T 2687/17 () of 18.1.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T268717.20190118
Datum der Entscheidung: 18 Januar 2019
Aktenzeichen: T 2687/17
Anmeldenummer: 05737999.2
IPC-Klasse: F16G 13/16
H02G 11/00
H05F 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ENERGIEFÜHRENGSKETTE
Name des Anmelders: igus GmbH
Name des Einsprechenden: Tsubaki Kabelschlepp GmbH
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 116(1)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Schlagwörter: Mündliche Verhandlung - Antrag auf mündliche Verhandlung
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz - wesentlicher Mangel im Verfahren vor der ersten Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0012/15
T 0879/92
T 1951/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0831/17
T 1456/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die am 13. Oktober 2017 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent 1738092 zurückzuweisen.

II. Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist der Antrag der Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr aufgrund eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers zurückzuzahlen.

III. Der Antrag der Beschwerdeführerin stützt sich darauf, dass die Einspruchsabteilung ihrem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht stattgegeben hat. Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

a) Die Beschwerdeführerin legte am 10. März 2016 einen Einspruch gegen das Patent ein. Auf dem Formblatt 2300 findet sich unter Punkt "VIII. Sonstige Anträge" Folgendes: "Hiermit wird hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt." In der Begründung des Einspruchs findet sich kein entsprechender Antrag.

b) Auch die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) hatte im Einspruchsverfahren einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Allerdings wurde dieser Antrag mit Schreiben vom 15. Mai 2017 zurückgenommen.

c) In einer Kurzmitteilung vom 24. Mai 2017 informierte die Einspruchsabteilung die Parteien darüber, dass die Ladung zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und das Verfahren schriftlich fortgesetzt werde. Ein weiterer Schriftwechsel zwischen den Parteien folgte (22. Juni und 22. September 2017), wobei das Thema schriftliches Verfahren bzw. Nicht-Anberaumen der mündlichen Verhandlung nicht thematisiert wurde.

d) Die Entscheidung der Einspruchabteilung erging ohne das Anberaumen einer mündlichen Verhandlung.

IV. In ihrer Mitteilung vom 17. September 2018 äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass im Verfahren vor der Einspruchsabteilung gegen Artikel 116(1) EPÜ verstoßen wurde, und dass dieser Verstoß eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige. In Bezug auf eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung äußerte sich die Kammer kritisch zu den von der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung vorgebrachten Argumente, warum besondere Gründe gegen eine solche Zurückverweisung sprächen.

V. Mit Schreiben vom 12. November 2018 erklärte die Beschwerdegegnerin, dass sie dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Ausbleiben der beantragten mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zustimme. Sie beantragte ausdrücklich - in Einklang mit dem Antrag der Beschwerdeführerin - die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung. Darüber hinaus nahm sie den Antrag auf mündliche Verhandlung betreffend des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Antrags der Beschwerdeführerin (siehe Punkt II.) zurück.

VI. Aufgrund der Antragslage ergeht diese Entscheidung im schriftlichen Verfahren.

Entscheidungsgründe

1. Gemäß Artikel 116 (1) EPÜ findet eine mündliche Verhandlung "entweder auf Antrag eines Beteiligten oder, sofern das Europäische Patentamt dies für sachdienlich erachtet, von Amts wegen statt..."

2. Bereits aus dem Wortlaut des Artikels 116 (1) EPÜ ergibt sich, dass das jeweilige Organ des EPA keinen Ermessensspielraum hat, wenn ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt wurde. Liegt ein Antrag auf mündliche Verhandlung vor, so muss diese stattfinden. Dies ist auch durch die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern bestätigt worden ("Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 8. Auflage, III.C.1.1.1 und die darin angeführten Entscheidungen).

3. Dass der Antrag auf mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall "nur" auf dem Formblatt 2300 gestellt und nicht in der Begründung des Einspruchs wiederholt wurde ist nach Ansicht der Kammer nicht relevant, denn es gibt keine Begründungspflicht für einen Antrag auf mündliche Verhandlung.

4. Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde "hilfsweise" gestellt. Dies ist so auszulegen, dass eine mündliche Verhandlung beantragt wurde für den Fall, dass die Einspruchsabteilung die Anträge der antragstellenden Partei nicht vollumfänglich gewährt. Da die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen hat, hat sie den Antrag, das Patent zu widerrufen, nicht gewährt. Der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde für einen solchen Fall gestellt.

5. Da der Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt war, kann das Nicht-Anberaumen der mündlichen Verhandlung nur dann rechtmäßig sein, wenn der Antrag zurückgenommen wurde. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann ein Antrag auf mündliche Verhandlung nur durch eine eindeutige gegenteilige Willenserklärung zurückgenommen werden (siehe hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern, Kapitel III.C.2.3). Eine Rücknahme kann nicht durch Untätigkeit bzw. Stillschweigen erfolgen, denn dies kann nicht als eindeutige Willenserklärung angesehen werden (siehe hierzu z.B. T 879/92, Gründe 3; J 12/15, Gründe 8; T 1951/16, Gründe 1.4). An einer eindeutigen Willenserklärung, den Antrag zurückzunehmen, fehlt es im vorliegenden Fall.

6. Insbesondere kann die nach der Kurzmitteilung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufhebung der Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgte schriftliche Eingabe der Beschwerdeführerin nicht als Zustimmung zum Übergang in das rein schriftliche Verfahren gewertet werden, da solch eine Bewertung dem Erfordernis einer eindeutigen Willenserklärung, den Antrag auf mündliche Verhandlung zurückzunehmen, widerspricht. Somit wurde der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht zurückgenommen und die Einspruchsabteilung entschied im vorliegenden Fall über den Einspruch, ohne den Antrag auf mündliche Verhandlung zu gewähren.

7. Die Nichtgewährung des Antrags auf mündliche Verhandlung stellt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs (Artikel 113 (1) EPÜ) dar, denn es wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, sich direkt vor der Einspruchsabteilung zu äußern und sie gegebenenfalls umzustimmen.

8. Die fundamentale Bedeutung des Rechts auf mündliche Verhandlung ergibt sich sowohl daraus, dass es in einem Artikel des EPÜ verankert ist, als auch daraus, dass eine Nichtanberaumung einer von einer Partei beantragten mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer einen schwerwiegenden Verfahrensmangel darstellen kann, auf den ein Antrag auf Überprüfung gestützt werden kann (Art. 112a (2) d) i.V.m. R. 104 a) EPÜ). Daher ist die Kammer der Auffassung, dass die Nichtgewährung des Antrags auf mündliche Verhandlung einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 103 (1) a) EPÜ darstellt, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, gemäß derer eine Nichtgewährung eines Antrags auf mündliche Verhandlung grundsätzlich einen solchen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (siehe hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern IV.E.8.4.2 a) sowie die darin zitierten Entscheidungen).

9. Gemäß Artikel 11 VOBK verweist die Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurück, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, "es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen." Da beide Parteien die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung beantragen und auch die Kammer keine besonderen Gründe erkennen kann, die gegen eine Zurückverweisung sprechen, wird die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, so dass die Einspruchsabteilung dem Antrag auf mündliche Verhandlung stattgeben kann, bevor eine Entscheidung über den Einspruch ergeht.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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