T 0879/92 ("Wesentlicher Verfahrensfehler") of 16.3.1994

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1994:T087992.19940316
Datum der Entscheidung: 16 März 1994
Aktenzeichen: T 0879/92
Anmeldenummer: 84116366.0
IPC-Klasse: E05B 49/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: C
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Steuervorrichtung
Name des Anmelders: VDO Adolf Schindling AG
Name des Einsprechenden: Siemens AG
Kammer: 3.5.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 Art 116(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: Wesentlicher Verfahrensfehler (bejaht)
Beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt
Reimbursement of appeal fees - procedural violation (yes) - refusal of a request for oral proceedings
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0766/90
T 0795/91
T 0035/92
T 0686/92
Anführungen in anderen Entscheidungen:
J 0012/15
T 0803/95
T 1951/16
T 2687/17

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 84 116 366.0 vom 27. Dezember 1984, welche die Priorität aus der Voranmeldung vom 24. Februar 1984 (DE 3 406 746) beanspruchte, wurde das europäische Patent Nr. 0 153 499 erteilt. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 10. Oktober 1990 bekanntgemacht.

II. Gegen das erteilte Patent hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent zu widerrufen, da dessen Gegenstand nach Artikel 100 (a) EPÜ in Verbindung mit Artikeln 52 (1) und 54. (3) EPÜ nicht neu sei. Hilfsweise hat sie eine Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

III. Mit Entscheidung vom 9. Juli 1992 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen, zurückgewiesen. In den Gründen wurde u. a. ausgeführt:

"Die Einspruchsabteilung nimmt ferner zur Kenntnis, daß der Einsprechende seinen anfängliche Hilfsantrag auf eine mündliche Verhandlung trotz einer entsprechenden Aufforderung dazu der Einspruchsabteilung nicht bestätigt hat. Es wird deshalb davon ausgegangen, daß der Einsprechende die Auffassung der Einspurchsabteilung teilt, daß bei der vorliegenden Sachlage eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung getroffen werden kann."

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 9. September 1992 Beschwerde eingereicht und am selben Tag mit einem Abbuchungsauftrag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 9. November 1992 eingereicht.

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit. Hilfsweise beantragt sie eine mündliche Verhandlung.

V. In einem Schriftsatz vom 12. März 1993 hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ und ist zulässig.

2. Im vorliegenden Fall ist die Einspruchsabteilung angesichts des Ausbleibens einer Antwort auf ihre Anfrage (Bescheid der Einspruchsabteilung vom 11. Dezember 1991), ob im Hinblick auf die beabsichtigte Entscheidung am Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung festgehalten werde, davon ausgegangen, daß dies nicht mehr der Fall sei.

3. Sofern die Einspruchsabteilung nicht von sich aus zu einer mündlichen Verhandlung lädt, setzt die Durchführung einer solchen einen Antrag einer Partei, d. h. eine Willenserklärung voraus (Artikel 116 (1) EPÜ). Ist ein Antrag gestellt, so kann dieser durch eine gegenteilige Willenserklärung zurückgenommen werden. Dafür, daß eine Rücknahme auch durch Untätigkeit, d. h. bloßes Stillschweigen folgen könnte, besteht im EPÜ keine Grundlage (vgl. T 766/90, T 35/92 und T 795/91, alle nicht veröffentlicht).

Obwohl die Einspruchsabteilung eine Antwort auf die von ihr gestellte Anfrage hätte erwarten können und ihre Aufforderung im Hinblick auf den Grundsatz der Verfahrensökonomie durchaus seine Berechtigung hatte, fehlt dennoch jeglicher rechtliche Grund, das Schweigen der Beschwerdeführerin sinngemäß als Rücknahme des Hilfsantrags auf eine mündliche Verhandlung zu werten.

Die Nichtgewährung des Antrags auf mündliche Verhandlung stellt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs dar, welche im Verlust der Möglichkeit sich direkt vor der zuständigen Instanz zu äußern, resultiert (Artikel 113 (1) EPÜ). Darin ist ein so wesentlicher Verfahrensfehler zu sehen, daß dadurch die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung notwendig erscheint, obwohl die Beschwerdeführerin die Aufhebung der Entscheidung nicht wegen Verfahrensfehler beantragt hat (vgl. T 686/92, nicht veröffentlicht).

4. Aus diesem Grunde entspricht auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit (Regel 67 EPÜ).

5. Der hilfsweise gestellte Antrag der Beschwerdeführerin auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ist gegenstandslos, da aufgrund der Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur weiteren Prüfung keine das Erteilungsverfahren abschließende und die Beteiligten beschwerende Entscheidung von der Beschwerdekammer getroffen wird. Den Beteiligten bleibt somit die Möglichkeit der Überprüfung einer Entscheidung der ersten Instanz durch die Beschwerdekammer, gegebenenfalls, wenn beantragt, mit Durchführung einer mündlichen Verhandlung, erhalten.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Verfahren fortzusetzen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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