (wSW), der Geschwindigkeit der Greifer (wGr), der Bremskraft (FBr) und der Bogenüberlappung bzw. des Anspringweges (xa) berechnet werden kann (siehe insbesondere die Gleichung 7.10a auf Seite 97). Es wird aber dadurch weder offenbart noch suggeriert, daß die kinetische Energie eines jeden in der Auslage ankommenden Bogens berechnet werden kann. Darüber hinaus weist die Druckschrift D2 in keiner Weise auf die Möglichkeit hin, einen Rechner zur Berechnung oder zur Steuerung zu benutzen.

Es ist somit davon auszugehen, daß der vorliegende Stand der Technik nicht auf die Idee hinweist, auf welcher die beanspruchte Lösung basiert.

6.2. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, daß die Druckschrift D1 eine Einrichtung beschreibe, die bereits mit einem Rechner vorgesehen ist, und angebe (Seite 9, 2. Absatz), daß die kinetische Energie des Bogens zu dessen Abbremsung durch die Saugräder aufgezehrt werden muß. Es sei für den Fachmann naheliegend, in Kenntnis des Inhaltes der Druckschrift D1 einen Lösungsweg aufzufinden, nach welchem aus den verfügbaren bogen- und druckmaschinenspezifischen Kenndaten (d. h. aus dem Gewicht, dem Format und der Geschwindigkeit des Bogens) die kinetische Energie des in der Auslage ankommenden Bogens berechnet wird und aufgrund dieser Berechnung die Ansteuergröße für die Stellelemente ermittelt werden. In diesem Zusammenhang wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß die der Druckschrift D1 entsprechende Patentanmeldung 1984 angemeldet wurde und daß nach 1984 modernere Rechner entwickelt worden seien, welche zur Steuerung eines Verfahrens bzw. einer Maschine optimal eingesetzt werden und die Berechnung der kinetischen Energie des Bogens in schnellerer und einfacher Weise ausführen konnten. Daher sei die beanspruchte Lösung für den Fachmann allein in Kenntnis des Inhaltes der Druckschrift D1 ohne erfinderisches Zutun auffindbar gewesen.

Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen, weil sie das Ergebnis einer rückblickenden Betrachtungsweise darstellt.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 2/83, ABl. EPA 1984, 265; T 7/86, ABl. EPA 1988, 381 und T 766/89 vom 12. März 1993, die sich auf den sogenannten "Could-would-approach" beziehen) handelt es sich bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darum, ob ein Fachmann zur beanspruchten Lösung hätte kommen können ("could"), sondern darum, ob er in der Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils zu dieser Lösung gekommen wäre ("would").

Die Tatsache, daß die Rechner späterer Generationen schneller arbeiten können als die Rechner, die 1984 im Einsatz waren, und daß daher die technische Möglichkeit (theoretisch) bestand, die Stellelemente der Einrichtung aufgrund eines Algorithmus (statt Kennlinienfelder) anzusteuern, bedeutet nicht, daß der Fachmann von dieser technischen Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht hätte.

Es ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, wie und warum der Fachmann, ohne einen konkreten Hinweis auf die kausale Beziehung zwischen dieser technischen Möglichkeit und der zu lösenden Aufgabe, tatsächlich zur Idee gekommen wäre, die kinetische Energie jedes Bogens zu berechnen und die Stellelemente der Einrichtung aufgrund der berechneten Werten anzusteuern.

6.3. Die Beschwerdeführerin hat auch vorgetragen, daß der Fachmann die beanspruchte Lösung auffinde, wenn er die Druckschriften D1 und D2 verknüpft. Die Druckschrift D2 offenbare die rechnerische Ermittlung des horizontalen Abstandes (LÖff) zwischen der Achse der Saugräder und der Greiferöffnungskurve (Gleichung 7.10a bzw. 7.10b auf Seite 97). Die Berechnung berücksichtige die Bremskraft, welche die Saugräder ausüben müssen, um den Bogen derartig abzubremsen, daß er in einer bestimmten Lage auf den Stapel gegen einen Anschlag zum liegen kommt. Der letzte Term der Gleichung 7.10a bzw. 7.10b entspreche der kinetischen Energie des Bogens. Mit dieser Gleichung, die auch die Größe "Bogenüberlappung" (d. h. die Überlappung von zwei hintereinandergehenden Bogen) berücksichtigt, könne die Papierlänge, über welche die Saugkraft der Saugräder wirkt, wenn die Bogenüberlappung gleich Null ist, als reine Funktion der kinetischen Energie des in der Auslage ankommenden Bogens berechnet werden. Die Druckschrift D2 liefere dem Fachmann ein theoretisches Rüstzeug, d. h. die Anweisung, daß aus der Energie des ankommenden Bogens eine Einstellgröße für die Greiferöffnungskurve herleitbar ist. Diese Anweisung führe den Fachmann in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand.

Die Kammer kann auch diesen Argumenten aus den folgenden Gründen nicht folgen.

Es ist zuerst zu bemerken, daß aus der Druckschrift D2 hervorgeht, daß eine Bogenüberlappung notwendig ist, um das Vakuum in der Saugleitung ständig aufgebaut zu halten und daher die Bremskraft während des ganzen Bremsvorganges konstant zu halten (siehe Seite 93, 1. Absatz und Seite 94, 1. Absatz).

Im mit dem Titel "Berechnung der Greiferöffnungskurveneinstellung" versehenen Abschnitt 7.2.2.1 der Druckschrift D2 (siehe Seiten 93 bis 98) wird aufgrund theoretischer Überlegungen eine Berechnungsmethode vorgelegt, mittels welcher der horizontale Abstand (LÖff) zwischen der Achse der Saugräder und der Greiferöffnungskurve (d. h. die Ansteuergröße für die Greiferöffnungskurve) als Funktion der Bogenlänge (LBg), des Abstandes von zwei hintereinanderkommenden Greifern (LGr), der Umfangsgeschwindigkeit der Saugwalze (wSW), der Geschwindigkeit der Greifer (wGr), der Bremskraft (FBr) und der Bogenüberlappung bzw. des Anspringweges (xa) berechnet werden kann, siehe z. B. die Gleichung 7.10a auf Seite 97. Aus dem gleichen Abschnitt (siehe Seite 98, 2. Absatz) geht hervor, daß die Größen LBg, LGr, wSW und wGr genau ermittelt werden können. Dennoch, da die Bestimmung der Bremskraft FBr und der Überlappung xa nicht fehlerfrei ist, muß für die praktische Anwendung der Methode eine Korrektur vorgesehen werden (siehe Seite 98, 3. Absatz).

Im mit dem Titel "Praktische Durchführung der Greiferöffnungskurveneinstellung" versehenen Abschnitt 7.2.2.2 (siehe Druckschrift D2, Seiten 98 und 99) wird die Nachstellung der Greiferöffnungskurveneinstellung (d. h. die oben genannte Korrektur) beschrieben. Es geht aus diesem Abschnitt hervor, daß die richtige Einstellung der Greiferöffnungskurve empirisch mittels der im Bild 44 (Seite 99) dargestellten Kontrolleinrichtung erreicht wird, indem man - ausgehend vom errechneten Wert des Abstandes LÖff - den Abstand durch Verschieben der Greiferöffnungskurve in der Bogenlaufrichtung zuerst vergrößert, bis ein Druckabfall in der Saugleitung registriert wird (wobei die Bogenüberlappung nicht mehr vorhanden ist), und dann ihn durch Verschieben der Greiferöffnungskurve in der entgegengesetzte Richtung verringert, bis ein konstanter Unterdruck in der Saugleitung erreicht wird (wobei die erforderliche oder eine größere Bogenüberlappung vorhanden ist). Darüber hinaus wird dort ausgeführt (siehe Seite 99, 2. Absatz), daß diese praktische Methode zeitaufwendig ist und den Nachteil hat, daß sie bei jeder Veränderung der Maschinengeschwindigkeit, der Papiersorte, der Papierformates usw. vorgenommen werden muß.

In der Tat kann der Fachmann aus der Druckschrift D2 die Lehre herleiten, daß die Greiferöffnungskurve empirisch einzustellen ist. Diese empirische Methode wird sogar für eine automatisierte Greiferöffnungskurveneinstellung vorgeschlagen (siehe den Abschnitt 7.2.2.3 (Seiten 99 und 100). Die Druckschrift D2 kann somit keine Anregung liefern, die den Fachmann auf die Idee kommen läßt, die Berechnung der Greiferöffnungskurveneinstellung maschinell, d. h. ausschließlich mittels eines Rechners auszuführen und diese Berechnung für die praktische Durchführung der Einstellung zu benutzen.

6.3.1. Die Beschwerdeführerin hat auf die Ansprüche 7 und 8 des angefochtenen Patentes hingewiesen, die sich auf den Korrekturfaktor (k) beziehen, und vorgetragen, daß für die praktische Einstellung der Greiferöffnungskurve eine Korrektur sowohl bei der Methode nach dem angefochtenen Patent, als auch bei der Methode, die in der Druckschrift D2 beschrieben ist, erforderlich sei. Daher entspreche die Methode nach der Druckschrift D2 im wesentlichen der im angefochtenen Patent angegebenen Methode.

Die Kammer kann auch diesem Argument nicht folgen, weil es sich beim angefochtenen Patent um eine Korrektur anderer Art handelt. Wie bereits im obigen Abschnitt 6.3 ausgeführt wurde, besteht die "Korrektur", die in der Druckschrift D2 vorgeschlagen wird, in der empirischen Einstellung der Greiferöffnungskurve. Beim angefochtenen Patent wird eine Korrektur rechnerischer Art vorgeschlagen, insofern als ein Korrekturfaktor, der über die Eingabevorrichtung eingegeben wird, durch die Recheneinrichtung bei der Berechnung der Saugkraft der Saugwalze oder der Papierlänge, über welche die Saugkraft der Saugwalze wirkt, berücksichtigt wird.

6.4. Angesichts der obigen Ausführungen ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Artikel 56 EPÜ).

6.5. Die Ansprüche 2 bis 12 stellen besondere Ausführungsarten der im Anspruch 1 definierten Erfindung dar.

7. Das Patent kann daher aufgrund des Hauptantrages der Beschwerdegegnerin aufrechterhalten werden. Es ist somit nicht notwendig auf den Hilfsantrag einzugehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ansprüche: 1, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2. bis 12, wie erteilt;

Beschreibung: Spalten 1 und 2, wie überreicht in der mündlichen Verhandlung; Spalten 3 bis 8, wie erteilt;

Figuren: 1 und 2, wie erteilt.

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